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Analyse: Politik im Museum – der Kampf um Deutungshoheiten im polnischen Museumsboom | bpb.de

Analyse: Politik im Museum – der Kampf um Deutungshoheiten im polnischen Museumsboom

Monika Heinemann

/ 16 Minuten zu lesen

Zum Beginn des Museumsbooms wurden narrative Ausstellungen vom Publikum mit Begeisterung aufgenommen. Die Folge: enorme Besucher*innenströme in den Geschichtsmuseen. Davon profitiere auch das Museum des Warschauer Aufstands, das 2004 eröffnet wurde.

Heiko Maas (SPD, r) und sein polnischer Amtskollege Jacek Czaputowicz (M) besichtigen das Museum des Warschauer Aufstands im Rahmen der Gedenkfeiern zum 75. Jahrestag des Warschauer Aufstands. (© picture alliance/dpa | Kay Nietfeld)

Zusammenfassung

Seit 2004 hält in Polen ein beispielloser Museumsboom an, der sowohl Geschichts- als auch Kunstmuseen umfasst. Debatten, Streit und Emotionen rufen jedoch besonders die zahlreichen neuen historischen Museen hervor. Ihre Präsentationen ringen nicht nur um eine (Neu-)Definition dessen, was und vor allem wer als Teil polnischer Geschichte wahrgenommen werden kann bzw. soll. Teil der intensiven Debatten ist ebenso die Frage nach den Zielen musealer Geschichtsvermittlung. Mit dem Regierungswechsel 2015 haben diese Auseinandersetzungen eine neue Qualität erreicht. Die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) treibt seitdem offensiv die Durchsetzung ihrer Geschichtsdeutungen voran und greift hierfür die inhaltliche und organisatorische Autonomie von Museen an. Zahlreiche international renommierte Einrichtungen kämpfen aktuell darum, ihre Arbeit unabhängig von politischen Einlassungen und Vorgaben fortführen zu können.

Affirmative und kritische Geschichte in narrativen Ausstellungen

Am Beginn des polnischen Museumsbooms stand zunächst eine ästhetische und kommunikative Revolution. Neue Schauen kreierten mithilfe umfassender szenografischer und inszenatorischer Arrangements Raumwelten, die alle Sinne der Besucher ansprechen und ihnen den Eindruck vermitteln, buchstäblich in die Vergangenheit einzutauchen. Umfangreiche Geräusch- und Raumkulissen, Objekte und Installationen, die berührt, geöffnet, begangen werden können, eine Flut digitaler Präsentationen – die sogenannten narrativen Ausstellungen wurden vom Publikum mit Begeisterung aufgenommen und lockten wahre Besucherströme in die neuen Geschichtsmuseen. Initiator und bis heute wesentlicher Referenzpunkt dieser Ausstellungsweise war das Museum des Warschauer Aufstands (Muzeum Powstania Warszawskiego), das 2004 unter landesweiter medialer Aufmerksamkeit eröffnet wurde. In den folgenden Jahren etablierten sich mit umfassenden Szenografien und multimedialen Elementen arbeitende Ausstellungen als state of the art im polnischen Museumswesen – wenn sie auch meist nur von gut finanzierten Institutionen und Vorzeigeprojekten realisiert werden können, mithin vor allem in regionalen Zentren zu finden sind.

Im Gegensatz zu dieser weitgehenden Uniformität im gestalterischen und medialen Ansatz, der sich im ersten Jahrzehnt des Booms entwickelte, stand die Breite der transportierten Deutungen. Denn mit den neu entstandenen Museen und Ausstellungen haben die musealen Geschichtsbilder des Landes eine bis dato nie dagewesene Pluralisierung erfahren. Sehr unterschiedlich gefasst wird in Ausstellungen insbesondere die Definition der polnischen Gemeinschaft und Nation und damit die Frage danach, welche religiösen, ethnischen, sozialen und politischen Gruppen als Teil der polnischen Vergangenheit verstanden werden.

