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Europa und das deutsch-israelische Verhältnis

Martin Kloke

/ 6 Minuten zu lesen

Wirtschaftlich sind die Beziehungen zur der Europäischen Union sehr eng, Israel ist durch ein Assoziierungsabkommen mit der EU verbunden. Politisch allerdings ist das Verhältnis angespannt, Streitpunkte sind u.a. die israelische Besatzungs- und Siedlungspolitik.

Unterzeichnung des "Horizon-2020-Assoziierungsabkommens" im Juni 2014. Israel nimmt als einziges nichteuropäisches Land an diesem EU-Forschungsprogramm teil. (© TSAFRIR ABAYOV / AFP / Getty Images)

Über viele Jahre waren die Beziehungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft (EG) und Israel vornehmlich wirtschaftlicher Natur: In den Freihandelsabkommen von 1964, 1970 und 1975 erwarb Israel für seine Ausfuhren schrittweise Zollsenkungen, vor allem für landwirtschaftliche Produkte. Die letzten Zollschranken fielen 1989 – seither gewähren sich Israel und die Europäische Union (EU) gegenseitig freien Zugang zu ihren Märkten sowie diverse Vorzugsbedingungen im Warenaustausch. Vergleichbare Abkommen schloss die EU auch mit anderen (arabischen) Mittelmeeranrainerstaaten.

Seit Juni 2000 ist Israel über ein Assoziierungsabkommen enger denn je mit der EU verbunden. Mit einem Handelsvolumen von mehr als 30 Milliarden Euro ist sie Israels wichtigste Handelspartnerin. 2013 flossen 31,9 Prozent aller israelischen Warenexporte in die EU. Israel importiert jährlich Waren für mehr als 17 Milliarden Euro aus der EU und exportiert Güter für jährlich knapp 13 Milliarden Euro.

Was sich in den Wirtschaftsbeziehungen als Erfolg ausnimmt, trifft auf das politische Verhältnis der EU zu Israel weniger zu: Israel war bis Ende der 1980er-Jahre nicht daran interessiert, die Beziehungen zur EU zu "politisieren". Angesichts historischer Bindungen und Beziehungen einflussreicher EU-Staaten wie Frankreich und Großbritannien zur arabischen Welt befürchtete der jüdische Staat im Nahostkonflikt eine europäische Parteinahme zu seinen Lasten. Insofern konnte den Israelis die politische Uneinigkeit der Europäer nur willkommen sein. Dennoch haben die europäischen Regierungen ihr Ziel nicht aus den Augen verloren, auch im Nahen Osten eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu entwickeln – seit 1993 werden die deutsch-israelischen Beziehungen in Verbindung mit dem Vertrag von Maastricht von Elementen einer europäisch-mediterranen Kooperation ergänzt.

Europäische Nahostpolitik


Aufgeschreckt vom palästinensischen Terrorismus und von arabischen Ölboykott-Drohungen haben die EG-Staaten seit Anfang der 1970er-Jahre immer wieder nach diplomatischen Formeln gesucht, um zu einer Lösung des in ihrer Nachbarschaft schwelenden Nahostkonflikts beizutragen. Die Erfolge europäischer Gipfel-Diplomatie waren bescheiden, sie bewirkten regelmäßig diplomatische Auseinandersetzungen mit Israel. Zunächst inoffiziell (1971), dann auch offiziell (1973) verfasste die EG im Rahmen der "Europäischen Politischen Zusammenarbeit" ihre erste gemeinsame Nahosterklärung: Dort setzten sich die Mitgliedstaaten für die "legitimen Rechte der Palästinenser" ein, ohne Israels Existenzrecht ausdrücklich zu erwähnen. Israels Regierung und Öffentlichkeit zeigten sich enttäuscht, dass auch die Bundesregierung das Papier mitunterzeichnet hatte. Diese ließ verlauten, sie habe aus gesamteuropäischer Verantwortung, insbesondere Frankreich gegenüber, Zugeständnisse machen müssen. Willy Brandt betonte am 9. November 1973 im Bundestag: "In Brüssel ist [...] kein Schlussstein gesetzt worden, sondern dort ist ein Weg gesucht worden."

