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Ukraine, Belarus und Moldau | Russland | bpb.de

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Ukraine, Belarus und Moldau

Andreas Heinemann-Grüder

/ 8 Minuten zu lesen

Die Staaten gestalten ihre Beziehungen zu Moskau sehr unterschiedlich, stets jedoch mit Betonung ihrer Souveränität. Die Maidan-Revolution in der Ukraine stellt hierbei eine neue Zäsur dar.

Am Majdan Nesaleschnosti, dem zentralen Platz in Kiew, demonstrieren Anhänger der Opposition vom 13. auf den 14. Dezember 2013. (© picture alliance/CITYPRESS 24)

Die Erbschaft des Zarenreiches und der Sowjetunion sowie sprachlich-kulturelle Gemeinsamkeiten verbinden Russland mit der Ukraine, Interner Link: Belarus und Interner Link: Moldau. Russen, Ukrainer und Weißrussen teilen die Geschichte der Kiewer Rus. Das Fürstentum Moldau gehörte ab 1812 zum Zarenreich, nach dem 1. Weltkrieg zu Rumänien, infolge des Hitler-Stalin-Paktes wurde Moldau dann von der Sowjetunion annektiert. Während Russland die Ukraine und Belarus als Teil seiner eigenen Geschichte sieht und daraus ein Anrecht auf Einflussnahme ableitet, wird in der Ukraine, in Belarus und der Republik Moldau die Eigenständigkeit betont.

Die Nationsbildung in der Ukraine und Belarus fand immer im Austausch und in Abgrenzung von einem Russland statt, das sich als "großer Bruder" ausgibt. Die Ukraine ist zweisprachig, in Belarus wird überwiegend russisch gesprochen, gleichwohl haben sich eigene nationale Identitäten herausgebildet. In der Republik Moldau ist Rumänisch die Staatsprache, aber das Russische in den Großstädten und in den Landesteilen Gagausien und Transnistrien allgegenwärtig. Russland hat sich nie als Nationalstaat verstanden, sondern als Imperium, Großmacht, Vielvölkerstaat und Vormacht der ostslawischen Völker. Obschon die Auflösung der Sowjetunion weder in der Ukraine, noch in Belarus gewaltsam verlief, haben die Entwicklungen seit den ukrainischen Maidan-Demonstrationen und der Gegenbewegung dazu (Anti-Maidan, 2013-2014), besonders aber infolge des Krieges im Donbass, zu einer Gegnerschaft geführt, die erst nach mehreren Generationen, wenn überhaupt, überwunden werden kann.

Seit der russischen Annexion der Krim im Jahre 2014 wird auch in Belarus eine russische Intervention nicht mehr ausgeschlossen. In der Republik Moldau wiederum hat sich Transnistrien 1992 mit russischer Hilfe de facto abgespaltet. Russland verbindet mit der Ukraine, Belarus und der Republik Moldau somit die Virulenz von Konflikten, die maßgeblich auf die russische Praxis begrenzter Souveränität der Nachbarstaaten zurückzuführen ist.

Ukrainisch-russische Beziehungen

Für die ukrainische Erinnerungspolitik sind die gewaltsame Auflösung der Unabhängigkeit (1918), die Zwangskollektivierung, die Hungersnot Anfang der 1930er-Jahre, die Massendeportationen unter Stalin und die Hoffnungen auf Unabhängigkeit mit Hilfe der deutschen Besatzer im 2. Weltkrieges zentrale Referenzpunkte. Die Kollaboration westukrainischer Nationalisten mit dem Nationalsozialismus gilt wiederum russischen Nationalisten als Beleg für ukrainischen Faschismus.

