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UNO – Stärken und Schwächen einer Weltorganisation | bpb.de

UNO – Stärken und Schwächen einer Weltorganisation

Sven Bernhard Gareis

/ 15 Minuten zu lesen

Die UNO, entstanden aus dem Wunsch nach Friedenswahrung, ist die einzige Organisation, deren Grundsätze und Ziele universell anerkannt werden. Neben praktisch allen Staaten der Welt bietet sie auch der internationalen Zivilgesellschaft ein Forum für Zusammenarbeit und Austausch. Doch ihre Gestaltungsmacht wird durch staatliche Eigeninteressen und Souveränitätsansprüche beschränkt.

Seit 2004 ist die UN mit Truppen in Haiti präsent. Die Stabilisierungsmission (MINU-STAH) soll Sicherheit und Stabilität gewährleisten und den Aufbau einer neuen, demokratisch gewählten Regierung überwachen. Hier Blauhelmsoldaten aus Uruguay. (© picture alliance / blickwinkel / Blinkcatcher)

Angesichts der zunehmend globalen Folgen von Konflikten, Wirtschaftskrisen, Unterentwicklung und Umweltzerstörung bleibt die UNO eine unverzichtbare Weltorganisation, deren Möglichkeiten indes von ihren Mitgliedstaaten nur unzureichend ausgeschöpft werden.

Von der Ukraine-Krise und deren Auswirkungen auf das Zusammenleben von Staaten und Völkern, den Bürgerkriegen in Syrien und Libyen, der Ausbreitung des sogenannten Islamischen Staates, der Zerstörung von Staaten durch terroristische Gruppierungen in Somalia, Nigeria oder Mali über die gravierende Unterentwicklung in vielen Ländern Afrikas und Asiens bis hin zur Ausbreitung von Infektionskrankheiten wie Vogelgrippe, AIDS oder Ebola: Schon ein oberflächlicher Blick auf die sicherheitspolitische Weltkarte des Jahres 2015 zeigt, dass Risiken und Bedrohungen in der globalisierten Welt nicht mehr vor Staatsgrenzen haltmachen und dass es zu ihrer Bewältigung intensiver internationaler Zusammenarbeit bedarf. Das wichtigste globale Forum hierzu bilden die Vereinten Nationen (United Nations Organization – UNO, UN) – eine Organisation mit vielen Möglichkeiten, aber auch eine, an der sich die Geister scheiden.

In der UNO haben sich derzeit 193 Staaten zusammengeschlossen, um den Weltfrieden zu bewahren und humane Lebensbedingungen für eine Weltbevölkerung von mehr als 7,5 Milliarden Menschen zu gewährleisten. Auch wenn ihr Kosovo und Palästina bis auf Weiteres nicht angehören und der Vatikan auch künftig seine traditionelle Rolle als "aktives Nichtmitglied" spielen wird, kann die UNO als die einzige Organisation bezeichnet werden, welche die universelle Gültigkeit ihrer Grundsätze und Ziele beanspruchen kann. Ihre oft auch als "Weltverfassung" bezeichnete Charta bildet seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Grundlage einer neuen Völkerrechtsordnung, die nicht nur Krieg und Gewalt aus den internationalen Beziehungen verbannen soll. Vielmehr wurden der Organisation in den nunmehr sieben Jahrzehnten ihres Bestehens zahlreiche weitere Zuständigkeiten und Funktionen von der Wahrung der Menschenrechte über die soziale und ökonomische Entwicklung bis hin zum Schutz von Umwelt und Klima übertragen. Längst stehen dabei auch nicht mehr nur die Staaten, sondern zunehmend das Individuum und die "menschliche Sicherheit" im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Verfechter der UNO plädieren vor diesem Hintergrund für eine weitere Stärkung ihrer Rolle in der internationalen Politik.

Zugleich ist die UNO aber auch und vor allem eine Gemeinschaft von Staaten, die auf ihre Souveränitätsrechte großen Wert legen und allzu großen Eingriffen in ihre inneren Angelegenheiten ablehnend gegenüberstehen. So waren und sind sie nicht bereit, der UNO eigene Instrumente und Machtmittel an die Hand zu geben. Alle Entscheidungen und damit alle Handlungsmöglichkeiten der Organisation liegen fast vollständig in den Händen der Mitgliedstaaten, insbesondere der großen Mächte. Deren Eigeninteressen kollidieren immer wieder mit den kollektiven Normen und Mechanismen der UNO. Die auf Konsens- bzw. Kompromisssuche zwischen (formal) gleichberechtigten Staaten ausgerichtete politische Praxis der Vereinten Nationen gestaltet sich somit oft schwierig und langsam. Kritische Stimmen werfen der Organisation daher mitunter Hilflosigkeit und Versagen angesichts der Weltprobleme vor.

