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Minderungspfade | Klima | bpb.de

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Minderungspfade

Christiane Beuermann  Stefan Lechtenböhmer Sascha Samadi Christiane Beuermann / Stefan Lechtenböhmer / Sascha Samadi

/ 29 Minuten zu lesen

Im Pariser Abkommen von 2015 haben sich die teilnehmenden Staaten gemeinsam verpflichtet, den Anstieg der globalen Temperaturen unter 2 Grad zu halten. Um dies oder sogar nur 1,5 Grad zu erreichen, müssen sie die bis 2050 erreichte Gesamtmenge der ausgestoßenen Treibhausgase begrenzen. Globale, EU-weite und nationale Klimaschutzszenarien bieten dazu verschiedene Möglichkeiten. Exemplarisch werden vier neuere Szenarien für Deutschland miteinander verglichen.

Im November 2015 findet in Paris die Weltklimakonferenz der UN, COP21, statt. Gemeinsam mit dem damaligen UN-Generalsekretär Ban Ki-moon (1. Reihe, 8. v. l.) versammeln sich die Regierungschefs und -chefinnen der Teilnehmerstaaten für die Presse zum "Familienfoto". (© picture alliance / Yonhap | Yonhap)

Mit dem Übereinkommen von Paris (Paris Agreement) wurde auf der 21. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention (COP 21) im Jahr 2015 das völkerrechtlich verbindliche, langfristige Ziel verankert, den globalen Temperaturanstieg deutlich unter 2°C zu halten und Anstrengungen zu unternehmen, um den Temperaturanstieg auf 1,5°C zu begrenzen. Um dieses Ziel zu erreichen, soll in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts ein Gleichgewicht zwischen den vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen und dem "Abbau" von Treibhausgasen aus der Atmosphäre durch Senken (CO2-absorbierende natürliche Ökosysteme) erreicht werden. Dieses Gleichgewicht wird als Treibhausgas- oder Klimaneutralität bezeichnet. International wird auch von "Net-Zero" (Netto Null) gesprochen.

Globale und nationale Treibhausgasemissionsbudgets

Im Rahmen des Pariser Klimagipfels wurde der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) beauftragt, ein Sondergutachten über die globale Erwärmung von 1,5 Grad zu erarbeiten. Im Kapitel 2 dieses Sonderberichtes wurden auf der Basis der damaligen Emissionsniveaus und von Annahmen zu der Entwicklung zentraler Größen (z. B. Bevölkerungsentwicklung) globale Minderungspfade erarbeitet, die mit der Begrenzung der Erwärmung auf 1,5°C bzw. deutlich unter 2°C über einer vorindustriellen Basisperiode (1850–1900) vereinbar sind. Diese globalen Minderungspfade wurden auf Grundlage von "Treibhausgasemissionsbudgets" entwickelt.

Begriff und Konzept des globalen Treibhausgasemissionsbudgets

Das Pariser Klimaschutz-Abkommen (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 665 055)

Ein Kohlenstoffbudget (carbon budget) ist eine Aufstellung der Kohlenstoffflüsse von und zu einem Kohlenstoffspeicher. Dieser Budgetansatz wurde vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) im Jahr 2009 ausführlich beschrieben und ebenfalls vom IPCC in seinem Sondergutachten von 2018 angewandt. In der Atmosphäre werden CO2-Emissionen gespeichert. Für das Ausmaß der Klimaerwärmung ist nicht die punktuelle absolute Höhe der Emissionen, sondern deren Gesamtmenge im Laufe der Zeit entscheidend. Mathematisch wird dies durch die Fläche unter der Emissionskurve zwischen zwei Zeitpunkten beschrieben. Je nach Betrachtungszeitpunkten kann ein globales Emissionsbudget zweierlei umfassen:

  • die Menge der Emissionen aus anthropogenen Quellen, die seit Beginn der Industrialisierung freigesetzt wurde;

  • die Menge, die zukünftig ab einem Zeitpunkt noch freigesetzt werden darf, um mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit eine globale Erwärmung über eine definierte Temperaturgrenze hinaus zu vermeiden.

Dieses somit noch verfügbare Emissionsbudget wird ermittelt, indem die kumulativen Treibhausgasemissionen mit dem Anstieg der globalen Mitteltemperatur in Beziehung gesetzt werden: Die Temperaturerhöhung ist proportional zur Gesamtmenge der emittierten Treibhausgase – steigt die Emissionsmenge steigt auch die Temperatur. Daher muss die über die Zeit emittierte (kumulierte) Gesamtmenge der Emissionen begrenzt werden, um ein bestimmtes Klimaziel zu erreichen.
Der Budgetansatz des WBGU definierte bereits im Jahr 2009 ein globales CO2-Emissionsbudget für den Zeitraum 2010–2050 in Höhe von 600 bis 750 Gigatonnen (Gt) CO2, um die Erderwärmung unter 2°C zu halten. Dieses globale Budget müsse anschließend als Resultat eines Verhandlungsprozesses in nationale Emissionsbudgets aufgeteilt werden. Der WBGU konzentriert sich dabei auf die CO2-Emissionen, da diese weitgehend bestimmen, inwieweit ein Temperaturanstieg von weniger als 2°C zu erreichen ist. Durch die hohe Lebensdauer von CO2 in der Atmosphäre werde auf lange Sicht dessen Bedeutung im Vergleich zu anderen (kurzlebigen) Treibhausgasen und Aerosolen immer dominanter. Aus diesem Grund ergebe sich die Erwärmung in diesem Jahrhundert hauptsächlich aus der zukünftigen Gesamtmenge an CO2-Emissionen.