Die enge Verflechtung zwischen Russland und der Ukraine blieb über die Auflösung der Sowjetunion hinaus erhalten. In den 1990er-Jahren glichen sich die politischen Systeme in Russland und der Ukraine. Konkurrierende Oligarchen kaperten den jeweiligen Staatsapparat, es entstanden defekte semi-demokratische Systeme. Seit Vladimir Putins erster Präsidentschaft (ab 2000) entwickelte sich das russische Regime in Richtung einer staatsmonopolistischen Autokratie, während in der Ukraine der Oligarchenkapitalismus mit vergleichsweise ergebnisoffenen Wahlen und bürgerlichen Freiheiten, zugleich aber starker Vereinnahmung des Staates durch Interessengruppen fortbestand. Die Annäherung der Ukraine an die Europäische Union, die Möglichkeit einer ukrainischen NATO-Mitgliedschaft sowie der Streit um Gaspreise und den Gastransit befeuerten die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine.

Russisch wird von fast allen Bewohnern der Ukraine verstanden und ist die bevorzugte Sprache im Osten und Süden der Ukraine. Russisch ist keine offizielle Landessprache, freilich gilt es seit 2012 in neun Regionen als regionale Amtssprache. Seit der Unabhängigkeit wurde das Russische im ukrainischen Bildungssektor massiv zurückgedrängt, wodurch sich ein Teil der Russischsprecher marginalisiert fühlt. Unmittelbar nach dem Regimewechsel im Februar 2014 beschloss das ukrainische Parlament die Aufhebung des Sprachgesetzes, das russisch als regionale Amtssprache vorsah. Nach heftigen Protesten wurde diese Entscheidung wieder aufgehoben.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion stritten sich beide Länder um die Aufteilung der Schwarzmeerflotte, um die ukrainischen Gasschulden und seit 2014 um die Annexion der Krim sowie die russische Militärintervention im Donbass. Nach der Auflösung der Sowjetunion im Dezember 1991 befand sich die sowjetische Schwarzmeerflotte größtenteils auf dem Territorium der Ukraine, die dann am 2. Januar 1992 unter ukrainischen Oberbefehl gestellt wurde, woraufhin der russische Präsident Jelzin per Dekret die Schwarzmeerflotte wiederum unter russische Kontrolle stellte. Der ukrainische Präsident Krawtschuk und Jelzin einigten sich 1992, dass beide Staaten bis 1995 ein gemeinsames Oberkommando ausüben. 1993 wurde dann beschlossen, die Schwarzmeerflotte hälftig aufzuteilen. Russland hatte zuvor mit einem Stopp der Erdöl- und Erdgaslieferungen gedroht, es verlangte das alleinige Nutzungsrecht der Marinebasis in Sewastopol, dem Heimathafen der Schwarzmeerflotte. Die Schwarzmeerflotte wurde erneut 1995 aufgeteilt, wobei Russland 81,7 Prozent und die Ukraine 18,3 Prozent erhielt. 1997 pachtete Russland die Militäranlagen in Sewastopol für die nächsten 20 Jahre.

1995 unterstanden der Schwarzmeerflotte rund 48.000 Soldaten, freilich handelte es sich bei der Ausrüstung um weitgehend veraltetes sowjetisches Gerät von begrenztem militärischem Wert. Gleichwohl nahmen Soldaten der russischen Schwarzmeerflotte am Tschetschenienkrieg und am Interner Link: Georgienkrieg im Jahre 2008 teil. Im April 2010 einigten sich der russische Präsident Medwedew und der ukrainische Präsident Janykowitsch schließlich darauf, die russische Schwarzmeerflotte bis 2042 auf der Krim zu stationieren. Das Abkommen über die Schwarzmeerflotte umfasste die Anerkennung der bestehenden Grenzen. Im Gegenzug erhielt die Ukraine einen dreißigprozentigen Preisnachlass für russisches Erdgas.

Zwischen 50 Prozent und zwei Dritteln der russischen Gasexporte in die EU führten Mitte des letzten Jahrzehnts durch die Ukraine. Allerdings kam es in den Folgejahren wiederholt zum Streit um den Gaspreis, Russland drängte auf Preiserhöhung und kritisierte, dass die Ukraine vom Gas für den europäischen Markt einen Teil abzweigte. Die russische Firma Gazprom forderte die Ukraine wiederholt auf, offene Rechnungen zu begleichen. 2006 kam es zu einem temporären Lieferstopp, der mehrere mittelosteuropäische Länder betraf.

