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Judentum in Antike und Frühmittelalter | bpb.de

Judentum in Antike und Frühmittelalter

Prof. em. Dr. Arno Herzig

/ 10 Minuten zu lesen

Eine Darstellung des Titusbogens in Rom - Kaiser Titus ließ 70 n. Chr. einen jüdischen Austand niederschlagen und führte die Tempelschätze im Triumphzug nach Rom. (© Wikimedia, Steerpike)

Einleitung

Das Nomadenvolk "Israel" (hebr. für Gottesstreiter) - so die Bezeichnung in einer ägyptischen Quelle um 1200 v. Chr. - wurde um ca. 1300 v. Chr. sesshaft. Zwölf Stämme, zu verstehen als große Sippenverbände, siedelten in den Bergen von Judäa (mittleres Bergland des heutigen Israel und südliches Westjordanland) sowie in Galiläa (im Wesentlichen heutiges Nordisrael). Von den übrigen Völkern unterschieden sie sich durch ihren Glauben an einen einzigen und unsichtbaren Gott. Gemäß der jüdischen Überlieferung erneuerte Gott auf dem Berg Sinai seinen mit Abraham geschlossenen Bund mit dem Volk Israel und offenbarte dem Propheten Mose (13. Jahrhundert v. Chr.) seine Lehre, niedergelegt in der Tora, Grundlage für Glauben und Lebensordnung. Unter dem Druck der feindlichen Nachbarvölker, unter anderem der Philister und Kanaaniter, schlossen sich die zwölf jüdischen Stämme enger zusammen.

Um 1000 v. Chr. bildeten sie ein Königreich. Der zweite König, David aus dem Stamm Juda (von dessen Namen sich die Bezeichnung "Jude" ableitet), eroberte Jerusalem, und sein Sohn Salomon baute es mit dem Ersten Tempel zum Zentrum aus. Nach dem Tod Salomons (um 928 v. Chr.) zerfiel das Königreich in ein Nordreich (Israel) und ein Südreich (Juda). Das Königreich Israel erlag 721 v. Chr. dem Ansturm der Assyrer, während das Königreich Juda über 100 Jahre länger existierte. Aus unterschiedlichen Überlieferungen wurde im 7. Jahrhundert v. Chr. der Pentateuch - die griechische Bezeichnung der Tora - schriftlich zusammengestellt.

587 v. Chr. eroberte der Babylonierkönig Nebukadnezar das Königreich Juda, zerstörte den Ersten Tempel und verschleppte die Elite des Volkes, Adlige und Priester, aber auch einfache Handwerker nach Babylon. Hier erhielt die Tora ihre endgültige Form und wurde zum geistigen und geistlichen Mittelpunkt des jüdischen Volkes im Exil, das dadurch seine Identität bewahrte. Der Tora wurden in den folgenden Jahrhunderten weitere Bücher (Propheten, Dichtungen, Chroniken) hinzugefügt, die insgesamt als die Heilige Schrift der Juden gelten. Als die Perser unter Kyros II. 539 v. Chr. Babylon eroberten, durften die Juden in ihre alte Heimat zurückkehren. Eine Anzahl von ihnen blieb jedoch in Babylon und bildete hier in den folgenden Jahrhunderten ein eigenes jüdisches Zentrum.

Die Rückkehrer errichteten um 500 v. Chr. in Jerusalem den Zweiten Tempel, der unter König Herodes kurz vor der Zeitenwende prachtvoll umgestaltet wurde und deshalb auch als Herodianischer Tempel bezeichnet wird. Seine Reste bilden die heutige Klagemauer. Den Hellenisierungsversuchen der hellenistischen Vormacht der Seleukiden, die im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. Vorderasien beherrschte, widersetzten sich Mitglieder einer Priesterfamilie, die nach dem Beinamen Makkabäus (= Hammer) Makkabäer genannt wurde. Im Makkabäeraufstand 167 bis 142 v. Chr. konnte sich Judäa als eigenes Königreich behaupten, das von Priesterkönigen regiert wurde. 63 v. Chr. eroberte der römische Feldherr Pompejus das Seleukidenreich. Die Römer setzten über Judäa eine neue Dynastie ein, der König Herodes der Große (73 - 4 v. Chr.) entstammte.

