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Kommunale Strategien zur Entwicklung ländlicher Räume

Stefan Becker Christian Hundt Patrick Küpper Stefan Becker / Christian Hundt / Patrick Küpper

/ 22 Minuten zu lesen

Die Kommunen bilden neben Bund und Ländern die dritte Ebene im politischen System Deutschlands. Für die lokalen und regionalen Herausforderungen ländlicher Räume ist diese Ebene von besonderer Bedeutung. Praktisch ist der kommunale Handlungsspielraum jedoch vielfach eingeschränkt. Anhand der Wirtschaftsförderung und der Daseinsvorsorge lässt sich beispielhaft zeigen, welche Möglichkeiten die Kommunen in zentralen Handlungsfeldern der ländlichen Entwicklung besitzen.

Im politischen Mehrebenensystem Deutschlands arbeiten Bund, Länder und Kommunen eng zusammen. Am 4. Juni 2019 berät das Brandenburger Regierungskabinett mit der Spitze des Landkreises Elbe-Elster über Fragen der Strukturentwicklung. (© picture-alliance, dpa / Bernd Settnik)

Die deutsche Politik für ländliche Räume entsteht auf mehreren Ebenen. Die Europäische Union, der Bund und die Länder setzen den allgemeinen Rahmen, indem sie Ziele formulieren und Förderprogramme initiieren. Letztlich aber vollzieht sich ländliche Entwicklung immer "vor Ort" auf der kommunalen Ebene. Hier bestehen konkrete Herausforderungen, zu denen die Bürgerinnen und Bürger ihre Wünsche äußern. Doch inwieweit besitzen die Kommunen in ländlichen Räumen die rechtlichen, finanziellen und administrativen Ressourcen, um darauf zu reagieren? Zur Beantwortung dieser Frage führt der Beitrag zunächst allgemein in die Stellung und den Aufbau der Kommunen in Deutschland ein. Für die Wirtschaftsförderung und die Daseinsvorsorge werden danach konkrete Möglichkeiten und Grenzen der Kommunen in der ländlichen Entwicklung diskutiert.

Die Stellung der Kommunen im deutschen Mehrebenensystem

Wenn von Kommunen die Rede ist, kann sehr Unterschiedliches gemeint sein. Von zentraler Bedeutung sind in Deutschland die Gemeinden und Städte, die mehrheitlich in Landkreisen zusammengeschlossen sind. Eine Ausnahme bilden die – in der Regel größeren – kreisfreien Städte. Neben den Landkreisen gibt es noch weitere kommunale Zusammenschlüsse, zum Beispiel die Verbandsgemeinden, in denen mehrere Gemeinden ihre Verwaltungsaufgaben gemeinsam erfüllen. Zusammen bilden diese kommunalen Gebietskörperschaften neben dem Bund und den Ländern die dritte Ebene im politischen System Deutschlands. Einen Sonderfall stellen dabei die Stadtstaaten dar: Diese sind gleichzeitig Bundesländer und kreisfreie Städte, übernehmen also die Aufgaben beider Ebenen. Für die ländlichen Räume spielt diese Ausnahme freilich keine Rolle.

Verfassungsrechtlich sind die Kommunen Teile der Länder, allerdings sichert ihnen das Grundgesetz (GG) eine Selbstverwaltungsgarantie zu. Beim Gehalt dieser Garantie ist zwischen den Gemeinden und den Gemeindeverbänden zu unterscheiden. Den Gemeinden muss nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet sein, "alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln". Ihnen können also gesetzliche Vorgaben gemacht werden, im Rahmen dieser aber dürfen sie innerhalb ihres Gebietes eigenverantwortlich handeln. Daraus ergibt sich das gemeindliche Aufgabenfindungsrecht: Grundsätzlich dürfen sich Gemeinden jeder örtlichen Aufgabe annehmen, die nicht gegen das Gesetz verstößt. Anders verhält es sich bei den Gemeindeverbänden. Diese haben "das Recht der Selbstverwaltung" nach Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG lediglich im Rahmen "ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches". Ein allgemeines Aufgabenfindungsrecht besteht auf Gemeindeverbandsebene, zu der in Deutschland auch die Landkreise gehören, demnach nicht. Die Selbstverwaltungsgarantie besagt übrigens nur, dass es Kommunen grundsätzlich geben muss; einzelne Gemeinden und Gemeindeverbände können daraus keinen Bestandsschutz ableiten. Tatsächlich gab es in der Geschichte der Bundesrepublik bereits etliche Gebietsreformen, die insbesondere zur Zusammenlegung von Gemeinden oder Kreisen führten.

Aufgaben der Kommunen

Die Aufgaben der kommunalen Ebene sind vielfältig. Das Spektrum beruht allerdings nur in begrenztem Maße auf eigener Entscheidung; es ist stark durch Vorgaben höherer Ebenen geprägt. So erhalten Kommunen einerseits Auftragsangelegenheiten und Pflichtaufgaben nach Weisung. In beiden Fällen unterliegen sie einer strengen Rechts- und Fachaufsicht, haben also keinen Gestaltungsspielraum. Zu diesen Aufgabenbereichen gehören beispielsweise das Meldewesen, die Bauaufsicht und die Durchführung von Bundestags- und Landtagswahlen. Andererseits erfüllen die Kommunen etliche Selbstverwaltungsaufgaben, bei denen "nur" eine Rechtsaufsicht erfolgt. Doch auch hier gibt es noch Abstufungen in ihrer Gestaltungsfreiheit. Bei pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben kann die Kommune lediglich entscheiden, wie sie diese erfüllen möchte. Dass sie beispielsweise die Bauleitplanung, die Abfallentsorgung oder die Jugendhilfe überhaupt organisiert, liegt nicht in ihrem Ermessen. Bei freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben können die Kommunen indes auch entscheiden, ob sie diese wahrnehmen möchten. Hierunter fallen insbesondere staatliche Kulturangebote, wie Museen und Theater, und die Wirtschaftsförderung.

Während die kreisfreien Städte die genannten Aufgaben vollumfänglich übernehmen, teilen sich die Landkreise und die ihnen angehörenden Gemeinden die Pflichten. Dabei gibt es sehr unterschiedliche Arrangements; gerade größere kreisangehörige Städte und Gemeinden übernehmen häufig Aufgaben, die bei kleineren Gemeinden der Landkreis übernimmt. Über die genaue Verteilung kommt es immer wieder zu Konflikten. Das Bundesverfassungsgericht hat 1988 einen grundsätzlichen Vorrang der Gemeindezuständigkeit formuliert. Demnach kann eine Aufgabe nur einer höheren Ebene zugeordnet werden, wenn die Erfüllung auf gemeindlicher Ebene nicht gewährleistet werden kann. In der Praxis übernehmen die Landkreise damit unter anderem Selbstverwaltungsaufgaben in den Bereichen Abfallwirtschaft, öffentlicher Nahverkehr und Sozialhilfe. Außerdem erfüllen die Landkreise selbst Auftragsangelegenheiten. Ein klassisches Beispiel ist das Kraftfahrzeugwesen. Schließlich ist die Kommunalaufsicht, also insbesondere die rechtliche Kontrolle des gemeindlichen Handelns, auch als Auftragsangelegenheit auf Kreisebene organisiert.

Einnahmen

Für die Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen die Kommunen Einnahmen. Bei den Gemeinden stammen diese im Wesentlichen aus vier Quellen: (1) Steuern, (2) Zuweisungen, (3) Gebühren und Beiträgen sowie (4) sonstigen Einnahmen. Die ersten beiden Kategorien sind für die Gemeinden in Flächenländern die wichtigsten. Bei den Steuern stellen die Gewerbesteuer und die Anteile an der Einkommensteuer die größten Posten. Die Grundsteuern und die Anteile an der Umsatzsteuer sind von geringerer Bedeutung. Hinzu kommen noch die Bagatellsteuern, wie etwa die Hundesteuer, die im Bundesdurchschnitt allerdings weniger als ein Prozent der Gemeindeeinnahmen ausmachen.

Zu den Zuweisungen vom jeweiligen Land gehören allgemeine Zahlungen aus dem kommunalen Finanzausgleich, aber auch zweckgebundene Mittel, zum Beispiel für Einzelprojekte oder Entschuldungsprogramme. Insbesondere für den Bereich der Sozialleistungen, die Kommunen auszuzahlen haben, werden dabei auch Mittel des Bundes weitergereicht. In der Summe beziffern sich die Zuweisungen auf durchschnittlich 39 Prozent der Gemeindeeinnahmen. Weitere acht Prozent tragen Gebühren bei, etwa für die Abfallbeseitigung, und Beiträge, beispielsweise bei Grundstückserschließungen. Die sonstigen Einnahmen sind zum Beispiel Erlöse aus Grundstücksverkäufen oder Mieteinnahmen; sie belaufen sich auf etwa 13 Prozent.

Auf Kreisebene stellt sich die Situation anders dar. Hier gibt es kaum Steuereinnahmen; stattdessen finanzieren sich die Kreise neben Gebühren und Beiträgen vornehmlich durch Zuweisungen der Länder und die Kreisumlage, die von den angehörigen Gemeinden zu entrichten ist.

Anmerkung: Die Säule zeigt die Aufschlüsselung des Steueranteils nach Steuerarten. (© Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände 2019)

Somit verfügen die Kommunen über eine breite Einnahmenbasis. Ihr Einfluss darauf ist aber begrenzt. Während die Gemeinden über ein Mitgestaltungsrecht bei der Gewerbe- und Grundsteuer die Höhe ihrer Steuereinnahmen zumindest teilweise selbst bestimmen können, haben sie auf ihre Anteile an der Einkommensteuer und der Umsatzsteuer sowie auf die Höhe der Zuweisungen durch die Landes- und Bundesebene keinen Einfluss. Auch die Einnahmen aus Beiträgen, Verwaltungs- und Nutzungsgebühren können die Gemeinden nur bis zu einem gewissen Grad bestimmen. Es ist ihnen nämlich nicht erlaubt, daraus einen allgemeinen Gewinn zu erzielen; langfristig sollen Gebühren und Beiträge nur die entstandenen Kosten decken. Den sonstigen Einnahmen sind ebenfalls rechtliche und praktische Grenzen gesetzt. Kommunale Unternehmen dürfen beispielsweise Gewinne erzielen, die auch in den Kommunalhaushalt fließen können. Diese aber sind durch den erforderlichen öffentlichen Zweck der Unternehmen – also etwa eine kostengünstige Wasserversorgung – begrenzt. Erlöse aus Verkäufen, zum Beispiel von Grundstücken oder Wohnungen, können indes jeweils nur einmalig erzielt werden. Festzuhalten bleibt damit für die kommunale Ebene insgesamt, dass eigenständige Änderungen auf der Einnahmeseite nur eingeschränkt möglich sind. In der Regel führt dies zu schwierigen Entscheidungen in der Wahrnehmung der kommunalen Aufgaben, zumeist zulasten der freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben.

