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Die Entwicklung des politischen Zionismus nach Herzl | Israel | bpb.de

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Die Entwicklung des politischen Zionismus nach Herzl

Michael Brenner

/ 4 Minuten zu lesen

Mit dem Tod Herzls 1904 verlor die zionistische Bewegung ihren Führer. Die Bewegung spaltete sich in verschiedene Lager, ideologische Richtungskämpfe traten offen zu Tage.

Herzls Grab in Jerusalem. (© wikipedia.org)

Die Politisierung der jüdischen Gesellschaft Osteuropas um die Jahrhundertwende brachte nicht nur die zionistische Bewegung an die Oberfläche. Im selben Jahr wie Herzl in Basel den ersten Zionistenkongress einberief, gründeten in Wilna jüdische Sozialisten den "Allgemeinen jüdischen Arbeiterbund in Litauen, Polen und Russland", kurz "Bund" genannt. Sie setzten sich für eine sozialistische Gesellschaft ein, in der die Juden Osteuropas ihre jiddische Sprache und säkularisierte Kultur einbringen konnten. Der Historiker Simon Dubnow gründete eine Jüdische Volkspartei, die sich für die Rechte der Juden als nationaler Minderheit in Osteuropa einsetzte. Wie die Zionisten argumentierte er, dass die Juden weiterhin eine Nation darstellten, jedoch hätten sie die Phase überwunden, in der sie ein eigenes Territorium benötigten. Sie könnten auf der Grundlage der Autonomierechte inmitten anderer Nationen existieren. Selbst die streng orthodoxen Juden gründeten mit der "Agudas Jissroel" vor dem Ersten Weltkrieg ihre eigene politische Organisation, die - wie Zionisten und Bundisten - später ihre eigenen Abgeordneten in nationale Parlamente schicken sollten.

Richtungen des Zionismus

Die Zionisten waren aber auch untereinander in verschiedene Lager gespalten. Der Konflikt zwischen politischen Zionisten und Kulturzionisten deutete bereits zu Lebzeiten Herzls unterschiedliche Visionen an. Im Laufe der Zeit differenzierte sich der Zionismus weiter in unterschiedliche politische Richtungen, die nur die Tatsache vereinte, dass sie alle im Land Israel eine Heimstätte für die Juden erblickten. Wie diese aussehen sollte, ob sie nach religiösen, säkular-bürgerlichen oder sozialistischen Werten organisiert sein sollte, wie die Wirtschaftsordnung und wie ihr Verhältnis zur arabischen Bevölkerung sein sollte - darüber wurde heftig argumentiert. Die vier großen politischen Lager – Religiöse Zionisten (Misrachi), Sozialisten, Revisionisten und Allgemeine Zionisten – decken mit vielen kleinen Absplitterungen bis heute das Spektrum der politischen Landschaft des Staates Israel ab. Im Gegensatz zu der politischen Idylle, die Theodor Herzl in seinem "Altneuland" entwirft, bekämpften diese unterschiedlichen Gruppierungen sich oftmals auf das heftigste.

Die 1902 gegründete religiös-zionistische Partei "Misrachi" musste auf zwei Fronten kämpfen. Sie wandte sich einerseits gegen Bedenken innerhalb des orthodoxen Lagers, die zionistische Bewegung sei Gotteslästerung, da erst im messianischen Zeitalter die Juden wieder ins Land Israel geführt werden sollten - und dies gewiss nicht von einem solch säkularen Propheten wie Theodor Herzl. Andererseits bekämpfte sie innerhalb der zionistischen Bewegung die dominante säkulare Position, die die Religion innerhalb eines zukünftigen Judenstaats marginalisierte. Die Misrachi (was wörtlich "nach Osten" heißt, gleichzeitig aber auch eine Abkürzung für "geistiges Zentrum" ist) wollte keinen theokratischen Staat einrichten, aber der Religion einen respektablen Platz einräumen.