Im Juni 1980 verabschiedete der Europäische Rat auf seinem Gipfeltreffen in Venedig eine Erklärung, in der neben der Forderung nach dem Ende der Besatzung palästinensischer Gebiete erstmals das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung und die PLO als offizielle Vertretung der Palästinenser anerkannt wurden. In Israel wurde die Aufwertung der PLO scharf kritisiert. Demonstrativ erklärte das israelische Parlament ganz Jerusalem zur "ewigen und unteilbaren Hauptstadt" Israels.

Im Zuge des Osloer Friedensprozesses konnte die EU ihr politisches Gewicht im Nahen Osten ausbauen: Es flossen mit breiter deutscher Unterstützung finanzielle Direkthilfen und vielfältige Fördermaßnahmen in die Region – nicht zuletzt in die palästinensischen Autonomiegebiete. Seit 1996 darf Israel auf europäischer Ebene an nicht-nuklearen Wissenschaftsprogrammen teilhaben. Außerdem rückte die EU zur größten Geldgeberin im Nahen Osten auf – und wurde 2002 auch als politische Akteurin ernst genommen, als sie im "Nahostquartett" neben den USA, Russland und der UNO als gleichwertige Partnerin auftreten konnte.

Teile der israelischen Öffentlichkeit können inzwischen der EU auch positive Seiten abgewinnen. Nicht wenige Israelis nehmen ihr Land ohnehin als einen Brückenkopf Europas im Orient wahr. Aufgrund historisch-politischer, kultureller und wirtschaftlicher Verflechtungen gibt es seit einer Initiative des damaligen Außenministers Benjamin Netanjahu 2002 selbst in politisch konservativen Kreisen Stimmen, die einen Beitritt Israels zur EU wünschen.

Doch vor einer Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts dürfte es zu keinen ernsthaften Beitrittsverhandlungen kommen. Gleichwohl haben Israel und die EU im Dezember 2004 einen Vertrag unterzeichnet, der Israel in Projekte der EU einbindet, von denen es bisher ausgeschlossen war. Mit der Eingliederung des Landes in den europäischen Binnenmarkt (einschließlich eines freien Reiseverkehrs) wird Israel künftig auch ohne eine förmliche EU-Mitgliedschaft über den Status einer "privilegierten Partnerschaft" verfügen. 2010 wurde Israel in die "Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung" (OECD) aufgenommen; ihre 34 überwiegend europäischen Mitgliedstaaten fühlen sich demokratischen und marktwirtschaftlichen Vorstellungen verpflichtet. 2011 erlangte Israel als erstes nichteuropäisches Land die Mitgliedschaft in der "Europäischen Organisation für Nuklearforschung" (CERN). Auch geografisch nähern sich die EU und Israel einander an: Der jüdische Staat ist infolge des EU-Beitritts Zyperns nur noch 250 Kilometer von den Außengrenzen Europas entfernt.

Europa und Israel: im Kreuzfeuer der Kritik


Für Spannungen und Rückschläge in den Beziehungen sorgt regelmäßig der israelisch-palästinensische Konflikt: Zwischen 1994 und 2013 stellte die EU den Palästinensern 5,6 Milliarden Euro Hilfsgelder zur Verfügung und ist damit die größte internationale Geldgeberin der palästinensischen Autonomiebehörde. Aktuell unterstützt die EU die Autonomiebehörde jährlich mit mehr als 400 Millionen Euro; 2013 waren davon 168 Millionen Euro direkte Budgethilfe. Seitdem Indizien aufgetaucht sind, dass ein Teil der EU-Fördergelder versickert oder zweckentfremdet wird, zum Beispiel zur Finanzierung von TV-Hass-Sendern, nehmen der EU-Haushaltsausschuss und der Europäische Rechnungshof die Verwendung von Fördermitteln genauer in den Blick. Auch der von der Hamas kontrollierte Gazastreifen wird von der EU mit finanziellen Mitteln bedacht. Während des Raketenkrieges 2014 wurde bekannt, dass mit Hilfsgeldern, die eigentlich dem Bau von Schulen, Kindergärten und anderen zivilen Einrichtungen zu Gute kommen sollten, auch ein weitverzweigtes Tunnelsystem einschließlich eines ehrgeizigen Raketenprogramms finanziert worden ist.

