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Analyse: Vorübergehende Stabilisierung: Der russisch-ukrainische Vertrag zum Gastransit | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Vorübergehende Stabilisierung: Der russisch-ukrainische Vertrag zum Gastransit

Szymon Kardaś

/ 9 Minuten zu lesen

Mit dem neuen Transitvertrag wurde für die zentralen Streitpunkte zum russisch-ukrainischen Gastransit ein Kompromiss gefunden. Obwohl die russische Seite letztendlich mehr Zugeständnisse eingeräumt hat, können sich beide Parteien mit den Lösungen zufrieden zeigen. Wie es mit der Zusammenarbeit nach 2024 weitergehen wird, bleibt allerdings unklar.

Am 31. Dezember 2019 unterzeichneten das russische Unternehmen Gazprom und das ukrainische Unternehmen Naftogaz einen neuen bis 2024 gültigen Vertrag für einen Gastransit durch die Ukraine. (© picture alliance / NurPhoto)

Zusammenfassung

Nach viertägigen Verhandlungen wurde am 30. Dezember 2019 ein Vertrag über den Transit von russischem Gas durch die Ukraine unterzeichnet. Gazprom verpflichtete sich durch den Transitvertrag, im ersten Jahr 65 Milliarden Kubikmeter Erdgas und in den Folgejahren 40 Milliarden Kubikmeter nach Maßgabe der Ship-or-pay-Formel zu transportieren. Beide Seiten haben den Vertrag zu diesem Gaspaket als Kompromiss bewertet, wobei die meisten Bestimmungen als Erfolg für die Ukraine betrachtet werden können. Gazprom war zu Zugeständnissen genötigt, weil der Konzern ohne einen Vertrag nicht in der Lage gewesen wäre, seinen vertraglichen Verpflichtungen gegenüber Kunden in Europa nachzukommen. Die Verhandlungen – mit der Europäischen Kommission als Vermittler – waren angesichts der fundamental unterschiedlichen Interessen der beiden Seiten langwierig und hart. Die Ukraine wollte ihren Status als wichtiges Transitland behalten, während Russland mit dem Bau der Pipelines TurkStream und Nord Stream 2 bereits beträchtliche Anstrengungen unternommen hatte, um seine Abhängigkeit von ukrainischen Pipelines mehr und mehr zu verringern. Der Kompromiss wird zu einem neuen Modell der Transitzusammenarbeit zwischen den beiden Seiten führen, was die Stabilität in diesem Bereich bis 2024 gewährleisten dürfte.

Die erwartet langwierigen Verhandlungen und ihr Kontext

Das Übereinkommen ist Ergebnis mühsamer Verhandlungen, die fast anderthalb Jahre andauerten. Das war zu Beginn des Prozesses erwartet worden. Die Unterredungen wurden vorwiegend in einem trilateralen Format abgehalten (Russland – Ukraine – Europäische Union). Ein Teil der Sitzungen erfolgte auf politischer und technischer Ebene. In der Endphase der Verhandlungen gab es bilaterale Begegnungen von Vertretern der ukrainischen und der russischen Seite. Deutschland war ebenfalls an dem Verhandlungsprozess beteiligt. In Berlin fanden zwei der fünf trilateralen Gesprächsrunden statt. Darüber hinaus ernannte die deutsche Regierung im August 2019 einen Sonderbeauftragten für den Ukraine-Gastransit. Diese Fragen wurden zudem regelmäßig in Telefongesprächen zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin erörtert. Der Verhandlungsprozess wurde in der Endphase vor allem dank eines Treffens der Regierungs- oder Staatschefs der Ukraine, Russlands, Frankreichs und Deutschlands beschleunigt. Dieses Treffen im Normandie-Format hatte vor allem eine Lösung für den Konflikt im Donbass finden sollen und fand am 9. Dezember 2019 in Berlin statt.

