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Chronik: 16. bis 30. November 2020 | bpb.de

Chronik: 16. bis 30. November 2020

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16.11.2020 Die EU-Botschafter Polens und Ungarns legen ihr Veto gegen den geplanten EU-Haushalt (2021 bis 2027) und das damit verbundene Hilfspaket zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie ein. Die Vetos wurden bereits im Vorfeld angekündigt. Für die Verabschiedung des Haushaltspaketes ist das einstimmige Votum aller 27 EU-Mitgliedsstaaten notwendig. Der Hintergrund für das Veto ist der Plan, dass die Auszahlung der EU-Gelder künftig bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit gekürzt werden können. Über diesen Mechanismus wurde heute ebenfalls abgestimmt. Hier reichte die qualifizierte Mehrheit, so dass Polen und Ungarn hier kein Veto einlegen konnten.
18.11.2020 In Warschau setzt die Polizei bei einer Demonstration von einigen Tausend Teilnehmern gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts Pfefferspray ein und blockiert die Ausgänge des Versammlungsplatzes vor dem Sitz des regierungsnahen Fernsehsenders TVP. Die Proteste finden seit der Verkündung des umstrittenen Urteils des Verfassungstribunals (Trybunał Konstytucyny) am 22. Oktober statt. Es bewertet Abtreibungen von Föten mit schweren Schäden als illegal.
19.11.2020 Der Sejm verabschiedet einen von der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) eingebrachten Beschluss, die Regierung in ihrer Ablehnung des EU-Haushaltspakets zu unterstützen (236 Ja-Stimmen, 214 Nein-Stimmen, fünf Enthaltungen). Das Paket umfasst den mehrjährigen EU-Finanzrahmen (2021 bis 2027) und einen Wiederaufbaufonds zur Überwindung der Folgen der Corona-Pandemie. Die Auszahlung der Gelder soll mit der Einhaltung von Rechtsstaatlichkeitsprinzipien verknüpft werden. Dagegen haben die polnische und die ungarische Regierung ihr Veto angekündigt.
19.11.2020 In der Parlamentsabstimmung erhält die Kandidatin für das Amt der Bürgerrechtsbeauftragten, Zuzanna Rudzińska-Błuszcz, wieder nicht die erforderliche absolute Mehrheit. Die Juristin wird von der oppositionellen Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska – KO) vorgeschlagen und ist die einzige Bewerberin für das Amt. Zurzeit übt Adam Bodnar es weiter aus, dessen Amtszeit am 9. September regulär endete.
20.11.2020 Außenminister Zbigniew Rau schaltet die neu eingerichtete Internetseite "Kinder im Ausland" (Dzieci za granicą) frei, die auf Initiative seines Ressorts und des Kinderrechtsbeauftragten erstellt wurde. Polnische Familien, die in einem EU-Land, Großbritannien, Island, Norwegen oder der Schweiz leben, können dort Informationen über das Bildungssystem, Betreuungsangebote, Sozialhilfe u. ä. des betreffenden Landes abrufen. Das Portal soll es u. a. erleichtern, Hilfsangebote im Ausland wahrzunehmen.
23.11.2020 Der Parteivorsitzende der oppositionellen Polnischen Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL), Władysław Kosiniak-Kamysz, fordert, die EU-Mitgliedschaft Polens in die Verfassung aufzunehmen. Aktueller Hintergrund ist die Ankündigung der Regierung, ein Veto gegen das EU-Haushaltspaket einzulegen. Die Auszahlung der Gelder soll an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeitsprinzipien geknüpft werden, was Anlass für die Drohung der Regierung mit einem Veto ist. Die Opposition warnt, dieses könne letztlich zu einem Austritt Polens aus der EU führen.