Exemplarische Emissionspfade (© Stefan Rahmstorf, 2017, siehe Literatur)

Aus der Bestimmung der Obergrenze für zukünftige CO2-Emissionen im Rahmen eines Gesamtemissionsbudgets ergibt sich aber auch, dass ein Hinauszögern des Klimaschutzes auf einen späteren Zeitpunkt dann umso tiefer greifende Maßnahmen erforderlich macht. Die Grafik "Exemplarische Emissionspfade" verdeutlicht dies für ein ab 2017 noch verfügbares globales Gesamtbudget von 600 bzw. 800 Gt CO2. Je später der Wendepunkt der Emissionsentwicklung erreicht wird, desto schneller muss die Emissionsreduktion erfolgen, um die Gesamtmenge nicht zu überschreiten.

Diese Grafik könnte zunächst einmal eine freie Gestaltbarkeit der Emissionsverläufe und des Zeitpunktes der "Emissionswende" im Rahmen des Gesamtemissionsbudgets nahelegen. Dies ist aus mehreren Gründen nicht der Fall:

1. Die vom Menschen verursachte Erwärmung kann sogenannte positive Rückkopplungsprozesse auslösen. Diese sind nicht im herkömmlichen Sinn als positiv zu verstehen, sondern in diesem Fall Prozesse, die sich selbst verstärken. Ein Beispiel für einen solchen positiven Rückkopplungsprozess der Klimaerwärmung ist die Verwandlung von Kohlenstoffspeichern in Kohlenstoffquellen: Bereits heute wird eine Erwärmung von Permafrostböden beobachtet. Bei einem zukünftigen Abtauen bzw. der weiteren Wanderung der Permafrostgrenze nach Norden werden durch den Abbau von Biomasse bzw. die Freisetzung von im gefrorenen Boden gebundenen Methan hohe zusätzliche Treibhausgasemissionen erwartet. Ein weiteres Beispiel ist die Polare Verstärkung. Eis- und Schneeflächen reflektieren circa 90 Prozent der eingestrahlten Energie zurück ins Weltall. Schmelzen die Eis- und Schneeschichten an den Polen, wird aufgrund der dunkleren Farbe der Boden- und Meeresoberfläche mehr Sonnenenergie absorbiert, was zu einer zusätzlichen Erwärmung führt.

Im Zusammenhang mit diesen Rückkopplungseffekten wird auch von Kipppunkten des Klimasystems gesprochen. Aufgrund der Rückkopplung können zusätzliche Emissionen ab einem bestimmten Zeitpunkt plötzliche und schwerwiegende Klimaänderungen auslösen. Auch mit einer deutlichen Emissionsminderung wird das Klima dann nicht unbedingt wieder in den alten Zustand zurückkehren, Änderungen könnten unumkehrbar sein. Sind bestimmte Kipppunkte des Klimasystems überschritten – beispielsweise das Schmelzen des arktischen Meereises –, reicht damit womöglich eine Begrenzung, die sich an dem Zielkorridor des Übereinkommens von Paris orientiert, nicht mehr für diese Obergrenze des Temperaturanstiegs aus. Steigen die Emissionen im Zeitverlauf zunächst noch stark an, so wird das Erreichen der Kipppunkte wahrscheinlicher.

2. Um Klimaneutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts zu erreichen, müssen in allen Sektoren umfassende Emissionsminderungen (Dekarbonisierungsstrategien) stattfinden. Die Nutzung des globalen Budgets kann dabei nicht völlig frei erfolgen: Der Umbau emissionsintensiver Infrastrukturen und Produktionsbedingungen sowie die Änderung von Konsummustern benötigen Zeit. Ein möglichst früher Beginn der Umsetzung von Maßnahmen, Programmen zur Emissionsminderung bzw. eines klimaneutralen Strukturwandels ist anzuraten. Denn je weiter sie in die Zukunft verschoben werden, umso radikaler werden Einschnitte in kurzen Zeiträumen erforderlich sein. Eventuell werden die Maßnahmen sogar gar nicht mehr umsetzbar sein oder die Kosten des Klimaschutzes so stark erhöhen, dass dieser gesellschaftlich in Frage gestellt würde.

Ist das Gesamtbudget einmal ausgeschöpft, ist also die damit verbundene Menge an Treibhausgasen ausgestoßen, bedeutet dies, dass ab diesem Zeitpunkt eine CO2-emissionsfreie Wirtschaftsweise mit Netto-Null-Emissionen bzw. CO2-Neutralität erreicht sein müsste. Gleichzeitig müssten bis dahin auch die anderen Treibhausgasemissionen deutlich reduziert werden. Ab diesem Zeitpunkt sind alle noch verursachten CO2-Emissionen durch "negative Emissionen" zu kompensieren, um das Gesamtbudget nicht zu überschreiten.
Als negative Emissionen wird eine Kohlenstoffbindung durch die gezielte Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre bezeichnet (Carbon Dioxide Removal Technologies, CDR). Diese Bindung kann auf mehrere Arten erreicht werden: durch die Förderung von Senken, das heißt CO2-absorbierenden natürlichen Ökosystemen zum Beispiel durch Wiederaufforstung, oder durch die Verbindung des Einsatzes von Biomasse mit der CO2-Abtrennung und Speicherung (Bioenergy with Carbon Capture and Storage, BECCS) oder durch Direct Air Capture (DAC), das heißt die direkte CO2-Abscheidung aus der Luft.