Es war erwartet worden, dass der Verhandlungsprozess aufgrund der sich rapide ändernden politischen Situation langwierig werden würde. Zum einen waren die Stillstände dem politischen Kalender der Ukraine geschuldet und hier vor allem den Präsidentschaftswahlen im April und den Parlamentswahlen im Juli. Die russische Seite hatte mehrmals klargestellt, dass eine Übereinkunft zu Gasfragen erst dann erreicht werden könne, wenn diese Wahlen abgeschlossen sind. Ein weiterer wichtiger Faktor waren die Fortschritte bei der Umsetzung russischer Pipelineprojekte, die verfolgt werden, um die Abhängigkeit von der Transitroute durch die Ukraine zu verringern (TurkStream und Nord Stream 2). Schließlich schufen die US-Sanktionen gegen Firmen, die am Bau von Nord Stream 2 beteiligt sind (US-Präsident Donald Trump hatte sie am 20. Dezember 2019 genehmigt), einen wichtigen Kontext für die Endphase der Verhandlungen, indem er die Bauarbeiten dort aufhielt. Hinzu kam, dass sowohl die Ukraine wie auch europäische Abnehmer von russischem Gas ihre Reserven in den Gasspeichern aufstockten, weil sie eine neue Gaskrise befürchteten, falls kein Vertrag unterzeichnet werden würde.

Worin besteht das Übereinkommen?

Die Abkommen, die von den beiden Seiten unterzeichnet wurden, liefern eine Lösung für zentrale Streitpunkte bei der russisch-ukrainischen Zusammenarbeit im Gasbereich.

Zum einen unterzeichneten Naftogaz und Gazprom einen Fünfjahresvertrag über den Transit von russischem Gas über ukrainisches Gebiet. Der Vertrag sieht folgende Transitvolumina vor: 65 Milliarden Kubikmeter Gas 2020 und jährlich 40 Milliarden Kubikmeter in den darauffolgenden vier Jahren. Die ukrainische Seite verkündete, die Lieferungen würden gemäß der Ship-or-pay-Formel erfolgen (diese Formel verpflichtet Gazprom, für den Transport der vereinbarten Gasmenge zu zahlen, ungeachtet des tatsächlichen Volumens). Darüber hinaus sieht das Protokoll vom 20. Dezember die Möglichkeit vor, den Vertrag um zehn weitere Jahre zu verlängern (2025 – 2034). Gleichzeitig unterzeichnete das russische Unternehmen ein Zusammenschaltungsabkommen mit dem ukrainischen Gastransportsystembetreiber OGTSU. Im gleichen Zug unterzeichnete OGTSU ein entsprechendes Abkommen mit dem slowakischen Betreiber Eustream.

Zweitens zahlte Gazprom die geschuldeten 2,92 Milliarden US-Dollar an Naftogaz, wie in den abschließenden Schiedssprüchen vom Dezember 2017 (über den russisch-ukrainischen Liefervertrag) und vom Februar 2018 (zum Transitvertrag) durch das Stockholmer Schiedsgericht (Schiedsgerichtsinstitut der Stockholmer Handelskammer) festgelegt worden war. Darüber hinaus sind sowohl Naftogaz, als auch Gazprom dazu verpflichtet, sich aus den neuen Schiedsverfahren zurückzuziehen, die 2018 – 2019 angestrengt wurden. Das betrifft insbesondere die ukrainische Klage vom Juli 2018 zu Schäden im Umfang von rund 12,3 Milliarden US-Dollar aufgrund potenzieller Verluste, falls Gazprom den Gastransit durch die Ukraine wegen der geplanten Eröffnung alternativer Transportrouten unterbricht. Gazprom zog seinerseits seine Berufungsanträge gegen die abschließenden Schiedssprüche zurück. Auch Kiew beschloss, seine Klagen zurückzunehmen, die sich aus der Entscheidung der nationalen Kartellbehörde ergeben hatten. Diese hatte im Januar 2016 Gazprom mit einer Strafzahlung von rund 7,3 Milliarden US-Dollar belegt, weil das Unternehmen seine beherrschende Stellung auf dem ukrainischen Markt missbraucht habe. Als Teil der Abmachung willigte auch Naftogaz ein, von einer weiteren Durchsetzung des Verfahrens gegen Aktiva von Gazprom in der Schweiz, Luxemburg, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich abzusehen.

