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Analyse: Russlands Ukraine-Strategie | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Russlands Ukraine-Strategie Föderalisierung versus Bosnisierung

Stefan Meister Berlin Von Stefan Meister

/ 13 Minuten zu lesen

Russlands Provokationen in der Ostukraine und die Truppenbewegungen an der östlichen Grenze der Ukraine zielen darauf, die ukrainische Übergangsregierung zu destabilisieren und die Präsidentschaftswahlen am 25. Mai zu verhindern. Zudem soll die eigene Verhandlungsposition über den zukünftigen Status der Ukraine gegenüber EU und USA verbessert werden. Dabei ist das vorrangige Ziel Russlands jedoch nicht die Annexion des Ostens der Ukraine.

Wladimir Putin auf dem Weg, seine Position zur Krim vor Parlamentsmitgliedern zu verkünden. (© picture-alliance/dpa)

Föderalisierung und nicht Dezentralisierung


Die erste Variante soll über wachsenden Druck aus den östlichen und südlichen Regionen auf die ukrainische Übergangsregierung im Rahmen einer weiteren Destabilisierung durch "prorussische Separatisten" erreicht werden. Die russische Führung möchte die zukünftige Verfassung der Ukraine mitbestimmen und der Ukraine eine "föderale Struktur" als einzige Lösung für den Zusammenhalt des Staates aufzwingen. Das Referendum im Donbass vom 11. Mai soll zeigen, dass es ohne Gespräche mit den Separatisten und damit deren Anerkennung durch die ukrainische Führung keine Lösung des Konfliktes geben wird. Die Konsequenz einer weiteren Eskalation der Situation und Sprachlosigkeit zwischen Kiew und Donezk könnte zu einer Abspaltung der Region führen. Damit wird auch das Signal ausgesandt, dass eine Föderalisierung, wie von Moskau gefordert, inzwischen die beste Variante für die zukünftige staatliche Organisation der Ukraine ist und nur diese Schlimmeres verhindern kann. Die Föderalisierung soll den Regionen mehr Autonomie gegenüber der Zentralregierung geben und es Russland ermöglichen, über die Regionen Einfluss auf die gesamtstaatliche Politik zu erlangen. In einer Stellungname des russischen Außenministeriums vom 17.03.2014 ist bisher am umfassendsten beschrieben worden, wie eine solche Föderalisierung aussehen kann. Dem von Russland bevorzugten Modell liegt das deutsche föderale System zu Grunde: Vorgesehen ist ein Zwei-Kammer-System mit einer starken zweiten Kammer, in der die Regionen Einfluss auf die nationale Agenda ausüben können. Dabei geht es nicht um eine Dezentralisierung des Staates durch die Stärkung der lokalen Selbstverwaltung, wie das von der EU und der Venedig-Kommission des Europarates seit Jahren gefordert wird, sondern um eine Übertragung des zentralistischen Systems auf die einzelnen Regionen. Zentralisierte Strukturen sind mit dem russischen Modell besser kompatibel und erleichtern die Einflussnahme von außen auf die zukünftigen Entscheidungen in den Regionen. Laut diesem Konzept soll die ukrainische Bevölkerung in den Regionen direkt die Legislative und Exekutive wählen können und deren politische Führung die Oberhoheit über kulturelle, wirtschaftliche, soziale und bildungspolitische Fragen haben. Wie kleine Fürsten könnten die Regionalgouverneure dann die Politik in den Regionen dominieren und hätten gleichzeitig hohe Einflussrechte im Gesamtstaat. Das könnte bis zu eigenständigen Verträgen in der Außen- und Wirtschaftspolitik gehen und ermöglicht eine Anbindung der östlichen Regionen an Russland ohne direkte politische und wirtschaftliche Verantwortung. Russland will sicherstellen, dass die ukrainische Regierung und der Präsident geschwächt werden. Das würde Moskau ermöglichen, auf politische Entscheidungen der Zentralregierung über die ost- und südukrainischen Regionen Einfluss auszuüben, welche aufgrund ihrer ökonomischen Bedeutung für das Land eine wichtige Rolle in der Politik des Gesamtstaates spielen werden.