Weniger Artenvielfalt (© picture-alliance / dpa / dpa-infografik GmbH; Quelle: WWF (2020))

Beim BECCS-Verfahren wird der Atmosphäre durch Photosynthese im Wachstum von Bäumen und Pflanzen CO2 entzogen. Die Biomasse wird anschließend zur Erzeugung von Bioenergie verbrannt. Das dabei wieder freigesetzte CO2 wird aufgefangen und in geologischen Formationen tief im Boden auf sehr lange Zeit gespeichert. Das Potenzial negativer Emissionen ist derzeit noch unklar und die technischen Verfahren stehen am Anfang. Ihre zukünftigen Kosten und Risiken sind unsicher, sodass auf diesem Gebiet Forschungs- und Erprobungsbedarf besteht, um deren Relevanz und Potenzial für das Erreichen von Netto-Null-Emissionen abzuschätzen.

Werden Negativ-Emissionen ohne genauere Kenntnis ihrer Potenziale in die globalen Emissionsbudgets eingerechnet, könnte dies den möglicherweise trügerischen Eindruck erwecken, dass frühzeitiges ambitioniertes Handeln nicht nötig ist, und damit das Erreichen der Klimaziele gefährden. Der IPCC schätzt, dass bei der gegenwärtigen Emissionsentwicklung die Einhaltung des 1,5°C-Zieles überhaupt nur noch mit globalen Negativemissionen möglich sei. Dies ist gleichbedeutend damit, dass das verbleibende Emissionsbudget zeitweise überschritten wird. Je höher jedoch dieser Mengen-Overshoot ausfällt und je länger dieser andauert, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die oben bereits beschriebenen Kipppunkte im Klimasystem überschritten werden. Der IPCC weist auch auf die noch "konzeptionelle" Natur und Unsicherheit der Kosten vieler CDR-Technologien hin und auf die mögliche Konkurrenz um Flächen beispielsweise für die Nahrungsmittelproduktion, für Biodiversität und Naturschutz sowie auf bestehende Rechte zur Landnutzung.

Wie hoch ist das mit dem Übereinkommen von Paris kompatible Treibhausgasemissionsbudget?

Gesamte globale Netto-COc-Emissionen (© Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle / DLR Projektträger (Hg.): 1,5°C Globale Erwärmung. Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger, S. 17, siehe Literatur)

Die Begrenzung der globalen Erwärmung auf deutlich unter 2°C erfordert eine Betrachtung der gesamten globalen anthropogenen CO2-Emissionen. Das Gesamtbudget der Treibhausgase bemisst sich aus der bereits seit dem vorindustriellen Zeitalter freigesetzten und der zukünftig verbleibenden Menge. Schätzungen des 1,5-Grad-Berichts des IPCC von 2018 zufolge haben anthropogene CO2-Emissionen seit dem vorindustriellen Zeitalter das CO2-Gesamtbudget für eine auf 1,5°C begrenzte Erwärmung bis Ende des Jahres 2017 bereits um ungefähr 2200 Milliarden Tonnen (Gigatonnen, Gt) CO2 verringert. Damit verbunden war eine bereits messbare Erwärmung von circa 1°C.

Der IPCC hat das bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts verbleibende Gesamtbudget hinsichtlich der Temperaturziele von 1,5°C und 2°C Erwärmung berechnet. Um die Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen, steht demnach ab dem Jahr 2018 noch ein Gesamtbudget von 420 Gt CO2 zur Verfügung. Um die Erwärmung auf 2°C zu begrenzen, beträgt das Gesamtbudget ab dem Jahr 2018 noch 1170 Gt CO2. Die Berechnungen enthalten aber einige Unsicherheiten, die sich unter anderem aus den oben genannten möglichen Rückkopplungseffekten ergeben. Daher gibt der IPCC Wahrscheinlichkeiten an, mit denen die Einhaltung der Gesamtbudgets zu den Temperaturzielen führt. Mit den genannten Gesamtemissionsbudgets ist es zu 67 Prozent sicher, dass die Temperaturziele erreicht werden. Wird das Gesamtbudget verringert oder können die Unsicherheiten begrenzt werden, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die jeweiligen Temperaturziele erreicht werden.

Aus den Gesamtemissionsbudgets können verschiedene globale Minderungspfade abgeleitet werden. Es gibt also nicht "den einen" Minderungspfad, sondern verschiedene Möglichkeiten, wie die verbleibenden globalen Gesamtemissionen sich über die Zeit verteilen könnten. In der Grafik "Gesamte globale Netto-CO2-Emissionen" oben links werden zwei Arten von globalen Minderungspfaden veranschaulicht:
1. Pfade, bei denen die globale Erwärmung ohne oder mit geringem Überschreiten des Gesamtbudgets (Overshoot) auf 1,5°C begrenzt werden kann (rote Fläche).
2. Pfade mit einem höheren Overshooting, welches durch einen höheren Anteil negativer Emissionen ausgeglichen werden muss (graue Fläche). Mit beiden Arten von globalen Minderungspfaden können um das Jahr 2050 global netto null CO2-Emissionen erreicht werden.