Dies betrifft zunächst die gewählten Protagonisten der musealen Erzählungen. Die Bandbreite an Perspektiven changiert dabei zwischen zwei Polen: Der eine wird markiert von Schauen, die auf einer exklusiven ethnisch-nationalen Definition dessen basieren, was als "polnische Geschichte" verstanden wird. Im Zentrum steht in diesen Präsentationen die ethnisch polnische, christliche bzw. katholische Bevölkerung; Minderheiten bleiben weitgehend außen vor. Den anderen Pol bilden Ausstellungen, denen ein integratives staatsbürgerliches Verständnis polnischer Geschichte und Gemeinschaft zugrunde liegt, in der verschiedene religiöse und ethnische Gruppen als gleichberechtigte Elemente der lokalen oder regionalen Geschichte in Erscheinung treten.

Wesentliches Kennzeichen des gegenwärtig zu besichtigenden Interpretationsspektrums ist zudem der Umgang mit (früheren) Tabuthemen. Hierbei tritt besonders deutlich der Unterschied zwischen der "kritischen" und "affirmativen" Geschichte zu Tage – Schlagworte, die im Kontext einer Anfang des Jahrhunderts entbrannten Debatte um die Ausrichtung und Inhalte staatlicher Geschichtspolitik in Polen aufkamen. Museumsmacher, die der erstgenannten Position eines sogenannten kritischen Patriotismus nahestehen, zeigen in ihren Schauen verschiedene, darunter widerstreitenden Perspektiven auf historische Ereignisse und Situationen auf und benennen auch negative Aspekte polnischer Geschichte offen, beispielsweise in Bezug auf die polnisch-jüdischen Beziehungen während des Holocaust. Andere Museen hingegen sparen solche Inhalte nach wie vor fast vollständig aus und entwerfen eine apologetische, heroisch-martyrologische Vision polnischer Vergangenheit.

Eng verbunden sind diese unterschiedlichen Herangehensweisen mit einer bis in die Gegenwart andauernden Debatte um die Ziele musealer Geschichtsvermittlung. Viele Ausstellungsmacher und Museumsverantwortliche stehen dem sogenannten affirmativen Ansatz der Deutung polnischer Geschichte nahe. Sie sehen ihre Aufgabe in der Stärkung eines ausschließlich positiven Selbstbildes der Nation und unterstützen die Prägung eines unkritischen, "bestärkenden" Patriotismus. Andere Museumsmacher haben sich dagegen bislang verschwiegenen Teilen ihrer lokalen und regionalen Geschichte geöffnet. Dort findet etwa die multikulturelle Zusammensetzung der lokalen Gemeinschaften vor 1945 verstärkt Beachtung. Immer mehr Ausstellungskuratoren fordern ihr Publikum auch heraus, mit der offensiven Darstellung von Brüchen, aber auch mit der Verweigerung linearer Erzählungen.

Die Ausdifferenzierung des musealen Angebots hat inzwischen auch die verwendeten Präsentations- und Kommunikationsformen erreicht. Die sogenannten narrativen Ausstellungen haben den Zenit ihres Erfolgs überschritten. Neuere Schauen stellen verstärkt originale Objekte ins Zentrum und verzichten mitunter ganz auf ausgefeilte digitale Präsentationen. Diese Entwicklung ist keinesfalls ein Zeichen einer Retraditionalisierung auch im inhaltlichen und interpretatorischen Ansatz. Oftmals findet er gerade bei innovativen Ausstellungskonzepten Anwendung, wofür die erst jüngst fertiggestellte neue Dauerausstellung des Warschauer Stadtmuseums nur ein Beispiel ist.

Bis heute bestehen solch differente historische Perspektiven, Deutungsangebote aber auch Präsentationsformen parallel nebeneinander, ohne dass sich eine deutungsvorgebende Institution herauskristallisiert hat.

Die Einflussnahme der regierenden PiS auf historische Museen

Eine neue Phase erlebt der Museumsboom jedoch seit der Regierungsübernahme durch die PiS im November 2015. Sie ist gekennzeichnet durch eine provokante Geschichtspolitik der Regierung, die die Durchsetzung der eigenen Geschichtsbilder gerade in Museen vorantreibt, unter Missachtung oder sogar bei aktivem Vorgehen gegen die institutionelle Unabhängigkeit einzelner Häuser. Um die neue Qualität dieses Vorgehens zu verdeutlichen, zunächst ein kurzer Rückblick.

