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China - Tibet | Kriege und Konflikte | bpb.de

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China - Tibet

Kristin Shi-Kupfer

/ 8 Minuten zu lesen

Die chinesische Regierung hat auch in der Autonomen Region Tibet (TAR) das Überwachungssystem mithilfe von digitalen Datenbanken und engmaschiger sozialer Kontrolle weiter ausgebaut. Im Namen der Armutsbekämpfung hat Peking ein straff organisiertes "Berufsausbildungs- und Arbeitstransferprogramm" mit festen Quoten initiiert.

Exil-Tibeter/-innen bei einem Protest in Dharmsala (Indien) in Erinnerung an den Aufstand der Tibeter von 1959 in Lhasa. (© picture-alliance/AP, Ashwini Bhatia)

Aktuelle Situation

Die chinesische Regierung hat die 2019 aufgelegten "Berufsausbildungs- und Arbeitstransferprogramme" in der Autonomen Region Tibet (TAR) als zentralen Erfolg ihrer Armutsbekämpfungsstrategie gefeiert. Rund 610.000 auf dem Land lebende Tibeter seien 2020 in andere Beschäftigungsverhältnisse überführt worden. Damit habe man die Quote zu 101,7 % erfüllt. Das Einkommen der ländlichen Bevölkerung sei mit 12,7 % zum sechsten Mal in Folge im Vergleich zu anderen Regionen in China am schnellsten gewachsen.

Im Rahmen der gegen die tibetische Kultur und Sprache gerichteten Assimilationspolitik der chinesischen Behörden erhalten Viehhirten und Bauern, die weitgehend noch als Selbstversorger wirtschaften, eine mehrmonatige Berufsausbildung und werden danach in der Regel in Niedriglohnjobs in Tibet oder anderswo in China beschäftigt. Dokumente von nationalen und lokalen chinesischen Behörden belegen den politisch-ideologischen Charakter der Programme. Sie sollen den "negativen Einfluss der Religion" mindern und mit militärischem Drill "rückständige und passive Gedanken in Bezug auf Arbeit" vertreiben.

Die exiltibetische Regierung und ausländische Wissenschaftler sehen starke Parallelen zum Vorgehen der chinesischen Behörden in anderen Regionen der Volksrepublik, wie insbesondere in der Interner Link: autonomen Region Xinjiang. Peking weist Fragen nach dem Zwangscharakter der Programme als haltlos zurück.

Die chinesische Führung hat unter Berufung auf das Cybersicherheitsgesetz wiederholt tibetische Aktivisten wegen Verbreitung von Informationen, welche die "nationale Einheit gefährden", festgesetzt. Im August 2020 ist eine 36-jährige Nomadin nach Folter in einem Gefängnis gestorben. Sie hatte sich mit ihrem Cousin für den Erhalt und die Verbreitung der tibetischen Sprache eingesetzt. Die chinesische Regierung hatte im Sommer 2018 sowohl den Besuch von Schulkindern in Klöstern als auch Sprachkurse in geistlichen Stätten verboten.

Die USA haben ihre Unterstützung für Tibet ausgebaut: Ende Dezember 2020 hat der US-Kongress den Tibet Policy and Support Act verabschiedet. Darin ist z.B. festgelegt, dass Entscheidungen über die Nachfolge von tibetischen buddhistischen Führungspersonen die alleinige Angelegenheit der Tibeter sind. Chinesische Politiker, die sich in diesen Prozess einmischen, können mit Sanktionen im Rahmen des Global Magnitsky Act belegt werden. Im November 2020 wurde erstmals ein amtierender Chef der tibetischen Exilregierung im US State Department (Außenministerium) empfangen.