Ableitung nationaler Budgets, Ziele und Minderungspfade

Die Methoden für die Festlegung nationaler Budgets aus diesem verbleibenden Gesamtbudget sind bisher nicht international vereinbart. Im Übereinkommen von Paris ist die gemeinsame, aber differenzierte Verantwortung als Grundprinzip einer fairen Aufteilung genannt. Dieses Prinzip besagt, dass alle Länder eine gemeinsame Verantwortung für das Klima haben, bei den konkreten Klimaschutzpolitiken und -maßnahmen sowie deren Finanzierung wird aber zwischen den Ländern je nach Wohlstand, Fähigkeiten, aktuellem Emissionsniveau und historischen Emissionen unterschieden. Die nationalen Umstände sollen berücksichtigt werden.

Auf die nationalen Emissionsbudgets bezogen bedeutet dies, dass insbesondere Industrieländer stärker zum Klimaschutz beitragen sollen und ein geringeres nationales Budget bekämen als bei einer gleichmäßigen globalen Verteilung, weil sie den größten Anteil der bisherigen CO2-Emissionen verursacht haben. Weitere Prinzipien könnten eine Berücksichtigung historischer Treibhausgasemissionen oder aber gleiche Pro-Kopf-Budgets sein. Abhängig davon ergäben sich unterschiedliche nationale Budgets. Aus den Prinzipien der historischen Verantwortung bzw. der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung kann ein besonderer Beitrag der Industrienationen abgeleitet werden, was mit einem geringeren verbleibenden nationalen Emissionsbudget für Deutschland einherginge.

Das Übereinkommen von Paris sieht bisher vor, dass die Vertragsstaaten freiwillige Beiträge zur Emissionsreduktion beschließen und berichten (Nationally Determined Contributions, NDCs). Diese spiegeln zwar nationale Zielsetzungen wider, aber keine konkrete Aufteilung eines globalen Budgets auf einzelne Länder. Die NDCs sollen im Zuge eines Mechanismus zur Ambitionssteigerung nach und nach verschärft werden. Eine (faire) Aufteilung verbleibender Emissionsbudgets ist aber bisher nicht vereinbart worden.

Trotz fehlender Vereinbarungen zur Festlegung nationaler Emissionsbudgets gibt es dazu Berechnungen von nicht-staatlicher Seite. So hat der deutsche Klimaforscher Stefan Rahmstorf bereits 2019 den Mittelwert der vom IPCC berechneten Gesamtemissionsbudgets für 1,5°C und 2°C, also circa 800 Gt CO2 ab 2018, für die Berechnung eines deutschen Emissionsbudgets zugrunde gelegt. Von diesem globalen Budget wurde ein Anteil gemäß dem Verteilungsprinzip der gleichen weltweiten Pro-Kopf-Emissionen berechnet. Das daraus resultierende Emissionsbudget für Deutschland betrüge 7,3 Gt CO2 für den Zeitraum 2018 bis 2050. Würden die zum Zeitpunkt der Berechnung aktuellen Klimaziele Deutschlands erreicht und auch Netto-Null-Emissionen bis zum Jahr 2050 umgesetzt, würde der kumulierte Gesamtausstoß an CO2-Emissionen in Deutschland bis 2050 etwa 13 Gt CO2 betragen. Dies wäre also fast doppelt so hoch, wie es einem deutschen Anteil auf der Basis gleicher weltweiter Pro-Kopf-Emissionen entspräche.

Globale Treibhausgasemissionen und Minderungsoptionen

Treibhausgasquellen in Deutschland (© Karl-Martin Hentschel / Steffen Kenzer Handbuch Klimaschutz, oekom verlag, München 2020, S. 31)

Die anthropogenen Treibhausgasemissionen von CO2, CH4, N2O, HFCs, PFCs und SF6 stammen hauptsächlich aus unserem Energieverbrauch und unseren Energiesystemen, aus der Landwirtschaft sowie aus der Verbrennung und Zerstörung von Wäldern und Mooren. Die Emissionen sind eng mit den wirtschaftlichen Kernaktivitäten, vom Wohnen über industrielle Transportaktivitäten und Abfallbehandlung, verknüpft. Mit wachsender Bevölkerung und wachsendem Wohlstand sind der Energiebedarf sowie die Treibhausgasemissionen in den letzten Jahrzehnten stetig gestiegen – mit nur geringen kurzfristigen Unterbrechungen, zum Beispiel aufgrund der Ölpreiskrise Anfang der 1970er-Jahre, der Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008 bis 2010 und der Corona-Pandemie im Jahr 2020/21.

Da die Bereitstellung von Energie für moderne Gesellschaften hohe Investitionen in langlebige Infrastrukturen wie Stromnetze, Kraftwerke, Windparks, Kohlebergwerke, Öl- und Gasförderung sowie Öl- und Gaspipelines erfordert, gibt es weltweit viele Untersuchungen zur Zukunft des Energiesystems, die oft bis in die Mitte dieses Jahrhunderts reichen. Diese stammen von Unternehmen (zum Beispiel von Shell, BP), von Regierungen (zum Beispiel vom US-Energieministerium), internationalen Agenturen wie der Internationalen Energieagentur (International Energy Agency, IEA) und der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien (International Renewable Energy Agency, IRENA), Nichtregierungsorganisationen (Non-governmental organization, NGO) wie Greenpeace oder aus der akademischen Literatur.
Eine zunehmende Anzahl dieser Energieszenario-Studien befasst sich mit der Analyse und Beschreibung, wie zukünftige Energiesysteme gestaltet werden könnten, um die Treibhausgasemissionen aus dem Einsatz fossiler Brennstoffe drastisch zu reduzieren und andere Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.