Unter römischer Herrschaft

Nach dem Tod des Herodes wurde das Königreich Judäa 67 n. Chr. eine römische Provinz unter unmittelbarer Verwaltung eines Statthalters, der in der Mittelmeerstadt Caesarea residierte. Die Römer verlangten hohe Steuern und zogen die jüdischen Einwohner auch zu Zwangsarbeiten heran, gewährten ihren Institutionen aber eine große Autonomie. So auch dem Sanhedrin, einem Hohen Rat aus 70 Männern, der mit dem Hohepriester auf dem Tempelberg über die höchste geistliche, aber auch gerichtliche Hoheit verfügte. Nur Kapitalverbrechen wurden vor den römischen Gerichten verhandelt - wie im Fall des Jesus von Nazareth, der wegen Aufruhrs angeklagt worden war. Während der Tempel in Jerusalem das religiöse Zentrum war, in dem Schlachtopfer dargebracht wurden und zu dem die jüdische Bevölkerung pilgerte, errichtete man in den Gemeinden Synagogen (von griech. synago, sich versammeln), in denen die Tora verkündet, in denen gebetet und auch Predigten gehalten wurden. Die Synagoge bildete den Mittelpunkt des sozialen und kulturellen Lebens der Juden.

70 n. Chr. und dann noch einmal 135 n. Chr. empörten sich die Juden gegen die als hart empfundene römische Herrschaft. In Folge dieser Aufstände wurde der Tempel zerstört und Jerusalem zur römischen Stadt Aelia Capitolina, deren Zutritt Juden bei Todesstrafe verboten war. Nach der Zerstörung des Tempels im ersten Aufstand 70 n. Chr. führten die römischen Truppen Tempelschätze und jüdische Gefangene nach Rom mit, belegt durch eine Darstellung des feierlichen Triumphzuges auf dem Titusbogen in Rom.

Bereits vor der Niederlage gegen die Römer hatten sich in hellenistischer Zeit im 4. Jahrhundert v. Chr. außerhalb von Judäa jüdische Gemeinden gebildet, so in Ägypten mit dem Zentrum Alexandria, das seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. eine Hochburg jüdischer Wissenschaft und Kultur mit hellenistischer Prägung war. Im Gegensatz zum Mutterland, wo weitgehend aramäisch (die Amtssprache Assyriens, Babyloniens und des Perserreichs) gesprochen wurde, war hier das Griechische (Koine) die Umgangssprache, und bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. lag mit der so genannten Septuaginta eine griechische Übersetzung der jüdischen Heiligen Schrift vor. Zwar war mit der Zerstörung des Zweiten Tempels das geistliche Zentrum der Juden vernichtet, doch der Sanhedrin mit einem Patriarchen (Nassi) an der Spitze, fungierte weiterhin in der jüdischen Stadt Jawne. Ein weiteres geistliches Zentrum bildete traditionell Babylon.

Unter der römischen Herrschaft, die im Westreich bis 476 n. Chr., im Ostreich bis 1453 andauerte, entstanden jüdische Gemeinden rund um das Mittelmeer, aber auch in Germanien, wohin Juden mit den römischen Legionen gekommen waren. Mit dem Untergang des territorialen Zentrums in Judäa 135 n. Chr. lebten die Juden als Minderheit, die vor allem in Rom und in Alexandrien nicht unbedeutend war, unter den Völkern in der Diaspora (griech.; Zerstreuung). Zu den Juden rechneten auch die so genannten Gottesfürchtigen, Männer und Frauen, die zwar nicht zum Judentum übertraten, aber "nach jüdischem Ritus", also nach dem jüdischen Gesetz, lebten. So berichtet der römische Schriftsteller Sueton (70-140 n. Chr.), dass Kaiser Titus nach seinem Sieg über die Juden von diesen eine Sondersteuer verlangte, zu der auch die "Gottesfürchtigen" herangezogen wurden. Doch verblieb den Juden ihre religiöse Freiheit.