Bosnisierung als Destabilisierung


Die zweite Variante einer Bosnisierung würde dann greifen, wenn die ukrainische Führung einer Föderalisierung nicht zustimmt. Damit verbunden wäre eine weitere Destabilisierung der Ukraine und weiterer Kontrollverlust der Zentralregierung über die östlichen und südöstlichen Regionen über breiter angelegte Provokationen. Europäische Regierungsvertreter täuschen sich, wenn sie glauben, dass Russland an der Stabilisierung der Ukraine interessiert ist. Wie es der russischen Führung nahestehende Provokateur Wjatscheslaw Nikonow in einem Gespräch in Moskau auf den Punkt bringt: "Lieber eine kaputte Ukraine, als eine europäische Ukraine." Die aktuelle russische Strategie ist die kontrollierte Destabilisierung der Ukraine. Russland versucht, die Legitimität der Regierung in Kiew zu untergraben, indem es die östlichen Landesteile weiter destabilisiert. Die Besetzungen öffentlicher Gebäude in den östlichen sowie südlichen Regionen durch sogenannte prorussische Separatisten dienen dazu, die Unfähigkeit der Zentralregierung für die Sicherheit im Land zu sorgen, zu untermauern. Auch wenn Russland nicht alle Aktionen der prorussischen Kräfte kontrolliert, so nimmt es doch die weitere Eskalation der Situation in kauf. Föderalisierung wäre aus russischer Sicht eine Strategie zur Stabilisierung eines schwachen ukrainischen Staates, der außenpolitisch nur über die Zustimmung der Regionen handlungsfähig wäre. Trotzdem würde dieser Staat im Rahmen einer föderalen Struktur funktionieren und damit als souveräne Ukraine erhalten bleiben. Bosnisierung meint dagegen die Ukraine als gescheiterter Staat, in dem sich insbesondere die östlichen Regionen abspalten werden und als eigenständige Gebilde weiterexistieren oder versuchen, sich in die russische Föderation zu integrieren. Diese Strategie wäre die Fortsetzung der Destabilsierungsstrategie, indem diese zu einem Dauerzustand für die Ukraine wird. Das heißt, Bosnisierung als dauerhafter Kontrollverlust des Gesamtstaates über bestimmte Regionen und Landesteile und die Ukraine als handlungsunfähiger Staat, der von außen leicht zu beeinflussen ist. Die aktuelle Strategie der Destabilsierung dient dazu, die Föderalisierung zu erreichen. Gleichzeitig hat Russland nicht das Ziel, die östlichen Gebiete ähnlich wie die Krim zu annektieren, da sie aufgrund ihrer territorialen Größe und höheren Bevölkerungszahlen viel schwerer zu kontrollieren wären und die Kosten für eine Integration für den russischen Staatshaushalt enorm wären. Hinzu kommt ein größerer Widerstand in der Gesellschaft dieser Regionen bei der Frage nach einem Verbleib in der Ukraine, was zu Konflikten bei der Integration in die Russische Föderation führen würde. In repräsentativen Umfragen der International Foundation for Electoral Systems und des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie haben Mitte April im Donezker Gebiet 27,5 % und im Luhansker Gebiet 30,3 % für einen Beitritt zu Russland gestimmt. Knapp 70 % in den sechs südöstlichen Regionen unterstützen die Wahrung der territorialen Integrität der Ukraine (siehe auch die Seiten 17–20 mit Umfragen zu separatistischen Tendenzen in der Bevölkerung).