Unbestritten dürfte indes sein, dass die UNO mit all ihren Stärken und Schwächen eine in vielerlei Hinsicht einzigartige Einrichtung mit erheblicher Bedeutung für die Ausgestaltung der internationalen Beziehungen darstellt. Sie gibt Normen und Werte vor, an denen sich das Handeln der einzelnen Staaten ausrichten soll.

Grundstruktur der Vereinten Nationen


Das Herzstück der Vereinten Nationen bilden ihre sechs Hauptorgane, deren Zusammensetzung, Zuständigkeiten und Befugnisse untereinander und gegenüber den Mitgliedstaaten in der Charta verankert sind: Der Generalversammlung gehören alle 193 Mitglieder auf der Grundlage des Prinzips "Ein Staat – eine Stimme" an. Beschlüsse der Generalversammlung, die über die Binnenstruktur der Organisation hinausweisen, entfalten jedoch keine Bindungswirkungen für die Staatenwelt.

Dies ist anders beim Sicherheitsrat, dem mächtigsten der Hauptorgane. Die fünf ständigen (China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA) und zehn nicht ständigen Mitglieder können zur Sicherung des Friedens sehr weitreichende und vor allem rechtlich bindende Entscheidungen treffen, die alle Staaten befolgen und umsetzen müssen. Zudem kommt den ständigen Mitgliedern aufgrund ihres Vetorechts eine besondere Vormachtstellung zu, die sie deutlich von den übrigen Mitgliedstaaten unterscheidet.

Der aus 54 Staaten bestehende Wirtschafts- und Sozialrat (für den sich auch im Deutschen die englische Abkürzung für Economic and Social Council, ECOSOC, eingebürgert hat) befasst sich im Auftrag der Generalversammlung mit Fragen der wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Entwicklung weltweit.

Der Internationale Gerichtshof (IGH) ist ein Staatengericht, das völkerrechtliche Streitfälle zwischen Ländern verhandeln und entscheiden kann. Allerdings müssen sich die Streitparteien mit der Befassung des IGH in ihrer Sache einverstanden erklären. Zugleich trägt der IGH mit seinen Rechtsgutachten maßgeblich zur Interpretation und Fortentwicklung des Völkerrechts bei.

Das Sekretariat, an dessen Spitze der Generalsekretär (seit 2007 der Südkoreaner Ban Ki-Moon) steht, ist vor allem ein Verwaltungsorgan. Es besitzt keine eigenen Entscheidungsbefugnisse, sondern wird im Auftrag vor allem von Generalversammlung und Sicherheitsrat tätig.

Ursprünglich für die Kontrolle der Ausübung der Treuhandschaft von Staaten über bestimmte Territorien zuständig, hat der Treuhandrat nach der Entlassung des letzten Treuhandgebiets in die Unabhängigkeit (Palau 1994) seine Arbeit am 1. November 1994 eingestellt. 2005 haben die Mitgliedstaaten seine Auflösung beschlossen.

Fünf Hauptorgane sind im Hauptquartier der UNO in New York angesiedelt, der IGH hat seinen Sitz in Den Haag. Das Sekretariat verfügt zudem über Außenstellen in Genf, Nairobi und Wien.

Die Charta gibt den Hauptorganen zusätzlich die Möglichkeit, eigene Neben- und Spezialorgane zu schaffen, wie sie dies etwa mit dem Kinderhilfswerk UNICEF, dem Entwicklungsprogramm UNDP, dem Umweltprogramm UNEP, dem Welternährungsprogramm WFP und zahlreichen weiteren Einrichtungen getan haben. Die UNO kann aber auch in Kooperationsbeziehungen mit anderen Organisationen oder Akteuren eintreten. Sie unterhält daher über den ECOSOC enge Verbindungen zu 15 Sonderorganisationen (z. B. zur Internationalen Arbeitsorganisation ILO, zur Weltgesundheitsorganisation WHO, zur Organisation für Industrielle Entwicklung UNIDO oder zum Weltpostverein UPU) sowie zu mehr als 3000 Nichtregierungsorganisationen.