Verhältnis zum frühen Christentum

Die Neuorganisation des Judentums nach der Zerstörung des Tempels führte auch zu einer geistigen Konzentration. Hatten bis dahin zahlreiche Sekten das Judentum bestimmt wie die Pharisäer, Sadduzäer, Essener und Zeloten, so war der Sanhedrin nun bestrebt, eine einheitliche Fassung der Gesetzesauslegung zu erstellen, die um 200 n. Chr. in der Mischna (hebr.; Wiederholung) einen ersten Höhepunkt erreichte. Die Mischna ist eine Sammlung von Gesetzeslehren, die zuvor weitgehend mündlich überliefert worden waren. Auf ihr bauten die anderen großen Zusammenfassungen der "mündlichen Lehre" auf, so der in Palästina verfasste palästinensische und der in Babylon zusammengestellte babylonische Talmud (hebr.; Lehre, Studium). Die strenge Ausrichtung auf die Tora, für die der Talmud die Erklärung bot, garantierte dem Judentum sein Überleben bis in die Neuzeit. An die Stelle der Tempelpriester, deren Amt vererbt worden war, traten nun die Rabbinen als Schriftgelehrte, denen ihr Amt nach ihrer Ausbildung durch andere Rabbinen verliehen wurde. Ihr Wirkungsort war die Synagoge.

QuellentextGottgefälligkeit und Gesetz

Der lutherische Gläubige hofft auf Gnade, der katholische auf "gute Werke". Und der Jude? Auf die Treue zum Gesetz, das Gott den Kindern Israels im Sinai gab, als er den "Bund" mit ihnen schloss.
Die Idee des Bundes, einer der krassesten Unterschiede zum Christentum, offenbart sich nirgendwo deutlicher als im Ersten Gebot. Bei den Christen heißt es ganz knapp: "Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir." Bei den Juden aber geht es weiter: "der ich dich führte aus dem Land Ägypten, aus dem Hause der Dienstbarkeit".
Mithin: Was bei Christen Glaubenssache ist, beruht bei den Juden auf göttlicher Vorleistung, etwa: "Das habe ich für euch getan, jetzt seid ihr dran." Dem Glauben geht der Vertragsabschluss, das do ut des [lat.: Ich gebe, damit du gibst - Anm. d. Red.], voraus.
Mit diesem Deal hängt zwar das Judentum am festen moralischen Nagel der gegenseitigen Verpflichtung, aber einfach war die Sache für das "auserwählte Volk" nicht [...] Außer den Zehn Geboten stehen noch 603 weitere im Kontrakt (siehe www.jewfaq.org - Externer Link: Link ): Wie man betet und benedeit, dass man seine Mitmenschen nicht beleidigen und dem Nachbarn helfen, den Armen einen Teil der Ernte überlassen, den Fremden lieben möge. Es folgt eine lange Latte sexueller Tabus: wer mit wem "liegen", wen heiraten darf. Dreißig Regeln bestimmen, was gegessen werden darf und wie - kein Aas, Schwein, Ungeziefer, keine Schlangen, keine Völlerei -, lauter kluge Anweisungen, als es weder Gesundheitsbehörden noch Kalorientabellen gab.
Weitere dreißig Gesetze legen die Wirtschaftsmoral fest: keine Schummelei, kein Wucherzins. Den Bedürftigen Geld leihen, keine Pfänder zurückhalten, wenn der Schuldner sie in seiner Not braucht. Witwen müssen nichts hinterlegen, Gewichte und Waagen müssen stimmen. Lohn muss pünktlich gezahlt werden. [...]
Dann geht's ins Juristische (43 Passagen). Verboten sind Meineid, Bestechung, Vertrauensbruch. Verwandte dürfen nicht als Zeugen befragt werden, zur Beweisführung gehören mindestens zwei. Die Aussage von Fremden gilt so viel wie die von Einheimischen. Gleichheit vor dem Gesetz und Unbefangenheit des Richters. Todesurteile dürfen nur mit einer deutlichen Mehrheit gefällt werden [...].
In den ersten dreihundert Regeln scheinen also ein Moralkodex plus ein präexistentes GG, BGB und StGB auf. Der Rest beschäftigt sich mit Ritual und Religion, mit Tempel- und Gottesdienst, bis in die allerfeinsten Verästelungen. Aber auch mit der Fruchtfolge auf dem Acker, dem Kriegsrecht [...] und der Machtbegrenzung des Monarchen. Interessant für den modernen Menschen: Nicht nur ist Götzendienst tabu, verboten sind auch Zauberei, Astrologie und Geisterbefragung. Und so weiter bis zur Nummer 613.
[...] Kein Wunder, dass die Israeliten "murrten" [...]. Schon im Ringen Jakobs mit dem Engel, dann im Sinai, formierte sich jener Dauerdisput, den nur die beispiellose Intimität zwischen Gott und seinem Volk erklären kann, die ständig Enttäuschung und Unterwerfung, Liebe und Wut, Hadern und Versöhnung zeugt. Oder so: Der Clinch ist die Botschaft, und sie enthält mal Heil, mal Verderben. Und den Hang der Juden zur Jurisprudenz, der sich vom 3. Jahrhundert an in den 63 Traktaten und 6000 Seiten des Talmuds niederschlug. Auf den Punkt gebracht, handelt es sich bei diesem geheimnisumwitterten Werk um ein Gesetzbuch mit Auslegungen, Gegengutachten, Präzedenzfällen und Disputationen. Deshalb dauert das jüdische "Jura-Studium" ein ganzes Leben lang. [...]
Das Christentum ist im Kern eine Glaubensreligion, wie sie sich im Apostolicum niederschlägt: "Ich glaube an Gott, den Vater und an Jesus Christus..." Das Judentum ist eine Gesetzesreligion, die sich an der "Ur-Verfassung" vom Sinai (Thora), den 613 Ge- und Verboten und den Auslegungen des Talmuds orientiert.