Trotz des Interner Link: Konfliktes um die Krim und den Donbass ist Russland weiterhin das wichtigste Liefer- und Abnehmerland für die Ukraine. Doch seit Beginn des Konfliktes Ende 2013 büßt Russland als Handelspartner der Ukraine an Bedeutung ein, der Handel mit der Europäischen Union wächst demgegenüber. Die Importe von Erdgas in die Ukraine entfielen schon ab 2016 vollständig auf Rücklieferungen aus Europa, während die Ukraine im Jahre 2011 noch 90 Prozent seines Gases aus Russland bezog. Die Exporte der Ukraine nach Russland sind von 2011 bis 2016 stark zurückgegangen.

Unter Mitwirkung russischer Truppen erklärte sich die autonome Republik Krim am 11. März 2014 für unabhängig, am 21. März 2014 wurde sie in den russischen Staat eingegliedert. Eine Wiederholung dieses Szenarios scheiterte im Donbass. Der Separatismus ist Ergebnis russischer Intervention, er wäre allerdings nicht möglich gewesen ohne die politische, wirtschaftliche und soziale Entfremdung eines Teils der Bevölkerung. Zwar wird der im Februar 2015 vereinbarte Waffenstillstand ("Minsk II") regelmäßig verletzt, die Gewalt ist jedoch seither nicht mehr massiv eskaliert. Eine Änderung des Status quo dieses "eingefrorenen Konfliktes" scheint so lange ausgeschlossen, wie die konfliktbeteiligten Seiten einen Machtverlust befürchten. Die ukrainische Regierung kann einen Sonderstatus für den Donbass innenpolitisch nicht durchsetzen, zudem ist die dortige Bevölkerung für die Ukraine weitgehend verloren. Für Russland wäre ein Truppenabzug eine Niederlage, die Separatisten wiederum wollen sich keinen ergebnisoffenen Wahlen stellen.

Republik Moldau (Moldawien)

Moldawien existiert als eigenständiger Staat seit 1991. Bereits 1992 spaltete sich Transnistrien ab, wo vor allem Russisch gesprochen wird. Für 16 Prozent der Bevölkerung ist Russisch die Muttersprache, in den größeren Städten ist das Russische sehr präsent. Die Regionen Transnistrien und Gagausien erklärten 1990 ihre Unabhängigkeit von Moldau. In Transnistrien eskalierte der Konflikte zu einem Krieg mit über 1.000 Toten, seither ist die Region de facto unabhängig. In Transnistrien unterhält Russland entgegen den Forderungen der moldauischen Regierung Truppen in Höhe von rund 1.200 Mann, Waffen und militärische Ausrüstung sowie Munitionslager. Der Sezessionismus wurde befördert durch Ängste vor einer Fusion von Moldau und Rumänien. Während für Gagausien eine Autonomie eingeführt wurde, hat Transnistrien ab 1992 unabhängige Verwaltungsstrukturen aufgebaut. Trotz internationaler Vermittlung scheiterten die Verhandlungen zur Reintegration bisher. Im Jahre 2006 fand ein Referendum in Transnistrien statt, wonach angeblich 97 Prozent der dortigen Bevölkerung für den Anschluss an Russland stimmten, im April 2014 wurde dann eine Anfrage an Russland gerichtet, Transnistrien in die Russische Föderation einzugliedern. Russland selbst favorisiert stattdessen eine Föderalisierung der Republik Moldau.

Zwischen den pro-europäischen Parteien, die auf wirtschaftliche Reformen und auf eine Annäherung an die EU drängen, und den prorussischen Parteien werden scharfe Kontroversen ausgetragen. Ähnlich den Maidan-Demonstrationen in der Ukraine gingen im September 2015 zwischen 50.000 und 100.000 Menschen in der moldauischen Hauptstadt Chișinău auf die Straße, um gegen korrupte Oligarchen, für europäische Integration und für den Rücktritt des Präsidenten Timofti zu demonstrieren. Im Juni 2014 wurde ein Assoziierungsabkommen zwischen der Republik Moldau und der EU geschlossen. Die russische Regierung beargwöhnt die Annäherung an die EU.