Entstanden ist so ein komplexes System, das einerseits schwer zu koordinieren ist, das sich andererseits aber immer wieder flexibel an neue Aufgaben angepasst und ein einzigartiges Set universaler Kompetenzen entwickelt hat, mit denen es den Herausforderungen der globalisierten Welt entgegentreten kann.

Weltfrieden und Sicherheit


Die wichtigste Aufgabe der UNO ist die Wahrung von Frieden und internationaler Sicherheit. Auch wenn die Charta den Vorschriften zur Vermeidung zwischenstaatlicher Auseinandersetzungen besonderen Raum gibt, liegt ihr dennoch von Beginn an das Verständnis zu Grunde, dass Frieden mehr ist als die schiere Abwesenheit von Krieg. Vielmehr geht es darum, einen "positiven Frieden" zu schaffen, der auch grundlegende Menschenrechte gewährleistet oder einigermaßen gerechte soziale Bedingungen für alle Menschen schafft. Zunächst musste jedoch der Ost-West-Konflikt zu Ende gehen, bevor die UNO in ihren Friedensbemühungen über die klassische Staatensicherheit hinausgehen konnte und ein umfassenderes Konzept menschlicher Sicherheit mit dem Individuum im Mittelpunkt entwickeln konnte.

Kollektive Sicherheit


Gleichwohl bleibt die Verdrängung der Gewalt aus den internationalen Beziehungen eine entscheidende Voraussetzung für den Frieden. Hierzu haben die Vereinten Nationen ein kollektives Sicherheitssystem geschaffen, welches den Mitgliedstaaten die friedliche Lösung ihrer internationalen Konflikte auferlegt. Das Allgemeine Gewaltverbot des Artikels 2, Ziffer 4 entzieht den Staaten das Recht, zur Durchsetzung ihrer Interessen Gewalt anzuwenden oder diese auch nur anzudrohen. Wächter über dieses Gewaltverbot ist der UN-Sicherheitsrat, dem die Mitgliedstaaten die vorrangige Verantwortung für den Frieden und die internationale Sicherheit übertragen haben (Art. 24). Kommt er bei der Untersuchung einer Situation zu der Überzeugung, dass eine Friedensbedrohung, ein Bruch des Friedens oder eine Aggressionshandlung vorliegt, kann er nach Kapitel VII der Charta Zwangsmaßnahmen gegen den Friedensstörer verhängen. Diese können von Sanktionen, wie zum Beispiel Waffenembargos oder Handelsbeschränkungen, bis hin zur Autorisierung militärischer Gewalt reichen, wie dies im Irak 1990 oder in Libyen 2011 der Fall war. Ohne Erlaubnis des Sicherheitsrates dürfen Staaten militärische Gewalt nur zur Selbstverteidigung anwenden, wenn sie Opfer eines bewaffneten Angriffs geworden sind (Art. 51). Hierzu können sie – etwa im Rahmen von Bündnissen wie der NATO – auch andere Staaten um kollektiven Beistand bitten.

QuellentextKapitel VII der UN-Charta

Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen

Artikel 39
Der Sicherheitsrat stellt fest, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt; er gibt Empfehlungen ab oder beschließt, welche Maßnahmen auf Grund der Artikel 41 und 42 zu treffen sind, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen.

Artikel 40
Um einer Verschärfung der Lage vorzubeugen, kann der Sicherheitsrat, bevor er nach Artikel 39 Empfehlungen abgibt oder Maßnahmen beschließt, die beteiligten Parteien auffordern, den von ihm für notwendig oder erwünscht erachteten vorläufigen Maßnahmen Folge zu leisten. Diese vorläufigen Maßnahmen lassen die Rechte, die Ansprüche und die Stellung der beteiligten Parteien unberührt. Wird den vorläufigen Maßnahmen nicht Folge geleistet, so trägt der Sicherheitsrat diesem Versagen gebührend Rechnung.

Artikel 41
Der Sicherheitsrat kann beschließen, welche Maßnahmen – unter Ausschluss von Waffengewalt – zu ergreifen sind, um seinen Beschlüssen Wirksamkeit zu verleihen; er kann die Mitglieder der Vereinten Nationen auffordern, diese Maßnahmen durchzuführen. Sie können die vollständige oder teilweise Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen, des Eisenbahn-, See- und Luftverkehrs, der Post-, Telegraphen- und Funkverbindungen sowie sonstiger Verkehrsmöglichkeiten und den Abbruch der diplomatischen Beziehungen einschließen.