Die politische Wahrnehmung einzelner Museumsprojekte kennzeichnete den Museumsboom von Beginn an. So wird das Museum des Warschauer Aufstands bis heute als Flaggschiff der Geschichtspolitik der PiS sowohl von dieser selbst verstanden als auch von außen wahrgenommen. Nicht nur wurde seine Realisierung vom damaligen Warschauer Stadtpräsidenten und späteren Präsidenten Polens Lech Kaczyński aus den Reihen der PiS durchgesetzt. Auch entsprechen die in dem Museum präsentierten Perspektiven der Geschichts- und Gesellschaftsvision dieser Partei. Der Erfolg des Museums beim Publikum, insbesondere die erfolgreiche Durchsetzung seiner Sichtweise auf den Aufstand in der breiten gesellschaftlichen Wahrnehmung, trugen erheblich dazu bei, dass historische Museen in den Fokus der Aufmerksamkeit politischer Auseinandersetzungen rückten. Zahlreiche folgende Museumsprojekte wurden und werden mit einzelnen Parteien in Verbindung gebracht, allen voran den Regierungsparteien. So wurde etwa das Museum der Geschichte Polens (Muzeum Historii Polski) 2006 von der zu diesem Zeitpunkt regierenden PiS initiiert, die Realisierung des Museums des Zweiten Weltkrieges (Muzeum Drugiej Wojny Światowej  – MIIWŚ) in Danzig (Gdańsk) seit 2008 dagegen von der damaligen Regierungspartei Bürgerplattform (Platforma Obywatelska  – PO) ermöglicht.

Bis zur Regierungsübernahme der PiS jedoch fand bei den Projekten keine unmittelbare Einflussnahme politischer Akteure auf die Inhalte und Ausgestaltung der Arbeit statt. Eine allgemeine Ausrichtung der Museen wurde vielmehr durch die Auswahl bzw. Beauftragung der jeweiligen (Gründungs-)Direktoren getroffen, deren folgende Handlungen jedoch autonom blieben. Der große Einfluss der Politik bei diesen Projekten bestand in der Bereitstellung – oder Verweigerung – der notwendigen erheblichen finanziellen Mittel zu ihrer Realisierung.

Dies änderte sich Ende 2015. Das erste Ziel der neuen Regierung wurde das Museum des Zweiten Weltkrieges in Danzig, das zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal eröffnet worden war. Jarosław Kaczyński, Vorsitzender der PiS , hatte die Umgestaltung der geplanten Schau dieses Museums bereits im Juni 2013 als Ziel einer zukünftigen PiS -Regierung formuliert. Er wolle sie dergestalt ändern, dass sie "den polnischen Standpunkt" wiedergebe – ohne freilich zu spezifizieren, was genau dies beinhalten sollte.

Das Museum des Zweiten Weltkrieges

Widerstand rief bei mit der PiS sympathisierenden Kritikern insbesondere die auf die Zivilbevölkerung gerichtete Perspektive der geplanten Schau hervor. Vorgeworfen wurde den Ausstellungsautoren, sich damit allein auf negative Aspekte des Krieges zu konzentrieren und dessen "zweite Seite – die Stärkung des Charakters" – zu vernachlässigen. Die pazifistische Grundaussage der Präsentation kritisierten vom Ministerium beauftragte Rezensenten gar als volksrepublikanische Sichtweise. Obwohl sich das Museum in ausschließlich staatlicher Trägerschaft befindet, konnte der zuständige Minister für Kultur und Nationales Erbe (Ministerstwo Kultury i Dziedzictwa Narodowego) jedoch nicht ohne Weiteres die laufende Amtszeit des Direktors beenden. Im April 2016 verkündete Minister Piotr Gliński schließlich die Absicht, das Museum mit dem erst kurz zuvor von ihm selbst gegründeten und bis dato lediglich auf Papier bestehenden Museum der Westerplatte und des Krieges 1939 (Muzeum Westerplatte i Wojny 1939) zu vereinen. Ziel dieser Maßnahme war es, die bisherige Direktion auszuwechseln und dadurch die konzeptionell bereits fertiggestellte Dauerausstellung noch vor ihrer Eröffnung zu verändern.

