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Indigene Frauen und menschliche Entwicklung in Guatemala | Lateinamerika | bpb.de

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Indigene Frauen und menschliche Entwicklung in Guatemala Diskriminierung und Rassismus behindern Erreichung der Millenniumentwicklungsziele

Barbara Kühhas

/ 8 Minuten zu lesen

Im Jahr 2000 hat sich Guatemala dazu verpflichtet, die Millenniumentwicklungsziele zu erreichen. Sieben Jahre später ist das Land noch weit von diesem Ziel entfernt, denn: Noch immer leben mehr als zwei Millionen Maya-Frauen unter der absoluten Armutsgrenze.

Kleidung aus einem Massengrab in Chuguexa II-B, Guatemala 120 Kilometer westlich der Hauptstadt. Dort wurden die Körper von 28 Frauen und Kindern gefunden, die 1982 von der Armee getötet wurden. (© AP)

In Guatemala leben Maya-Frauen, die rund ein Viertel der Gesamtbevölkerung ausmachen (laut Zensus von 2002: 2,35 Mio.), zu einem großen Anteil unter der absoluten Armutsgrenze. Im Jahr 2000 hat sich das Land, zusammen mit den meisten Staaten der Erde zur Erreichung der Millenniumentwicklungsziele verpflichtet. Sie sind zeitlich gebunden und beinhalten unter anderem die Halbierung der absoluten Armut, freien Zugang zur Grundschulbildung für alle, die Verbesserung der reproduktiven Gesundheit oder die Senkung der Kindersterblichkeitsrate. Allerdings rangieren die indigenen Frauen Guatemalas bei praktisch allen Daten am unteren Ende.

Indigene Frauen selbst analysierten ihre Situation bereits 1997 folgendermaßen: "Wir wissen, dass wir Frauen eine dreifache Diskriminierung erleiden: weil wir Frauen, arm und indigen sind. Weil wir Frauen sind, werden wir geschlechtsspezifisch diskriminiert. Das bedeutet, dass geglaubt wird, dass wir als Frauen weniger wert sind als die Männer; dass sie uns überlegen sind. Weil wir arm sind, erleiden wir die Ausbeutung bei der Lohnarbeit; wenn wir gleich viel und unter den gleichen Bedingungen wie die Männer arbeiten, dann zahlen sie uns weniger dafür oder stellen uns nicht an, weil die Männer bevorzugt werden. Aufgrund der Armut leiden wir auch unter der Marginalisierung hinsichtlich der Sozialleistungen. Weil wir indigen sind, sind wir auch rassisch diskriminiert; das heißt, dass sie uns nicht den Mestizen gleichgestellt sehen. Sie denken vielmehr, wir sind weniger wert.

Diese drei Formen der Diskriminierung vereinen sich und machen unsere Last beschwerlicher. Sie diskriminieren uns in der Familie, in der Gemeinschaft und in der Gesellschaft." Als stärkstes Problem beschreiben die Frauen ihren fehlenden Zugang zur Bildung, die innerfamiliären Beziehungen, das Arbeitsrecht sowie den fehlenden Zugang zur Mitentscheidung in indigenen Gemeinschaften und auf Staatsebene.

Das Konzept der "menschlichen Entwicklung" und indigene Rechte

Global gesehen hat sich das Verständnis von "Entwicklung" und ihrem Zusammenhang mit Menschenrechten verändert. In den 70er-Jahren wurde Entwicklung rein als ökonomisches Wachstum und Ziel an sich, Armut als Problem geringen finanziellen Einkommens betrachtet. Man glaubte, dass durch die Industrialisierung "unterentwickelter Länder" automatisch eine positive Entwicklung für die ganze Bevölkerung in jenen Ländern ermöglicht würde. Allerdings hat sich diese Vorstellung als falsch erwiesen. In den 80er- und 90er-Jahren wurden die rein wirtschaftsorientierten Ansätze von vielen Entwicklungsagenturen aufgegeben, dann durch bedürfnisorientierte und in den jüngsten Jahren vermehrt durch menschenrechtsorientierte Ansätze ersetzt.