Artikel 42
Ist der Sicherheitsrat der Auffassung, dass die in Artikel 41 vorgesehenen Maßnahmen unzulänglich sein würden oder sich als unzulänglich erwiesen haben, so kann er mit Luft-, See- oder Landstreitkräften die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen durchführen. Sie können Demonstrationen, Blockaden und sonstige Einsätze der Luft-, See- oder Landstreitkräfte von Mitgliedern der Vereinten Nationen einschließen.

http://www.unric.org/de/charta#kapitel7

Auch wenn das kollektive Sicherheitssystem zahlreiche Fehlfunktionen aufweist (s. u.) und das Gewaltverbot immer wieder gebrochen wird, wie zum Beispiel durch die USA im Irak 2003 oder durch Russland in der Ukraine 2014, ist seine Grundidee, den Staaten die freie Verfügbarkeit über das Mittel des Krieges zu entziehen, zur weithin akzeptierten, fundamentalen Norm des modernen Völkerrechts geworden.

Komplexe Friedensmissionen


Das für die UN-Friedenssicherung so zentrale Kapitel VII der Charta sieht ein starkes Engagement der Mitgliedstaaten vor, die den Vereinten Nationen auf der Grundlage von Sonderabkommen Streitkräfte zur Verfügung stellen sollen (Art. 43). Hierzu kam es allerdings nie, weil die Staaten die Verfügungsgewalt über ihre Truppen nicht aus der Hand geben wollen. Die UNO musste daher alternative Formen der Friedenssicherung entwickeln, die einerseits den Anforderungen eines sich wandelnden Kriegs- und Konfliktgeschehens entsprachen und andererseits nicht den Interessen bzw. den Souveränitätsansprüchen der Mitgliedstaaten zuwiderliefen. Mit den bereits in den 1940er-Jahren eingesetzten Beobachtungsmissionen, um die Waffenstillstände in Palästina (UNTSO) oder im Kaschmirtal zwischen Indien und Pakistan (UNMOGIP) zu überwachen, sowie den ab Mitte der 1950er-Jahre eingesetzten Friedenstruppen – die nach der Farbe ihrer Kopfbedeckung als "Blauhelme" bezeichnet werden – entstand eine eigene Form der UN-Friedenssicherung. In den mehr als 60 Jahren seines Einsatzes hat dieses auch im Deutschen so genannte peacekeeping eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher Instrumente und Operationstypen herausgebildet.

In ihrer klassischen Form bestehen UN-Missionen aus unbewaffneten Militärbeobachtern oder leichtbewaffneten Truppenverbänden, die unter Wahrung strikter Neutralität eingesetzt werden, um die Einhaltung eines Waffenstillstands bzw. Friedensvertrags zu überwachen. Zwischen 1948 und 1988 führten die Vereinten Nationen 13 solcher Friedensmissionen durch, vor allem in Afrika (zum Beispiel im Kongo), Asien (zum Beispiel im Kaschmirtal) und dem Nahen Osten (Palästina/Sinai), aber auch in Europa (Zypern). Sie trugen damit maßgeblich zur Kontrolle der Konflikte bei – allerdings oft um den Preis oft jahrzehntelanger Einsatzdauer.

Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts stieg die Zahl der UN-Friedensmissionen sprunghaft an, allein zwischen 1988 und 1992 wurden mehr Operationen begonnen als in den ersten 45 Jahren seit Gründung der UNO. Diese rapide Steigerung ist einerseits durch die größere Handlungsfähigkeit des Sicherheitsrates nach dem Wegfall der Blockkonfrontation zu erklären, zum anderen aber auch dadurch, dass sich die Weltorganisation zunehmend auch der Bewältigung einer großen Zahl innerstaatlicher Konflikte zuwandte. Die Gesamtzahl der Missionen beläuft sich seither auf insgesamt 69, im Mai 2015 sind in 16 UN-geführten Friedensoperationen mehr als 125.000 militärische und zivile Friedensschützer im Einsatz.