Ursachen und Hintergründe

Die Unruhen von 2008 hatten eine neue Phase des Konflikts eingeleitet. Am 12. März hatten chinesische Sicherheitskräfte friedliche Proteste von Mönchen aus Klöstern um Lhasa anlässlich des Jahrestags des tibetischen Aufstands vom 10. März 1959 gewaltsam aufgelöst. Daraufhin randalierten am 14. März Tibeter gegen Läden von Han-Chinesen in der Innenstadt von Lhasa. Laut dem Tibeter Zentrum für Menschenrecht und Demokratie (TCHRD) kamen bei den Ereignissen mindestens 101 Tibeter, nach Angaben Pekings 18 Zivilisten und 1 Polizist ums Leben. Nach der auf die Krawalle folgenden Repression weiteten sich die tibetischen Proteste auf die Nachbarprovinzen aus. Die chinesische Zentralregierung verurteilte mindestens sieben Menschen zum Tode und Dutzende zu lebenslangen Haftstrafen. Überwachungen sowie sogenannte patriotische Erziehungskampagnen, insbesondere an Klöstern und Schulen, haben sich seitdem massiv verschärft.

Die Welle von Selbstverbrennungsprotesten (2011-2013), zunächst von Geistlichen in einzelnen Klosterregionen (Gansu/Qinghai), später auch von Laien (insbesondere Schüler und Lehrer) in allen tibetischen Siedlungsgebieten, hat sich seit Anfang 2014 infolge der massiven Repression gegen Angehörige und ganze Dörfer abgeschwächt. Rigorose Überwachung und politische Disziplinierungskampagnen, insbesondere gegen Klöster, halten bis heute an. Laut Berichten verschiedener Menschenrechtsorganisationen haben Folter und Todesfälle in Haft massiv zugenommen.

Ethno-politische Auseinandersetzungen bilden den Kern des Tibet-Konflikts. Die Parteien vertreten unterschiedliche Vorstellungen in Bezug auf den Grad der Souveränität und des Einflusses der chinesischen Politik und Wirtschaft in den tibetischen Siedlungsräumen. Diese umfassen außer der autonomen Region am Himalaya auch Teile der Provinzen Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan. Zusammengenommen machen sie rund ein Viertel des chinesischen Territoriums aus. Der Dalai Lama, das geistige Oberhaupt der Tibeter, spricht sich im Rahmen eines "mittleren Weges" gegen die Unabhängigkeit, aber für eine weitreichende Autonomie eines einheitlichen Verwaltungsraums aller historischen tibetischen Siedlungsgebiete aus. Die chinesische Regierung lehnt dies als "Eingriff in die territoriale Integrität" ab und will lediglich die Teilautonomie für die TAR beibehalten.

Von chinesischer Seite wird eine vollständige politische Autonomie ausgeschlossen. Im "Gesetz für regionale Autonomie ethnischer Minoritäten" (1984, zuletzt überarbeitet 2005) wird eine Ethnie als kulturelle und soziale, nicht aber als politische Einheit definiert. Selbstverwaltung könne deshalb nur im Rahmen des zentralistischen Systems und unter Führung der Kommunistischen Partei eingeräumt werden. Peking schreibt u.a. vor, dass in allen Schulen in der autonomen Region sämtliche Unterrichtsfächer – außer Tibetisch und Englisch – in Chinesisch unterrichtet werden.

Auf der 6. Arbeitskonferenz zu Tibet im Juli 2015 hatte Peking ein neues Entwicklungspaket mit dem Fokus auf den Ausbau der Infrastruktur und der öffentlichen Dienstleistungen sowie Umweltschutz für Tibet beschlossen. Der im August 2016 eingesetzte Parteisekretär und der seit Januar 2017 im Amt befindliche Gouverneur Qi Zhala haben zu Beginn des Jahres 2017 die Sicherheitskontrollen, vor allen an den Grenzen Tibets, verschärft. Auf der 7. Arbeitskonferenz im August 2020 hat Staats- und Parteichef Xi Jinping vor allem ein verstärktes Vorgehen gegen "Separatismus" und eine aktive Einbindung des tibetischen Buddhismus in einen "chinesischen Kontext" angekündigt.

Die Zerstörung und Umwandlung der bedeutenden Klöster- und Studienzentren Lagrung Gar und Yachen Gar in der westlichen Provinz Sichuan sind ein Zeichen der zunehmenden Kontrolle Pekings über die Ausbildung und Verbreitung des tibetischen Buddhismus. Die Maßnahmen um das Studienzentrum reihen sich zudem ein in den von chinesischen Behörden vorangetriebenen Ausbau der Infrastruktur und der touristischen Erschließung des Hochlands. Immer wieder aufflammende Proteste werden als Sabotageakte "krimineller Banden" strafrechtlich verfolgt.