Gegen die Entscheidung des Ministers gingen Direktor Paweł Machcewicz und der Bürgerrechtsbeauftragte gerichtlich vor. In der dadurch gewonnenen Zeit gelang es dem Museumsteam, die Präsentation umzusetzen und am 23. März 2017 zu eröffnen. Letztlich ermöglichte jedoch ein Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts Anfang April 2017 die Vereinigung beider Institutionen. Bereits am folgenden Tag setzte der Minister einen kommissarischen Direktor für das neu geschaffene Museum des Zweiten Weltkrieges in Danzig ein. Der international renommierte Gründungsdirektor wurde von einem weitgehend unbekannten, aber der PiS nahestehenden Historiker ersetzt. Auch Machcewiczs zwei Stellvertreter verloren ihre Positionen. In den folgenden Monaten verließen zahlreiche weitere, vor allem wissenschaftliche Mitarbeiter unter mittelbarem oder unmittelbarem Druck das Haus. In der Dauerausstellung wurden seitdem zahlreiche Eingriffe vorgenommen mit dem Ziel, ein heroisch-martyrologisches Narrativ der polnischen Nation im Krieg einzuführen. Die Ausstellungsautoren gehen dagegen gerichtlich vor.

Dieser bis dato einmalige Vorgang eines direkten politischen Angriffs auf die organisatorische und inhaltliche Autonomie einer bedeutenden nationalen Kulturinstitution hat nicht nur im Land selbst, sondern auch im Ausland massive Proteste hervorgerufen; diese blieben jedoch folgenlos.

ECS, POLIN und die Strategie der Konkurrenzgründungen

Das MIIWŚ war nicht das einzige prominente Museum, das sich Versuchen politischer Einflussnahme erwehren muss. Bei der Vorgehensweise der Regierung bzw. des zuständigen Ministeriums für Kultur und Nationales Erbe zeichnen sich inzwischen einige grundlegende Strategien ab.

Zentral sind insbesondere Bemühungen um die Gewinnung von Einfluss auf Personalentscheidungen, insbesondere auf die Besetzung der Direktorenposten, die im Weiteren eine Anpassung der inhaltlichen Arbeit einzelner Institutionen im Sinne der Regierungsvorstellungen ermöglichen sollen. Druck in diese Richtung wird insbesondere zum Zeitpunkt einer anstehenden Verlängerung des Vertrags von Amtsinhabern ausgeübt. Jüngste Beispiele hierfür sind Auseinandersetzungen um das Europäische Solidarność-Zentrum (Europejskie Centrum Solidarności  – ECS) in Danzig sowie das Warschauer Museum der Geschichte der Polnischen Juden POLIN (Muzeum Historii Żydów Polskich POLIN).

Das Missfallen der neuen Regierung dem ECS gegenüber äußerte sich erstmals prominent anlässlich der Wiederberufung seines Direktors Ende 2017. Die Ausschreibung für die Besetzung der Stelle, die Basil Kerski bereits seit 2011 innehatte, entschied dieser im Dezember 2017 klar für sich – die einzige Gegenstimme der Auswahlkommission stammte von einem (der insgesamt drei) Vertreter des Ministeriums für Kultur und Nationales Erbe. Trotz seiner Verpflichtung zur Unterzeichnung der Nominierungsurkunde weigerte sich jedoch der Minister dies zu tun – ein Vorgehen, das in diesem Fall zwar primär symbolische Bedeutung hatte, aber bereits die Stoßrichtung der PiS in Bezug auch auf dieses Museum ankündigte. Vorgeworfen wurden dem ECS insbesondere eine vermeintlich fehlende oder zu geringe Berücksichtigung der Aktivitäten von Gewerkschafts- und Widerstandsakteuren, die der heutigen PiS nahestehen, in der Dauerausstellung sowie das angebliche Zulassen politischer Betätigung auf seinem Gelände.