Kommunale Entscheidungsträger

Wer die Entscheidungen auf kommunaler Ebene trifft, hängt von der jeweiligen Kommunalverfassung und Gemeindeordnung ab. Hier gibt es trotz starker Annäherung zwischen den Ländern noch viele Eigenheiten. So werden mit Ausnahme der Stadtstaaten zwar mittlerweile alle Bürgermeisterinnen und Bürgermeister direkt gewählt; ihre genaue Stellung unterscheidet sich jedoch häufig. Ein ausschließliches Hauptamt ist es in nur wenigen Ländern. Meistens gibt es neben den hauptamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern auch ehrenamtliche, die gerade in kleineren Gemeinden tätig sind und dafür eine Aufwandsentschädigung erhalten. Außerdem unterscheiden sich die Positionen in den genauen Beziehungen zur Gemeindevertretung. In den meisten Ländern fungieren die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister als Vorsitzende der Gemeindevertretung, in anderen Ländern sind sie indes "nur" Mitglied. Insgesamt aber kommen den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern durch ihre Vorbereitungs- und Durchführungskompetenzen enorme Steuerungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene zu.

QuellentextBürgermeister aus Zufall und ein Ehrenamt mit Verantwortung

Nur aus Zufall wurde aus dem Elektromeister Peter Dreiling der Bürgermeister Peter Dreiling. Aber so ist das oft auf dem Land [...] In Marth, Dreilings thüringischem Dorf [im Eichsfeld], wohnen nur etwa 350 Leute, der Bürgermeister kann sich also nicht rausreden. [...]

Und deswegen ist er, 66 Jahre alt, fast immer unterwegs. [...] Im Tal liegt das Dorf, ein Kirchturm, hell- und dunkelrote Ziegel. An der Farbe der Dächer konnte man nach der Wende schnell erkennen, wer im Osten Arbeit fand und wer im Westen. Nun ist alles neu, das Dorf blitzt in der Morgensonne. Eigentlich geht es Marth ziemlich gut.

[...] Nach der Wende seien viele Elektrofirmen pleitegegangen, sagt Dreiling. Er hielt durch. Von Montag bis Sonntagabends ging es fortan um den Betrieb. Anderthalb Jahre dauerte es, bis er einen Telefonanschluss bekam. Sieben Jahre, bis es den ersten Auftrag aus dem Osten gab. [...]

Dreiling sieht sich [...] nicht als Politiker, sondern als Macher und Problemlöser, der das Dorf genauso führt, wie er jahrelang seinen kleinen Elektrobetrieb geleitet hat. Der Elektromeister strebte nie ein politisches Amt an. Doch dann gab es vor einigen Jahren Ärger im Dorf. Marth war mal ein wichtiger Landwirtschaftsstandort, 1.000 Kühe gab es hier. In den neunziger Jahren wurden es immer weniger, dafür wollte ein Unternehmen seine Eierproduktion nach Marth verlegen, mit 56.000 Hühnern. Elektromeister Dreiling wollte das verhindern. Es gab eine Anhörung im Dorf, er brachte mit anderen seine Argumente vor, aber er verlor. Die Gegner der Aussiedlung schworen sich, ähnliche Aktionen in Zukunft zu verhindern. "Und dann bin ich in Richtung Kandidatur geschubst worden", erinnert sich Dreiling. So wurde der Elektromeister zum Bürgermeister. "Es ist bisher ganz gut gelaufen", findet er. Trotzdem will er Schluss machen mit der Politik, die er nicht Politik nennen mag. Er will, dass Jüngere übernehmen, die hätten einen anderen Zugang zu den Bürgern. Und Dreiling möchte noch etwas: "Ich will wieder meine Freiheit."

Doch das ist nicht so leicht. Denn bei der Bürgermeisterwahl im April vergangenen Jahres verzichtete Dreiling auf eine Kandidatur, alle anderen Marther Bürger aber auch. Auf dem Wahlzettel stand kein Name. Gemäß dem Gesetz können die Bürger dann den Namen ihres Favoriten aufschreiben. 58 entschieden sich für Dreiling. Allerdings erhielt ein anderer Mann 44 Stimmen. Elektromeister Dreiling, der nicht mehr Bürgermeister sein wollte, musste also in die Stichwahl. Die gewann er knapp mit 51,4 Prozent. Erst in fünf Jahren wird wieder gewählt. Dreiling hat seine Freiheit noch nicht zurück.

Nicht nur in Marth fehlen die Kandidaten für politische Ämter. Als vor drei Jahren über 543 ehrenamtliche Bürgermeister abgestimmt wurde, gab es in mehreren Gemeinden keinen einzigen Kandidaten. In vielen Kommunen stellte sich nur eine Person zur Abstimmung, auch da hatten die Bürger keine richtige Wahl. Bei der Kommunalwahl in Rheinland-Pfalz im Mai [2019] stellte sich in 465 Gemeinden kein einziger Kandidat zur Wahl, ein Fünftel aller Gemeinden war somit ohne Bewerber. In sieben Brandenburger Gemeinden fiel die Bürgermeisterwahl aus demselben Grund gleich ganz aus. Und auch Mecklenburg-Vorpommern kennt das Problem.

Meistens ist es keine Schwierigkeit, für den Posten des Landrats Bewerber zu finden, auch in Nordrhein-Westfalen gibt es genügend Kandidaten für die Rathäuser – weil diese Posten hauptamtlich geführt werden. Es gibt also eine angemessene Vergütung, und nicht nur eine Aufwandsentschädigung – wenig Entschädigung, viel Aufwand. In ländlich geprägten Bundesländern wie Rheinland-Pfalz und Thüringen sind die Gemeinden oft klein und die Bürgermeister ehrenamtlich tätig. Dreiling bekommt 450 Euro, er sagt: "Den Stundenlohn darf man da nicht ausrechnen."

Dreiling und andere Kommunalpolitiker ärgert außerdem, dass sie kaum mehr etwas gestalten können. Sie finden, dass es zu wenig Geld und zu viele Regeln gibt. Zum Beispiel das Baurecht: Innerhalb von 20 Jahren hat sich die Zahl der Vorschriften vervierfacht. Aus 5.000 wurden 20.000. [...]

[...] Seit Jahren gibt es kein Vereinsleben mehr. Auf dem Sportplatz spielen nur Teams aus anderen Orten, eine eigene Mannschaft bekommt Marth schon lange nicht mehr zusammen. Die Gaststätte hat nur noch an wenigen Tagen geöffnet. Und auch der Ton ist rauher geworden, Kommunalpolitiker werden bedroht. Unzufriedene zünden ihre Autos an, beschmieren ihre Bürgerbüros, werfen Steine durch die Fenster ihrer Häuser.

[...] [Marths Bürgermeister Dreiling] wünscht sich manchmal mehr Anerkennung. Marth ist Teil einer Verwaltungsgemeinde, es lässt verwaltungstechnische Aufgaben von anderen erledigen. Ansonsten ist die Gemeinde noch selbständig, hat noch immer einen eigenen Haushalt. Dreiling hat gegen die Thüringer Gebietsreform gekämpft. Die rot-rot-grüne Landesregierung unter Bodo Ramelow hatte geplant, die Ortsstrukturen zu vergrößern und so auf die Alterung der Bevölkerung zu reagieren, auch auf den Wegzug aus den ländlichen Regionen in Richtung der großen Städte. Es gab heftigen Widerstand, die Gebietsreform wurde abgesagt. Die Bürger hier sind froh, weiterhin eigene, vor Ort gewachsene politische Strukturen zu haben. Nur über den Protest hinaus will sich kaum jemand engagieren.

Warum tut sich Elektromeister Dreiling das noch an? Weil es kein anderer macht, zum einen. Und weil es ihm auch Freude bereitet, trotz alledem. [...]

Dreiling ist nicht nur Bürgermeister, sondern manchmal auch Caterer, Seelsorger, Motivator, Finanzminister. Die Menschen erwarteten von ihrem Bürgermeister, dass er für Recht und Ordnung im Ort sorge. Das sei gute Politik, meint Dreiling. "Ich muss Baustellen organisieren, im Ort und in den Köpfen." Aktuell wartet er auf den Bescheid zur Dorferneuerung. [...] 60 Eichsfelder hätten schon an einem anderen Ort eine Familie gegründet, weil sie in Marth nicht hätten ansässig werden können. Denn Dreiling darf keine Baugenehmigungen erteilen. "Aber ich bin dann der Depp, der es nicht hinbekommen hat", sagt er. Durch solche Erlebnisse würden die Bürger immer mehr das Vertrauen in die politischen und gesellschaftlichen Institutionen verlieren. [...] Dass Marth von der Politik aber auch gefördert wird, die Burgruine auf dem Rusteberg mit Fördermitteln saniert wurde und das Dorf bald wahrscheinlich viele zehntausend Euro für die Dorferneuerung bekommt, zählt da nicht viel. Bürgermeister Dreiling sagt: "Viele haben mit der Politik große Probleme." Und der Bürgermeister hat dann auch welche. [...]

