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Irans Wasserkrise: Missmanagement und anhaltende Konflikte | Iran | bpb.de

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Irans Wasserkrise: Missmanagement und anhaltende Konflikte

Kaveh Madani

/ 8 Minuten zu lesen

Bevor er das Land verlassen musste, war Kaveh Madani stellvertretender Leiter des iranischen Umweltministeriums. Der Wissenschaftler spricht über Irans Wasserkrise und ihre Ursachen. Zugleich fordert er Frieden und Stabilität in der Region – sonst sei ein umfassender Umweltschutz nicht möglich.

Ein See verschwindet: Der Urmia-See im Nordwesten Irans wurde zum Symbol der Wasserkrise. Der Salzsee schrumpfte auf rund 20 Prozent seiner Wassermenge. Mittlerweile könnte es gelungen sein, das Austrocknen aufzuhalten. (© picture-alliance, NurPhoto)

bpb.de: Iran ist mit massiven Umweltproblemen konfrontiert. Dazu gehören Hitzewellen oder auch Luftverschmutzung. Vor allem aber leidet das Land an Wassermangel. Warum?

Kaveh Madani (© Privat)

Kaveh Madani: Iran gehört zu einem Teil der Welt, der eher arm an Wasser ist. Die Wasserressourcen Irans liegen weit unter dem weltweiten Durchschnitt. Aber der aktuell herrschende Wassermangel lässt sich nicht allein durch die natürlich limitierten Wasserressourcen erklären. In Iran herrscht ein – wie ich es nenne – "Wasserbankrott" als Folge eines Jahrzehnte anhaltenden schlechten Wassermanagements. Hinzu kommt ein falsches Verständnis von Entwicklung, das zu zahlreichen Umweltproblemen führte.

Wodurch zeichnet sich dieses falsche Verständnis aus?

Das Phänomen betrifft nicht allein Iran, sondern die Region und viele Länder der sich entwickelnden Welt insgesamt. Im Zuge von Wirtschaftswachstum wandelt sich das Verständnis von Umwelt und ihrer Bedeutung. Wir lernen aus Fehlern, die manchmal teuer sein können. Aber leider lernen wir nicht aus den Versäumnissen anderer: In den Entwicklungsländern wurden die Fehler des Westens wiederholt.

Denn auch die entwickelte Welt leidet an Wasserknappheit. Deutschland zum Beispiel hatte in den Sommern 2018 und 2019 mit einer ernsthaften Dürre zu kämpfen: Die Menschen haben erlebt, wie schlimm das sein kann. Dennoch wird eine Dürre die deutsche Wirtschaft nicht zerstören, weil sie diversifiziert ist. Das gilt jedoch nicht für Irans erdölabhängige Wirtschaft: Mit den Einnahmen aus dem Ölgeschäft hat das Land seinen Agrarsektor stark subventioniert – vor allem die Versorgung mit Wasser und Energie. Irans Nationalökonomie ist vom Wasser abhängig. Kommt es zu einer Dürre, hat das enorme Auswirkungen.

Der Zayandeh-Rud - der "lebensspendende Fluss" - in der Stadt Isfahan ist ausgetrocknet. In Isfahan kam es immer wieder zu Protesten gegen den Wassermangel. (© picture-alliance, JOKER)

Die Landwirtschaft scheint also ein Grund für die Wasserkrise in Iran zu sein, aufgrund ihrer intensiven und zugleich ineffizienten Wassernutzung. Stimmen Sie dem zu?

Ich sehe drei Hauptgründe. Erstens das rasante Bevölkerungswachstum ab den 1970er Jahren verbunden mit der räumlichen Verteilung der Menschen. Innerhalb weniger Jahrzehnte hat sich die Einwohnerzahl Irans mehr als verdoppelt. Das bedeutet bis heute eine enorme Herausforderung für die Wasserversorgung. Vor allem, weil der Großteil der Einwohner und Einwohnerinnen in Städten lebt mit geringen Wasserressourcen, wie Teheran, Isfahan, Maschhad und anderen.

Der zweite Grund ist die ineffiziente Landwirtschaft: Dieser Sektor ist hoch subventioniert, aber nicht produktiv. Die Landwirtschaft sichert nicht allein die Lebensmittelversorgung, sondern auch viele benötigte Jobs.