24.11.2020 Außenminister Zbigniew Rau weist die Befürchtungen der Opposition zurück, dass das von der Regierung angekündigte Veto gegen das EU-Haushaltspaket ein Schritt in Richtung "Polexit", des Austritts Polens aus der EU, sei. Dies sei eine hysterische Überzeichnung der Opposition, denn ein Veto sei ein berechtigtes Mittel in der Verhandlungsführung und im Entscheidungsprozedere der EU. Der Hintergrund ist, dass die polnische Regierung ein Veto gegen das EU-Haushaltspaket in Aussicht gestellt hat. Dieses umfasst den mehrjährigen EU-Finanzrahmen (2021 bis 2027) und einen Wiederaufbaufonds zur Überwindung der Folgen der Corona-Pandemie; die Auszahlung der Mittel soll an die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeitsprinzipien geknüpft werden.
25.11.2020 Senatsmarschall Tomasz Grodzki (Bürgerplattform/Platforma Obywatelska – PO), Senatoren der Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska – KO), der Polnischen Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) und der Linken (Lewica) sowie Vertreter der Landwirtschaftskammer rufen die Regierung auf einer Pressekonferenz auf, kein Veto gegen das Haushaltspaket der Europäischen Union einzulegen. Ein Veto würde Polen auf der europäischen Bühne vollständig isolieren und der Gnade oder Ungnade der mächtigeren Nachbarn ausliefern, wie es in der polnischen Geschichte bereits der Fall war, so Senator Bogdan Klich (KO).
26.11.2020 Die Ministerpräsidenten von Polen und Ungarn, Mateusz Morawiecki und Viktor Orbán, unterzeichnen in Budapest eine Erklärung, die sich auf die Vereinbarung der Mehrheit der EU-Mitglieder bezieht, dass Auszahlungen aus dem EU-Haushaltspaket (mehrjähriger EU-Finanzrahmen 2021 bis 2027 und Hilfspaket zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie) künftig an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit geknüpft werden. Morawiecki und Orbán sprechen sich gegen dieses Bedingungsgefüge sowie für die Suche nach Lösungen aus, die allen EU-Ländern den Zugang zu den EU-Mitteln gewährt. Der Zugang werde zurzeit von denen blockiert, die der Verknüpfung der Auszahlungen mit Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit zugestimmt hätten. In der vergangenen Woche haben die EU-Botschafter Polens und Ungarns aus Protest gegen die Bedingung der Rechtsstaatlichkeit ihr Veto gegen das EU-Haushaltspaket eingelegt, für dessen Verabschiedung Einstimmigkeit erforderlich ist.
26.11.2020 Die Fraktion der Polnischen Koalition (Koalicja Polska), die sich aus der Polnischen Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) und Kukiz ‘15 zusammensetzt, löst sich auf. Ein Grund ist, dass Abgeordnete von Kukiz ‘15 in der vergangenen Woche für den Beschluss der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) stimmten. Der Beschluss unterstützt die Ablehnung der Regierung gegenüber dem EU-Haushaltspaket, die darauf gründet, dass Auszahlungen künftig an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit geknüpft werden sollen. Der Parteivorsitzende der PSL, Władysław Kosiniak-Kamysz, kündigt an, andere Partner für die Polnische Koalition zu suchen.
26.11.2020 Das Europäische Parlament verabschiedet mit 455 Stimmen, 145 Gegenstimmen und 71 Enthaltungen eine Resolution, in der es den Richterspruch des polnischen Verfassungstribunals (Trybunał Konstytucyjny – TK) zum Abtreibungsrecht vom 22. Oktober entschieden verurteilt. Das TK kam zu dem Schluss, dass Abtreibungen von Föten mit schweren Schäden nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar seien. Demnach sind Abtreibungen in Polen nur legal, wenn die Schwangerschaft aus einer Straftat hervorging oder Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Mutter besteht. In der Resolution des Europäischen Parlaments heißt es, der Richterspruch gefährde das Leben und die Gesundheit der Mutter. Die Beschränkung oder das Verbot des Rechtes auf Abtreibung führe zur illegalen, geheimen und gesundheitsgefährdenden Durchführung von Abtreibungen. Die unveräußerliche Würde der Frau werde nicht geschützt und somit werden die EU-Grundrechtecharta, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, internationale, von Polen mitunterzeichnete Konventionen und die Verfassung der Republik Polen verletzt.