Mona Jaeger, "Einer muss es ja machen", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. September 2019; © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv

Als politische Hauptorgane der Gemeinden gelten dennoch die Gemeindevertretungen. Sie treffen richtungsweisende kommunalpolitische Entscheidungen, zum Beispiel im Rahmen der Haushaltssatzungen. Gleichzeitig haben die Gemeindevertretungen wichtige Kontrollfunktionen gegenüber der Verwaltung. Für ihre Arbeit organisieren sich die Mitglieder in der Regel entlang parteipolitischer Gruppierungen, ähnlich dem Bundestag und den Landtagen. Im Gegensatz zu den dortigen Abgeordneten sind sie jedoch ehrenamtlich tätig. Ein weiterer Unterschied besteht beim passiven und aktiven Wahlrecht. Grundsätzlich sind bei Kommunalwahlen alle ansässigen EU-Bürgerinnen und -Bürger wahlberechtigt – in vielen Ländern bereits ab 16 Jahren. Wählbar sind sie ebenfalls, abhängig vom angestrebten Amt jedoch erst mit Erreichen eines höheren Alters. Diese Besonderheit im Wahlrecht gilt auch für die Kreisebene, wo eine ähnliche Kompetenzverteilung vorherrscht. Die gewählten Kreistage sind die politischen Hauptorgane mit grundlegenden Entscheidungsbefugnissen. Dabei kommt es mitunter vor, dass Mitglieder der Gemeinderäte auch dem Kreistag angehören. Den Landrätinnen und Landräten kommen wiederum zentrale vorbereitende und durchführende Kompetenzen zu. Hierfür werden sie direkt gewählt – mit Ausnahme Schleswig-Holsteins und Baden-Württembergs, wo die Kreistage diese Aufgabe übernehmen. Auch wenn übrigens vieles an die Gewaltenteilung auf Bundes- und Landesebene erinnert: Gemeindevertretungen und Kreistage sind formal ebenfalls Teil der Exekutive; sie beschließen also keine Gesetze. Materiell hat die Regelung der kommunalen Angelegenheiten durch Satzungen jedoch Gesetzescharakter, und auch die Organisation von Gemeindevertretungen und Kreistagen ähnelt denen der "echten" Parlamente.

Kommunalverwaltung

Mit der Durchführung von Entscheidungen sind schließlich die Kommunalverwaltungen betraut. Über deren Organisation können die Kommunen – und dort insbesondere die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie die Landrätinnen und Landräte – weitestgehend frei entscheiden. Dass die Kommunen eine hervorgehobene Stellung im deutschen Verwaltungssystem einnehmen, zeigt sich nicht zuletzt im Öffentlichen Dienst. Immerhin ein Drittel aller Beschäftigten (ausgenommen die der Sozialversicherungen) arbeitet dort auf kommunaler Ebene. Vor dem Hintergrund, dass die Mehrheit der Landesbeschäftigten im Bildungssektor tätig ist, zeigen sich die Kommunen damit als ein Kernpfeiler der öffentlichen Verwaltung. In der Tat entstehen die meisten Kontakte zwischen Bürgerinnen und Bürgern und dem Staat auf der kommunalen Ebene. Allerdings stehen viele Kommunalverwaltungen, gerade in kleineren Gemeinden, vor großen Herausforderungen, all ihren Aufgaben noch in angemessener Weise nachzukommen.

Im Zuge langjähriger Sparanstrengungen ist der Personalbestand in vielen Kommunalverwaltungen geschrumpft, ohne dass gleichzeitig die Aufgaben zurückgegangen wären. Im Gegenteil entstehen immer neue Anforderungen, und das nicht nur bei der Erledigung öffentlicher Aufgaben. Auch die Verwaltungsorganisation ist stetem Wandel unterworfen, gegenwärtig vor allem durch die Digitalisierung. Zudem stellen die Bürgerinnen und Bürger mittlerweile höhere Ansprüche hinsichtlich der Beteiligung an öffentlichen Entscheidungen. Da viele Kommunalverwaltungen aufgrund ihrer Altersstruktur gleichzeitig noch den eigenen demografischen Wandel meistern müssen, sind also nicht immer ausreichende Voraussetzungen gegeben, sich in allen kommunalen Aufgabenbereichen voll und ganz zu engagieren. Wie schon bei den Ausgaben leiden auch hier häufig die freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben am stärksten. Gleichermaßen laufen die Fördermaßnahmen von EU, Bund und Ländern mancherorts nicht nur deswegen ins Leere, weil die Kommunen die geforderten Eigenmittel nicht aufbringen können. Ihnen fehlt oft auch das Personal für die durchaus komplizierte Beantragung der Mittel.

Andere Kommunen finden sich wiederum in der Situation, aufgrund einer guten Einnahmesituation ausreichend qualifiziertes Personal vorhalten zu können. Ihre Verwaltung ist damit allgemein handlungsfähiger, und auch der Zugriff auf Fördermöglichkeiten fällt leichter. Inwieweit also Gemeinderäte, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Kommunalverwaltungen sowie Bürgerinnen und Bürger die lokale Entwicklung gestalten können, hängt nur zum Teil von ihnen selbst ab. Vielmehr besteht ein individueller Handlungskontext, geprägt durch rechtliche Vorgaben, finanzielle Möglichkeiten und vorhandene Expertise. In Anbetracht der lokalen Herausforderungen ergeben sich daraus Handlungsspielräume, die sich von Kommune zu Kommune unterscheiden.

Die Handlungsfähigkeit der Kommunen und speziell ihrer Verwaltungen ist längst auch ein politisches Thema auf den höheren Ebenen. Die Kommunen erfüllen eine große Bandbreite an öffentlichen Aufgaben, gerade auch im Auftrag des Bundes und der Länder. Formal sind sie jedoch an deren Entscheidungen kaum beteiligt. Aus diesen Gründen haben sich die Kommunen in drei Spitzenverbänden zusammengeschlossen: dem Deutschen Städtetag, dem Deutsche Städte- und Gemeindebund sowie dem Deutschen Landkreistag. Diese Verbände sollen den kommunalen Anliegen auf Bundes- und Landesebene besseres Gehör verschaffen.

Die Rolle der Kommunen in der ländlichen Entwicklung

Aufgrund ihrer formalen Allzuständigkeit in örtlichen Angelegenheiten und als erste Anlaufstelle für die Bürgerinnen und Bürger spielen die Kommunen grundsätzlich eine Schlüsselrolle in lokalen Entwicklungsprozessen. Sie sind zudem an der Entscheidung und Umsetzung von Maßnahmen beteiligt, die gerade in ländlichen Räumen als besonders wichtig erachtet werden, zum Beispiel in den Bereichen Verkehr, Siedlungsentwicklung und soziale Dienstleistungen. Zu Kapitelbeginn wurde allerdings dargelegt, dass die Kommunen in einem Mehrebenensystem agieren, das ihre Gestaltungsmöglichkeiten auf vielfache Weise beeinflusst. Im Folgenden soll anhand der Wirtschaftsförderung und der Daseinsvorsorge beispielhaft verdeutlicht werden, welche konkreten Möglichkeiten die Kommunen in zentralen Handlungsfeldern der ländlichen Entwicklung besitzen.

Kommunale Wirtschaftsförderung

Zielsetzung:

Kommunale Wirtschaftsförderung kann allgemein als lokale und regionale Strukturpolitik aufgefasst werden, deren Hauptziel darin besteht, die wirtschaftliche Entwicklung einer Kommune zu verbessern bzw. zu verstetigen (hierzu und zu den folgenden Ausführungen siehe auch Thorsten Korn / Gregor van der Beek 2018, Literatur zu Kapitel 7, im Kapitel Interner Link: Quellen Literatur und Links). Aus diesem Hauptziel lassen sich drei konkrete Unterziele ableiten. Diese umfassen

  1. die Sicherung und Erweiterung des lokalen und regionalen Arbeitsplatzangebots,

  2. die Entwicklung einer zukunftsfähigen Wirtschaftsstruktur sowie

  3. die Pflege der lokalen und regionalen Standortbedingungen.

Für die Umsetzung der drei Unterziele stehen den Kommunen zwei grundlegende Handlungsansätze zur Verfügung, welche in der Praxis miteinander kombiniert werden können. Zum einen können die wirtschaftspolitischen Bemühungen auf die Sicherung und Unterstützung der bereits vorhandenen ortsansässigen Unternehmen abzielen. Zum anderen kann versucht werden, den bereits vorhandenen Unternehmensbestand um neue Unternehmen zu erweitern. Letzteres kann sowohl durch die Ansiedlung bislang anderswo niedergelassener Unternehmen geschehen als auch durch Unterstützung bei der Gründung originär neuer Unternehmen. Die Gestaltungsmöglichkeiten von Wirtschaftsförderungen sind in ländlichen Räumen oft eingeschränkter als in urbanen Räumen, weil der Unternehmensbestand kleiner, die Standortattraktivität für Unternehmensansiedlungen häufig geringer und das Potenzial an Gründungspersonen begrenzter ist.

Beratungsfunktion:

Für lokale Unternehmen sind kommunale Wirtschaftsförderungen eine wichtige, zentrale Anlaufstelle für Informationen, Kommunikation und Beratung. Diese Funktion umfasst unter anderem die Vermarktung des Wirtschaftsstandorts nach außen, die Unterstützung bei der Beantragung von Fördermitteln von EU, Bund und Ländern, die Beratung in Fragen der Unternehmensansiedlung, -gründung oder -erweiterung, die Einbindung in bestehende Unternehmensnetzwerke sowie die Vermittlung zwischen Unternehmen und weiteren wirtschaftsrelevanten Akteuren, etwa Banken und Kammern. Umfang und Qualität des Informations- und Beratungsangebots hängen unter anderem von der Anzahl an qualifizierten Beraterinnen und Beratern ab. Die in der Regel mit weniger Personen arbeitenden Wirtschaftsförderungen in ländlichen Räumen könnten hier also im Nachteil sein.

Flächenmanagement:

Hinzu kommen institutionelle Grenzen kommunaler Wirtschaftsförderung. Trotz ihrer grundsätzlichen Allzuständigkeit in örtlichen Angelegenheiten sind die Kommunen in ihren Gestaltungsmöglichkeiten auf vielen Handlungsfeldern faktisch begrenzt durch übergeordnete Kompetenzen auf Landes-, Bundes- sowie EU-Ebene. Eine Ausnahme bildet das Flächenmanagement, das nahezu vollständig in den Zuständigkeitsbereich der Kommunen fällt. Hier stehen den Kommunen in Form der Flächennutzungsplanung sowie der Bebauungsplanung effektive Instrumente zur Verfügung, um den Produktionsfaktor Boden für die unternehmerische Nutzung in Wert zu setzen. Dies kann beispielsweise durch die Umwandlung von Acker- oder Grünlandflächen in gewerbliches Bauland geschehen.