Wiederkehrende Unruhen, Terroranschläge und militärische Operationen lösen europaweit immer wieder israelkritische Reaktionen aus. Viele befürchten, Israels Besatzungs- und Siedlungspolitik verletze jene menschenrechtlichen Standards, zu deren Einhaltung Israel als einziger demokratischer Staat im Nahen Osten verpflichtet sei. Mancherorts fühlen sich europäische und deutsche Politiker genötigt, ihre frühere "Zurückhaltung" gegenüber Israel aufzugeben. Das Europäische Parlament drohte im Frühjahr 2004 damit, das Assoziierungsabkommen mit Israel aufzukündigen, wenn das Land mit der gezielten Tötung palästinensischer Terroristen fortfahre. Zudem unterstützten die EU-Staaten noch im selben Jahr eine Resolution der UNO-Vollversammlung mit der Forderung an Israel, die im Bau befindlichen Sperranlagen abzureißen, die teilweise auf palästinensischem Gebiet verlaufen. Allerdings räumte der EU-Sonderbeauftragte für den Nahost-Friedensprozess Marc Otte (2003–2011) später ein, dass die Sperranlage palästinensische Extremisten davon abhalte, Selbstmordanschläge in Israel zu verüben.

Nach wie vor sorgt eine 2005 geschlossene Vereinbarung zwischen der EU und Israel für Spannungen, wonach Produkte, die aus jüdischen Siedlungen in den 1967 besetzten palästinensischen Gebieten stammen, verzollt werden sollen. Kritiker sehen in der seit 2013 offensiv vorgetragenen Forderung nach einer EU-weiten Kennzeichnung von Produkten aus Siedlungen eine vorbereitende Maßnahme zum Boykott dieser Produkte; die Forderung nach "informierten Kaufentscheidungen" wecke nicht nur ungute historische Assoziationen, sondern hintertreibe Ansätze israelischer Konzessionsbereitschaft gegenüber den Palästinensern. Einige Beobachter fragen sich, warum die EU nicht auch eine Kennzeichnungspflicht für indische Erzeugnisse aus dem Kaschmir oder für chinesische Produkte aus Tibet einführt.

Gemäß einer EU-Richtlinie für Förderprogramme vom 19. Juli 2013 enthalten alle Abkommen zwischen Israel und der EU seit 2014 einen Passus, wonach jüdische Siedlungen in den besetzten Gebieten von der Förderung durch gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsprogramme ausgenommen sind. Israel hat diese Richtlinie inzwischen de facto akzeptiert und kann im Gegenzug als einziges nichteuropäisches Land am Forschungsprogramm "Horizon 2020" teilnehmen.

Seit einigen Jahren häufen sich europaweit gewaltsame Übergriffe gegen Juden und jüdische Einrichtungen – vor allem in Frankreich, Ungarn und Schweden. Befragungen belegen einen wachsenden Antisemitismus unter muslimischen Einwanderern, rechtsgerichteten "Protestwählern" und linken Globalisierungskritikern, aber auch in Teilen der sogenannten gesellschaftlichen Mitte. Einer Umfrage der EU-Kommission von 2010 zufolge sehen 59 Prozent aller Europäer und 65 Prozent der Deutschen in Israel "eine Gefahr für den Weltfrieden". Während des Raketen- und Tunnelkrieges zwischen der Hamas und Israel wurden im Sommer 2014 auch in deutschen Städten antisemitische Parolen skandiert sowie Menschen und Synagogen attackiert. Zwar ist nicht jede einseitige und überzogene "Israelkritik" antisemitisch, doch zeigen die Ergebnisse der empirischen Sozialforschung, dass es einen Zusammenhang zwischen negativer Grundeinstellung gegenüber Israel und antisemitischem Ressentiments gibt.

Dr. Martin Kloke ist verantwortlicher Redakteur für die Fächer Ethik, Philosophie und Religion bei den Cornelsen Schulverlagen in Berlin. Daneben befasst er sich seit vielen Jahren mit der deutsch-israelischen sowie christlich-jüdischen Beziehungsgeschichte und hat dazu zahlreiche Beiträge verfasst.