27.11.2020 Die Präsidentin des Verfassungstribunals (Trybunał Konstytucyjny – TK), Julia Przyłębska, sagt, die Resolution des Europäischen Parlaments vom Vortag sei ein beispielloser Versuch, sich in die inneren Angelegenheiten Polens einzumischen, die nicht den europäischen Verträgen unterliegen. Dies verletze die Unabhängigkeit des TK sowie die Gewaltenteilung und die Fundamente der Demokratie in Polen. Mit Blick auf die Resolution stellt Przyłębska klar, dass Abtreibungen in Polen legal sind, wenn die Schwangerschaft aus einer Straftat hervorging oder Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Mutter besteht. Anschuldigungen der Europaparlamentarier, dass die Frauen infolge des Richterspruchs des TK zum Abtreibungsrecht keine Wahl hätten, wenn ihr Leben oder ihre Gesundheit durch die Schwangerschaft gefährdet ist, seien unbegründet. Das TK hatte am 22. Oktober Abtreibungen von Föten mit schweren Schäden für illegal erklärt. Die Resolution des Europäischen Parlaments verurteilte den Richterspruch mit überragender Mehrheit.
27.11.2020 Senatsmarschall Tomasz Grodzki (Bürgerplattform/Platforma Obywatelska – PO) fordert die Regierung in einem Fernsehauftritt "im nationalen Interesse" auf, kein Veto gegen das zur Abstimmung stehende EU-Haushaltspaket (mehrjähriger EU-Finanzrahmen 2021 bis 2027 und Hilfspaket zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie) einzulegen. Ein Veto würde gegen die wirtschaftlichen, politischen und strategischen Interessen Polens verstoßen. Die Regierung droht ebenso wie die ungarische Regierung mit einem Veto, da Zahlungen aus dem EU-Haushaltspaket künftig an die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeitsprinzipien geknüpft werden sollen. Grodzkis Appell wird u. a. im regierungsnahen Polnischen Fernsehen (Telewizja Polska – TVP) gesendet.
29.11.2020 Der Fraktionsvorsitzende der Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska – KO), Cezary Tomczyk, verurteilt den Vorfall vom Vortag, als die Polizei gegen die KO-Abgeordnete Barbara Nowacka Pfefferspray eingesetzt hat. Medienberichten zufolge hat Nowacka friedlich an einer Demonstration des Netzwerkes "Frauenstreik" (Strajk Kobiet) in Warschau teilgenommen und sich den Polizisten gegenüber als Abgeordnete ausgewiesen. Tomczyk kündigt an, dass die Fraktion der KO eine Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft beantragen wird. Seit dem umstrittenen Urteil des Verfassungstribunals (Trybunał Konstytucyjny) am 22. Oktober, das die Abtreibung von Föten mit schweren Schäden für illegal erklärt, finden in Polen Massendemonstrationen statt, zu denen der "Frauenstreik" aufruft.
30.11.2020 Krzysztof Szczerski, Staatssekretär beim Präsidenten, sagt in einem Radiointerview mit Blick auf das zu beschließende EU-Haushaltspaket (mehrjähriger EU-Finanzrahmen 2021 bis 2027 und Hilfspaket zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie), dass die deutsche EU-Ratspräsidentschaft die Verhandlungssituation falsch eingeschätzt habe, wenn sie meine, dass eine Mischung aus Erpressung, Lobbyismus und medialem Druck den Widerstand Polens und Ungarns brechen könne. Es sei die Aufgabe der EU-Ratspräsidentschaft, einen Kompromiss herbeizuführen. Hintergrund ist, dass die Auszahlung von EU-Gelder an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit im betreffenden Land gekoppelt sein soll. Die Regierungen von Polen und Ungarn haben mehrmals bekräftigt, aus Protest gegen diesen Mechanismus ihr Veto gegen das EU-Haushaltspaket einzulegen, das einstimmig verabschiedet werden muss.

Sie können die gesamte Chronik seit 2007 auch auf  http://www.laender-analysen.de/polen/ unter dem Link "Chronik" lesen.

Fussnoten