Jedoch können potenzielle Nutzungskonflikte den Erwerb und die Erschließung landwirtschaftlicher Flächen erschweren. Des Weiteren kann es im Sinne einer nachhaltigen Raumentwicklung geboten sein, die Neuinanspruchnahme von Flächen für Gewerbe zu verringern und stattdessen zum Beispiel eher Umnutzungen anzustreben. Besondere Bedeutung erwächst dem Flächenmanagement in ländlichen Räumen dadurch, dass günstig verfügbare Gewerbeflächen einen wichtigen Standortvorteil ländlicher Räume darstellen, der sie insbesondere für flächenintensive Branchen und Betriebe attraktiv machen kann. Möglich ist allerdings, dass sich im Zuge der Digitalisierung die Standortanforderungen und der Flächenbedarf von Unternehmen verändern und somit die Ausweisung großer Gewerbeflächen an Bedeutung verliert.

Infrastrukturpolitik:

Relativ groß, aber im Vergleich zum Flächenmanagement deutlich eingeschränkter sind die kommunalen Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich der Infrastrukturpolitik. Zwar verfügen die Kommunen hier über umfassende Kompetenzen und können neben Industrie- und Gewerbegebieten auch Technologie- und Gründerzentren bereitstellen. Doch eine unter dem Marktpreis liegende und in diesem Sinne vergünstigte oder gar kostenfreie Überlassung von Flächen oder Liegenschaften an ausgewählte Unternehmen ist durch das EU-Beihilferecht untersagt.

Keinen direkten Einfluss haben die Kommunen zudem etwa auf die Einbindung in das überregionale Straßen- und Schienennetz. Dies kann vor allem in ländlichen Räumen von Nachteil sein, weil hier mit dem produzierenden Gewerbe ein relativ materialintensiver Wirtschaftszweig einen relativ hohen Anteil an der Wirtschaftsleistung einnimmt (siehe auch Kapitel Interner Link: Wirtschaftliche Vielfalt ländlicher Räume) Da materialintensive Wirtschaftszweige zugleich relativ transportintensiv sind, brauchen sie einen guten Anschluss an das überregionale Verkehrsnetz, um sowohl die Beschaffung von beispielsweise Rohstoffen und Vorprodukten als auch den Absatz von Zwischen- und Fertigerzeugnissen möglichst kostengünstig organisieren zu können. Für die lokale und regionale Wettbewerbsfähigkeit kann sich die Einbindung in die überörtliche Verkehrsinfrastruktur damit als sehr bedeutsam erweisen.

Bildungspolitik:

Ein weiteres wichtiges Handlungsfeld stellt die Bildungspolitik dar. Auf den ersten Blick kommt den Kommunen als Schulträger hier hohe Bedeutung zu. In den meisten Bundesländern befinden sich die Grund-, Haupt- und Realschulen in Trägerschaft der Gemeinden, während Gymnasien, Berufs- und Förderschulen häufig in Trägerschaft der Landkreise sind. Kreisfreie Städte übernehmen wiederum beides. Allerdings betrifft die Schulträgerschaft nur die "äußere" Schulverwaltung, also vor allem Gebäude, Ausstattung und die Schulentwicklungsplanung. Und selbst dort schränkt die Landesebene die kommunalen Gestaltungsmöglichkeiten stark ein. Obwohl zum Beispiel die Schulentwicklungsplanung, die sich mit der langfristigen Planung des schulischen Angebots befasst, zum Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung zählt, sind die Kommunen hier zumeist an Vorgaben, Genehmigungen und Mittelzuweisungen durch die Länder gebunden (siehe dazu auch Hermann Budde / Keno Frank 2018, Literatur zu Kapitel 7, im Kapitel Interner Link: Quellen, Literatur und Links). Die Länder zeichnen darüber hinaus verantwortlich für die "innere" Schulverwaltung, also insbesondere Lehrpläne und Personalausstattung. Außerdem sind sie zuständig für Bereiche, die für die Förderung und Herausbildung von Humankapital besonders bedeutsam sind, etwa die Ausbildung von Lehrkräften sowie die Entscheidung über neue Hochschulstandorte.

Steuerpolitik:

Auf die begrenzte steuerpolitische Autonomie der Kommunen wurde bereits hingewiesen, ein gewisser Handlungsspielraum aber bleibt. So können die Kommunen nicht nur Bagatellsteuern erheben (wie etwa die Hundesteuer), sondern sie verfügen bei der Grund- und Gewerbesteuer auch über frei wählbare Hebesätze, mit deren Hilfe sie die Höhe der daraus resultierenden Steuereinnahmen mitbestimmen können (für die beispielhafte Berechnung der Gewerbesteuer siehe den Quellentext "Berechnung der Gewerbesteuer). Dieses Instrument birgt aber auch Risiken, denn allzu hohe Hebesätze könnten Unternehmen dazu verleiten, ihren Sitz an Standorte mit geringerer Steuerbelastung zu verlagern. Ein weiteres Problem ist die relativ große Abhängigkeit der Kommunen von der Gewerbesteuer, die als Ertrags- bzw. Gewinnsteuer starken konjunkturellen, branchen- oder unternehmensspezifischen Schwankungen unterliegen kann. Befinden sich demnach eine oder mehrere der lokal ansässigen Branchen in einem wirtschaftlichen Abschwung und verzeichnen sinkende Erträge, können die kommunalen Steuereinnahmen empfindlich schrumpfen und die Gestaltungsmöglichkeiten der kommunalen Wirtschaftsförderung damit eingeschränkt werden.

QuellentextBerechnung der Gewerbesteuer

Der Ausgangswert der Gewerbesteuer ist der Gewerbe-ertrag. Dieser entspricht im Wesentlichen dem Gewinn aus dem Gewerbebetrieb. Für die weiteren Rechenschritte ist der Gewerbeertrag auf volle 100 Euro abzurunden und bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften um einen Freibetrag in Höhe von 24.500 Euro zu kürzen. Kapitalgesellschaften haben keinen Freibetrag, dessen Zweck vor allem in der Vermeidung wirtschaftlicher Härten für kleinere Unternehmen besteht. Anschließend wird der abgerundete und gekürzte Gewerbeertrag mit der bundesweit einheitlichen Gewerbesteuermesszahl von 0,035 (3,5 Prozent) multipliziert. Das Ergebnis ist der sogenannte Gewerbesteuermessbetrag. Letzterer wird anschließend mit dem von der jeweiligen Gemeinde festzulegenden Gewerbesteuerhebesatz multipliziert, der zur Unterbindung eines ruinösen Steuerwettbewerbs einen Wert von 2 (200 Prozent) nicht unterschreiten darf. Das Ergebnis der letzten Multiplikation entspricht der Höhe der Gewerbesteuer.

Ein Rechenbeispiel:

Zwei personengeführte Handwerksbetriebe in Ostwestfalen erwirtschaften einen Gewinn von jeweils 67.850 Euro. Der eine Betrieb hat seinen Standort in der Großstadt Bielefeld, der andere in der ländlichen Gemeinde Steinheim im Kreis Höxter.

Nach Abrundung und anschließender Kürzung um den Freibetrag (minus 24.500 Euro) resultiert für beide Betriebe zunächst ein Zwischenbetrag von jeweils 43.300 Euro. Aus der Multiplikation dieses Zwischenbetrags mit der Gewerbesteuermesszahl ergibt sich anschließend ein Gewerbesteuermessbetrag von jeweils 1.515,50 Euro (=43.300 mal 0,035). Auch dieser Betrag ist für beide Betriebe gleich.

Erst die Anwendung der gemeindespezifischen Gewer-besteuerhebesätze führt zu Unterschieden, denn während in Bielefeld im Jahr 2018 ein Hebesatz von 4,8 (480 Prozent) gilt, beträgt er in Steinheim nur 4,15 (415 Prozent). Aus diesem Grund entrichtet der Bielefelder Handwerksbetrieb eine Gewerbesteuer in Höhe von 7.274,40 Euro (=1.515,50 mal 4,8), während der in Steinheim gelegene Betrieb eine Belastung von nur 6.289,33 Euro (=1.515,50 mal 4,15) zu tragen hat.

Die spezifischen Hebesteuersätze entstammen der Tabelle Realsteuerhebesätze 2014 bis 2019 im Bezirk der IHK Ostwestfalen, Bielefeld. Die Berechnungen sind angelehnt an das Zahlenbeispiel aus dem IzpB-Heft 333, 2017, S. 31.

Subventionsmöglichkeiten:

Enge Grenzen sind der kommunalen Wirtschaftsförderung auch bei der Vergabe von Subventionen gesetzt. Hier sind allenfalls geringfügige Beihilfen in Höhe von max. 200.000 Euro je Unternehmen innerhalb von drei Steuerjahren erlaubt. Höhere Subventionssummen stehen unter dem Verdacht der Wettbewerbsverzerrung und bedürfen daher der Prüfung und Genehmigung durch die Europäische Kommission. Effektive kommunale Handlungsmöglichkeiten fehlen zudem völlig, wenn es darum geht, die lokalen und regionalen Auswirkungen einer plötzlichen gesamtwirtschaftlichen Rezession kurzfristig abzufedern. Während der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 zum Beispiel waren die Kommunen vollständig auf die Stabilisierungsmaßnahmen der übergeordneten staatlichen Ebenen angewiesen. Dazu zählten etwa die Konjunkturpakete der Bundesregierung, deren Mittel unter anderem auch zur Förderung kommunaler Investitionen eingesetzt wurden, sowie die geldpolitischen Impulse der europäischen Zentralbank.

Ökonomische Einflüsse:

Kommunale Wirtschaftsförderung unterliegt aber nicht nur institutionellen, sondern auch ökonomischen Grenzen. Denn welche Branchen und Unternehmen sich in der Zukunft als hinreichend wachstumsstark und wettbewerbsfähig erweisen, kann in dynamischen marktwirtschaftlichen Kontexten kaum verlässlich vorausgesehen werden. Sobald der Staat also bestimmte Branchen oder Unternehmen selektiv fördert, nimmt er für sich in Anspruch, über bessere Informationen über Märkte und ihre Entwicklungen zu verfügen als die Marktakteure selbst. Weil dieser Anspruch in der Realität aber kaum eingelöst werden kann, besteht immer auch die Gefahr von Fehlförderungen.