Übersicht über die laufenden UN-Friedensoperationen (© Externer Link: http://www.un.org/en/peacekeeping/archive/2014/bnote1114.pdf)


Vor allem aber veränderte sich die Qualität der Einsätze. Die frühen Missionen waren überwiegend als Puffer zwischen den regulären Armeen von Staaten eingesetzt. Doch seit mehr als zwei Jahrzehnten müssen die Blauhelme vor allem die Folgen von innerstaatlichen Auseinandersetzungen wie Bürgerkriegen, Vertreibungen und großflächigen Menschenrechtsverletzungen bis hin zum Völkermord bewältigen. Die Intensität dieser innerstaatlichen Konflikte und der Grad der Zerstörung staatlicher, sozialer und wirtschaftlicher Strukturen in den betroffenen Ländern verlangte militärisch robustere Mandate, auf deren Grundlage die Blauhelme gegebenenfalls auch mit Waffengewalt gegen Friedensstörer vorgehen dürfen. Zudem mussten die Friedensmissionen auch um zivile, polizeiliche oder administrative Funktionen erweitert werden. Bei dieser Friedenskonsolidierung (post-conflict peacebuilding) geht es um nicht weniger als den Wiederaufbau ganzer Staaten und Gemeinwesen – in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Ost-Timor oder in Sierra Leone zeigt sich, wie schwierig sich diese Aufgaben auch nach vielen Jahren internationaler Einsätze gestalten.

Komplexe Friedensmissionen


Die Bilanz der UN-Friedensmissionen fällt durchaus positiv aus – vor allem seit der Jahrtausendwende haben die Vereinten Nationen in der DR Kongo, in Sierra Leone, Liberia und auch in Haiti gezeigt, dass sie zur Durchführung auch schwieriger Einsätze in der Lage sind. Dennoch klingen das Scheitern der Somalia-Mission (1992–94) und die furchtbaren Fehlschläge von Ruanda (1994) und Srebrenica (1995) fort, wo unter den Augen der Blauhelme zahllose Menschen Völkermorden zum Opfer fielen. In deren Folge weigerten sich vor allem die westlichen Industriestaaten, ihre Soldaten weiterhin unter dem Schirm der Vereinten Nationen einzusetzen. Sie bevorzugen seither die Mandatierung eigener Missionen im Rahmen von NATO oder EU und führen diese in Afghanistan, Bosnien-Herzegowina oder im Kosovo auch in eigener Verantwortung und Finanzierung durch. Immer wieder unterstützen sie auch UN-Einsätze, wie die EU 2006 in der DR Kongo, 2008/09 im Tschad oder 2013/14 in Mali, bzw. arbeiten eng mit der UNO zusammen, etwa in Bosnien-Herzegowina oder im Kosovo.

Durch diese Einbeziehung starker Regionalorganisationen wird die UNO zwar deutlich entlastet. Andererseits aber besteht seit Jahren die Tendenz zu einer Zwei-Klassen-Friedenssicherung: Die in den hochwertigen Missionen von NATO und EU gebundenen Kräfte und Fähigkeiten stehen den UN-Blauhelmen nicht zur Verfügung. Diese müssen mit deutlich schlechteren Voraussetzungen mindestens ebenso anspruchsvolle Aufgaben für Frieden und Stabilität bewältigen wie ihre Kameraden unter der NATO- oder EU-Flagge. Ein verstärktes Engagement auch der Industriestaaten in der gemeinsamen UN-Friedenssicherung wäre eine richtige Reaktion auf die Erkenntnis, dass es in der globalisierten Welt auf Dauer keine Friedenssicherung erster und zweiter Klasse geben kann.

Nachhaltige Entwicklung und Menschenrechtsschutz


Das umfassende Friedensverständnis der UNO geht über die Verhinderung von Krieg und Gewalt hinaus. Es schließt entwicklungspolitische Aufgaben ebenso ein wie Umwelt- und Klimaprobleme oder die weltweite Verbesserung der Menschenrechte. Tatsächlich befasst sich der weitaus größte Teil der unter dem Dach der UNO tätigen Spezialorgane und Sonderorganisationen wie das Entwicklungsprogramm (UNDP), das Umweltprogramm (UNEP), das Kinderhilfswerk (UNICEF) oder die Organisation für industrielle Entwicklung (UNIDO) mit Fragen der nachhaltigen menschlichen Entwicklung. Die größte Herausforderung besteht dabei in der Überwindung der immer noch gravierenden Unterentwicklung und Armut in weiten Teilen Afrikas und Asiens. In ihrem im Jahr 2000 gestarteten Projekt der Millenniums-Entwicklungsziele hatten sich die Mitgliedstaaten erstmals messbare Ziele gesetzt, die bis 2015 erreicht werden sollten. Da bislang bestenfalls Teilerfolge erzielt werden konnten, werden voraussichtlich Entscheidungen über einen Post-15-Prozess fallen, wenn die Staatengemeinschaft sich im September 2015 zur Feier des 70. Jahrestages ihrer Organisation in New York versammelt.