Worüber noch keine Klarheit besteht, ist der Tarif für den Transit (2019 hatte Gazprom noch 2,61 US-Dollar pro 1.000 m3 für eine Transportstrecke von 100 km berechnet). Den Bestimmungen des Protokolls vom 20. Dezember zufolge soll sich der Gebührentarif am Wettbewerb orientieren und den Tarifen in Mittel- und Westeuropa entsprechen. Die russische Seite verwies bei den Verhandlungen mehrfach darauf, dass eine Fortführung des Transits durch die Ukraine für Gazprom kostengünstig sein müsse, also billiger als der Transport über alternative Routen. Weiterhin lässt sich aus den Stellungnahmen der Direktoren von Naftogaz schließen, dass bei einem potenziell zusätzlichen Transitvolumen ein höherer Tarif zur Anwendung kommt.

Folgen für die Ukraine

Es ist der ukrainischen Seite gelungen, bis 2024 eine Garantie über nahezu die Hälfte des gegenwärtigen Transportvolumens von russischem Gas zu erlangen. Das muss zwar als Erfolg betrachtet werden, doch werden die Einnahmen dennoch beträchtlich zurückgehen (ukrainischen Quellen zufolge werden sie in den kommenden fünf Jahren insgesamt mindestens 7,2 Milliarden US-Dollar betragen). Eines der zentralen Ziele der Ukraine war es, so lang wie möglich ein möglichst großes Volumen an russischen Gastransporten in den Westen aufrecht zu erhalten (2018 waren es 86,8 Mrd. m3 und 2019 bis zum 29. Dezember 89,1 Mrd.), weil dies bisher Einnahmen von jährlich rund 3 Milliarden US-Dollar bedeutet hat. Im gleichen Sinne hatte die Europäische Kommission im Januar 2019 ihren ursprünglichen Vorschlag unterbreitet, der einen Vertrag über zehn Jahre vorsah, bei einem Volumen von mindestens 60 Milliarden Kubikmetern jährlich.

Anderseits könnte das Volumen der Gastransporte ohne einen Vertrag, und nachdem die beiden Stränge von TurkStream (2020) und von Nord Stream 2 (Ende 2020) in Betrieb gegangen sind, nahezu auf null sinken, falls es Gazprom gelingt, die neuen Pipelines voll einzusetzen und die Nachfrage nach russischem Gas auf dem gegenwärtigen Niveau bleibt. Somit wird der jüngst unterzeichnete Vertrag die Nutzung des ukrainischen Gaspipelinesystems um mindestens fünf Jahre verlängern, mit einem garantierten Volumen von 40 Milliarden Kubikmetern, also der Mindestmenge, die nach ukrainischen Berechnungen notwendig ist, damit das System profitabel bleibt. Gleichzeitig liefert der Vertrag keine Garantie, dass Gazprom nach 2024 weiterhin Gas durch ukrainische Pipelines transportieren wird. Eine Unterbrechung russischer Gastransporte würde eine Stilllegung beträchtlicher Teile des Systems notwendig machen. Wichtig ist, dass die vereinbarten Bedingungen der Ukraine Zeit verschaffen, sich hierauf vorzubereiten und die Größe des Transportsystems an den Bedarf in der Ukraine selbst anzupassen.

Als ukrainischer Erfolg ist auch zu werten, dass Gazprom genötigt wurde, aufgrund der Entscheidung des Schiedsgerichts 2,9 Milliarden US-Dollar Entschädigung zu zahlen, was eine erhebliche Unterstützung für den ukrainischen Haushalt darstellt.