Darüber hinaus besitzen kommunale Wirtschaftsförderungen kaum wirkungsvolle Mittel, Regionen aus einer verfestigten Wachstums- oder Strukturschwäche herauszuführen. Ein sich selbst verstärkender Kreislauf aus nachlassender Produktion, sinkenden Beschäftigungszahlen, abnehmender Nachfrage und ausbleibenden Investitionen ist nur schwer zu durchbrechen, zumal die (ohnehin begrenzten) Handlungsmöglichkeiten der Kommune durch sinkende Steuereinnahmen weiter eingeschränkt werden. Liegt ein solches Szenario vor, müssen Lösungsansätze unter der Mitwirkung der übergeordneten politischen Ebenen entwickelt werden.

Umgekehrt kann eine positive wirtschaftliche Entwicklung die kommunalen Steuereinnahmen und Handlungsmöglichkeiten spürbar erweitern. Setzt die Wirtschaftsförderung diese Mittel und die ihr zur Verfügung stehenden Instrumente klug und umsichtig ein, kann sie ihrerseits zu einer zusätzlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Situation beitragen. Um ihre allgemeinen Handlungsspielräume zu erweitern, können Kommunen zudem interkommunale und regionale Kooperationen anstreben. Zu unterscheiden sind hier weitreichende Kooperationsformen wie interkommunale Gewerbegebiete und losere Zusammenarbeit wie etwa Regionalmarketing.

Anpassungsstrategien der Daseinsvorsorge

Der vorangegangene Absatz verweist darauf, dass die Möglichkeiten gerade für Regionen mit Strukturproblemen, eine positive wirtschaftliche Entwicklung eigenständig herbeizuführen, begrenzt sind. Vor diesem Hintergrund kann es für lokale und regionale Akteure sinnvoller sein, die Lebensqualität der vorhandenen Bevölkerung mithilfe möglichst guter Versorgungsangebote zu sichern oder zu verbessern, anstatt Strategien zu verfolgen, die darauf abzielen, die wirtschaftliche Entwicklung anzukurbeln und Einwohner von außen anzuziehen. Da viele Angebote der Daseinsvorsorge durch die öffentliche Hand erbracht, finanziert oder reguliert werden, bestehen hier zumindest theoretisch verschiedene Handlungsmöglichkeiten auch für ressourcenschwache Regionen.

Angebotsreduktion und Fokussierung auf das Wesentliche:

Verfolgt eine Kommune diesen politischen Handlungsansatz, werden beispielsweise Einrichtungen geschlossen, die Angebotspalette eingeschränkt, Öffnungszeiten reduziert oder öffentliche Zuschüsse verringert, sodass die Nutzerinnen und Nutzer selbst einen höheren Kostenbeitrag leisten müssen. So verringerte sich die Zahl der Krankenhäuser in ländlichen Räumen von 2012 bis 2017 um 3,7 Prozent, während ihre Zahl in den verdichteten Räumen um 1,5 Prozent stieg (alle Zahlenangaben in diesem Abschnitt resultieren aus eigener Berechnung mit Daten von Destatis 2020 und von Patrick Küpper 2016, siehe Literatur zu Kapitel 1, im Kapitel Interner Link: Quellen, Literatur und Links). Die Zahl der Grundschulen in den ländlichen Räumen sank im gleichen Zeitraum um 4,4 Prozent; in den verdichteten Räumen betrug das Minus lediglich 2,4 Prozent. Diese Angebotsreduktionen im Fünfjahreszeitraum 2012 bis 2017 betrafen die ländlichen Räume Westdeutschlands stärker als diejenigen in Ostdeutschland mit -4,5 gegenüber -0,5 Prozent bei den Krankenhäusern bzw. -4,7 gegenüber -3,5 Prozent bei den Grundschulen. Das liegt daran, dass in Ostdeutschland bereits in den ersten beiden Jahrzehnten nach der Wiedervereinigung viele kleine Einrichtungen geschlossen worden waren.

Aus der Angebotsreduktion ergeben sich Probleme insbesondere für die Bevölkerungsgruppen, die keinen Pkw nutzen können, um benachbarte Einrichtungen anzufahren, oder denen die finanziellen Mittel fehlen, um Mehrkosten zu bezahlen. Reduktionsprozesse laufen oftmals wenig koordiniert ab; wenn etwa vom Land festgesetzte Mindestschülerzahlen nicht mehr erreicht werden, wird die Schule geschlossen, oder wenn ein Arzt, der in den Ruhestand geht, keinen Nachfolger findet, fällt die Versorgung weg. Allerdings kann ein solcher Prozess auch so gesteuert werden, dass die verbleibenden Einrichtungen möglichst gut erreichbar sind. Wenn es sich bei zu schließenden Angeboten um die letzte Einrichtung im Ort handelt, könnte es sinnvoll sein, diese wegen ihrer Treffpunktfunktion und emotionalen Bedeutung für die lokale Bevölkerung aufrechtzuerhalten, auch wenn die Nutzerzahlen gering und die Kosten hoch sind. Jedoch engen Regelungen übergeordneter Ebenen den lokalen Spielraum ein. Die Länder definieren beispielsweise bestimmte Pflichtaufgaben (z. B. Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung) für die Kommunen und übertragen ihnen Aufgaben (z. B. Katastrophenschutz), die die Kommunen erfüllen müssen und daher nicht reduzieren können. Zudem schränken Bundes- und Landesregelungen die Handlungsmöglichkeiten lokaler Akteure ein, so etwa im Bereich der Krankenhausfinanzierung. Eine Rolle spielen außerdem individuelle oder unternehmerische Entscheidungen, wie die Standortwahl von Ärzten oder Lebensmitteleinzelhändlern, die allenfalls mittelbar beeinflusst werden können. Schließlich kann die Reduktion von Angeboten auch gegenteilige Wirkungen haben. Wenn beispielsweise auf Grund landesrechtlicher Vorgaben Schulen geschlossen werden müssen, kann es sein, dass Kosten für den vermehrten Einsatz von Schulbussen den Einspareffekt zunichtemachen. Allerdings fallen die Kosten dieser Schülerbeförderung bei den Kommunen an, während das Land, das die Lehrkräfte bezahlt, sehr wohl Einsparungen verzeichnet.

Veränderung von Organisation und Management:

Auch mit geänderter Organisation lässt sich die Daseinsvorsorge gestalten. Bürgerinnen und Bürger können entsprechende Leistungen übernehmen oder ergänzen, indem sie beispielsweise einen geschlossenen Dorfladen als Genossenschaft wiederbeleben, Buslinien mit ehrenamtlich betriebenen Bürgerbussen ergänzen oder Senioren mitbetreuen, indem sie mit ihnen spazieren gehen oder gemeinsam Erledigungen machen. Das Potenzial zur Verlagerung von Aufgaben auf Bürgerinnen und Bürger ist aber durchaus begrenzt: Viele Aufgaben setzen eine spezielle Expertise und Kontinuität voraus, die bei einer Übernahme durch freiwillig Engagierte kaum zu gewährleisten sind. Gerade in Regionen, in denen die Sicherung der Daseinsvorsorge eine besondere Herausforderung darstellt, weil die Bevölkerungszahl zurückgeht und die Zahl der Senioren, die deutlich weniger aktiv sind, steigt, sind viele Hilfswillige bereits stark engagiert (Stichwort: Multifunktionsträger).

QuellentextMit Engagement das Dorf voranbringen

[...] Steinbach im Wartburgkreis, 1.000 Einwohner, liegt auf der Südseite des Thüringer Waldes. Serpentinenreich windet sich die Straße von Eisenach den Berg hinauf über den Kamm, und dann öffnet sich bald der Blick in ein Tal, in dem sich dicht an dicht Fachwerkhäuser reihen. [...]

Zweimal geriet Steinbach [im Wartburgkreis] bisher in die weltweiten Schlagzeilen. Das erste Mal 1521, als Martin Luther hier auf dem Rückweg vom Reichstag in Worms zum Schein gefangen genommen und zu seinem Schutz auf die Wartburg gebracht wurde, sowie im 19. und 20. Jahrhundert dann durch seine florierende Messerindustrie. [...] In der DDR produzierten hier noch 1989 im "VEB Stahl- und Schneidwaren" mehr als 1.100 Mitarbeiter Messer und Schlösser, im Jahr nach der Wiedervereinigung waren noch zehn Angestellte übrig. "Die Maschinen wurden verkauft, die Mitarbeiter entlassen", erzählt [Markus] Malsch, dessen Mutter "bei Messer" arbeitete. [Malsch, 41 Jahre alt, war mal stellvertretender Bürgermeister und ist seit fünf Jahren Landtagsabgeordneter der CDU, zuständig auch für den ländlichen Raum.]

[...] Fast die Hälfte der einst knapp 2.000 Einwohner ist weggezogen; wer geblieben ist, arbeitet in Nachbarorten, pendelt nach Eisenach oder über die Landesgrenze nach Hessen. Nicht wenige Häuser vor allem im Ortskern stehen leer, verlassene Produktionsgebäude sind zu sehen, die nach und nach in sich zusammenfallen. Ein Großteil der Straßen ist marode, die letzte Bahn fuhr 1974 hier hinauf, der Altersdurchschnitt ist drastisch gestiegen. Das Land Thüringen stuft Steinbach als "Gebiet mit erhöhter Problemintensität" ein. Und dennoch ist die Stimmung im Ort überraschend positiv. [...]

"Unser Gemüt ist rauh, aber herzlich", sagt Malsch. "Wir haben uns was einfallen lassen, wir haben einfach was gemacht." Wobei die Sache hier meist so läuft, dass Malsch eine Idee hat und dann viele Leute mitziehen. Wie mit der größten Zigarettenschachtel der Welt, die sie nach der Wende aus 120.000 einzelnen Schachteln zusammenklebten, um damit ins Guinness-Buch der Rekorde zu kommen. Zwei Jahre lang ließ Malsch, damals noch Lehrling, in Steinbach und Umgebung sammeln, gemeinsam organisierten sie ein Fest mit Band und Familientag und präsentierten der Jury den noch heute gültigen Rekord. "Erstmals war wieder richtig was los in Steinbach", erzählt Malsch. Bald darauf gründete er, der früher Rallyes fuhr, einen Rennsportverein, um das in der DDR legendäre Glasbachrennen wiederzubeleben. In 10.000 Arbeitsstunden reaktivierte der Verein nur mit Freiwilligen die längste Bergrennstrecke Europas, installierte 1.000 zusätzliche Leitplanken. Zur Europameisterschaft jährlich im Juni kommen 15.000 Menschen aus aller Welt, und Malsch sitzt als Steinbachs Vertreter bei den Treffen des Weltmotorsportverbands mit Jean Todt in Paris.