Josef Joffe, "Wie kommt ein Jude in den Himmel?", in: Die Zeit Nr. 8 vom 15. Februar 2007

Auch die jüdische Sekte der Christen wurde von diesem Konzentrationsprozess erfasst. Die Trennung zwischen Christen und Juden erfolgte über einen längeren Zeitraum, der erst um 150 n. Chr. abgeschlossen war, als das Neue Testament als Bibel der Christen heiliggesprochen wurde. Doch auch das Christentum verzichtete nicht auf die jüdische Bibel, die in der Überlieferung der Septuaginta von den Christen als Altes Testament bezeichnet und ebenfalls als Heilige Schrift anerkannt wurde.

Nach der endgültigen Trennung traten Christentum und Judentum, versinnbildlicht in der Ecclesia (lat.: Kirche) und der Synagoga, als Konkurrenten auf. Das Christentum bestritt die Heilsträgerschaft des Judentums. Der Bund, den Gott einst mit Israel geschlossen habe, sei, so die Auffassung der Kirche, auf die Christen übergegangen, da die Juden Jesus nicht als Messias anerkannt hätten. Das Judentum wurde von den Christen als falsche Lehre bekämpft.

Kaiser Konstantin (Reg.: 306-337) gestattete (312/13 n. Chr.) das Christentum als Religion im Römischen Reich, unter Kaiser Theodosius (Reg.: 379-395 n. Chr.) wurde es zur Staatsreligion erhoben. Die heidnischen Kulte wurden verboten, ihre Ausübung bestraft. Dem schlossen sich bald die ersten politischen Einschränkungen für das Judentum an. 315 n. Chr. verkündete der Kaiser für die "gottlose" und "verrückte Sekte" der Juden ein Missionsverbot. Zwar warben die Juden nicht offiziell für einen Beitritt zu ihrer Religion, aber die Sklaven, die sie in römischer Zeit hatten, ließen sie - so wie es in der Tora stand - gemäß dem Auftrag Gottes an Abraham beschneiden. Juden durften deshalb nun generell keine Sklaven mehr halten.