Staaten auf der ganzen Welt haben sich in den letzten Jahren im Rahmen des Übereinkommens von Paris dazu verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen in Zukunft erheblich zu reduzieren. Wie der sogenannte Emissions Gap Report des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) von 2020 zeigt, reichen diese Verpflichtungen bisher aber nicht aus. Im optimistischsten Fall würden die Staaten damit bis zum Jahr 2030 etwa eine Stabilisierung der Emissionen auf heutigem Niveau erreichen.
Es ist ersichtlich, dass in den wichtigsten Sektoren Verkehr, Industrie und Gebäude zwei Faktoren die Treibhausgasemissionen dominieren: der Energiebedarf und der Anteil kohlenstoffarmer Energieträger. Mit sinkendem Energiebedarf und höheren Anteilen an kohlenstoffarmer Energie (das heißt typischerweise erneuerbare Energien) können die Treibhausgasemissionen reduziert werden, ohne das Niveau an Energiedienstleistungen zu senken.

Die einzelnen Sektoren weisen jedoch signifikant unterschiedliche Minderungspfade auf. In den Bereichen Verkehr und Gebäude sehen die Minderungsszenarien einen starken Anstieg der Energieeffizienz vor. Dieser kompensiert einen Anstieg der Nachfrage nach Energiedienstleistungen, sodass der Endenergieverbrauch in diesen Sektoren weltweit in etwa stabil bleibt. In der Industrie wächst der Endenergiebedarf in den Minderungsszenarien jedoch nur geringfügig langsamer als in den Basisszenarien. Im Mittel tragen CO2-arme Energien in den Minderungsszenarien im Jahr 2050 zu mehr als 50 Prozent des Energiebedarfs in Gebäuden und in der Industrie bei und zu etwas weniger im Verkehr. Der Strombedarf wächst dagegen sowohl in den Basis- als auch in den Minderungsszenarien stark an. Gleichzeitig wird der Strom in den Minderungsszenarien zu fast 100 Prozent aus kohlenstoffarmer Energie, das heißt vornehmlich aus erneuerbaren Energien, hergestellt. Es wird also in der Zukunft immer mehr CO2-arme Elektrizität in Verkehr, Industrie und Gebäuden eingesetzt, um diese Sektoren indirekt mit CO2-armer Energie zu versorgen.

Die oben diskutierten Klimaschutzszenarien gehen von einer massiven Veränderung der Investitionen gegenüber der Vergangenheit und auch gegenüber einer "Business-as-usual"-Zukunft aus.

Der IPCC hat in seinem fünften Sachstandsbericht von 2014 dazu für verschiedene Szenarien vergangene mit zukünftigen Investitionen in verschiedenen Segmenten des globalen Energiesystems verglichen. Das zentrale Ergebnis des Vergleichs war, dass die für den Klimaschutz erforderlichen Änderungen im Energiesystem nicht zu wesentlich größeren Investitionsvolumina im globalen Energiesystem führen würden. Die extremsten Szenarien erwarten einen Anstieg der Investitionen um weniger als ein Drittel gegenüber dem historischen Niveau. Allerdings bestehen hier große Unsicherheiten und es ist denkbar, dass der Anstieg auch erheblich kleiner ausfallen könnte.

Allerdings werden sich die Investitionsströme stark verschieben. Die Investitionen in das bislang größte Emissionssegment, die Gewinnung und Umwandlung fossiler Brennstoffe, werden in Klimaschutzszenarien um bis zu zwei Drittel reduziert. Investitionen in die fossile Stromerzeugung ohne nachgeschaltete Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) werden in allen Klimaschutzszenarien sehr rasch vollständig eingestellt. Stattdessen verdoppeln sich die Investitionen in erneuerbare Energien, Energieeffizienz und andere Optionen zur CO2-armen Erzeugung gegenüber den Basisszenarien, und die Investitionen in das Elektrizitätssystem werden erheblich erhöht.

Wenn man bedenkt, dass diese Änderungen bereits kurzfristig beginnen müssen, werden die Dimensionen der Herausforderung klar. Der massive Rückgang der Investitionen in fossile Brennstoffe stellt solche Regionen und Unternehmen vor große Herausforderungen, die gegenwärtig noch von der Gewinnung und Umwandlung dieser Brennstoffe leben. Diese reichen von traditionellen Kohleregionen in vielen Staaten weltweit über die großen Öl- und Gasproduktionsländer, deren Volkswirtschaften häufig ganz wesentlich von den Einnahmen des Verkaufs ihrer fossilen Ressourcen abhängen, bis zu den großen Mineralölkonzernen, die zunehmend unter Druck geraten, ihre Geschäftsmodelle komplett umzubauen.