"In den Vereinen haben die Leute Halt gefunden", sagt Elvira Schmager. "Das ist wie eine zweite Familie." Schmager ist Chefin des Karnevalsvereins, den es schon seit 1975 gibt. [...]

Schmager macht auch beim jüngsten Steinbacher Verein mit, dem Zukunftsstammtisch, der sich vor zwei Jahren nach einem Aufruf in der Kirche gründete. Als Ende 2016 der letzte Laden schloss, der Bäcker aufhörte und es im Dorf nur noch anderthalb Fleischer und einen Friseur gab, habe es Aufruhr gegeben, sagt Marcus Malsch. Früher waren im Ort drei Lebensmittelläden, vier Bäckereien, zwei Gärtnereien, eine Papierhandlung, ein Schuhladen, ein Sport- und Textilgeschäft und fünf Gastwirtschaften. [...] Doch trotz intensiver Suche fand sich niemand, der einen Dorfladen – verbunden mit einem zumindest in der Wandersaison attraktiven Imbiss am nahen Rennsteig – betreiben wollte. Also machte es Malsch selbst, gründete eine GmbH, die nun im einstigen Gemeindeamt, das heute "Messerstübchen" heißt, ein Café und einen kleinen Lebensmittelladen beherbergt, mit frischem Kuchen, Brötchen und regionalen Lebensmitteln sowie einer Messer-Auswahl, die ein kleiner Betrieb heute noch hier herstellt.

Vor zwei Jahren war Eröffnung, inzwischen gibt es sechs Angestellte. Ob es sich trägt? "Sagen wir so: Wir kriegen es hin", sagt Malsch, der bei dem Thema auch grundsätzlich wird, nämlich wie man Leute dazu bringt, das zu nutzen, was geboten wird. "Die meisten merken erst, was sie verlieren, wenn was weg ist", sagt er. Das müsse man immer wieder knallhart klarmachen. Sieht er Steinbacher irgendwo im Supermarkt, gehe er "sofort ran", verweist auf den Dorfladen und das Engagement der Mitarbeiter.

[...] Einmal im Monat treffen sich rund 30 Steinbacher im "Messerstübchen", es geht darum, das Dorf gemeinsam voranzubringen. Auch der Bürgermeister ist dabei, doch versuchen die Teilnehmer, möglichst viel allein zu lösen. So entstanden eine "Mitfahrbank", von der sich Leute unabhängig von Bus-Zeiten per Anhalter mitnehmen lassen können, [...] es gibt einen Telefon-Service für Ältere, die so Einkäufe bestellen können, oder den Steinbacher Advent, eine Art lebendiger Adventskalender, bei dem Einwohner in ihre Höfe laden. Der Zukunftsstammtisch habe keinen Chef und keine Tagesordnung, und Politik spiele keine Rolle, sagt Elvira Schmager. "Uns vereint, dass wir Steinbach lebenswert halten wollen." Nur bei "großen Dingen" wie Straßenbau und Leerstand gäben sie dann doch dem Rathaus "Aufträge".

Bürgermeister Michael Brodführer sitzt im fünf Kilometer entfernten Bad Liebenstein und lobt das Steinbacher Engagement. "Wo man sich kennt und füreinander verantwortlich fühlt, funktionieren die Dinge", sagt der junge CDU-Politiker. Umso schwerer wiege der Bruch nach 1990, als viele Gemeinschaften und Familien auseinanderflogen. Brodführer weiß um den Leerstand und verweist auf das DDR-Erbe. "Der harte Bruch in der Eigentumsordnung macht es schwer, heute etwas zu entwickeln." Viele Grundstücke seien nach der Wende restituiert worden und gehörten inzwischen Erben, die nichts davon wüssten oder wissen wollten. [...]

Die gute Nachricht ist, dass es in Steinbach nach langer Zeit überhaupt wieder einen Kindergarten gibt. [...] Unweit des Dorfzentrums wiederum ist die neueste Entwicklung zu bestaunen. Als die aus Kostengründen nachts ausgeschaltete Straßenbeleuchtung zum Beschwerdethema wurde, erinnerten sich Einwohner an die früher hier üblichen Wasserräder. Marcus Malsch nahm die Sache in die Hand, organisierte 200.000 Euro aus einem EU-Förderprogramm und ließ mit der Gemeinde Trafohäuschen und Wasserrad bauen, über das jetzt der Steinbach fließt. Mit der Idee gewann Steinbach den Thüringer Wettbewerb "Unser Dorf hat Zukunft" und bewirbt sich jetzt um den Europäischen Dorferneuerungspreis. [...]

Stefan Locke, "Mir geb'n net uff", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. Oktober 2019 © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv

Aufgaben lassen sich jedoch nicht nur auf Privatleute übertragen, sondern auch auf privatwirtschaftliche oder gemeinnützige Träger. Damit verbindet sich die Erwartung, dass nicht-öffentliche Träger beispielsweise Krankenhäuser, Versorgungsnetze, Nahverkehr oder Kindergärten effizienter betreiben können und somit den Zuschussbedarf für die öffentliche Hand verringern. Allerdings besteht das Risiko, dass sich zu bestimmten Konditionen keine alternativen Träger finden lassen, Kosteneinsparungen zu Lasten der Mitarbeitenden gehen oder die Preise für die Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich steigen. Daher wird etwa in den Bereichen Energie- und Trinkwassernetze, öffentlicher Verkehr oder sozialer Wohnungsbau wieder vermehrt eine Rekommunalisierung der Angebote diskutiert und teilweise auch umgesetzt.

QuellentextWie komme ich von A nach B? –alternative Mobilitätskonzepte auf dem Land

[...] [W]er in einer der deutschen Metropolen wie Berlin, München oder Hamburg lebt, braucht sich keine Gedanken zu machen, wie er von A nach B kommt. Ein eigenes Auto ist kaum noch nötig. Ganz anders sieht das abseits der Großstädte aus. In vielen Ortschaften fährt der Bus nur ein paar Mal am Tag, es gibt keine Bahnhöfe, geschweige denn ein öffentliches Verkehrsnetz [...]. Abseits der überfüllten Ballungsräume entstehen Mobilitätsalternativen meist durch das Engagement der Bürger.

Bürgerbusse:

Eines dieser Beispiele ist der "Bürgerbus". Im Prinzip ist er eine Alternative zum konventionellen öffentlichen Nahverkehr. Nach einem regulären Fahrplan steuert er festgelegte Haltestellen an. Das Besondere: Im Bürgerbusverein schließen sich die Menschen der betreffenden Städte und Kommunen zusammen und übernehmen die Organisation. Die Fahrer sind keine professionellen Busfahrer, sondern ehrenamtliche Mitarbeiter.

[...] In Deutschland nahmen in Nordrhein-Westfalen die ersten dieser ehrenamtlichen Beförderungsmittel den Betrieb auf. Mittlerweile gibt es in allen Bundesländern Nachahmer. Das zuständige Verkehrsunternehmen betreut die Bürgerbuslinie und ist Eigentümer. Gewinne machen die Bürgerbusse aber kaum. In vielen Fällen reichen die Einnahmen nicht einmal für die Spritkosten, [...]. Den Verlust übernimmt in der Regel die Kommune. In einigen Bundesländern wie NRW und Hessen werden Bürgerbusse finanziell gefördert.

ÖPNV on Demand:

Ein Problem vieler Buslinien im ländlichen Raum sind zu wenige Haltestellen. Die Lücken soll der "ÖPNV on Demand" schließen. Per App oder Telefon kann ein Bus oder Auto geordert werden. Vorreiter ist in dieser Hinsicht die bayerische Gemeinde Freyung mit etwa 7.000 Einwohnern. Seit 2018 gibt es hier das Projekt "Freyfahrt", das eine Abdeckung des Straßennetzes bis fast vor die Haustür verspricht. 230 Stopps sind in der dazugehörigen App hinterlegt. Jede Fahrt kostet 2,90 Euro, bezahlt wird beim Fahrer oder in der App.[...]

[D]er ÖPNV on Demand konzentriert sich auf Zeiten am Morgen bis zum frühen Nachmittag. Grund dafür ist, dass das Projekt nicht rentabel ist – 600 bis 700 Euro pro Monat Verlust macht Freyfahrt, trotz Förderung des Bundeslandes Bayern.

Nachahmer der Busse auf Abruf gibt es viele. [...]

Bürgerautos:

Nicht immer löst eine feste Strecke die Mobilitätsanforderungen in dünner besiedelten Gebieten. Gerade ältere Menschen sind darauf angewiesen, Ziele direkt ansteuern zu können. Sie müssen zum Arzt, einkaufen, die Verwandten besuchen. Die Lösung für diese Probleme sind Bürgerautos oder auch Bürgerrufautos. Im Prinzip funktionieren sie wie Taxis, mit dem Unterschied, dass sie sich durch Sponsoren und die jeweilige Kommune finanzieren. Die Fahrer sind wieder Ehrenamtliche.

In Oberreichenbach in Mittelfranken steht den Bewohnern beispielsweise ein Elektro-Bürgerauto zur Verfügung. Wer es nutzen will, muss bis zu zwei Tage vorher anrufen. Das Bürgerauto fährt Montag bis Freitag von acht bis 20 Uhr, eine Fahrt innerhalb des Ortes kostet zwei Euro, eine in die Nachbargemeinde drei Euro pro Person. [...]

Bürgerauto ist allerdings nicht gleich Bürgerauto. Unter demselben Begriff bieten einige Gemeinden privat organisierte Carsharing-Angebote an. [...]

Carsharing:

[...] Wer [...] versucht, außerhalb der Metropolen auf ein Sharing-Auto umzusteigen, findet kaum praktikable Angebote. Aus diesem Grund schließen sich in immer mehr Ortschaften die Bürger zusammen und gründen eigene Carsharing-Dienste.Ein Beispiel ist Mobi-LL am Westufer des Ammersees in Bayern. 34 Mitglieder und 54 Fahrberechtigte teilen sich in Schondorf, Utting und Dießen privat bereitgestellte Autos. Wer teilnehmen will, hinterlegt 600 Euro Kaution und zahlt einen Jahresbeitrag von 24 Euro. Abgerechnet wird nach Zeit (tagsüber ein Euro pro Stunde, nachts 25 Cent) und Strecke (34 Cent pro Kilometer).