Bereits 1986 wurde von den Vereinten Nationen die "Deklaration über das Recht auf Entwicklung" angenommen. Das "Recht auf Entwicklung" wird als ein "unveräußerliches Menschenrecht" definiert. Aus dieser Perspektive ist Entwicklung prinzipiell auf die Personen zentriert, ein partizipativer Prozess, an Umweltverträglichkeit orientiert und ein Teil eines umfassenden ökonomischen, sozialen, kulturellen und politischen Prozesses. Das Konzept der "Menschlichen Entwicklung" zielt auf das Wohlergehen und die Lebensqualität der gesamten Bevölkerung ab sowie auf die aktive, bedeutungsvolle Teilnahme der Individuen an den Entwicklungsprozessen, aber auch die faire Umverteilung der daraus resultierenden Gewinne. Dieser Grundgedanke wird ebenfalls in der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 12. September 2007 angenommenen "Deklaration über die Rechte Indigener Völker" betont, die besonders das Recht auf eigenständige soziale, kulturelle, ökonomische und politische Entwicklung ohne Diskriminierung betont.

Maya-Frauen - eine kaum wahrgenommene Mehrheit

Schon vor der Unterzeichnung der Millenniumdeklaration im Jahr 2000 beschrieb Fidelia Vasquez, eine Maya-Aktivistin, die Situation der guatemaltekischen Maya-Frauen in einem Interview folgendermaßen:

"Als eines der größten Probleme empfinde ich den Analphabetismus, der Schreiben und Reden auf Spanisch und all das beinhaltet; er hängt auch mit den ökonomischen Problemen zusammen. Ein anderer beschränkender Faktor ist, dass die Frauen ihre Rechte nicht kennen. Es stimmt sicher, dass es jetzt schon Organisationen mit Frauen gibt, aber noch lange nicht alle reden über die spezifischen Rechte der Frau, denn sie sprechen normalerweise über die Menschenrechte im Allgemeinen, die die Frau auch mit einschließen, aber es gibt punktuelle Dinge, die spezifisch mit Frauen besprochen werden müssen.

Wenn wir zum Beispiel die Gesundheit nehmen, dann ist es klar, dass die (Maya-)Frau nie alle ihre Krankheiten einem Arzt anvertrauen wird. Normalerweise wird in den indigenen Gemeinschaften mit den traditionellen Hebammen gesprochen. Und nur wenn die Krankheit von ihr nicht behandelt werden kann, dann muss man die kranke Frau in ein Krankenhaus bringen. Hier ist noch viel nachzuholen: Denn in den Spitälern und in den Gesundheitszentren, die angeblich Sozialleistungen für die Gemeinschaften sind, gibt es nicht nur manchmal, sondern durch die Bank keine einzige Tablette, um die Schmerzen der Frauen und des Volkes zu lindern.

Wenn Krankenschwestern oder Ärzte einem Gesundheitszentrum zugeteilt sind, dann kommen sie, wann sie möchten, und wenn nicht, dann eben nicht. Und wer wird dann die Bevölkerung medizinisch versorgen? Wir können sagen, dass im Gesundheitsbereich die traditionelle Naturmedizin sehr stark aufgewertet wurde, denn wenn das nicht so wäre, würden die Leute einfach sterben! Es sterben viele Frauen bei Geburten, da sie oft nicht richtig betreut werden können, auch wenn sie eine Hebamme haben. Wenn es nötig ist, einen Kaiserschnitt durchzuführen, können das die Hebammen nicht machen – hier ist definitiv zu sehen: Wenn es Möglichkeiten des Zugangs zur medizinischen Versorgung gibt, dann geht die Frau ins Spital. Aber wenn nicht – dann sterben die Frauen und die Babys. Und das passiert nicht nur bei Geburten, viele Menschen sterben auch an Durchfall und wegen all dieser normalen, heilbaren Krankheiten.