Auch im Falle des POLIN -Museums fokussierte sich das Missfallen der Regierung auf die Person des Direktors. Zunächst widersetzte sich Minister Gliński im Februar 2019 der möglichen Vertragsverlängerung Dariusz Stolas, die die Stadt Warschau sowie der Verein Jüdisches Historisches Institut (Stowarzyszenie Żydowski Instytut Historyczny) – zusammen mit dem Ministerium für Kultur und Nationales Erbe die institutionellen Träger des Museums – beide befürworteten. Die daraufhin organisierte gemeinsame Ausschreibung für den Direktorenposten konnte Stola im Mai 2019 für sich entscheiden. Auch hier verweigerte der Minister jedoch den Vollzug der Ernennung, zu der er rechtlich verpflichtet war. Im Falle POLIN s hatte dies jedoch deutliche Auswirkungen auf die Tätigkeit des Museums, da der Direktor nicht seine Arbeit aufnehmen konnte. Zahlreiche private Geldgeber froren daraufhin ihre Zahlungen ein, was die laufenden wie auch die geplanten Aktivitäten des Museums stark beeinträchtigte. Nach neun Monaten des Wartens und der drohenden Berufung eines kommissarischen Direktors seitens des Ministeriums verzichtete Dariusz Stola schließlich selbst auf die Position, unter der Bedingung, dass die drei Träger sich auf einen Direktor einigen, was auch geschah; sein bisheriger Stellvertreter wurde als neuer Leiter des Hauses ernannt.

Zur Zielscheibe wurde Stola unter anderem durch seine scharfe Kritik an der Novellierung des Gesetzes über das Institut für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej  – IPN), in der ausländischen Presse irreführenderweise als "Holocaust-Gesetz" bezeichnet. Diese brachte ihm den Vorwurf vermeintlich zu großer politischer Aktivität ein. Als weiterer Hintergrund wird eine Kontroverse um die Sonderausstellung des Museums zum fünfzigsten Jahrestag der antisemitischen Kampagne von 1968 gesehen. Die Schau "Obcy w domu. Wokół Marca ‘68/Estranged: March ‘68 and Its Aftermath" wurde mit über 116.000 Besuchern eine der bislang erfolgreichsten Sonderausstellungen des Museums. Sie rief zugleich zahlreiche Proteste rechtskonservativer Politiker und Publizisten hervor. Streit entzündete sich insbesondere an einer Sektion, in der jüngste öffentliche antisemitische Äußerungen parallelen Aussagen aus dem Jahr 1968 gegenübergestellt wurden. Wie sich im Laufe der Proteste herausstellte, stammten die in der Ausstellung anonymisierten aktuellen Aussagen u. a. von Journalisten des öffentlich-rechtlichen, von der PiS kontrollierten Fernsehens. Die Aufnahme dieser Äußerungen in die Schau wurde von Abgeordneten der PiS als "Schmähung der polnischen Nation" kritisiert.

Eine weitere wesentliche Rolle bei den Auseinandersetzungen um beide Museen spielte Streit um finanzielle Mittel, ob als Druckmittel der Regierung oder aber als Objekt ministerieller Begehrlichkeiten. Häufiger noch wird versucht, der Leitung von Museen finanzielles Missmanagement anzulasten, um sie angreifbar zu machen. So etwa geschehen auch im Falle des Museums des Zweiten Weltkrieges – nur blieben die intensiven Bemühungen des Ministeriums hier fruchtlos, Fälle von Fehlverhalten zu finden.

Im Falle des ECS beschloss das Ministerium für Kultur und Nationales Erbe im Oktober 2018 die Kürzung der bisherigen jährlichen Zuwendung für das Museum um fast die Hälfte, von sieben auf vier Millionen Zloty. Eine Wiederherstellung der ursprünglichen Zuwendung machte der Minister von der Schaffung einer von seinem Ministerium zu besetzenden Position eines stellvertretenden Direktors abhängig; auch sollte die Mehrheit der Mitglieder in einem der zentralen Organe der Institution vom Ministerium ernannt werden. Hierdurch hätte der Minister Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung der Arbeit erhalten.

