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Zwiespältigkeit westlicher Außenpolitik

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Welche Ziele verfolgen die westlichen Industriestaaten mit ihrer Außenpolitik im Nahen Osten? Stehen demokratische Grundprinzipien im Vordergrund oder spielen finanzielle Interessen eine übergeordnete Rolle?

Präsident Barack Obama hält eine politischen Grundsatzerklärung zu den Ereignisse im Nahen Osten im Außenministerium in Washington am 19. Mai 2011. (© AP)

Häufig wird Muslimen, insbesondere Arabern, mangelnde Selbstkritik vorgeworfen. Die arabischen Staaten hätten längst ihre Unabhängigkeit erreicht und müssten deswegen Verantwortung für ihr eigenes Handeln übernehmen. Statt dessen, so der Vorwurf, würden sie stets dem Westen die Schuld an ihrer miserablen Lage geben. Umgekehrt beschuldigen die Araber zum Teil den Westen, insbesondere die USA, im Nahen Osten nur eigene Interessen zu verfolgen, ohne Rücksicht auf die Belange der einheimischen Bevölkerung. Wie erklärt sich dieser Gegensatz?

Es ist eines der erklärten Ziele der amerikanischen Außenpolitik, Demokratie und Respekt für Menschenrechte im Rest der Welt zu verbreiten. Im Nahen Osten ist diese Politik jedoch seit dem Zweiten Weltkrieg mit einem Dilemma behaftet. Denn es widerspricht häufig den strategischen Interessen des Westens, einen Prozess der Demokratisierung in der Region zu fördern. Diese Interessen konzentrieren sich auf zwei Bereiche: Der eine ist Öl, der andere die Sicherheit Israels. In Saudi-Arabien, dem Land mit den größten Ölreserven der Welt, herrscht eines der intolerantesten Regime des Nahen Ostens. Aus Sorge um die Stabilität dieses Regimes, das sich im Ölgeschäft sehr kooperativ zeigt, hatten die Amerikaner nie ein wirkliches Interesse daran, den Status quo zu verändern. Arthur S. Schlesinger, ehemaliger amerikanischer Außenminister und Chef der CIA, hat dieses Dilemma in einem Aufsatz aus dem Jahr 1993 auf den Punkt gebracht: "Wollen wir ernsthaft die Institutionen in Saudi-Arabien verändern? Die kurze Antwort ist: nein. Über die Jahre hinweg haben wir uns darum bemüht, diese Institutionen aufrechtzuerhalten, manchmal auf Kosten von eher demokratischen Kräften, die in der Region vorhanden waren."

Die amerikanische Journalistin Robin Wright geht in ihrer Kritik an der amerikanischen Nahostpolitik sogar noch weiter. "Am Persischen Golf", so Wright, "unterstützen wir die Scheichtümer, die Öl besitzen, und blockieren alles, was die Entwicklung eines Pluralismus fördern könnte. Wir verletzen dort alles, was wir selber predigen: Menschenwürde, Menschenrechte, Meinungsäußerungsfreiheit. Wir ermutigen demokratische Ausdrucksformen nicht."

Die USA verfolgen diese Politik nicht aus Sympathie zur saudischen Diktatur, sondern aus strategischem Kalkül. Demokratisierungsprozesse verlaufen langwierig, in den seltensten Fällen geradlinig und bringen Unsicherheiten mit sich. Das gelte nicht nur für Saudi-Arabien, so Schlesinger, sondern auch für andere arabische Regime, die mit den Amerikanern verbündet sind: "Wollen wir wirklich eine größere Demokratisierung in Ägypten durchsetzen? Es würde wahrscheinlich weder uns noch unserem Freund und Alliierten, Präsident Mubarak, zum Vorteil gereichen. Die gleichen Überlegungen lassen sich zu Tunesien, Marokko und sogar Jordanien anstellen."

Im Kalten Krieg hatte der Westen sogar ausdrücklich antidemokratische Bewegungen unterstützt, als Gegengewicht zu politischen Kräften, die man als Verbündete der Sowjetunion betrachtete. So haben die USA gemeinsam mit Saudi-Arabien im Afghanistankrieg die Mudschahedin – die "Kämpfer auf dem Pfade Gottes" – unterstützt. Deren Erben sind militante Islamisten vom Schlage Osama bin Ladens, die jetzt ihre Waffen gegen den Westen richten. Darüber hinaus haben andere Länder wie Jordanien, Ägypten, der Jemen und selbst Israel mit Duldung des Westens bisweilen islamistische Bewegungen auf ihrem eigenen Territorium gefördert, als Gegengewicht zu linken und nationalistischen Gruppierungen. Dass heute in den meisten arabischen Ländern der islamische Diskurs alle nichtreligiösen Stimmen übertönt, hat auch etwas mit dieser Politik zu tun.

Ein fortdauerndes strategisches Interesse des Westens im Nahen Osten gilt der Sicherheit Israels. Und auch hier wird eine wirkliche Demokratisierung der arabischen Nachbarländer als Gefährdung des Status quo angesehen, die unter Umständen vom Westen unerwünschte Kräfte an die Macht bringen könnte. Denn so lange kein fairer Kompromiss im Palästinakonflikt gefunden ist, wird es radikalen Gruppen wie etwa den extremistischen Islamisten gelingen, den Volkszorn zu ihren Gunsten zu nutzen.

Die Perspektiven für eine Demokratisierung in der arabischen Welt sehen bislang schlecht aus. Denn die entscheidenden Akteure haben daran keine Interesse: weder die arabischen Regime noch ihre westlichen Verbündeten. Hinzu kommt die Gefahr, dass, ähnlich wie auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion geschehen, eine Liberalisierung der repressiven arabischen Regime den Ausbruch ethnischer, politischer und gesellschaftlicher Konflikte nach sich ziehen könnte. Der Islamismus stellt diesbezüglich eine besondere Gefahr dar.