Verhinderung der Wahlen am 25. Mai


Für Moskau sind im Moment die Voraussetzungen nicht erfüllt, unter denen erfolgreiche Präsidentschaftswahlen am 25. Mai durchgeführt werden können. Solange kein pro-russischer Kandidat Aussicht auf einen Sieg bei den vorgezogenen Wahlen hat und keine Verfassungsreform im Sinne des Föderalisierungsansatzes stattfindet, wird Moskau versuchen diese Wahlen zu verhindern. Falls sie doch stattfinden sollten, werden Bedingungen geschaffen, die es vereinfachen, die Wahl nicht anzuerkennen. Der Verlust der Kontrolle über die Sicherheitskräfte in der Ostukraine durch die Regierung in Kiew, die Ausweitung der Aktivitäten sogenannter Separatisten sowie die Entführung von OSZE-Beobachtern dienen dazu, diese Wahl zu verhindern. Die Botschaft lautet: Das was den entführten und inzwischen wieder freigelassenen OSZE-Beobachtern passiert ist, kann jedem Wahlbeobachter zustoßen. Kiew ist nicht dazu in der Lage, ihre Sicherheit im Osten des Landes zu garantieren. Damit wird es immer unwahrscheinlicher, dass die Präsidentschaftswahl in allen Landesteilen durchgeführt werden kann. Falls sie jedoch in den östlichen Landesteilen nicht stattfindet, wird die Legitimität der gesamten Wahl untergraben. Gerade in den östlichen Landesteilen ist die Zustimmung für die ukrainische Übergangsregierung besonders gering, deshalb ist es umso wichtiger, dass hier die Wahlen stattfinden. Die ukrainische Führung hat bereits darauf reagiert, indem sie das Wahlgesetz kürzlich so verändert hat, dass Ergebnisse gültig sind, obwohl in einigen Bezirken keine Wahl stattgefunden hat. Andere Instrumente zur Destabilisierung der ukrainischen Führung sind die Erhöhung des Gaspreises für die Ukraine durch Gazprom von 268,5 US-Dollar pro 1000 m3 im ersten Quartal 2014 auf 485 US-Dollar pro 1000 m3 ab 1. April. Damit verbunden ist die Forderung Moskaus an die Ukraine, sämtliche Energierechnungen und Kredite zurückzuzahlen, die sich laut russischer Berechnung auf 16 Milliarden US-Dollar belaufen. Ebenso sollen Gaslieferungen nur noch nach Vorkasse durch die ukrainische Seite erfolgen. Weiterhin übt Russland Druck auf die ukrainischen Oligarchen aus, die die ukrainische Übergangsregierung unterstützen. Insbesondere der Präsidentschaftskandidat Petro Poroschenko steht unter ökonomischem Druck, da die Konten seiner Firma Roschen auf russischen Banken eingefroren worden sind. Seit Juli 2013 kann Roschen keine Produkte mehr an seinen wichtigen russischen Markt liefern. Aufgrund fehlender Möglichkeiten einen eigenen Kandidaten in die Präsidentschaftswahl zu schicken, hat sich Moskau dafür entschieden, diese zu verhindern bzw. falls das nicht möglich ist, sie zumindest nicht in den östlichen Regionen durchführen zu lassen.

Funktion der Ukrainekrise nach innen


Nachdem sich Putin in seiner dritten Amtszeit gegen eine wirtschaftliche Modernisierung Russlands entschieden hat, sind Patriotismus und Nationalismus zu wichtigen Instrumenten geworden, um seinen politischen Kurs trotz der schwachen wirtschaftlichen Leistung zu legitimieren. Moskaus Propagandamaschinerie hat dazu beigetragen, dass Putins Beliebtheit laut Umfragen des Lewada-Zentrums auf über 80 Prozent angestiegen ist. Die Annexion der Krim als historischer Teil Russlands und die Demonstration von Stärke gegenüber internationaler Kritik an diesem Völkerrechtsbruch haben einen wichtigen Anteil an diesem Stimmungsumschwung. Waren die nationalistischen Kräfte in Russland bis Ende 2013 gegen das aus ihrer Sicht korrupte und verwestlichte System Putin gerichtet, so hat die Annexion der Krim und die Isolation vom "Westen" dazu beigetragen, diese Gruppen auf seine Seite zu ziehen. Jeglicher Kompromiss mit der EU und den USA über die Ukraine würde von den Nationalisten als Schwäche bewertet. Die Sanktionen haben Putin in der Öffentlichkeit eher gestärkt, die anti-ukrainische Medienkampagne gegen die "Junta" in Kiew erreicht ihr Ziel in Russland und auch Teilen der Ostukraine. Über die offizielle Propaganda wird verbreitet, dass die Sanktionen, ebenso wie die zunehmende Isolation Russlands, die Entwicklung einer nationalen Industrie fördern werden. 68 Prozent der Russen schenkten im März dieser wenig realistischen offiziellen Linie in einer Umfrage des Lewada-Zentrums Glauben. Putins Anti-Modernisierungskurs sowie Enteuropäisierung und Entwestlichung findet wachsende Unterstützung in der Bevölkerung. Die russische Gesellschaft zeigt sich zunehmend skeptisch gegenüber demokratischen Institutionen und lehnt in einer großen Mehrheit liberale Positionen gegenüber sexuellen Minderheiten ab. Insbesondere der antiliberale Konsens in der russischen Gesellschaft – geschürt von einer zunehmend russisch-nationalistischen Propaganda bis hin zu einer Förderung der panslawischen Idee – dient kurzfristig der Unterstützung des Regimes, wird aber mittelfristig zu gefährlichen Konflikten im Vielvölkerstaat führen. Eine grundlegende Hinwendung zu einer patriotischen Kultur- und Bildungspolitik soll diesen Wandel dauerhaft befördern. Diese basiert auf einer Glorifizierung der Erfolge der Sowjetunion und wird gleichzeitig mit russischen Ethnonationalismus unterfüttert. Wie damit der russländischen Realität eines Vielvölkerstaates mit knapp 20 Prozent nichtrussischer Ethnien Rechnung getragen werden kann, bleibt eine offene Frage. Dabei gewinnt die Ukraine als slawischer Staat eine noch größere Bedeutung für russische Integrationsprojekte wie die Eurasische Union: Über die Beteiligung der Ukraine in einer solchen Union kann eine Brücke zwischen dem imperialen Integrationsprojekt und der nationalistischen Rhetorik gefunden werden. Ohne die Ukraine würde mit dem Beitritt zentralasiatischer und kaukasischer Staaten zur Eurasischen Union der Anteil der Slawen immer weiter abnehmen.