Denn das Millennium-Entwicklungsprojekt ist eine der ernsthaftesten Initiativen der Staatengemeinschaft gegen die Bedrohungen menschlicher Sicherheit und zur Bewahrung des Friedens.

Grenzen der Handlungsfähigkeit


Zweifellos eröffnet die UNO ihren Mitgliedstaaten und Partnern vielfältige Möglichkeiten zu internationaler Zusammenarbeit und kollektivem Handeln. Zugleich jedoch ist die politische Praxis der Vereinten Nationen gerade in der Friedenssicherung häufig durch halbherzige Entscheidungen gekennzeichnet, die nach langwierigen Diskussionen zustande kommen und dann unzureichend ausgeführt werden.

Neben den bürokratischen Hemmnissen, die in jeder Großorganisation auftreten, zeigt sich hier ein Grundproblem, welches die Arbeit der UNO durchgängig prägt: Einerseits haben sich die Mitgliedstaaten der UNO auf der Grundlage des Prinzips souveräner Gleichheit angeschlossen, andererseits ist es der Zweck dieser Organisation, die souveränen Rechte der Staaten – etwa bei der Anwendung von Gewalt, bei den Menschenrechten oder beim Klimaschutz – zugunsten gemeinschaftlicher Interessen zu begrenzen bzw. zu kontrollieren. Vor dem Hintergrund dieser Grundspannung versuchen die Staaten im Rahmen ihrer Machtmittel und Durchsetzungsfähigkeit, ein höchstmögliches Maß an eigenen Interessen zu realisieren. Da sich souveräne Staaten ungern überstimmen lassen, besteht in der UNO das ungeschriebene Gesetz, Entscheidungen mit einer breiten Mehrheit, möglichst im Konsens zu treffen. Entsprechend lang gestalten sich dann die Verhandlungen zwischen den 193 Staaten und entsprechend weich sind dann oft die erzielten Kompromisse.

Das Wechselspiel von machtvoller Interessendurchsetzung und Zwang zur Konsensfindung lässt sich im Sicherheitsrat gut beobachten: Dort kommen Entscheidungen zustande, wenn neun der 15 Mitglieder zustimmen – und keines der fünf ständigen Mitglieder mit "Nein" stimmt (Art 27). Das aus Artikel 27 resultierende Vetorecht erlaubt es den "Großen Fünf", jede Entscheidung zu blockieren. Wenn Staaten also ein Anliegen erfolgreich durch den Sicherheitsrat bringen wollen, bedarf es der konstruktiven Überzeugungsarbeit, um die Mehrheit im Sicherheitsrat zu gewinnen oder zumindest die Duldung durch die Veto-Mächte (eine Enthaltung zählt nicht als Ablehnung) zu erreichen. Während des Kalten Krieges haben insbesondere die USA und die Sowjetunion die Arbeitsfähigkeit des Sicherheitsrates massiv eingeschränkt, weil sie ihr Vetorecht fast schon gewohnheitsmäßig einsetzten. Seit einem Vierteljahrhundert ist die Bereitschaft, einen Konsens zu suchen, deutlich gestiegen, was sich in zahlreichen Resolutionen des Sicherheitsrates zu wichtigen Fragen wie etwa zum Umgang mit innerstaatlichen Konflikten niederschlägt. Gleichwohl bleiben sowohl die Drohung mit dem Veto als auch sein Gebrauch fester Bestandteil der Verhandlungsführung der ständigen Mitglieder, die damit jeder Resolution des Sicherheitsrates ihren Stempel aufdrücken – oder eben auch Verhandlungen verzögern und Entscheidungen verhindern können. Dies tritt besonders deutlich in Situationen zutage, in denen die ständigen Mitglieder selbst betroffen sind: Als die USA den Irak angriffen (2003) oder wenn Russland gegenwärtig die Ukraine destabilisiert und zerteilt (2014), sind Maßnahmen des Sicherheitsrates ausgeschlossen. Wenn wie etwa im Falle Israels (USA) oder Syriens (Russland, China) vitale Interessen der Großen Fünf betroffen sind, kommt es statt zu wirksamen Maßnahmen meist ebenfalls nur zu Formelkompromissen.