Moldau ist in hohem Maße von Energielieferungen aus Russland abhängig, während die Landwirtschaft, die Lebensmittel- und Textilproduktion auf den russischen Markt angewiesen ist. Im Jahr 2013 verhängte Russland einen Einfuhrstopp für moldauischen Wein. In Reaktion auf das Assoziierungsabkommen mit der EU verhängte Russland zudem ein Importverbot für Fleischprodukte aus Moldau. Das Land ist tief gespalten, nur knapp die Hälfte der Bevölkerung ist für die EU-Integration, zwischen 46 bis 54 Prozent befürworten einen Beitritt zur Eurasischen Wirtschaftsunion.

Belarus

Russland und Belarus befinden sich formell in einem Staatenbund, der die Wirtschaft, die Militärpolitik und politische Konsultationen umfasst. Vom weißrussischen Präsidenten Lukaschenka und dem russischen Präsidenten Jelzin wurde mit Verträgen in den Jahren 1995 bzw. 1997 die Idee einer Konföderation vorangetrieben, umgesetzt wurde jedoch lediglich die Verteidigungsgemeinschaft und eine Zollunion. Russische Beamte dürfen so an der weißrussisch-polnischen Grenze kontrollieren, während die weißrussische Luftabwehr de facto der russischen Luftwaffe untersteht. Obschon nur etwas mehr als acht Prozent der Einwohner von Belarus ethnische Russen sind, spricht die weit überwiegende Mehrheit russisch.

Belarus kooperiert mit Russland in der eurasischen Wirtschaftsunion und im Rahmen des "Vertrages über kollektive Sicherheit". Außen-, sicherheits- und ordnungspolitisch orientiert sich Belarus unter Präsident Lukaschenka stark an Russland. Eine vertiefte Integration leidet jedoch am asymmetrischen Verhältnis der beiden Staaten, am Misstrauen und unter den Konflikten um Gaspreise und den Öltransit. Über die Kompetenzen des Unionsrates und die Gleichberechtigung konnte nie Einigkeit erzielt werden. Zu einer der mehr als achtzig Regionen Russlands möchte Belarus nicht degradiert werden.

Ähnlich wie im Fall der Ukraine kommt es regelmäßig zu Streit zwischen Russland und Belarus über Schulden, Zölle, eine mögliche Rubeleinführung und über die Gaspreise. 2009 trat Belarus gemeinsam mit fünf weiteren ex-sowjetischen Staaten der Östlichen Partnerschaft der EU bei, Russland protestierte dagegen. Im Juni 2009 stellte Russland sogar die Einfuhr von Milchprodukten aus Belarus ein, woraufhin Belarus vorübergehend wieder Zollkontrollen an der Grenze zu Russland einführte. Belarus ist für Russland vor allem aus sicherheitspolitischen Gründen von Bedeutung, es verbindet Russland mit der Exklave Kaliningrad und dient zudem als Transitland für russische Erdöl- und Erdgastransporte nach Europa. Russland liefert ca. 90 Prozent des Erdölbedarfs und 100 Prozent des Erdgases in Belarus. Das staatswirtschaftliche Modell in Belarus konnte lange Zeit nur durch russische Subventionen aufrechterhalten werden, welche sich auf bis zu 15 Prozent des Bruttosozialproduktes beliefen.

Literatur:

  • Andreas Kappeler: Ungleiche Brüder. Russen und Ukrainer vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München: C.H. Beck 2017.

PD Dr. Andreas Heinemann-Grüder ist Leiter der Akademie für Konflikttransformation im ForumZFD und Privatdozent an der Universität Bonn. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören: Friedens- und Konfliktforschung, politisches System Russlands, vergleichender Föderalismus, politische Regime in Zentralasien.