Dieser unverhohlene Angriff auf die Autonomie des ECS rief jedoch deutlichen Widerstand hervor. Nicht nur weigerten sich zwei zentrale Träger der Einrichtung, die Stadt Danzig und die Woiwodschaft Pommern (województwo pomorze), diese Bedingungen zu akzeptieren. Mehrere Spendensammlungen für das Museum, an denen sich nicht nur Privatpersonen, sondern auch andere Kommunen beteiligten, brachten innerhalb nur weniger Wochen fast sieben Millionen Zloty auf. Hierdurch konnten die damals anstehenden Veranstaltungen des Museums im 30. Jubiläumsjahr der ersten halbfreien Parlamentswahlen von 1989 gesichert werden. Auch für die kommenden drei Jahre behält das Ministerium jedoch die geringere Zuwendungshöhe bei.

Der Direktor des POLIN wiederum eckte im Frühjahr 2018 im Ministerium mit seiner Weigerung an, substantielle Projektmittel (die Rede war von drei bis fünf Millionen Euro), die das Museum von einer norwegischen Stiftung eingeworben hatte, an ein zum damaligen Zeitpunkt noch nicht einmal formal existierendes anderes Museum weiterzureichen, das Museum des Warschauer Ghettos (Muzeum Getta Warszawskiego).

Dieser Vorgang verweist zugleich auf eine nächste Strategie, die seit dem ersten Angriff auf das MIIWŚ immer wieder in der Auseinandersetzung der Regierung mit missliebigen Museen Anwendung fand: Die Gründung von Konkurrenzinstitutionen. Im Falle POLIN s war dies das bereits erwähnte Museum des Warschauer Ghettos, das formal im Februar 2018 geschaffen wurde und bis 2023 eröffnet werden soll. Das Museum dupliziert mit seinem Thema – der Geschichte des Warschauer Ghettos und der Vernichtung der polnischen Juden – nicht nur ein wesentliches Element des inhaltlichen Auftrags und nicht zuletzt der Dauerausstellung POLINs. Es hat auch zentrale Überschneidungen mit der Dauerausstellung, die das Jüdische Historische Institut zur Geschichte des Untergrundarchivs des Warschauer Ghettos "Oneg Schabbat" zeigt. Ziel des Ministeriums scheint hier zu sein, durch die Schaffung einer eigenen neuen Institution die museale Darstellung des Themas im Sinne der eigenen Geschichtspolitik zu ermöglichen.

Ähnliche Pläne werden gerade in Danzig realisiert. Im August 2019 rief das Ministerium für Kultur und Nationales Erbe zusammen mit der – heute der PiS nahestehenden – Gewerkschaft Solidarność  das Institut des Solidarność-Erbes (Instytut Dziedzictwa Solidarności  – IDS) ins Leben. Wie in den öffentlichen Verlautbarungen der Ministeriums- und Gewerkschaftsvertreter deutlich benannt wurde, soll die neue Institution die "richtige" Geschichte der Solidarność präsentieren, "autorisiert" von deren heutigen Vertretern, die sich inzwischen vom ECS abgewendet haben. Denn bis zur Beendigung ihrer Zusammenarbeit in den Gremien des ECS im Februar 2019, gehörte die Gewerkschaft nicht nur zu den Gründern sondern auch zu den institutionellen Trägern der Einrichtung.

Selektives Holocaust-Gedenken

Ein weiteres Phänomen lässt sich in den vergangenen Jahren beobachten: Das bereitwillige Sich-Vereinnahmen-Lassen einer Einrichtung für geschichtspolitische Zwecke der Regierung. Eines der prominentesten Beispiele ist das Museum für die Polen, die während des Zweiten Weltkrieges Juden retteten – Museum der Familie Ulma (Muzeum Polaków Ratujących Żydów Podczas II Wojny Światowej im. Rodziny Ulmów w Markowej), dass im März 2016 in Markowa eröffnet wurde. Initiiert worden war das Projekt ursprünglich auf lokaler Ebene. Die Realisierung und die Trägerschaft lagen zunächst bei der Woiwodschaft Vorkarpaten (woj. podkarpackie), die den Großteil der Baukosten übernahm, wenn auch das Ministerium für Kultur und Nationales Erbe eine substantielle Summe beitrug.