Ölmarkt weltweit (© picture-alliance / dpa / dpa-infografik GmbH; Quelle: Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (2020))

Der internationale Seehandel, Hafen- und Logistikunternehmen sind ebenfalls betroffen, da der Seehandel heute zur Hälfte aus fossilen Brennstoffen wie ÖL, Kohle und Erdgas besteht (gemessen in Tonnen Handelsvolumen).

Andererseits stellt der Ausbau der globalen erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz sowie der Investitionen in Elektrizitätssysteme auch Regierungen und Investoren vor große Herausforderungen. Den gegenwärtigen Märkten gelingt es immer noch nicht, angemessene Bedingungen zu schaffen, um diese Investitionen in erforderlichem Ausmaß rentabel zu machen. Dies bedeutet, dass ein großer (aber rückläufiger) Anteil der erforderlichen Investitionen stark von öffentlicher Unterstützung abhängt.

Insbesondere die von der Umstellung des Energiesystems betroffenen Regionen und Sektoren verfügen in der Regel über gut etablierte Akteure. Für sie sind die fossilen Vermögenswerte ein wichtiger Teil ihrer (wirtschaftlichen) Macht, sie werden sich daher solchen Szenarien höchstwahrscheinlich nicht leicht anschließen können. Die harten Diskussionen um das Auslaufen der Kohleverstromung in vielen Ländern liefern hierfür aussagekräftige Beispiele, sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs, wenn es um die Umsetzung von Klimaschutzszenarien geht. Andererseits ist es äußerst schwierig, die wirtschaftlichen Aktivitäten bei Investitionen in saubere Energie praktisch über Nacht zu verdoppeln. Hier werden die Staaten künftig eine deutlich aktivere Rolle spielen müssen, um gemeinsam mit der Wirtschaft Investitionen zu initiieren, die hoch genug sind, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen.

Die möglichen wirtschaftlichen Schäden des Klimawandels sind jedoch viel größer als die oben dargestellten Veränderungen bei den Investitionen in Energiesysteme. Verluste bei landwirtschaftlichen Erträgen, höhere Kosten bei der Wasserversorgung und Schäden durch klimabedingte Wetterereignisse wie stärkere Stürme, Überschwemmungen oder Trockenheit werden vermutlich stark zunehmen. Neuere Studien befürchten, dass diese Schäden bei ungebremstem Klimawandel eine Größenordnung von 20 bis 25 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung kosten könnten.

Klimaschutzszenarien für Deutschland

Die Erstellung bzw. Auswertung von Szenarien gilt als wichtige Methode der Zukunftsvorausschau und als nützliches Hilfsmittel der Politikgestaltung. Während Prognosen Auskunft über die wahrscheinliche zukünftige Entwicklung geben – wie beispielsweise für das Wetter – beschreiben Szenarien die mögliche Veränderung eines Systems unter bestimmten Annahmen für wesentliche Einflussgrößen und deren zukünftigen Verlauf. Nicht zuletzt für energie- und klimapolitische Entscheidungen wird heute auf Szenario-Analysen zurückgegriffen. Solche Energie- und Klimaschutzszenarien haben in Deutschland eine lange Tradition und werden regelmäßig von verschiedenen Bundesministerien, aber auch von anderen Institutionen wie Umweltschutzorganisationen oder Industrieverbänden in Auftrag gegeben. Im Folgenden werden vier seit 2018 erschienene Szenarien für Deutschland miteinander verglichen, die (weitgehende) Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2050 beschreiben. Ähnlich ambitionierte Klimaschutzszenarien liegen u. a. für die EU (Europäische Kommission 2018) sowie für die gesamte Welt (IEA 2021) vor.

Überblick über die ausgewählten Szenarien

Übersicht der analysierten Szenarien und deren Treibhausgasminderungen bis 2030 und 2050 (© Eigene Darstellung)

Für die Betrachtung von Klimaschutzszenarien für Deutschland wurden hier aus vier Studien vier Klimaschutzszenarien ausgewählt, die Wege zur Minderung der deutschen Treibhausgasemissionen um mindestens 95 Prozent bis zum Jahr 2050 (gegenüber 1990) beschreiben. Alle vier Szenarien zeigen mögliche Wege auf, wie die Treibhausgasemissionen Deutschlands in Einklang mit den von der Bundesregierung bis zum Frühjahr 2021 verfolgten Klimaschutzzielen bis 2050 weitgehend reduziert werden können. Bei der Entwicklung ihrer Szenarien setzen die vier Studien jedoch teilweise abweichende Schwerpunkte:

  • Die Studie "Klimapfade für Deutschland" im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) möchte vor allem "volkswirtschaftlich kosteneffiziente Wege" aufzeigen. Aus dieser Studie wird im Folgenden das Szenario "95 %-Pfad" betrachtet.

  • Die dena-Leitstudie "Integrierte Energiewende" der Deutschen Energieagentur (dena), die in Zusammenarbeit mit mehreren Unternehmen insbesondere der Energiebranche erarbeitet wurde, zielt darauf ab, "aus heutiger Sicht realistische Transformationspfade" darzustellen, legt also einen stärkeren Schwerpunkt auf das Kriterium der gesellschaftlichen und politischen Umsetzbarkeit. Aus dieser Studie wird im Folgenden das Szenario "TM95" betrachtet.