Aber der dritte und entscheidende Grund ist Missmanagement. Iran erlebte 1979 eine Revolution. Danach folgten achte Jahre Krieg mit dem Nachbarland Irak. In den vergangenen vier Jahrzehnten war Iran in Konfrontation mit dem Rest der Welt und fühlte sich allein gelassen mit den internationalen Sanktionen. Das Land gab sich ein eigenes Entwicklungsmodell, das jedoch nicht nachhaltig ist. Man hat sich dafür gefeiert, dass man mehr und mehr Dämme baut, um Wasser zu verteilen – mehr Infrastruktur galt als eine Antwort auf den Wassermangel. Doch diese Mentalität hat uns in diese kritische Situation gebracht: Probleme des Wassermanagements lassen sich nicht allein durch Technik lösen.

Im Dezember 2019 blieben die Schulen in der Millionenmetropole Teheran größtenteils geschlossen: Die Luftverschmutzung und damit die gesundheitliche Belastung waren zu hoch. (© picture-alliance, Anadolu Agency)

Inwieweit spielt der Klimawandel eine Rolle für die Wasserknappheit in Iran?

Wir müssen vorsichtig sein, wenn wir die Folgen des Klimawandels in dieser Region bewerten wollen. Wir neigen dazu, den Klimawandel für alles verantwortlich zu machen. Er ist eine große Gefahr und wir müssen alles dafür tun, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen – aber wir müssen vorsichtig sein, nicht alles zu "klimatisieren".

Die Umweltprobleme im Mittleren Osten sind hauptsächlich Folgen von Missmanagement und einer schlechten Entscheidungsfindung vor Ort. Der Klimawandel hat das Problem sicherlich verstärkt, wird es weiter verstärken und kann katastrophale Folgen haben: Aber alles im Kontext des Klimawandels zu betrachten bedeutet, dass man die Komplexität vor Ort nicht vollständig erkennt.

Solch eine komplexe Situation findet sich zum Beispiel im Süden Irans. Große Feuchtgebiete trocknen aus, was zu mehr Sandstürmen führt. Diese wiederum bringen ernsthafte Gesundheitsprobleme mit sich. Wie schätzen sie die Lage dort ein?

Wir sprechen vom "Aralsee-Syndrom". In der Sowjetunion wurde das Wasser des Aralsees umgeleitet zur Nutzung in der Landwirtschaft, was letztlich zum Tod des Sees führte – und Auswirkungen hatte auf die Gesundheit, die Wirtschaft und so weiter.

Das gleiche erleben wir in Iran, wenn es um die verschiedenen Feuchtgebiete geht: Wasser wurde umgeleitet und gespeichert, wodurch viele Feuchtgebiete austrockneten. Das bekannteste Beispiel dafür ist der See Urmia im Nordwesten Irans. Aber auch andere Feuchtgebiete trockneten aus; auch jene im Südwesten Irans, die Sie erwähnten.

Krieg bringt immer auch Umweltschäden mit sich - und zwar grenzüberschreitende. 2016 brannten dutzende von Ölquellen in Irans Nachbarland Irak nahe der Stadt Qayyarah. IS-Kämpfer hatten sie in Brand gesetzt. Wochenlang waren die Menschen vor Ort dem Rauch und den Schadstoffen ausgesetzt. (© picture-alliance, ZUMAPRESS.com)

Aber Staub und Staubstürme, die vor allem im Südwesten Irans auftreten, sind komplexer. Hier spielen auch grenzüberschreitende Faktoren eine Rolle. Im Nachbarland Irak herrschte viele Jahre lang Krieg; der Krieg in Syrien hält an. Die Region insgesamt ist sehr instabil. Auch in Irans Nachbarländern gibt es ausgetrocknete Feuchtgebiete, schlechtes Wassermanagement, verlassene Agrarflächen und so weiter. Herrscht Krieg, verlassen Bauern ihr Land, was zur Sandbildung beiträgt. Saddam Hussein wiederum, ehemaliger Präsident des Irak, ließ während seiner Amtszeit Sümpfe niederbrennen. Auch wurden Feuchtgebiete zerstört, um Öl und Gas zu fördern.

Lange Zeit wurde die Bedeutung von Feuchtgebieten nicht verstanden. Nun sind wir in einer Situation, in der es schwierig ist, diese Gebiete wiederherzustellen.