Mitfahrgelegenheiten:

Zwei Autos mit je einer Person benötigen für die gleiche Strecke fast doppelt so viel Treibstoff wie ein Fahrzeug mit zwei Personen. Je mehr Passagiere [in einem Auto] mitfahren, desto geringer sind daher der Energieverbrauch und die Umweltbelastung pro Person. Es ist also durchaus sinnvoll, sich in Fahrgemeinschaften zu organisieren, gerade, wenn die Strecken regelmäßig zurückgelegt werden, wie bei Menschen, die täglich zu ihrem Arbeitgeber pendeln. Nur wie die passenden Mitfahrer finden? Hierauf haben sich einige Anbieter spezialisiert. "Pendlerportal" zum Beispiel startete vor 13 Jahren und ist in 250 Landkreisen und Städten vertreten. Per App können automatisiert Mitfahrer auf dem persönlichen Weg zur Arbeit gefunden werden. Das Angebot "Twogo" verfolgt einen ähnlichen Ansatz. [...]

Mitfahrbänke:

Daumen raus und warten, bis ein Auto anhält: Trampen kennen junge Menschen heute nur noch aus den Erzählungen ihrer Eltern. [...] In ländlichen Gebieten feiert das Trampen mittels "Mitfahrbänken" eine Renaissance. Sie werden in der Regel an viel befahrenen Straßen in der Nähe von Bushaltestellen oder Parkbuchten aufgestellt. Finanziert werden die Mitfahrbänke von den Gemeinden und Sponsoren wie lokalen Unternehmen, Bankfilialen und Handwerkern.

Wer mitgenommen werden will, nimmt Platz und wartet, bis ein Autofahrer anhält. Oft gibt es eine Schilderauswahl, mit der ein gewünschter Zielort angezeigt wird. So sollen die langen Taktzeiten des ÖPNV überbrückt und Ortsteile untereinander besser vernetzt werden. Das Mitfahren selbst ist umsonst. Wie bei all diesen selbstorganisierten Diensten und Angeboten gilt aber: Sie sind umso effektiver, je mehr Menschen mitmachen. Sonst kann die Wartezeit auf der Mitfahrbank mitunter ziemlich lang werden.

Felix Reek, "Tour de Provinz", in: Süddeutsche Zeitung vom 18. Januar 2020

Ein weiterer Ansatz zur Reorganisation besteht in einer verstärkten Zusammenarbeit bei der Erbringung von Leistungen bis hin zur organisatorischen Zusammenlegung von Einheiten. So können Städte und Gemeinden sowie Landkreise kooperieren, indem sie Abwasserzweckverbände gründen oder die eine Verwaltungseinheit die andere beauftragt, auch ihre Bürgerinnen und Bürger mitzuversorgen. Beispielsweise können Kinder und Jugendliche aus einer Gemeinde in der Nachbargemeinde zur Schule gehen oder zwei Landkreise gemeinsam den Nahverkehr ausschreiben.

Auch Einrichtungen der Daseinsvorsorge können zusammenarbeiten, indem mehrere Krankenhäuser sich abstimmen, welche Fachrichtungen sie jeweils vorhalten oder die Verwaltung zusammenlegen. Schließlich können auch bereichsübergreifende Kooperationen sinnvoll sein, wenn beispielsweise Krankenhäuser, Arztpraxen und Apotheken in regionalen Versorgungsnetzen zusammenarbeiten oder Gebäude multifunktional genutzt werden, etwa Post- und Bankdienstleistungen im Dorfladen integriert sind, und so zur besseren Auslastung des Personals und der Räumlichkeiten beitragen. Da Kooperationen in der Regel freiwillig sind, ist dieser Ansatz auf Situationen beschränkt, in denen alle Partner profitieren. In den Gebieten, in denen Kooperationsgewinne wie in der technischen Infrastruktur groß sind, gibt es daher auch schon seit Langem Zusammenschlüsse, sodass das Potenzial für weitere Kooperationen in vielen Bereichen begrenzt ist.

QuellentextWunschobjekt Versorgungszentrum – und wie man es erreichen kann

[...] Im vom Tourismus geprägten Nordseeheilbad Büsum leben 8.000 Menschen, von denen 60% älter als 60 Jahre sind. Bei den fünf Hausärzt*innen der Gemeinde war kein Nachfolger und keine Nachfolgerin in Aussicht, obwohl ihr Durchschnittsalter bereits bei 64 Jahren lag. Aus dieser Notlage heraus [wurde] Büsum [...] als erste Gemeinde in Deutschland, Träger von Arztsitzen [...]. Grundsätzlich bestehen zwei Möglichkeiten, ein Ärztezentrum zu gründen – entweder als Eigeneinrichtung oder als Medizinisches Versorgungszentrum. [...] Auf der gesetzlichen Grundlage des § 105 Abs. 5 SGB [Sozialgesetzbuch] V darf eine Gemeinde im Einvernehmen mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) eine eigene Organisationsform wählen, welche die Anstellung von Ärzt*innen ermöglicht. [...]

In Büsum wurde nach Erhalt der Zulassung eine kommunale gGmbH gegründet. Diese Rechtsform erlaubt der Gemeinde, Steuermittel zu investieren und unterstützend einzusetzen. Zur Entlastung der Ärzteschaft und der Gemeinde wurden bürokratische und administrative Aufgaben an einen externen Dienstleister übergeben.[...]

Die neu geschaffenen hausärztlichen Strukturen sind vor allen an den Ansprüchen der jungen Generation von Ärzten und Ärztinnen orientiert, die animiert werden sollen, in den ländlichen Raum (zurück)zukommen. Das Ärztezentrum ermöglicht eine Arbeit im Team, sowohl als Angestellte*r als auch als Inhaber*in eines KV-Sitzes. Es werden attraktive Arbeitszeiten, z.B. Teilzeitarbeit, angeboten, die den veränderten Arbeitsbedürfnissen der neuen Generation entgegenkommen, und gleichzeitig birgt das Arbeiten im Angestelltenverhältnis ein geringes finanzielles Risiko. Neben einer modernen Ausstattung ist ein weiterer Vorteil für die jungen Ärzt*innen, dass die umfangreiche Verwaltungstätigkeit nicht von ihnen selbst, sondern von dem externen Dienstleister übernommen wird. Auf diese Weise wird die hausärztliche Versorgung arbeitsteiliger und die Ärzt*innen können sich auf die Versorgung der Patient*innen konzentrieren. Mit diesem Modell gestaltete sich der Übergang von den niedergelassenen Hausärzt*innen auf die nächste Generation relativ einfach: Durch das Ärztezentrum gelang es, in Büsum vier junge Nachwuchsärzt*innen, davon drei Frauen zu gewinnen.

Als Pilotprojekt in der medizinischen Versorgung standen der Einführung des Ärztezentrums auch Hindernisse im Weg. [...]. Oftmals wird ein Zusammenbruch der medizinischen Versorgung durch den unrealistischen Wunsch der Ärzt*innen verursacht, eventuell noch eine*n Nachfolger*in für eine bestehende Praxis finden zu wollen. [...] Die Lösung, ein Ärzte-/Gesundheitszentrum in einem zentralen Ort aufzubauen, scheitert häufig an den Egoismen einzelner Gemeinden. Jede Gemeinde möchte das Gesundheitszentrum im eigenen Ort haben und die Einzelpraxen im Ort nicht aufgeben. Ein finanzielles Risiko ergibt sich für die kommunalen Träger daraus, dass die Ärzt*innen angestellt sind und im Gegensatz zu denjenigen, die einen Arztsitz kaufen, jederzeit kündigen können, beispielsweise wenn Ärzt*innen sich räumlich verändern wollen. [...] Da das Kassenarztrecht sehr komplex ist und fachspezifisches Wissen erfordert, ist es zudem sinnvoll, eine Geschäftsführerin oder einen Geschäftsführer aus der medizinischen Branche einzusetzen.

Vergleichbare Modelle zum Ärztezentrum in Büsum gibt es aktuell nur etwa ein Dutzend in Deutschland. Einer größeren Verbreitung steht entgegen, dass kleine Gemeinden zwar am stärksten vom Mangel an Ärzten und Ärztinnen betroffen sind, sie aber eine gewisse Größe und Einwohnerzahl benötigen, um ein kommunales Ärzte-/Gesundheitszentrum betreiben zu können. [...] Bedacht werden müssen [...] stets regionale Unterschiede, da jede Gemeinde und jede*r Mediziner*in individuelle Anforderungen hat. Ein Ärztezentrum als kommunale Eigeneinrichtung oder MVZ zu etablieren, sieht Harald Stender [Koordinator für ambulante Versorgung in Dithmarschen] als letzte Rettung der medizinischen Versorgung einer Gemeinde. Bei vielen Projekten organisiert er neben dem Zusammenschluss von Ärzt*innen auch die Ansiedlung weiterer Gesundheitsdienstleister (Apotheken, Zahnärzt*innen, Pflegeanbieter, Physiopraxen u.a.) in Gesundheitszentren. So wird die Modernisierung der hausärztlichen Versorgung im ländlichen Raum durch weitere Gesundheits- und Pflegedienstleister flankiert. [...]

Alba Lucke, "Neue Wege in der hausärztlichen Versorgung – das Ärztezentrum im Büsum", in: Ländlicher Raum 3/2019, hg. von der Agrarsozialen Gesellschaft e.V., S. 24f.

Darüber hinaus bietet es sich an, Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel mittels Befragungen oder Zukunftswerkstätten direkt zu beteiligen, um den tatsächlichen Bedarf zu ermitteln und Prioritäten setzen zu können. Dabei lässt sich herausfinden, wie viele Menschen von neuen Angeboten profitieren bzw. beim Wegfall bestehender Einrichtungen längere Wege in Kauf nehmen müssten. Nichtsdestotrotz können bei politischen Entscheidungen nicht alle Interessen gleichermaßen befriedigt werden, was zu Enttäuschungen bei den Beteiligten führen kann.