  • Die Studie "Klimaneutrales Deutschland" im Auftrag der Think Tanks Agora Energiewende, Agora Verkehrswende sowie der Stiftung Klimaneutralität nennt sowohl Kosteneffizienz als auch Umsetzbarkeit als zentrale Kriterien. Das im Folgenden betrachtete Szenario "Klimaneutral 2050" (KN2050) stellt nach Einschätzung der Autorinnen und Autoren einen "aus Kostensicht und unter Berücksichtigung der Umsetzbarkeit optimierten Weg dar".

  • Die Szenarien der Studie "Wege in eine ressourcenschonende Treibhausgasneutralität" des Umweltbundesamtes (UBA) möchten hingegen aufzeigen, wie ambitionierter Klimaschutz mit dem Ziel des Ressourcenschutzes verbunden werden kann. Aus dieser Studie wird im Folgenden das Szenario "GreenSupreme" betrachtet.

Änderung der Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 (© Eigene Darstellung; Quellen: Umweltbundesamt 2020 und zitierte Szenariostudien, siehe Literatur)

Während alle vier betrachteten Szenarien im Jahr 2050 ähnliche Treibhausgasemissionen aufweisen, unterscheiden sich die Szenarien in der Geschwindigkeit des Emissionsrückgangs. So werden bis 2030 in den Szenarien GreenSupreme und KN2050 stärkere Emissionsrückgänge beschrieben als in den Szenarien 95 %-Pfad und TM95. Folglich sind auch die gesamten Emissionen im Zeitraum von 2020 bis 2050 (die sogenannten kumulativen Emissionen), die letztlich für die Auswirkungen auf das Klima entscheidend sind, in den beiden erstgenannten Szenarien niedriger als in den beiden letztgenannten Szenarien.

In den Szenarien GreenSupreme und KN2050 wird zudem aufgezeigt, wie die Netto-Emissionen bis 2050 durch sogenannte negative Emissionen auf etwa null reduziert werden könnten. Solche negativen Emissionen können über die Stärkung natürlicher Senken (u. a. durch eine nachhaltige Bewirtschaftung des Waldes sowie eine Wiedervernässung von Mooren) oder auch durch technische Maßnahmen (u. a. die Abscheidung und unterirdische Speicherung von CO2 aus Biomasse) realisiert werden. Durch negative Emissionen können die Szenarien trotz einer gewissen Menge an – als unvermeidbar angesehener – Restemissionen das Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 erreichen.

Entwicklungen in den Endenergiesektoren

In allen hier betrachteten Klimaschutzszenarien sinkt die Menge an Endenergie in den kommenden Jahrzehnten deutlich. Als Endenergie wird dabei die Energie bezeichnet, die direkt (zum Beispiel in Form von Strom, Erdgas, Benzin oder Fernwärme) in den Gebäuden, im Verkehr und in der Industrie verwendet wird. In drei der Szenarien liegt der Rückgang des Endenergiebedarfs bis zum Jahr 2050 gegenüber dem tatsächlichen Bedarf des Jahres 2019 bei 37 Prozent, im Szenario GreenSupreme sogar bei 58 Prozent. Der wesentliche Grund für den Rückgang in allen Szenarien sind angenommene Steigerungen der Energieeffizienz, die sich gegenüber den in der Vergangenheit realisierten Steigerungen beschleunigen müssten. So werden zum Beispiel in den Szenarien in Zukunft jedes Jahr deutlich mehr bestehende Gebäude energetisch saniert als in der Vergangenheit. Zudem sorgt im Verkehr der in den Szenarien angenommene verstärkte Umstieg auf Elektroautos für bedeutende Energieeinsparungen, da Elektromotoren deutlich effizienter sind als Verbrennungsmotoren.

Lebensstiländerungen:

Insbesondere im Szenario GreenSupreme werden zudem weitgehende Lebensstiländerungen angenommen, die ebenfalls einen Rückgang des Energiebedarfs zur Folge haben. So wird beispielsweise dort angenommen, dass bis 2050 die in den vergangenen Jahrzehnten zu beobachtenden Trends einer wachsenden Pro-Kopf-Wohnfläche sowie einer steigenden Verkehrsleistung sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr gestoppt und umgekehrt werden können. Durch den Rückgang der Pro-Kopf-Wohnfläche wird der Heizenergiebedarf der Gebäude reduziert, während eine abnehmende Verkehrsleistung den Bedarf an Kraftstoffen bzw. (angesichts zunehmender Elektromobilität) Strom senkt. Infolge solcher Lebensstiländerungen wird es leichter, den dann niedrigeren Energiebedarf vollständig über klimaneutrale Energieträger zu decken.

Elektrifizierung:

Die Änderungen in der Zusammensetzung des Endenergiebedarfs nach Energieträgern ist unter anderem das Ergebnis der sogenannten Elektrifizierungsstrategie. Bei dieser Strategie werden in verschiedenen Bereichen fossile Energieträger durch den Einsatz von Strom ersetzt. Beispiele sind hierfür Elektroautos, elektrisch betriebene Wärmepumpen zum Heizen sowie der Einsatz von Elektrodenkesseln zur Erzeugung von Wärme und Dampf für industrielle Prozesse. Sofern – wie in den Szenarien unterstellt – die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien weiter und in schnellem Maße gesteigert werden kann, können über eine solche Elektrifizierungsstrategie die CO2-Emissionen im Energiesystem reduziert werden. Der Anteil von Strom am gesamten Endenergieverbrauch steigt folglich in den Szenarien deutlich an, von 20 Prozent im Jahr 2019 auf 35 (TM95) bis 55 Prozent (GreenSupreme) im Jahr 2050.