Das sind die großen Hindernisse, die existieren. Oder wenn eine Frau einen Kredit braucht, dann verlangt man von ihr einen Berg von Nachweisen: Sie verlangen Grundstückspapiere, Papiere, die die Frauen generell nicht besitzen. Auch wenn sie selbst Land besitzen, so ist es auf den Namen ihres Ehemannes eingetragen. Auch wenn es das Erbteil der Frau ist, das sie von ihrem Vater erhalten hat, ist es auf den Namen des Mannes eingetragen. Also kann die Frau nicht viel ausrichten, um einen Kredit zu bekommen. Es kann auch passieren, dass der Mann ganz einfach das Grundstück der Frau verkauft und sie ohne etwas übrig bleibt.

All das ist wirklich traurig, und hier fehlt noch viel, bis die Frauen ihre Rechte kennenlernen und verteidigen werden können. Denn ich glaube, nach dem Kennenlernen ist es das Wichtigste, die Rechte der Person auch verteidigen zu können. Ich habe immer mit den organisierten Gruppen gesprochen, dass sie nicht nur unter sich bleiben, sondern auch die nicht-organisierten Frauen mit einbeziehen müssen.

Denn diese meinen: All das, was ich erleide, ist normal, dazu bin ich auf die Welt gekommen. Wie zum Beispiel eine Frau, die schon acht Kinder hat und immer noch mehr Kinder bekommt und sagt: Naja, weil wir dazu geboren sind. Es ist zwar schwierig, so viele Kinder zu ernähren, aber man muss sie bekommen. Also bleiben sie immer im gleichen Kreis gefangen! Das ist wirklich traurig, denn letztlich leiden die Kinder sehr darunter. Sie haben nicht einmal Schuhe, sind krank, voller Parasiten – denn die Familienökonomie erlaubt es nicht, die Kinder entsprechend zu versorgen.

Das ist sehr traurig, aber die Frauen sind ja von klein auf so erzogen worden. Bei Personen, die ein gewisses schulisches Niveau erreicht haben, da sieht die Situation etwas anders aus. Aber vor allem für die Schwestern, die keine Aufklärung über die Sexualität gehabt haben, ist es besonders schwierig. Wir müssen daran denken, dass die Männer schon immer gesagt haben, dass die Frauen nur zum Kinderkriegen taugen würden und zu sonst nichts. So haben die Männer, was sie wollen, und die Kinder müssen dann die Konsequenzen tragen – ich glaube, dass das die relevantesten Probleme sind."

Rassismus und Diskriminierung als Hinderungsfaktoren für menschliche Entwicklung in Guatemala

Viele dieser Probleme, die sich heute leider noch so präsentieren wie vor zehn Jahren, basieren auf einer Diskriminierung, die wiederum auf Rassismus beruht. Dieser ist in Guatemala besonders stark ausgeprägt und gründet auf der Idee, dass die Gruppe der Ladinos von Natur aus den "Indios" überlegen wäre - und Männer generell den Frauen.

Der "Human Development Index" (HDI, Index der Menschlichen Entwicklung) ist eine Maßzahl, die seit 1990 jährlich vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen in den Weltentwicklungsberichten veröffentlicht wird. Der entsprechende Guatemala-Report von 2005 beschäftigt sich ausführlich mit der ethnisch-kulturellen Vielfalt sowie den Phänomenen von Diskriminierung, Rassismus und was es für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen bedeutet, einem multikulturellen Staatsgefüge anzugehören.

Die Analyse der bestehenden, extremen Ungleichheiten zeigt sehr klar, inwieweit die verschiedenen Bevölkerungsgruppen befähigt sind, sich menschlich zu entwickeln. Die bestehende Ungleichheit ist eine Verletzung der Konzepte von sozialer Gerechtigkeit und Demokratie sowie der grundlegenden Menschenrechte. Die profunden Ungleichheiten in Bezug auf Reichtum, beruhend auf Regionen, der ethnisch-kulturellen Zugehörigkeit oder dem Geschlecht sind sowohl für die Demokratie und soziale Kohäsion als auch das ökonomische Wachstum äußerst hinderlich.