Seit seiner Eröffnung, die bereits unter Teilnahme von Präsident Andrzej Duda erfolgte und in fast 40 Auslandsvertretungen Polens live übertragen wurde, wird das Museum immer wieder für außenpolitische Inszenierungen der Regierung genutzt. Unter anderem besuchten im Oktober 2016 anlässlich eines Treffens der Viségrad-Staaten die Staatsoberhäupter der Slowakei, Tschechiens und Ungarns zusammen mit Andrzej Duda das Museum und legten dort Kränze an den Denkmälern nieder. Während der Kontroverse um das sogenannte Holocaust-Gesetz 2018 lud Ministerpräsident Mateusz Morawiecki Korrespondenten ausländischer Medien nach Markowa ein, um ihnen den Standpunkt der Regierung in der Debatte zu erläutern. Die herausragende Tat der namensgebenden Familie Ulma, die acht Jüdinnen und Juden während des Krieges Unterschlupf gewährte und dafür zusammen mit den von ihnen Versteckten ermordet wurde, wird dabei als Unterpfand einer vermeintlich weit verbreiteten Hilfe von Polen für verfolgte Juden während des Holocaust präsentiert.

Die von Yad Vashem posthum als "Gerechte unter den Völkern" ausgezeichneten Ulmas sind inzwischen zur Ikone des selektiven und apologetischen Holocaust-Gedenkens der aktuellen Regierung geworden, die die "Gerechten" für ihre Zwecke instrumentalisiert. Dem Museum der Familie Ulma wird hierbei eine derart bedeutende Rolle zugeschrieben, dass das Ministerium für Kultur und Nationales Erbe seit Ende Juni 2017 die Trägerschaft der Institution (zusammen mit der Woiwodschaft Vorkarpaten) und damit die fast vollständige Finanzierung seiner Tätigkeit übernommen hat.

Neue Museen zum polnischen Unabhängigkeitskampf

Eine letzte wesentliche Strategie zur Durchsetzung der eigenen Geschichtsvisionen klang bereits an: Die Schaffung neuer Museen, die sich zentraler geschichtspolitischer Themen annehmen. Hier sollen nur zwei Vorzeigeprojekte genannt werden, die stellvertretend für zwei weitere historische Interpretationsstränge stehen, die unter der aktuellen Regierung Konjunktur haben.

Bereits im Februar 2016 wurde das Museum der Verfemten Soldaten und Politischen Gefangenen der Volksrepublik Polen (Muzeum Żołnierzy Wyklętych i Więźniów Politycznych PRL) in Warschau gegründet, ein Projekt unter Führung des Justizministeriums von Minister Zbigniew Ziobro. Das Museum, dessen Eröffnung gegenwärtig für den 1. März 2023 geplant ist, soll sich der Geschichte des polnischen Unabhängigkeitskampfes vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis 1989, also während der "kommunistischen Besatzung" widmen. Im Vordergrund steht dabei die Ehrung der sogenannten verfemten Soldaten. Dieser antikommunistische Untergrund, der sich überwiegend aus nationalistischen Gruppierungen speiste, formierte sich seit 1944 und führte bis Anfang der 1960er Jahre einen Partisanenkampf gegen die neue kommunistische Regierung. Mehrere dieser Gruppen führten brutale Gewaltverbrechen aus, deren Opfer meist Zivilisten waren. Die Gewaltakte richteten sich vor allem gegen nationale Minderheiten und Juden – Aspekte des "Unabhängigkeitskampfes", die die PiS ebenso wie ihr nahestehende Historiker zu negieren suchen oder schlicht ignorieren.

Ein weiteres Vorzeigeprojekt der Regierung ist das Museum der Schlacht von Warschau (Muzeum Bitwy Warszawskiej), das gegenwärtig am historischen Ort, im Dorf Ossów in der Nähe der Hauptstadt, entsteht. Es soll die Geschichte des Sieges von 1920 erzählen, der den Umschwung zugunsten Polens im Polnisch-Sowjetischen Krieg brachte, in Polen auch als "Wunder an der Weichsel" bekannt. Erklärtes Ziel der geplanten monumentalen Anlage ist es, "den Sinn mutigen Patriotismus’ und den Ruhm der polnischen Streitkräfte zu zeigen". Initiiert wurde es 2017 als Abteilung des Museums der Polnischen Armee (Muzeum Wojska Polskiego) in Warschau, die Finanzierung erfolgt durch das Verteidigungsministerium.