Insgesamt gesehen ist die UNO als Organisation auf der obersten Machtebene im Sicherheitsrat wie auch in den Debatten in der Generalversammlung so stark oder so schwach, wie es ihre Mitgliedstaaten wollen.

Verhaltene Reformen


Seit ihrer Gründung 1945 haben sich die Vereinten Nationen beständig weiterentwickelt und erneuert. In die sieben Jahrzehnte ihrer Existenz fielen Entwicklungen wie der Ost-West-Konflikt, der Prozess der Dekolonisation und die Nord-Süd-Problematik mit ihrem globalen Wohlstandsgefälle. Dem Ende der bipolaren Ordnung schließlich folgte ein rasantes Zusammenwachsen der Welt unter den Vorzeichen der Globalisierung mit neuen Chancen und Risiken.

Als Antwort auf die neuen Herausforderungen hat sich die UNO, insbesondere unter ihren Generalsekretären Boutros Boutros-Ghali (1992–1996) und Kofi Annan (1997–2006) einer Reihe von Reformprogrammen unterworfen. So wurde die Friedenssicherung durch Blauhelme konzeptionell fortentwickelt, die Arbeit des Sekretariats wurde gestrafft und professionalisiert, die Finanzierung der Organisation selbst wie auch ihrer Aktivitäten auf eine neue, verlässlichere Basis gestellt.

Große Reformschritte, die zu neuen institutionellen Zuschnitten und veränderten Entscheidungsverfahren geführt hätten, sind dagegen unterblieben. Insgesamt ist das Beharren der Staaten auf ihren Rechten und Privilegien größer als ihr Interesse, eine schlagfähige Organisation zu schaffen. Der Reformgipfel zum 60. Bestehen der UNO beließ es 2005 im Wesentlichen bei kleineren Schritten wie der Schaffung des Menschenrechtsrates und der Kommission für Friedenskonsolidierung sowie der Auflösung des Treuhandrates.

Der verhaltene Reformwille zeigt sich insbesondere beim Sicherheitsrat, der bezüglich seiner ständigen Mitglieder noch immer die weltpolitische Situation zum Ende des Zweiten Weltkrieges widerspiegelt und bei den nicht ständigen Mitgliedern die Lage zu Beginn der 1960er-Jahre, als deren Zahl von sechs auf zehn erhöht wurde. Die Reformdebatte läuft seit Beginn der 1990er-Jahre, doch gibt es keine Übereinstimmung, welche konkreten Schritte ergriffen werden sollen, um das mächtigste UN-Organ umzugestalten. Ein großes Lager, dem auch Deutschland angehört, plädiert für sechs neue ständige Sitze ohne Vetorecht, viele Staaten der Afrikanischen Union (AU) bestehen jedoch auf einer Gleichbehandlung von alten und neuen ständigen Mitgliedern in dieser Frage. Andere Staaten um Italien wiederum streben nach weiteren nicht ständigen Sitzen mit der Möglichkeit der unmittelbaren Wiederwahl, weil sie sich davon größere Einflussmöglichkeiten versprechen. Die fünf ständigen Mitglieder sehen keinen Anlass, sich in dieser Frage zu engagieren und profitieren von der sich hinziehenden Diskussion insofern, als ihre Privilegien weiter unangetastet bleiben. In den Jahren seit dem letzten größeren Reformversuch 2005 haben sich keine wirklich neuen Rahmenbedingungen ergeben, sodass auch zum 70. Geburtstag der UNO im Oktober 2015 nicht mit aussichtsreicheren Initiativen gerechnet werden kann. Sowohl hinsichtlich der Arbeitsweisen des Sicherheitsrates wie auch bei der Ausrichtung der Vereinten Nationen insgesamt ist daher wahrscheinlich, dass die Organisation weiter mit dem Bestehenden leben und mit Blick auf Reformen zur Politik der kleinen Schritte gezwungen ist.

Alternativen zur UNO?