Innerhalb der christlichen Gemeinschaft gab es unterschiedliche Einstellungen zum Judentum. Die Kirchenlehrer Augustinus von Hippo (354-430) und Papst Gregor der Große (Amtszeit 590-604) garantierten den Juden ein Existenzrecht in der christlichen Gesellschaft. Augustinus sprach sich für die Duldung des Judentums aus, da es bis an das Ende der Zeiten "Zeugnis ablegen sollte" für die Wahrheit des Christentums. Papst Gregor lehnte religiöse Zwangsmaßnahmen gegen die Juden ab und untersagte Übergriffe auf ihren wirtschaftlichen Besitz; doch verbot er nicht, sie zu missionieren.

Die Kirchenlehrer Ambrosius von Mailand (339-397) und Hieronymus (347-419) zielten dagegen auf eine Vernichtung des Judentums und legten damit die Grundlage für die judenfeindlichen Gesetze der römischen Kaiser in der Spätantike. Doch auch hier gab es Ausnahmen. So bestätigte Kaiser Honorius (Reg.: 395-423) im Jahr 409 den Juden, dass sie am Sabbat und an ihren Festtagen von öffentlichen Diensten, körperlicher Arbeit und vom Erscheinen vor Gericht befreit seien. Auch wurde die Zerstörung von Synagogen unter Strafe gestellt. Allerdings durften Juden keine Staatsämter mehr bekleiden, damit kein Christ unter einer jüdischen Obrigkeit stehen müsste. Unter Kaiser Justinian (Reg.: 527-565) wurde den Juden darüber hinaus das römische Bürgerrecht verwehrt. Es wurde nun vom Empfang der christlichen Sakramente abhängig gemacht.

In der Germania Romana

Die Ausübung städtischer Ehrenämter durch Juden ist auch Gegenstand der Urkunde, in der erstmals jüdische Bürger im römischen Germanien, genauer in Köln, nachgewiesen sind. 321, und dann noch einmal 331 n. Chr. hob Kaiser Konstantin in einem Edikt das Privileg auf, das Juden von städtischen Verwaltungs- und Ehrenämtern freistellte. Deren Ausübung war für Juden in dieser Zeit immer noch problematisch, weil sie die damit verbundene Pflicht, dem Kaiser als Gott zu opfern, als Götzendienst betrachteten. Juden waren deshalb vom Staatsdienst befreit. Doch um das Funktionieren der Verwaltung zu gewährleisten, war der römische Staat bzw. die römische Stadt auf die Ausübung der Ehrenämter im Staatsdienst angewiesen. Viele jüdische und auch andere Bürger, die nicht unbesoldet tätig sein wollten, versuchten sich dem zu entziehen, indem sie sich auf ihre Latifundien, ihre Landgüter, zurückzogen.

Dass Konstantin befahl, die Juden zu den städtischen Ämtern in Köln heranzuziehen, spricht für deren Bedeutung in der dortigen städtischen Oberschicht. Es ist davon auszugehen, dass in Köln eine größere Zahl jüdischer Bürger ansässig war und dass deshalb seit dem 3. Jahrhundert in dieser Stadt von einer hierarchisch abgestuften jüdischen Gemeindestruktur auszugehen ist. Hierfür spricht auch die Bestimmung im Konstantin-Edikt von 331, dass "die Rabbiner [...] und die Synagogenväter sowie die übrigen, die [...] in den Synagogen ein Amt bekleiden", vom Staatsdienst ausgenommen sind. Daraus lässt sich schließen, dass die jüdische Gemeinde in Köln schon in der Antike über eine differenzierte Infrastruktur verfügte.

