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Unverletzlichkeit der Wohnung | Grundrechte | bpb.de

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Unverletzlichkeit der Wohnung

Mathias Metzner

/ 4 Minuten zu lesen

Artikel 13

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

(3) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, dass jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen, in denen der Beschuldigte sich vermutlich aufhält, eingesetzt werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre. Die Maßnahme ist zu befristen. Die Anordnung erfolgt durch einen mit drei Richtern besetzten Spruchkörper. Bei Gefahr im Verzuge kann sie auch durch einen einzelnen Richter getroffen werden.

(4) Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.

(5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr und nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

(6) Die Bundesregierung unterrichtet den Bundestag jährlich über den nach Absatz 3 sowie über den im Zuständigkeitsbereich des Bundes nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 erfolgten Einsatz technischer Mittel. Ein vom Bundestag gewähltes Gremium übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. Die Länder gewährleisten eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle.

(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im Übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

Jeder Mensch hat das Bedürfnis, einen Ort zu haben, an den er sich ungestört zurückziehen und an dem er sich frei entfalten kann. In diesen eigenen "vier Wänden" soll der Mensch grundsätzlich frei von staatlichen Eingriffen sein. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Wohnung nun im Eigentum des Bewohners steht oder nicht. Entscheidend ist, dass sie nach dem Willen des Bewohners der Öffentlichkeit entzogen ist. Geschützt ist also nicht bloß die Wohnung, sondern auch beispielsweise ein Hotelzimmer, ein Zimmer im Studentenwohnheim, im Seniorenheim oder im Krankenhaus. Das Recht, in seiner Privatsphäre in Ruhe gelassen zu werden, hat einen sehr starken Bezug zur Menschenwürde. Die hohe Bedeutung dieses Grundrechts erklärt auch die hohen Schranken, die gegen Beeinträchtigungen des Grundrechts bestehen:

Durchsuchungen einer Wohnung stellen einen schweren Eingriff in die Privatsphäre des Betroffenen dar. Deshalb soll sichergestellt werden, dass dieser Eingriff durch eine unabhängige, neutrale Instanz bewertet wird. So sieht Art. 13 Abs. 2 GG vor, dass Durchsuchungen grundsätzlich nur durch einen Richter angeordnet werden dürfen. Der Richter hat also zu prüfen, ob die gesetzlich vorgeschriebenen Vo­raussetzungen einer Durchsuchung vorliegen. Er muss auch prüfen, ob nicht mit weniger einschneidenden Mitteln das erstrebte Ziel – etwa Beweismittel für die Verfolgung von Straftaten zu finden – erreicht werden kann. Er muss ferner dafür sorgen, dass nicht mehr oder weitergehend durchsucht wird als unbedingt erforderlich. Auch hier ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit strengstens zu beachten. In der Entscheidung, mit der er die Durchsuchung anordnet, muss der zuständige Richter deshalb genau angeben, was aufgefunden werden soll, um damit zu verhindern, dass die Durchsuchung zu unnötigen Erforschungen der Privatsphäre führt.

Der Schutz der Wohnung wird auch beeinträchtigt, wenn Vorgänge in der Wohnung überwacht werden. Dies kann durch technische Vorrichtungen wie etwa Kameras oder Mikrofone geschehen, wobei es keine Rolle spielt, ob diese Geräte von außen auf die Wohnung gerichtet oder in ihr installiert werden. Für solche Eingriffe stellen Art. 13 Abs. 3 bis 5 GG besonders hohe Anforderungen. Für den sogenannten großen Lauschangriff zur Aufklärung von Straftaten sieht Art. 13 Abs. 3 GG vor, dass die Maßnahme nur zur Aufklärung besonders schwerer Straftaten, also etwa Mord, schwerer Raub oder Geiselnahme, zulässig ist. Auch darf der große Lausch­angriff nur dann angeordnet werden, wenn der Sachverhalt ohne die akustische Wohnraumüberwachung gar nicht oder nur unter unverhältnismäßig großen Erschwernissen aufgeklärt werden könnte. Auch diese Maßnahme dürfen nur Richter anordnen, grundsätzlich ein mit drei Richtern besetzter Spruchkörper.

Weil aber das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung einen starken Bezug zur Menschenwürde aufweist, dürfen Maßnahmen wie der Lauschangriff selbst unter all diesen Voraussetzungen dann nicht stattfinden, wenn sie den Kernbereich privater Lebensgestaltung berühren. Das Bundesverfassungsgericht hat den Schutz des sogenannten Kernbereichs unmittelbar aus der Menschenwürde abgeleitet. Da die Menschenwürde nicht, auch nicht durch anderweitiges Verfassungsrecht, eingeschränkt werden kann, ist jeder Eingriff in die Menschenwürde ausnahmslos verboten.