Ein großer Teil der Zionisten identifizierte sich mit sozialistischen Idealen wie der Abschaffung des Kapitalismus und dem Ideal kollektiver landwirtschaftlicher Siedlungen, die dann in Form des Kibbutz konkrete Gestalt annahmen. Sozialrevolutionäre Ideen aus dem russischen Kontext vermengten sich hier mit zionistischen Idealen. Wie im linken Lager durchaus nicht ungewöhnlich, bildeten sich nicht eine, sondern gleich mehrere konkurrierende Parteien. Für die marxistisch geprägte "Poalei Zion" ("Arbeiter Zions") lag der Grund allen antisemitischen Übels in der abnormalen wirtschaftlichen Situation der Juden. In einem eigenen Staat würden sie wirtschaftlich regenerieren und im Zuge der sozialistischen Weltrevolution schließlich eine normale sozialistische Nation unter anderen bilden. Während die Poalei Zion sich als jüdisch-nationalen Ableger der Weltrevolution verstanden, war der "Hapoel Hatzair" ("Der junge Arbeiter") weniger ideologisch geprägt. Seine Vertreter dachten zwar auch in sozialistischen Kategorien, ordneten diese aber dem jüdischen Nationalismus nach. Sie betonten die Besonderheit der jüdischen Nation, die sich erst ihr eigenes Territorium erobern musste und gaben der pragmatischen Aufgabe der "Produktivierung" der Juden im Land Israel (der "Eroberung der Arbeit") Vorrang vor allen anderen Parteizielen.

Als letzte große ideologische Richtung innerhalb des Zionismus trat der Revisionismus auf den Plan. Er vertrat die bürgerlichen, antisozialistischen und stark nationalistischen Elemente innerhalb der Bewegung. Dominierende Figur des Revisionismus war bis zu seinem Tod Vladimir (Ze´ev) Jabotinsky (1880-1940), eine der schillerndsten Figuren jüdischer Politik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Als Journalist, Schriftsteller und Übersetzer hatte er sich in der literarischen Welt Russlands einen Namen gemacht und als brillanter Massenredner gelang es ihm bald, sich eine große Anhängerschaft zu sichern, deren Hauptbasis die breite Mittelklasse des polnischen Judentums der Zwischenkriegszeit bildete. Jabotinsky sah sich als der wahre Nachfolger des von ihm bewunderten Herzl und versuchte, zunächst von innen die zionistische Bewegung zu beeinflussen. Wie jener gab er dem politischen und diplomatischen Kampf Vorrang vor den kulturellen Zielen. Zudem betonte er die Notwendigkeit des militärischen Kampfs und konnte während des 1. Weltkriegs die Gründung einer Jüdischen Legion in der britischen Armee erreichen. Auch die Jugendorganisation "Betar" hatte den Charakter einer paramilitärischen Gruppe. Erst 1925 schuf er seine eigene revisionistische Partei. Zehn Jahre später verließ er mit dieser Partei die Zionistische Organisation aufgrund ihrer angeblich zu konzilianten Linie und gründete seine eigene "Neue Zionistische Organisation".

Schließlich formierte sich auch ein vielleicht am besten als liberal zu charakterisierendes politisches Lager, das sich als "Allgemeine Zionisten" zu verstehen gab und über den Parteienkämpfen stehen wollte. Der während des Ersten Weltkriegs zur entscheidenden Figur innerhalb der Bewegung aufsteigende Chemiker Chaim Weizmann war die treibende Kraft in dieser gemäßigten mittleren Richtung. Vor allem seinen Verbindungen zu britischen Politikern, ausgelöst durch ein von ihm entdecktes kriegswichtiges chemisches Mittel, war es zu verdanken, dass der Zionismus im November 1917 erstmals die lang ersehnte politische Anerkennung erfuhr. In der Balfour-Deklaration, benannt nach dem britischen Außenminister, versprachen die neuen Herren des Landes den Juden "eine nationale Heimstätte in Palästina". So vage diese Formulierung anmutete, so war sie doch die erste offizielle Anerkennung der zionistischen Ziele von Seiten einer relevanten Großmacht.

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Prof. Michael Brenner ist Leiter der Abteilung für Jüdische Geschichte und Kultur am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er studierte an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, der Hebräischen Universität Jerusalem und an der Columbia University in New York. Michael Brenner gilt als Experte für jüdische Geschichte und jüdischer Kultur.