In den neuen Bestimmungen zur Zusammenarbeit, die nach Verhandlungen mit Gazprom festgelegt wurden, werden zwei ukrainische Unternehmen aufgeführt, Naftogaz und OGTSU. Zuerst unterzeichnete der russische Konzern einen Vertrag mit Naftogaz als "Organisator des Gastransports", der mit OGTSU Transportkapazitäten im Gaspipelinesystem vorhalten wird. Das unmittelbare Funktionieren des Transits wird von OGTSU übernommen, das ebenfalls einen Vertrag mit Gazprom unterzeichnen wird. Die russische Seite wird die Transitgebühren auf der Grundlage eines zuvor auszuhandelnden Tarifs an Naftogaz zahlen. Naftogaz wiederum wird diese mit dem Betreiber abrechnen. Es ist unklar, wie dieses Modell in der Praxis funktionieren wird. Russischen Verlautbarungen zufolge ist es Gazprom gewesen, das auf dieses Modell gedrungen hatte, damit Naftogaz, das im Grunde zu einem Makler geworden ist, die Risiken übernimmt, die mit dem Betrieb des ukrainischen Gaspipelinesystems verknüpft sind, sobald dessen Entflechtung abgeschlossen ist. Das neue System scheint allerdings auch für Naftogaz günstig zu sein, das einen Teil der Gewinne aus dem Transit einbehalten wird. Die hatten bisher fast die Hälfte seiner Gesamteinnahmen ausgemacht.

Russische Zugeständnisse und Vorteile

Aus den Bestimmungen des Vertrages geht hervor, dass es die russische Seite war, die in der Endphase der Verhandlungen mehr Zugeständnisse machte. Ein fehlender Vertrag hätte Gazprom daran gehindert, seine vertraglichen Verpflichtungen gegenüber einer ganzen Reihe europäischer Abnehmer zu erfüllen. Das wiederum hätte nicht nur beträchtliche Imageverluste, sondern auch wirtschaftlichen Schaden mit sich gebracht.

Zum einen hat Moskau de facto anerkannt, dass Gazprom gegenüber Naftogaz per Schiedsspruch Schulden hat, auch wenn Vertreter der russischen Seite in früheren Phasen der Verhandlungen mehrfach betont hatten, dass Russland nur dann in einen neuen Vertrag einwilligen werde, wenn die Ukraine ihre Klage beim Schiedsgericht zurücknimmt. So lautete auch der offizielle Standpunkt in der letzten öffentlichen Version der Bestimmungen eines neuen Abkommens, wie sie von Gazprom am 25. November 2019 veröffentlicht wurden.

Zweitens hatte Moskau darauf bestanden, dass der Abschluss eines neuen Transitvertrages von der Unterzeichnung eines Vertrags über russische Gaslieferungen an die Ukraine begleitet werden müsse. Diese Vorbedingung war erstmals im Laufe der trilateralen Unterredungen im Januar 2019 gestellt worden. Das unterzeichnete Protokoll enthält keinerlei Bestimmungen, die hierzu verpflichten würden. Es ist lediglich vorgesehen, dass die Unterzeichnung eines solchen Vertrages möglich ist, wenn die Seiten daran interessiert sind.

Drittens unterscheiden sich die Grundparameter des neuen Transitvertrages von denen, die die russische Seite vorgeschlagen hatte. In der letzten Phase der Verhandlungen hatte Gazprom eine Erneuerung des laufenden Transitvertrages oder aber den Abschluss eines neuen Vertrages mit einer Laufzeit von einem Jahr vorgeschlagen. Was das Volumen anbelangt, so hatten die Vertreter von Gazprom im April 2018 erklärt, es sei möglich, ein Abkommen über ein Transportvolumen von 10 – 15 Milliarde Kubikmeter Gas zu unterzeichnen.