Verstärkung der Repressionsmaßnahmen unter dem Deckmantel der Ukrainekrise


Der derzeitige Stand der öffentlichen Meinung in Russland ist das Ergebnis eines gesteuerten Prozesses. Seit seiner Wiederwahl im Jahr 2012 hat Putin das Fundament für eine Konfrontation mit der EU und den USA gelegt. Dies war auch eine Lehre aus den Massendemonstrationen in großen russischen Städten gegen das korrupte politische System 2011/2012 und die Rückkehr Putins ins Präsidentenamt. Die russische Führung hat den westlichen Einfluss durch das NGO-Gesetz von 2012, das Nichtregierungsorganisationen dazu verpflichtete, sich als "ausländische Agenten" zu registrieren, untergraben. Momentan unternimmt die russische Regierung Schritte, um die verbliebenen kritischen Stimmen zum Schweigen zu bringen. Unter dem Deckmantel der Ukraine-Krise hat Putin die Repressionsmaßnahmen in Russland verstärken lassen. Indem er jegliche Kritik an seinem Ukrainekurs, sei es die Annexion der Krim, die differenziertere Darstellung der ukrainischen Übergangsregierung oder Kritik an den ökonomischen Folgen der Selbstisolation in Folge des Konfliktes als unpatriotisch interpretiert, werden alternative Stimmen stigmatisiert und die Schließung von Medien und NGOs gerechtfertigt. Unabhängige Institutionen wie das Lewada-Meinungsforschungs-Institut stehen unter massiven Angriffen der Regierung und werden z. B. regelmäßigen und aufwändigen Steuerprüfungen unterzogen. Gleichzeitig wird NGOs zunehmend die ausländische Finanzierung abgegraben.