In Iran wächst die Aufmerksamkeit für Umweltprobleme. Es gibt viele Initiativen von Privatpersonen sowie Online-Kampagnen oder auch Hashtags in den sozialen Medien, die Umweltschutz fordern. Sehen Sie auch einen Wandel?

Absolut. Meiner Einschätzung nach war die Tragödie um den See Urmia ein Wendepunkt in der modernen Umweltgeschichte Irans. Dieser Vorfall wurde als nationale Tragödie gesehen.

Die Aufmerksamkeit für Umweltfragen in der iranischen Öffentlichkeit ist viel höher als in anderen Ländern der Region. In Iran gibt es mindestens 900 registrierte und aktive Nichtregierungsorganisationen im Umweltbereich. Hinzu kommen viele nicht-registrierte Gruppen, die ebenso zu Umweltfragen arbeiten. Auch auf den in Iran beliebten sozialen Netzwerken wie Instagram oder Twitter passiert viel im Umweltbereich. Das ist erstaunlich.

Also ja, die Aufmerksamkeit ist gewachsen. Aber hat das zu politischem Handeln und einem Wandel geführt? Ich glaube, nein. Und darüber bin ich besorgt.

Irans Regierung versucht, die Umweltbewegung einzudämmen und zu kontrollieren. Sie selbst haben das auch erfahren müssen: Nach einer Karriere in den USA und Großbritannien sind Sie in Ihre Heimat Iran zurückgegangen: von 2017 bis 2018 waren Sie stellvertretender Leiter des iranischen Umweltministeriums. Obwohl Regierungsstellen Sie gefragt hatten zurückzukehren, wurden Sie mehrere Male verhaftet, verhört und wieder freigelassen. Während einer Auslandsreise haben Sie letztlich beschlossen, nicht nach Iran zurückzureisen.

2017 wurde ich eingeladen, nach Iran zurückzukehren. In der Geschichte der Islamischen Republik Iran war es das erste Mal, dass die Regierung einen jungen Experten angefragt hat, der nicht zum inneren Führungskreis gehört, in seine Heimat zurückzukehren, um dort dem Staat zu dienen. Das hätte bedeuten können, dass sich die Regierung um die Umwelt sorgt. Die öffentliche Reaktion auf meine Ernennung war sehr positiv.

Ich wurde das erste Mal im September 2017 verhaftet – und zwar durch die Interner Link: Revolutionsgarden, die im Kern eine Schattenregierung bilden. Sie kümmern sich um die Ernährungssicherheit, um die Ölunabhängigkeit Irans und anderes, aber nicht darum, nachhaltig Umweltprobleme zu lösen. Die Revolutionsgarden verstehen Umweltfragen als Sicherheitsrisiko. Umweltaspekte werden mit Politik vermischt; es gibt viel Paranoia in Bezug auf Umweltschutz. Die Revolutionsgarden glauben, dass Menschen, die Irans Umweltprobleme ansprechen, für den Feind arbeiten.

Nachdem ich sehen musste, was mit Umweltaktivisten passierte und nachdem ich immer wieder schikaniert wurde und Machtmissbrauch erfahren habe, habe ich am Ende dieser diplomatischen Auslandsreise entschieden, von meinem Amt zurückzutreten.

Dieses undatierte Foto zeigt den iranisch-kanadischen Soziologen und Umweltschützer Kavous Seyed-Emami mit seiner Ehefrau Maryam Mombeini. Seyed-Emami wurde der Spionage verdächtigt und verhaftet. Er starb im Februar 2018 im Gefängnis. Bis heute ist sein Tod nicht vollständig aufgeklärt. Seine Frau durfte Iran erst im November 2019 verlassen. (© picture-alliance/AP)

Anfang 2018 wurde eine Gruppe iranischer Umweltschützer und -schützerinnen, die für den Persian Wildlife Heritage Foundation (PWHF) tätig waren, unter dem Verdacht der Spionage verhaftet. Einer der Umweltschützer, Kavous Seyed Emami, starb im Gefängnis unter ungeklärten Umständen. Seine Kollegen und Kolleginnen wurden zu sechs bis zehn Jahren Haft verurteilt. Gibt es Parallelen zu ihrem Fall?