Der langsame Fortschritt beider Projekte ist symptomatisch für das gemischte Fazit, dass man in Bezug auf die Ergebnisse der aktuellen Regierungspolitik in der Museumslandschaft des Landes ziehen kann. Viele der in den vergangenen Jahren initiierten Institutionen, so auch die beiden zuletzt genannten, befinden sich noch im Planungsstadium; ihre Eröffnung verzögert sich bereits um mehrere Jahre. Ob die Finanzierung im momentan angedachten Umfang überhaupt ermöglicht werden kann, war bereits vor Beginn der Corona-Krise unklar, denn inzwischen übersteigt die Zahl der geplanten neuen Museen bei Weitem die finanziellen Möglichkeiten nicht nur der Regierung, sondern auch von Woiwodschafts- und kommunalen Trägern.

Die Narrative der Museumslandschaft bleiben plural

Der bislang größte Erfolg der PiS -geführten Regierung besteht in der Übernahme des Museums des Zweiten Weltkrieges. Wie sich jedoch gezeigt hat, ist selbst in diesem Fall eine Anpassung der Museumsarbeit an die Regierungsvorstellungen nur in Teilen und keineswegs derart unmittelbar möglich, wie erwünscht. So wurden zwar einige Elemente der Dauerausstellung inhaltlich verändert, eine grundsätzliche Anpassung der gestalterisch und technisch aufwendigen Schau würde jedoch außerordentliche finanzielle Ressourcen erfordern, die der neuen Museumsleitung nicht zur Verfügung stehen. Somit bleibt das grundsätzliche Profil der Präsentation und damit das Herzstück des Museums bislang weitgehend erhalten.

Im Falle POLIN s gelang es dem Ministerium letztlich zwar, den Direktor zum Rückzug zu bewegen, eine weitere Einmischung in die inhaltliche Arbeit der unter starker internationaler Beobachtung stehenden Einrichtung unterblieb jedoch (bislang). Beim ECS wurden die diversen Versuche der Einflussnahme der Regierung durch den aktiven Widerstand einer breiten Front abgewehrt, die von den weiteren institutionellen Trägern bis hin zu Kommunen und einfachen Bürgern aus allen Landesteilen reichte. In diesen Fällen bot und bietet den Institutionen vor allem ihre besondere Trägerstruktur, die mehrere Akteure mit weitgehend gleichem Einfluss einbindet, Schutz vor weitergehender ministerieller Einflussnahme.

Trotz des zum Teil massiven Vorgehens der Regierung gegen einzelne Institutionen bleibt festzustellen, dass die museale Landschaft Polens bis heute plural bleibt. Zahlreiche Einrichtungen eröffnen bis in die Gegenwart Ausstellungen mit eigenen Geschichtsdeutungen, welche konträr zur aktuellen staatlichen Geschichtspolitik stehen. In ihnen wird die gesellschaftliche, ethnische, religiöse und politische Vielfalt der polnischen Vergangenheit in ihren vielfältigen Facetten beleuchtet. Möglich bleibt dies durch die diverse Finanzierung musealer Einrichtungen, von denen sich der überwiegende Teil nicht in staatlicher, sondern in kommunaler Trägerschaft befindet, neben Formen freier, kirchlicher oder Hochschulorganisation. Viele Gemeinden und gerade Großstädte wiederum werden nicht von der PiS oder ihr nahestehenden Parteien regiert. Ein großer Teil der Museen agiert daher mit politischen Partnern bzw. institutionellen Trägern, die die Autonomie von Kultureinrichtungen respektieren und gegebenenfalls auch gegen äußere Angriffe verteidigen. Nicht zuletzt stoßen die Möglichkeiten der Regierung zur Durchsetzung ihres Geschichtsbildes in der musealen Landschaft, wie exemplarisch dargelegt, immer wieder an organisatorische oder auch finanzielle Grenzen, die ein "Durchregieren" in dieser Sphäre bislang deutlich erschweren.

Lesetipps

Fussnoten

Dr. Monika Heinemann ist Forschungskoordinatorin am Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow in Leipzig. Sie hat an der Ludwig-Maximilians-Universität München zur Musealisierung des Zweiten Weltkrieges in Polen seit den 1980er Jahren promoviert.