Eine zweite Welle von Gerichtsverfahren wurde gegenüber die Anführer der Demonstrationen auf dem Bolotnaja-Platz von 2012 begonnen. Diese Strategie zielt nicht nur auf Einschüchterung ab, sondern auch darauf, all jene, die sich gegen die Politik der Regierung stellen, als anti-russisch oder "ausländische Agenten" zu brandmarken. All diese Maßnahmen haben ein Klima von Denunziation, Angst und unkritischem Patriotismus geschaffen. Was wir in Russland gerade beobachten, ist damit nicht nur ein Richtungswechsel in der russischen Außenpolitik durch den Bruch internationaler Regeln und des Völkerrechts, sondern auch ein neuer Auftrieb für Repression im Inneren. Damit scheint die russische Führung sich tatsächlich auf eine stärkere Abkopplung von der EU vorzubereiten und bei wachsendem Widerstand gegen die ökonomischen Folgen der Isolation auch bereit zu sein, repressiver zu antworten. Die Ukraine ist nicht der einzige Anlass für Putins neue Strategie. Die russische Führung will eine neue internationale Ordnung durchsetzen und neue Regeln in den internationalen Beziehungen einführen. Sie will ihre Vormachtstellung im post-sowjetischen Raum durch einen Deal mit der EU und den USA absichern. Die russische Führung entwickelt mit der Ukraine-Krise einen Präzedenzfall, der demonstrieren soll, dass Russland keine weitere EU- oder NATO-Erweiterung mehr im post-sowjetischen Raum zulassen wird und dazu bereit ist, regionale Konflikte zu nutzen, um post-sowjetische Länder in Abhängigkeit zu halten. Diese Politik fordert nicht nur die Prinzipien der internationalen Ordnung heraus sondern instrumentalisiert den Konflikt mit dem Westen, um die russische Bevölkerung für das System Putin zu mobilisieren. Dabei ist es kurzfristig unerheblich, ob all das aus einer Position der Schwäche Russlands resultiert, die das Scheitern russischer Ukraine-Politik mit der Absetzung von Präsident Janukowytsch im Februar 2014 zutage gebracht hat. Russland verfügt noch immer über genügend Ressourcen, um sich mittelfristig dem Druck und den Sanktionen von USA und EU zu widersetzen und seine Nachbarschaft zu destabilisieren.

Das Scheitern der EU-Nachbarschaftspolitik


In den letzten 20 Jahren ist es der EU nicht gelungen, ihre post-sowjetische Nachbarschaft wirtschaftlich und sicherheitspolitisch zu integrieren oder gar zu demokratisieren. Sie hat keine Nachbarschaftspolitik entwickelt, die auf die geopolitische und strukturelle Realität in ihrer östlichen Partnerschaft reagierte, sondern vor allem darauf basierte, was innerhalb der EU möglich ist. Der Vilnius-Gipfel ist in einem geopolitisch leeren Raum vorbereitet worden, ohne die Interessen der ukrainischen Eliten zu beachten sowie die Bedeutung des Landes für Russland und dessen Einflussmöglichkeiten auf die Ukraine zu berücksichtigen. Nicht Wiktor Janukowytsch und sein Umfeld wären die Modernisierungspartner der EU gewesen, sondern die wachsende Zivilgesellschaft und alternative Eliten. Die EU hat es verpasst, zu einem Zeitpunkt, als Russland für Kooperation und Integration aufgeschlossener war, die östliche Nachbarschaft zu integrieren und normativ zu verändern. Europa hat die sich vertiefende Kluft zwischen Gesellschaft und Macht in den Ländern der Region ignoriert. Gleichzeitig haben NATO und EU die Sicherheitsbedürfnisse Russlands ignoriert und zu wenig für mehr Komptabilität gemeinsamer Wirtschafts- und Politikräume getan, als das mit Moskau noch möglich war. Momentan sind weder die EU noch die USA auf einen Konflikt mit Russland vorbereitet. Beide haben unterschiedliche ökonomische Interessen und ein anderes geopolitisches Verhältnis zu Russland. Viele EU-Mitgliedstaaten pflegen enge wirtschaftliche Beziehungen zu Russland, während die USA sich nur begrenzt wirtschaftlich und politisch für den post-sowjetischen Raum interessieren und gerade dabei sind, ihren Fokus von Europa nach Asien zu verlagern. Weder die USA noch die NATO werden dauerhaft eine Schlüsselrolle in der Lösung des Konflikts einnehmen können, sie werden eher zu einer Verhärtung der russischen Position beitragen.