Soweit ich weiß, haben diese Umwelt- und Naturschützer eine absolut friedliche Arbeit geleistet. Sie wollten Geparden erforschen und Feldarbeit in Iran leisten; es ging ihnen noch nicht einmal um Protest gegen große Infrastrukturprojekte der Regierung oder ähnliches. Trotzdem wurden sie verhaftet und verurteilt.

Ein entscheidender Punkt könnte sein, dass sie im internationalen Austausch standen – so wie ich auch. Sich international zu vernetzen ist normal und notwendig, um Umweltprobleme zu lösen. In Iran jedoch werden aus Umweltfragen Sicherheitsfragen. Das heißt, die Sicherheitskräfte sehen internationalen Austausch als Gefahr an.

Vor dem Hintergrund der Wirtschaftsprobleme in Iran, die sich durch die Coronakrise verstärken: Wie werden Iran sowie der Mittlere Osten insgesamt künftig mit Umweltthemen umgehen?

Reformen im Umweltsektor sind politisch und finanziell kostspielig. In Deutschland können sie sehen, wie schwierig es ist Kohlekraftwerke zu schließen oder den CO2-Ausstoß zu reduzieren.

Ich will nicht rechtfertigen, was die politischen Führungen im Mittleren Osten tun, aber ich will daran erinnern, dass ein Land nur dann die Kurve bekommt, wenn es in einer politisch und wirtschaftlich guten Lage ist. Die Volkswirtschaften im Mittleren Osten sind unter Druck; sozio-politische Instabilitäten belasten die Länder und das Coronavirus verstärkt die Probleme noch. Deshalb glaube ich nicht, dass die Länder ihre Umweltprobleme angehen, bevor sie ein bestimmtes Maß an Frieden erreicht haben. Das Gegenteil anzunehmen, halte ich für unausgegoren. Die breite Öffentlichkeit kann nicht über vom Aussterben bedrohte Arten nachdenken, wenn die eigenen Kinder hungern und man mitten im Krieg ist.

Dieser Punkt ist wichtig, und wir schenken ihm nicht genug Aufmerksamkeit: Stabilität und Frieden gehören zu den Schlüsseln, um Umweltprobleme zu lösen. Wenn es in diesem Teil der Welt keinen Frieden und keine Stabilität gibt, werden wir die lokalen Umweltprobleme nicht lösen können. Wenn die entwickelte Welt besorgt ist, welche Folgen die Umweltzerstörung auf die Migration hat, sollte sie besorgt sein über die anhaltenden Konflikte und Spannungen. Diese können künftig durch Umweltprobleme ausgelöst werden, aber schon heute werden Umweltprobleme durch regionale politische Spannungen ausgelöst: Das müssen wir ändern. Wenn es in der Region keine Stabilität gibt, lassen sich Umweltfragen nicht angehen und die Situation wird immer schlimmer werden.

Das Interview führte Sonja Ernst.

Weiterführende Links

Auf der Webseite von Kaveh Madani finden sich weitere Informationen: Externer Link: https://www.kavehmadani.com/ (Stand: 30. September 2020)

Im Februar 2020 gab Kaveh Madani dem MacMillan Report, einem Angebot der Yale Universität, ein Interview zum Thema "Environmental Security in the Middle East": Externer Link: https://www.youtube.com/watch?v=ULLM__tt8dU (Stand: 30. September 2020)

Im März 2020 hielt Kaveh Madani einen Vortrag zum Thema "Iran’s Water Bankruptcy" am MacMillan Center der Yale Universität: Externer Link: https://www.youtube.com/watch?v=b2q0E4nwCzA (Stand: 30. September 2020)

Weitere Inhalte

Kaveh Madani ist Wissenschaftler, Aktivist und ehemaliger iranischer Politiker. Von 2017 bis 2018 war er stellvertretender Leiter des iranischen Umweltministeriums. Madani ist "Henry Hart Rice Senior Fellow" an der Yale Universität und Gastprofessor am Imperial College London. Er zählt mehr als 200 Publikationen und ist international bekannt für die Integration von Spieltheorie und Entscheidungsanalyse in Modelle des Managements von Wasserressourcen. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er trug zur Sensibilisierung der iranischen Öffentlichkeit für Wasser- und Umweltprobleme bei.