Im Bericht von UNDP wird aufgezeigt, dass Guatemala – wenn es mehr politischen Willen zur realen Partizipation der Bevölkerung und zur Umverteilung der vorhandenen Mittel entsprechend den eingegangenen Verpflichtungen zur Erreichung der Millenniumziele einsetzen würde, weltweit auf Platz 106 rangieren könnte, anstatt auf Platz 117. Ebenso beträgt der geschlechtsspezifische Entwicklungsindex (GDI), der die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern misst, in Guatemala mit 0.659 im Vergleich zum HDI mit 0.673 nur 97,3 Prozent. Das katapultiert Guatemala auf Position 113 von insgesamt 136 Plätzen. Um der Erreichung der Millenniumziele näher zu kommen, sind in Guatemala also vielfältige Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der indigenen Frauen nötig.

Informationen zu indigenen Frauen

IANGWE: Inter Agency Network on Women and Gender-Equality, Task Force on Indigenous Women (Externer Link: un.org/womenwatch Externer Link: un.org/esa/socdev)

Externer Link: Mujeres Indígenas

Externer Link: UN Permanant Forum on Indigenus Issues

Externer Link: United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples

Guatemala: Defensorìa de la Mujer Indígena en Guatemala (DEMI) Die DEMI geht aus der Umsetzung der Friedensverträge hervor und beschäftigt sich spezifisch mit der Diskriminierung der indigenen Frau. Sie erarbeitet Vorschläge zur politischen Umsetzung im Bereich der Prävention, Verteidigung und Ausrottung aller Gewalt gegen die indigene Frau und gibt Beratung, rechtliche Vertretung, soziale und psychologische Hilfestellung in Mayasprachen. Kontaktadresse: defensorademi@yahoo.com

UNICEF Guatemala: Bericht "Mirame" Auf dieser Website findet man den Bericht zu "Mirame" mit Hörbeispielen. Er wurde gemeinsam von UNICEF und der Defensoría de la Mujer Indígena verfasst und beschreibt die Situation indigener Mädchen in Guatemala. Das Buch wurde im August 2007 veröffentlicht. (Externer Link: Mirame), Externer Link: UNICEF Radio

Literatur



Länderblatt Guatemala vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen

Externer Link: undp.org

Externer Link: UNDP Guatemala

IPES: Abschlussbericht des Forschungsprojektes: "Ausbildung und Gender aus der Perspektive indigener Frauen" (Coordinación de Mujeres de la Población Desarraigada, CONAVIGUA, UNESCO Asamblea Consultiva de la Población Desarraigada), Guatemala 1997.

Kühhas, Barbara: Die indigenen Frauen Guatemalas. Vom Bürgerkrieg zum Friedensprozess - der Kampf um politische Partizipation. Frankfurt am Main, Wien: Brandes & Apsel, Südwind 2000.

Vereinte Nationen: Indigenous Women and the United Nations System, Good Practices and Lessons Learned (Compiled by the Secretariat of the Permanent Forum on Indigenous Issues for theTask Force on Indigenous Women/Inter-Agency Network on Women and Gender Equality), United Nations New York 2007.

Externer Link: ILO Suche nach Ländern

Externer Link: Informationen zu den Millenniumsentwicklungszielen

Louise Arbour, Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, und Rodolfo Stavenhagen, Sonderberichterstatter über die Menschenrechtssituation und Grundfreiheiten der indigenen Völker: Gemeinsame Erklärung zum Internationaler Tag der indigenen Völker (UNIS/SM/016, 7. August 2007).

Weitere Inhalte

Mag. Dr. Barbara Kühhas ist Sozialanthropologin und hat für verschiedene multilaterale (Vereinte Nationen, Europäsche Kommission), wie auch Regierungs- und nicht Regierungsorganisationen in Lateinamerika, Asien und am Balkan gearbeitet. Seit 2005 ist sie Koordinatorin der Abteilung für Entwicklungszusammenarbeit am Ludwig Boltzmann-Institut für Menschenrechte in Wien.