Teil des verschärften Sicherheitsüberwachung sind neben einem Ausbau von digitaler Technologie auch die Einrichtung von kleineren, insbesondere über die Hauptstadt Lhasa verteilten Polizeistationen, für die aktiv neue Beamte angeworben werden. Ein weiteres wichtiges Element ist das sogenannte "Grid-System" (Rastersystem), bei dem 10 bis 15 Familien die kleinste soziale Kontrolleinheit bilden. Die Mitglieder müssen sich gegenseitig überwachen und übereinander Berichte schreiben.

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Ungleiche Entwicklung in China. Interner Link: Hier finden Sie die Karte als hochauflösende PDF-Datei (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Die seit 2002 stattfindenden Gesprächsrunden zwischen Vertretern des Dalai Lama und der Einheitsfrontabteilung der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) sind ergebnislos geblieben und liegen nach wie vor auf Eis. Das neunte und bislang letzte Treffen fand 2010 statt. Direkte Gespräche mit der tibetischen Exilregierung lehnt Peking ab und bezeichnet diese als eine "spalterische Clique, die das Vaterland verraten hat".

Der Dalai Lama, der im März 2011 seinen Rückzug aus dem politischen Leben verkündet hatte, erklärte erstmals im Herbst 2014 in einem Interview, dass er möglicherweise der letzte Amtsinhaber sein werde. Bereits früher hatte er gesagte, dass der nächste Dalai Lama auch auf andere Weise als durch Wiedergeburt bestimmt werden könne. Peking hatte auf der Basis bestehender Gesetze daraufhin bekräftigt, dass allein ein von Peking eingesetzter Dalai Lama rechtmäßig sei.

Auch aus Sorge über den wachsenden Einfluss radikaler exiltibetischer Kräfte will Peking die Entwicklung einer neuen, charismatischen Führungsfigur, wie die des 14. Dalai Lama, unbedingt verhindern. Im Rahmen eines im August 2007 von Peking verabschiedeten Gesetzes wurde die Anerkennung der Reinkarnation des nächsten Dalai Lama an zwei Bedingungen geknüpft: Sie muss innerhalb der Volksrepublik stattfinden und durch das nationale Religionsbüro anerkannt werden.

Nach dem Antritt der neuen Führung um Parteichef Xi Jinping im Oktober 2012 hat der Dalai Lama in Interviews mehrmals dessen "realitätsnahe Denkweise" und zupackende Art gelobt. 2014 berichteten ausländische Medien über eine Annäherung und eine mögliche Pilgerreise des geistigen Oberhaupts der Tibeter nach China. Peking hat durch seine anhaltende Diskreditierung des Dalai Lama und die Kritik seines "mittleren Weges" im jüngsten Weißbuch zu Tibet von April 2015 jedoch jeder Art von Annäherung und Austausch eine Absage erteilt.

In der Exilgemeinschaft finden sich auch andere Stimmen, die für einen radikaleren Kurs plädieren. U.a. setzt sich der 1970 gegründete tibetische Jugendkongress mit nach eigenen Angaben weltweit 35.000 Mitgliedern für die "Befreiung Tibets von der chinesischen Herrschaft" und politische Unabhängigkeit ein. Viele Tibeter empfinden die Gängelung der Klöster und die Entweihung von heiligen Bergen durch den Bau von Minen als Provokation. Die städtische Jugend begrüßt aber auch die von China vorangetriebene Modernisierung mit neuen Arbeitsmöglichkeiten und Lebensentwürfen. Zugleich fühlt sie sich benachteiligt, vor allem aufgrund des ungleichen Zugangs zu Ressourcen (z.B. Bildung und Kapital) sowie der Privilegierung von Han-Chinesen auf dem Arbeitsmarkt.