Gleichzeitig sind sie wichtig als Feindbilder für Russland und dienen damit der Legitimation des Systems Putin. In dieser Situation bleibt sowohl der EU als auch den USA nichts anderes übrig, als sich mit Russland an einen Tisch zu setzen und über die Zukunft der Ukraine (nur unter Einbeziehung Kiews) zu verhandeln. Die EU ist Russlands wichtigster Handelspartner und der Hauptabnehmer für Öl und Gas und verfügt daher über Mittel, um die russische Wirtschaft zu beeinflussen. Putin braucht die EU und die USA, um sein Ziel einer begrenzten Souveränität für die Ukraine durchzusetzen. Nur wenn der "Westen" gleichzeitig als Gegner und als Partner auftritt, indem er einerseits Sanktionen gegen Russland erlässt und andererseits Russlands Rolle im post-sowjetischen Raum anerkennt, kann Putins Strategie aufgehen. Wenn die EU der Herausforderung, die Russland ihr stellt, nicht begegnet, wird sie nicht nur in ihrer Nachbarschaftspolitik scheitern sondern auch als außenpolitischer Akteur. Unabhängig von der eigenen wirtschaftlichen und institutionellen Krise müssen die EU-Mitgliedstaaten begreifen, dass es sich um eine für sie äußerst kritische Situation handelt, auf die sie angemessen reagieren müssen. Die Ukraine, ein Nachbarstaat mit 45 Millionen Einwohnern, kämpft um ihr territoriales Überleben als Staat. In der Konsequenz muss die EU mehr investieren, um eine funktionierende Außen- und Sicherheitspolitik aufzubauen. Die EU-Mitgliedstaaten müssen ihre Fähigkeiten zur Verteidigung und Konfliktlösung verbessern. EU-Mitgliedsstaaten sollten weniger in einen NATO-Raketenschild investieren, der sicherheitspolitisch für sie wenig Sinn macht, als vielmehr in den Ausbau der eigenen Verteidigungsfähigkeit, die insbesondere stabilisierende Einsätze in Krisenregionen unter EU-Mandat ermöglichen. Die östliche und südliche Nachbarschaft zeichnen sich durch ein hohes Konfliktpotential aus, in denen die EU bei einer Eskalation schneller einsatzfähig sein sollte. Dabei werden die Mitgliedsstaaten nicht umhin kommen, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen und mehr Synergien durch Kooperationen untereinander zu schaffen.

Wenn die EU nicht für ihre Normen einsteht, wird Russland seine eigenen diktieren


Das Ziel der EU sollte es sein, eine neue Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit zu entwickeln, die post-sowjetische Staaten in eine neue Sicherheitsarchitektur einbindet. In diesem Rahmen sollten die Rollen der Ukraine und Russlands diskutiert werden, ebenso wie die Sicherheit anderer post-sowjetischer Länder und Wege, um Konflikte im post-sowjetischen Raum zu lösen. Das könnte einen Neustart der OSZE als Organisation kollektiver Sicherheit bedeuten – eine Funktion, die sie in den letzten 20 Jahren verloren hat. Sie könnte mit mehr Ressourcen ausgestattet werden und Rückhalt erfahren, indem sich alle Parteien entschlossener für Konfliktlösung einsetzen. Dabei muss Russland das Gefühl gegeben werden, dass es sich um eine realistische Initiative handelt, in der mit der russischen Führung über Sicherheitsfragen in Europa auf Augenhöhe gesprochen wird. Russland muss das Gefühl bekommen, dass hier tatsächlich eine relevante Institution geschaffen wird und dass es mit Nichtteilnahme etwas verliert. Wenn die EU nicht für ihre Normen einsteht, wird Russland seine eigenen setzen. Kollektive Sicherheit im Rahmen internationaler Normen und Standards und damit die Verrechtlichung der Beziehungen mit Russland müssen das Ziel der EU bleiben. Indem die EU Russland als Hauptsicherheitsgaranten im post-sowjetischen Raum und führenden Akteur bei der Stabilisierung und Lösung regionaler Konflikte anerkannt hat, hat sie Russland Instrumente in die Hand gegeben, um die Region zu kontrollieren. Dieses Muster muss durchbrochen werden, indem sich die EU stärker in der gesamten Region engagiert und die Sicherheitsherausforderungen post-sowjetischer Staaten stärker berücksichtig werden. Die NATO gibt nur ihren Mitgliedern Sicherheitsgarantien und ist damit eine exklusive Organisation. Eine Erweiterung der NATO um post-sowjetische Staaten wird die Konfrontation mit Russland wachsen lassen. Zurzeit bedarf es deshalb eines Instruments kollektiver Sicherheit in Europa, das Russland und die postsowjetischen Staaten einschließt und gleichzeitig in den Konflikten in der Nachbarschaft auch als sicherheitspolitische Organisation aktiv ist.

Lesetipps:

Fussnoten

Dr. Stefan Meister ist Senior Policy Fellow im Berliner Büro des European Council on Foreign Relations. Er arbeitet zu russischer Außen- und Sicherheitspolitik und den Staaten der Östlichen Partnerschaft.