Die jüdische Gemeinde in Köln ist die erste, die außerhalb des Orients und des Mittelmeerraums urkundlich belegt ist. Doch auch für andere Städte im römischen Germanien, das, in zwei Provinzen untergliedert, Teile der Schweiz, Frankreichs, Westdeutschlands und die Benelux-Staaten umfasste, sind Niederlassungen von Juden anzunehmen. So fanden Archäologen in Trier, einer der Hauptstädte des Römischen Reiches, eine Lampe mit dem Bild der Menora, des siebenarmigen jüdischen Kerzenleuchters, aus dem 4. Jahrhundert.

Gemeinden im frühen Frankenreich

Die jüdischen Gemeinden, die in den Städten der Germania Romana vermutlich entstanden waren, gingen in den Wirren der Völkerwanderungszeit ab dem 5. Jahrhundert wieder unter. Erst mit der Herausbildung des Frankenreichs nach dem Untergang des Weströmischen Reiches (476) gab es seit dem 6. Jahrhundert erneut ein festes staatliches Gebilde nördlich der Alpen. Bereits in diesem Zeitraum lebten dort nach den Aufzeichnungen des fränkischen Bischofs und zeitgenössischen Chronisten Gregor von Tours (ca. 538-594) jüdische Gemeinden, die laut seiner Aussage mit eigenen Schiffen Flüsse und Meere befuhren, um den Franken die Kostbarkeiten des Orients anzubieten. Dorthin unterhielten die Juden nördlich der Alpen nach wie vor Verbindungen und nutzten diese für den Fernhandel.

Da das Frankenreich zur römischen Kirche gehörte, galten auch hier deren Trennungsverfügungen, die die Juden im Alltagsleben von den Christen absondern sollten. So drohte ein Konzil in Orleans 538 allen Christen, die gemeinsam das Mahl mit Juden einnahmen, die Exkommunikation an, also den Ausschluss von den Sakramenten, womit neben dem Kirchenbann auch wirtschaftliche und politische Einschränkungen verbunden waren. In der Karwoche, der Woche vor Ostern, durften Juden mit Christen überhaupt nicht verkehren. Auch das Sklavenverbot aus Konstantinischer Zeit wurde im Merowingerreich reaktiviert. So verbot ein Gesetz aus dem Jahr 624 Christen bei Strafe der Exkommunikation, Sklaven an Juden und Heiden zu verkaufen. Vor allem sollte verhindert werden, dass Sklaven in jüdischen Diensten zum Judentum bekehrt würden. Christliche Sklaven in jüdischen Diensten konnten jederzeit freigekauft werden. Das junge Frankenreich knüpfte damit weitgehend an die judenfeindlichen Gesetze der Spätantike an. Ein Konzil in Reims forderte deshalb 624 auch das Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter durch Juden im Frankenreich; es sei denn, die Amtsinhaber ließen sich taufen. Zwangstaufen, Verfolgungen und Austreibungen der sich weigernden Juden sind für das 7. Jahrhundert im Frankenreich bezeugt. Die junge fränkische Kirche verhielt sich gegenüber den Juden unnachgiebiger als der Papst; denn Papst Gregor I. hatte sich zu Beginn des 7. Jahrhunderts gegen die Zwangstaufe, für den Schutz des Synagogengottesdienstes und für den Schutz jüdischen Besitzes mit Ausnahme christlicher Sklaven ausgesprochen. Zwischen Duldung auf der einen Seite, Zwangstaufe, Ausweisung oder Tod auf der anderen bewegte sich die Haltung der christlichen Obrigkeiten und ihrer Untertanen gegenüber den Juden im beginnenden Mittelalter.

Fussnoten

lehrte am Historischen Seminar der Universität Hamburg Neuere Geschichte mit dem Schwerpunkt Frühe Neuzeit. Zahlreiche Forschungsprojekte und Veröffentlichungen, u. a. zur deutsch-jüdischen Geschichte, zur Reformationsgeschichte und zur Konfessionalisierung in der Frühen Neuzeit sowie zur Geschichte Schlesiens. Professor Herzig ist u. a. im Kuratorium der Freunde und Förderer des Leo Baeck Instituts und Mitglied der Historischen Komission für Schlesien. Kontakt: arno.herzig@uni-hamburg.de