Die Verträge enthalten allerdings auch Lösungen, die für Moskau günstig sind. Das Mindestvolumen für den Gastransit durch die Ukraine stellt für Gazprom keine Belastung dar, auch wenn sie die Ship-or-pay-Klausel und somit ein Zugeständnis enthalten (das Protokoll vom 20. Dezember hatte dies nicht enthalten). Der russische Konzern hätte das ukrainische Pipelinenetz die nächsten Jahre in jedem Fall benutzen müssen, um die vertraglichen Verpflichtungen gegenüber europäischen Kunden zu erfüllen. Die Eröffnung der TurkStream-Pipeline im Januar 2020 erlaubt es Gazprom, nur relativ geringe Mengen des Gases, das derzeit durch die Ukraine transportiert wird, über die Türkei, Bulgarien, Nordmazedonien und Griechenland umzuleiten. Der Zeitpunkt für die Eröffnung und der Umfang der Lieferungen durch die Nord Stream 2-Pipeline ist bislang nicht bekannt, da sich der Abschluss des Projekts durch die US-Sanktionen verzögern könnte. Darüber hinaus wird auch nach der Inbetriebnahme die kommerzielle Nutzung Beschränkungen unterworfen sein, die sich aus der im April 2019 verabschiedeten Änderung der EU-Gasrichtlinie ergeben. Hinzu kommt, dass durch den Urteilsspruch des Europäischen Gerichtshofes vom September, der den Beschluss der Europäischen Kommission zur OPAL-Pipeline für ungültig erklärt, Gazprom gezwungen ist, den Umfang der Gastransporte durch die Nord Stream 1-Pipeline zu reduzieren. Gleichzeitig bleibt Gazprom wegen der fehlenden Verpflichtung, den Vertrag nach 2024 erneuern zu müssen, flexibel und kann seine Politik mittel- und langfristig entwickeln.

Wie geht es weiter?

Das Protokoll vom 20. Dezember ist zwar ein politisches Dokument, das keine rechtliche Bindung bedeutet, doch haben beide Seiten ihren Willen manifestiert, die Bestimmungen umzusetzen, wofür das Paket der unterzeichneten Abkommen ein Beleg ist (Die Unterzeichnung erfolgte in Bezug auf den im Protokoll enthaltenen Zeitplan mit nur einem Tag Verspätung). Es ist sehr wohl möglich, dass das neue Modell für die Zusammenarbeit im Gasbereich bis Ende 2024 funktionieren wird. Wenn die Nachfrage nach russischem Gas in Europa auf dem gegenwärtigen Niveau bleibt, könnte der Umfang des Gastransits durch die Ukraine in den kommenden Jahren sogar höher sein als im Vertrag vorgesehen. Es ist nämlich unklar, ob Gazprom die alternativen Pipelinerouten mit voller Kapazität wird nutzen können. Die russischen Pläne, die Nutzung ukrainischer Pipelines zu stoppen, sind zwar um fünf Jahre aufgeschoben worden, doch bleibt unklar, ob die Ukraine ihre Bedeutung als Transitland nach 2024 wird behaupten können.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

Lesetipp

Kardaś, S.; A. Łoskot-Strachota, S. Matuszak: A ‘last-minute’ transit contract? Russia-Ukraine-EU gas talks [= OSW Commentary Nr. 291], 25.01.2019, Externer Link: https://www.osw.waw.pl/en/publikacje/osw-commentary/2019-01-25/a-last-minute-transit-contract-russia-ukraine-eu-gas-talks

Fussnoten

Szymon Kardaś ist Senior Fellow in der Russlandabteilung des Zentrums für Oststudien (OSW) in Warschau.
Wojciech Konończuk ist Leiter der Abteilung für die Ukraine, Belarus und Moldau des Zentrums für Oststudien (OSW) in Warschau.