Seit 2012 hat sich der in Indien ansässige Karmapa Lama, Oberhaupt der ältesten Reinkarnationslinie und Schule des tibetischen Buddhismus, mehrfach unterstützend für den Dalai Lama geäußert: Er erklärt, dass er in puncto Nachfolge des Dalai Lama vollstes Vertrauen in den jetzigen Dalai Lama habe. Ogyen Trinley Dorje war damals zunächst von Peking zum Karmapa Lama ernannt und später vom Dalai Lama verstätigt worden. Manche Beobachter sehen in dem internetaffinen Ogyen Trinley Dorje einen möglichen Brückenbauer nach Peking, andere verdächtigen ihn, ein gekaufter Spion zu sein.

Geschichte des Konflikts

Der heutige Konflikt hat direkt mit der Gründung der Volksrepublik China 1949 begonnen und der kurz darauffolgenden Ankündigung Mao Zedongs, auch Tibet zu "befreien". 1950/51 drang die Volksbefreiungsarmee bis nach Lhasa vor. Im Mai 1951 unterzeichneten Repräsentanten der tibetischen und chinesischen Regierung das "17-Punkte-Abkommen zur friedlichen Befreiung Tibets", das die Souveränität Chinas über die tibetischen Gebiete, die Stationierung von Truppen bei gleichzeitiger Anerkennung einer regionalen politischen Autonomie und der Klerusherrschaft festschreibt. Der Dalai Lama hatte das Dokument per Telegramm anerkannt. Später bezeichnete er, wie auch andere Teile der exiltibetischen Gemeinde, die Unterzeichnung als "mit Waffengewalt erzwungen".

Wachsende Unzufriedenheit der Tibeter angesichts zunehmender sozialer und politischer Kontrolle Pekings führte schließlich zu einer offenen Revolte. Bei dem größten Aufstand am 10. März 1959 in Lhasa kamen vermutlich Tausende ums Leben. Der Dalai Lama, ein großer Teil seiner Administration sowie rund 80.000 Tibeter flohen nach Indien. 1965 gründete die chinesische Regierung in dem ehemaligen Einflussgebiet des Dalai Lama die Autonome Region Tibet.

Im Zuge der Reform- und Öffnungspolitik 1978/79 erlaubte Peking religiöse Aktivitäten im Rahmen politischer Kontrolle (u.a. erzwungene Verleugnung der Autorität des Dalai Lama durch Geistliche). 1995 bestimmten der Dalai Lama und Peking zwei unterschiedliche tibetische Kinder als Reinkarnation des Pantschen Lama, des zweithöchsten geistlichen Führers. Der Verbleib des vom Dalai Lama eingesetzten Mönches ist nicht bekannt. Menschenrechtsorganisationen beschuldigen Peking, ihn entführt und eingesperrt zu haben.

In der Auseinandersetzung um die Statusfrage Tibets interpretieren beide Seiten die Geschichte der Region unterschiedlich. Die tibetische Exilregierung in Dharamshala verweist auf die Unabhängigkeitserklärung des 13. Dalai Lama nach dem Fall der Qing-Dynastie 1911. Eine Anerkennung durch andere Staaten erfolgte damals nicht. Aufgrund der inneren Unruhen in China durch Kriege war Tibet von 1911 bis 1949 de facto unabhängig. China betont jedoch, dass die tibetischen Gebiete bereits während der Yuan-Dynastie (1279-1368) in das chinesische Staatsgebiet eingegliedert worden seien, und diese Zugehörigkeit sei nie durch eine andere politische Souveränität unterbrochen worden.

Weitere Inhalte

Kristin Shi-Kupfer ist Professorin für Gegenwartsbezogene Sinologie an der Universität Trier und Senior Associate Fellow der Berliner Denkfabrik MERICS. Dort hat sie von Oktober 2013 bis Oktober 2020 den Forschungsbereich Politik, Gesellschaft und Medien geleitet. Shi-Kupfer hat von 2007 bis 2011 als Korrespondentin für verschiedene deutschsprachige Medien aus China berichtet. Sie war u.a. im März 2008 in Lhasa, Tibet und 2009 bei den Unruhen in Urumuqi, Xinjiang als Berichterstatterin vor Ort.