QuellentextDer Kernbereich privater Lebensgestaltung

Zum Kernbereich privater Lebensgestaltung, der für staatliche Überwachungsmaßnahmen absolut tabu ist, gehört sicherlich nicht schon jeder Aufenthalt in der Wohnung, jede Tätigkeit in der Küche oder jede sonstige Verrichtung im Haushalt. Das Bundesverfassungsgericht hat den Kernbereich nicht abschließend definiert, es hat lediglich bestimmte Beispiele genannt: Dazu gehören die Äußerung innerster Gefühle und die sexuelle Sphäre. Wo es also intim wird, dürfen Ermittler nicht mehr zuhören. Für das Bundesverfassungsgericht folgten der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung und das Verbot, ihn anzutasten, unmittelbar aus der Menschenwürde.
Für den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung verschiedene Maßgaben entwickelt:
Die Unantastbarkeit der Menschenwürde verbietet uneingeschränkt gezielte Eingriffe in den Kernbereich privater Lebensgestaltung. Selbst wenn dadurch verwertbare Informationen erlangt werden könnten, scheidet ein Eingriff aus. Insbesondere darf der Kernbereichsschutz nicht unter den Vorbehalt einer Abwägung gestellt werden.
Es sind nach Möglichkeit schon auf der Ebene der Daten­erhebung Vorkehrungen zum Schutz des Kernbereichs zu treffen, damit die unbeabsichtigte Erfassung von kernbereichsrelevanten Informationen weitgehend vermieden wird. Wird der Kernbereich dennoch (versehentlich) verletzt (etwa indem bei einer Wohnraumüberwachung zufällig kernbereichsrelevante Äußerungen erfasst werden), ist die Überwachung unverzüglich zu unterbrechen.
Auf der Ebene der Auswertung der erhobenen Daten sind versehentlich erfasste Daten, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen, unverzüglich zu löschen. Die Folgen eines Eindringens in den Kernbereich sind zu minimieren.


Wie die Verwirklichung der vorgenannten Maßgaben zu erfolgen hat, richtet sich nach der Art der in Frage stehenden Eingriffsbefugnis und deren Nähe zum geschützten Kernbereich. Besteht ein hohes Risiko, dass der Kernbereich verletzt werden könnte (wie bei der Wohnraumüberwachung), muss der Staat schon im Vorfeld Maßnahmen zum Schutz der innersten Persönlichkeitssphäre ergreifen.
Wegen der besonderen Bedeutung der Unverletzlichkeit der Wohnung sind im Bereich von Artikel 13 GG die Anforderungen an den Schutz des Kernbereichs am höchsten. Daher sind Überwachungsmaßnahmen nur dann erlaubt, wenn zu erwarten ist, dass sich die bei der Ausforschung von Wohnraum greifbare Gefahr der Kernbereichsverletzung nicht verwirklicht. Dies muss der Gesetzgeber durch Gesetz regeln, eine Regelung durch Verordnung genügt nicht.
Auch bei Eingriffen in das Post- und Fernmeldegeheimnis (etwa wenn ein Telefon abgehört wird), kann es dazu kommen, dass Intimstes und damit kernbereichsrelevante Gesprächsinhalte aufgezeichnet werden. Schließlich hören die Beamten in aller Regel nicht direkt mit, sondern die Gespräche werden aufgezeichnet. Das Bundesverfassungsgericht hat hier nicht ganz so strenge Maßstäbe aufgestellt wie bei der Wohnraumüberwachung. Es genügt, wenn später die Aufzeichnung daraufhin abgehört wird, ob der intimste Bereich verletzt wurde und entsprechende Passagen gelöscht werden. Das Bundesverfassungsgericht hat dies letztlich damit begründet, dass der Mensch zur höchstpersönlichen Kommunikation nicht in gleicher Weise auf die Telekommunikation angewiesen ist wie auf die Wohnung. Mit anderen Worten: Eine (von Eingriffen ungestörte) Wohnung braucht jeder Mensch, ein Telefon aber nicht.
Ähnlich wie bei Art. 10 Abs. 1 GG ist der Kernbereichsschutz bei dem aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleiteten Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme ausgestaltet. Anders als im Rahmen der Wohnraumüberwachung verschiebt sich hier der Schutz des Kernbereichs von der Erhebungsebene hin auf die nachfolgende Verwertungsebene. Zwar ist auch hier grundsätzlich vorzusehen, dass eine Erhebung unterbleibt, wenn die Informationen erkennbar dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzuordnen sind. Regelmäßig wird aber ein Datenbestand in digitaler Form nicht schon für sich genommen einen privaten Charakter wie etwa das Verhalten in einer Wohnung aufweisen. Auch erfolgt die Datenerhebung bei Eingriffen in informationstechnischen Systemen aus technischen Gründen in der Regel automatisiert, wodurch es erschwert wird, schon bei der Erhebung der Daten einen Bezug zum Kernbereich privater Lebensgestaltung zu erkennen. Daher ist ein Zugriff auf ein informationstechnisches System auch dann zulässig, wenn nicht auszuschließen ist, dass am Rande auch höchstpersönliche Daten erfasst werden. Dass Bundesverfassungsgericht hat jedoch auf der Ebene der Verwertung der Daten eine Sichtung der erfassten Daten durch eine unabhängige Stelle gefordert, bevor die Daten endgültig ausgewertet und verwendet werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 20.04.2016 – 1 BvR 966/09 -, Rdnr. 220).


Mathias Metzner

Mathias Metzner war wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesverfassungsgericht und im Grundrechtsreferat des Bundesministers der Justiz tätig. Er ist Vizepräsident des Externer Link: Verwaltungsgerichts Kassel.