Die oft langwierigen Entscheidungsprozesse, die ausbleibenden Reformen, vor allem aber die Abhängigkeit von Ländern wie China und Russland bei Entscheidungen des Sicherheitsrates haben in westlichen Ländern, insbesondere in den USA, zu einem Nachdenken über Alternativen zur UNO geführt. Wenn – so die Annahme – die demokratische Staatsform die zumindest tendenziell friedlichste und menschenwürdigste darstellt, sollte ihren Vertretern auch eine eigenständige Legitimation für die Ergreifung friedenssichernder Maßnahmen bis hin zur militärischen Intervention zukommen. Seit der Jahrtausendwende werden in US-amerikanischen think tanks und Intellektuellenkreisen daher Vorstellungen von einer "Liga der Demokratien" propagiert, die eine bessere Alternative zu den Vereinten Nationen mit ihrer Mehrheit von teils äußerst fragwürdigen Regimen darstellen könnte. Auch tauchte in der Debatte immer wieder eine "globale NATO" als Vertreterin westlicher Sicherheitsinteressen auf. Mit der 2008/09 ausgebrochenen globalen Wirtschafts- und Finanzkrise ist zudem die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G 20) als Kern einer künftigen Weltordnungspolitik ins Spiel gekommen. Doch selbst wenn sich gerade die letztere Gruppe im globalen Maßstab ungleich repräsentativer darstellt als eine Interessengemeinschaft westlicher Industrienationen: Allen denkbaren Alternativen zur UNO ist gemeinsam, dass sie das Machtgefälle zwischen Arm und Reich oder Stark und Schwach weiter vergrößern und die schon deutlich ausgeprägte Legitimationsproblematik bei Entscheidungen von globaler Tragweite zusätzlich verschärfen würden.

Fazit: eine unvollkommene, aber unverzichtbare Organisation


Die internationale Politik wird auch im 21. Jahrhundert maßgeblich von den Staaten beeinflusst, aber nicht von ihnen allein gestaltet. Längst haben transnationale, von staatlichen und nicht staatlichen Akteuren getragene Netzwerke an Bedeutung gewonnen, um die Unzulänglichkeiten rein zwischenstaatlicher Kooperationsprozesse auszugleichen. Mit ihren engen Verbindungen sowohl in die Staatenwelt wie auch in die globale Zivilgesellschaft (Nichtregierungsorganisationen) hinein könnte die UNO den Rahmen für eine neue global public policy bilden, eine Weltordnungspolitik, die alle wesentlichen Akteure bei der Suche nach gemeinsamen Lösungen der zahlreichen Menschheitsprobleme zusammenführt.

Wie die nur verhaltenen Reformschritte zeigen, bevorzugen die Mitgliedstaaten jedoch eine eher schwache Weltorganisation, die ihre nationalen Souveränitätsrechte nur in möglichst geringem Maße einzuschränken vermag. Die Aussichten der UNO, zur Gestalterin einer neuen Weltordnungspolitik heranzureifen, erscheinen vor diesem Hintergrund als eher gering.

Wenn jedoch die Rückkehr des Faustrechts in die internationale Politik vermieden und weiter nach kooperativen Lösungen für globale Probleme gesucht werden soll, muss es Steuerungsmechanismen geben, welche die willkürliche Anwendung von Gewalt durch einzelne oder Gruppen von Staaten zumindest reduzieren, die Interessen auch der Schwächeren berücksichtigen und Menschheitsinteressen wie eine gesunde Umwelt sowie eine nachhaltige Entwicklung fördern. Daher bleibt die UNO trotz ihrer Schwächen eine unverzichtbare Organisation, die ihre Mitglieder immer wieder an deren selbst eingegangene Verpflichtungen zum Wohle der Menschheit erinnert und deren Einhaltung anmahnt.

Reformsegel setzen (© Gerhard Mester / Baaske Cartoons)

Fussnoten

Prof. Dr. Sven Bernhard Gareis ist seit 2011 Deutscher Stellvertretender Dekan am George C. Marshall European Center for Security Studies in Garmisch-Partenkirchen. Seit 2007 lehrt er Internationale Politik am Institut für Politikwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster mit den Schwerpunkten Internationale Organisationen, deutsche und europäische Sicherheitspolitik und Politik Chinas. Er hat das vorliegende Heft konzipiert und seine Erstellung koordiniert. Kontakt: E-Mail Link: svengareis@web.de