Angebotsverbesserung und Innovation: Auch durch Innovationen kann die Daseinsvorsorge verbessert werden. Innovative Angebotsformen umfassen digitale Lösungen wie beispielsweise eLearning und eHealth. Kommunen können als Schulträger Soft- und Hardware sowie den IT-Support für Onlineanwendungen bereitstellen, damit kranke Kinder dem Unterricht von zu Hause aus folgen können oder um bei der Erwachsenenbildung in den Kursen der Kreisvolkshochschulen Präsenz- und Selbstlernelemente zu kombinieren. Im Gesundheitsbereich können kleine Kreiskrankenhäuser, in denen sich zum Beispiel eine Radiologie 24 Stunden an sieben Tagen die Woche nicht lohnt, teleradiologische Leistungen in den Randzeiten nutzen. Mobile Dienstleistungen können stationäre Angebote, zu denen die Nutzerinnen und Nutzer hinfahren müssen, ersetzen. Ein Beispiel sind rollende Supermärkte, die Versorgungsleistungen erbringen, wo Lebensmittelläden fehlen.

Eine weitere innovative Form entsteht durch Dezentralisierung. So lassen sich Anschlüsse an zentrale Kläranlagen durch dezentrale Kleinkläranlagen ersetzen, wodurch lange Zuleitungen, die bei schrumpfender Bevölkerung von immer weniger Haushalten genutzt werden, wegfallen. Ein anderes Beispiel sind kleine Schulen mit jahrgangsübergreifendem Unterricht.

QuellentextLieber eine Zwergschule als gar keine?

[...] Die Ferien in Rheinland-Pfalz sind vorbei, 14 Schülerinnen und Schüler sitzen im Klassenraum der Wendelinus-Grundschule in Lieg. In der "Monsterklasse" werden nicht nur die vier Erstklässler unterrichtet, die gerade ihre ersten Buchstaben lernen, sondern alle bis zur 4. Klasse.

Eigentlich wollte die Landesregierung die Zwergschule schließen. Das Dorf protestierte. Anfang Juli [2018] entschied das Verwaltungsgericht Koblenz, die Schule dürfe vorerst weitermachen. Eltern, der Schulträger und der Landkreis hatten Rechtsschutz beantragt. Der Konflikt steht exemplarisch für die Bedeutung von gewohnten Institutionen wie Schulen auf dem Land.

Lieg ist ein Dorf mit rund 430 Einwohnern, alten Fachwerkhäusern und einem Gasthaus, das dreimal in der Woche öffnet. Es gehört zum Landkreis Cochem-Zell, der in den vergangenen Jahren fast vier Prozent seiner Einwohner verloren hat.

Als Ralf Lauxen, 43, in Lieg zur Grundschule ging, waren sie noch mehr als 70 Kinder. Lauxen ist Elternbeiratsvorsitzender, sein Sohn ist einer der vier Erstklässler, die gerade eingeschult wurden.

Lauxen ist dem Dorf treu geblieben. Während des Studiums fuhr er manchmal über hundert Kilometer von Trier nach Lieg, um bei der Probe des Musikvereins dabei zu sein. Später zog er mit seiner Frau hierher zurück. "Bei meinen Schwiegereltern, zwei Orte weiter, hätten wir ein Grundstück umsonst haben können. Hätte es dort Kindergarten und Schule gegeben, würden wir jetzt da wohnen", sagt er.

Einkaufsmöglichkeiten gibt es nicht. Für den Ort sei die Grundschule enorm wichtig, aus ihr rekrutierten Feuerwehr, Musik- und Sportverein den Nachwuchs, sagt Ortsbürgermeister Heinz Zilles. Die Schule ist das Hauptargument für Familien, in Lieg zu leben. "Wenn wir die Schule nicht mehr hätten, was hätten wir dann noch?"

Das Land zerfasert, sozial, kulturell und ökonomisch. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse verblasst. "Die öffentliche Diskussion dreht sich zu sehr um die Wachstumsschmerzen der Boomregionen und zu wenig um die Schrumpfungsschmerzen in vielen Regionen", konstatiert Empirica-Forscher Simons. Wenn das Vertraute verschwindet, fühlen sich die Menschen alleingelassen – vor allem von der Politik. [...]

Markus Dettmer/Robin Wille, "In einem anderen Land", in: DER SPIEGEL Nr. 34 vom18. August 2018, S. 62ff.

Die Umgestaltung der Daseinsvorsorge kann auch dazu beitragen, neue Bedarfe mit neuen Angeboten zu befriedigen. So wächst selbst in vielen ansonsten schrumpfenden Regionen der Bedarf nach frühkindlicher Betreuung, nach schnellem Internet sowie nach Pflege- und Gesundheitsdienstleistungen. Darüber hinaus können Kommunen höhere Nutzerzahlen und eine stärkere Auslastung ihrer Infrastruktur anstreben. So können beispielsweise zentrale Kultureinrichtungen besser besucht werden, wenn die Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln verbessert wird. Durch niedrigere Preise und eine benutzungsfreundlichere Bedienung, wie attraktive Abos, transparente Taktfahrpläne und erleichterte Umstiegsmöglichkeiten, lassen sich im öffentlichen Personennahverkehr neue Fahrgäste gewinnen.

Neben hohen Anpassungskosten bestehen jedoch teilweise rechtliche Hürden. So sind die Möglichkeiten für eHealth in Deutschland stärker begrenzt als in anderen Ländern oder kleine Schulen nur in Ausnahmefällen genehmigungsfähig. Neue Lösungen können zudem auch Widerstände der betroffenen Beschäftigten und Nutzergruppen auslösen. Beispielsweise erfordert der jahrgangsübergreifende Unterricht einen erhöhten Vorbereitungsaufwand, was es erschwert, Lehrkräfte für solche Schulen zu finden. Darüber hinaus sind online-Angebote gerade für weniger Internet-affine Senioren schwer zugänglich, sodass sich wichtige Zielgruppen ausgeschlossen fühlen bzw. Schulungen erforderlich werden und bestimmte Infrastrukturen, wie Smartboards, PC-Arbeitsplätze und leitungsgebundenes bzw. mobiles Breitbandinternet, bereitgestellt werden müssen.

Fazit

Dieser Beitrag hat die Stellung der Kommunen in Deutschland beleuchtet, um anschließend anhand der Beispiele Wirtschaftsförderung und Daseinsvorsorge Möglichkeiten und Grenzen für die Umsetzung kommunaler Entwicklungsstrategien auszuloten. Beides, Stärkung der Wirtschaftskraft und Sicherung der Daseinsvorsorge, sind zentrale Anliegen der ländlichen Entwicklung, die sich zudem gegenseitig bedingen. Einerseits trägt eine robuste wirtschaftliche Entwicklung zur Stabilisierung kommunaler Einnahmen bei, die benötigt werden, um langfristig Angebote der Daseinsvorsorge bereitzustellen. Andererseits bietet eine hochwertige Daseinsvorsorge sowohl vielfältige Arbeitsplätze als auch eine hohe Lebensqualität, die zum Anwerben und Halten qualifizierten Fachpersonals wichtig ist.

Trotz formaler Allzuständigkeit in örtlichen Angelegenheiten ist der kommunale Handlungsspielraum vielfach eingeschränkt. So mindert zum Beispiel das EU-Wettbewerbsrecht die Möglichkeiten, privatwirtschaftliche Unternehmen sowie Anbieter der Daseinsvorsorge zu unterstützen. Oftmals betrifft dies auch öffentliche Unternehmen oder gemeinnützige Vereine ohne Gewinnabsicht. Ein weiteres Beispiel sind die bildungspolitischen Vorgaben der Länder, die den rechtlichen Rahmen für Strategien zur Fachkräftesicherung sowie für die Sicherung eines gut erreichbaren Schulangebotes bilden. Zudem können die Kommunen nur in begrenztem Maße über ihre Einnahmen und Ausgaben bestimmen. Zwar bestehen zahlreiche Förderprogramme, mit deren Hilfe Kommunen wirtschaftsnahe Infrastrukturen oder Investitionen in die Daseinsvorsorge finanzieren können. Um diese Fördermittel einzuwerben, bedarf es allerdings einer gut ausgestatteten Verwaltung. In Fällen der Kofinanzierung sind außerdem eigene Mittel einzubringen. Beides stellt insbesondere strukturschwache Kommunen vor Probleme. Schließlich werden die Wirkungen kommunaler Strategien auch begrenzt durch den allgemeinen wirtschaftlichen Strukturwandel oder die Wünsche von Fachpersonal sowie Nutzerinnen und Nutzern der Daseinsvorsorge.

Diese Beispiele zeigen, dass kommunalen Entwicklungsstrategien vielfältige Grenzen gesetzt sind. Zweifelsohne finden sich – auch in ländlichen Räumen – viele Kommunen, die durch ihre Finanzstärke die eigene Entwicklung gezielt beeinflussen können. In vielen anderen Fällen müssen sich die Kommunen jedoch hauptsächlich auf ihre Pflichtaufgaben konzentrieren. Wenn sie in die Lage versetzt werden sollen, ihre Entwicklung gezielt mitzugestalten, wird es größerer Anstrengungen bedürfen.

Dr. Stefan Becker ist Politik- und Verwaltungswissenschaftler. Seine Forschung befasst sich mit politischer Steuerung und Implementation im europäischen Mehrebenensystem mit besonderem Blick auf die Entwicklung ländlicher Räume.

Dr. Christian Hundt ist Wirtschaftsgeograph, Volkswirt und Betriebswirt. Er forscht zu Determinanten des Wachstums, der Entwicklung und der Wettbewerbsfähigkeit von Regionen und Volkswirtschaften. Zu seinen Vertiefungsthemen zählen unter anderem Entrepreneurship, regionalökonomische Resilienz, Cluster sowie Kommunalfinanzen.

Dr. Patrick Küpper ist Humangeograph und forscht zu Politiken für die Entwicklung peripherer Regionen und zur Daseinsvorsorge, wie ärztlicher Versorgung, Mobilität und Nahversorgung. Aktuelle Projekte beschäftigen sich z.B. mit neuen Entwicklungen im Lebensmitteleinzelhandel, bürgerschaftlichem Engagement, Netzwerken und Innovationen von Kleinstunternehmen sowie Förderstrategien zur Aktivierung und Beteiligung regionaler Akteure.