Synthetische Energieträger:

Vom Ökostrom zum Grüngas (© ZEIT-Grafik Neele Jacobi; Quelle: Internationale Energieagentur IEA; The Future of Hydrogen-Report (2019))

Allerdings gibt es bestimmte Anwendungen, in denen der Ersatz fossiler Energieträger durch Strom nicht praktikabel oder technisch unmöglich ist. Beispiele hierfür sind die Primärstahlerzeugung sowie Mittel- und Langstreckenflüge. In diesen Fällen kann dennoch indirekt Strom aus erneuerbaren Energien zum Einsatz kommen, indem dieser Strom per Elektrolyse in Wasserstoff und ggf. in einem weiteren Schritt zu kohlenstoffhaltigen synthetischen Energieträgern umgewandelt wird, zum Beispiel in synthetisches Kerosin für Flugzeuge. Diese sogenannten Power-to-X-Energieträger, also gasförmige oder flüssige Energieträger, die auf Grundlage von Strom erzeugt wurden und neben Wasserstoff auch kohlenstoffhaltige synthetische Energieträger umfassen, spielen in den hier betrachteten Szenarien ebenfalls eine wichtige Rolle.

QuellentextWasserstoff als Rettung vor dem Klimawandel?

[…] Wenn weniger Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre gelangen soll, müssen weniger Kohle, Erdöl und Erdgas verbrannt werden. Nicht immer kann Strom aus Wind, Sonne oder Biomasse fossile Brennstoffe so direkt ersetzen, wie wenn ein E-Auto mit Strom statt mit Sprit fährt. Hier kommt Wasserstoff ins Spiel. Die technischen Details sind eher etwas für Chemie-Interessierte: Wasserstoff entsteht zum Beispiel durch Elektrolyse von Wasser, das in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird. Dafür braucht es elektrische Spannung, also Strom. Wasserstoff kann Brennstoffzellen betreiben, etwa für Lastwagen. Aus Wasserstoff können gasförmige und flüssige Kraft- und Brennstoffe gemacht werden. Man spricht dabei oft von Power-to-X: Aus Strom, Power, entsteht etwas anderes, X. Und er speichert Energie, was wichtig ist, wenn der Strom komplett aus Erneuerbaren kommen soll.

Je nachdem, aus was Wasserstoff gewonnen wird und woher der Strom kommt, gibt es unterschiedliche Namen: Grüner Wasserstoff entsteht mit erneuerbaren Energien aus Wasser und ist der Liebling der Klimaschützer. Grauer Wasserstoff dagegen wird aus fossiler Energie hergestellt, etwa aus Erdgas. Als blau wird Wasserstoff bezeichnet, wenn das CO2 gespeichert wird, also nicht in die Atmosphäre gelangt. Die Methoden dafür sind umstritten. Türkiser Wasserstoff wird aus Methan gewonnen.

Der Bund hat schon viele Hundert Millionen Euro in die Forschung zum Wasserstoff gesteckt, weitere, milliardenschwere Förderprogramme laufen. Im Corona-Konjunkturpaket sind weitere sieben Milliarden Euro für den Markthochlauf von Wasserstofftechnologien vorgesehen und zwei Milliarden für internationale Partnerschaften. Denn es wird längerfristig so viel Wasserstoff gebraucht, dass Deutschland den nicht alleine produzieren kann. Bis 2030 sollen in Deutschland Erzeugungsanlagen von bis zu fünf Gigawatt Gesamtleistung entstehen. Diese sollen ein Siebtel des erwarteten Bedarfs herstellen. Der Rest muss importiert werden. Die SPD wollte doppelt so viel Kapazität.

Umstritten war auch, welche Rolle nicht-grüner Wasserstoff spielen soll. In der Strategie heißt es nun, dass nur grüner Wasserstoff "auf Dauer nachhaltig" sei – aber auf dem weltweiten und europäischen Markt auch blauer oder türkiser Wasserstoff gehandelt werde, der daher auch in Deutschland "eine Rolle spielen und, wenn verfügbar, auch übergangsweise genutzt" werde. Ziel ist es, neben der Förderung von Investitionen auch einen Markt für Wasserstoff zu schaffen, damit Unternehmen überhaupt im großen Stil auf Wasserstoff-Produktion setzen.

Denn bisher ist oft die Rede von einem "Henne-Ei-Problem": Es ist nicht genug Wasserstoff da, um Anwendungen voranzubringen – und es gibt nicht genug Anwendungen, um in die Produktion einzusteigen. Im Gespräch ist unter anderem eine Quote für Kerosin, also Flugzeug-Treibstoff, in Höhe von mindestens zwei Prozent für das Jahr 2030, oder eine Quote für klimafreundlichen Stahl. Beschlossen ist das aber nicht. Die Produktion von grünem Wasserstoff soll zudem über eine Befreiung von der Ökostrom-Umlage gefördert werden, die Bürger mit der Stromrechnung zahlen.

Klar ist, dass etwa die Stahl-, Chemie- und Zementbranche ihn braucht, um CO2-Emissionen zu drücken. Auch "Teile des Wärmemarkts" hat die Regierung "im Blick", wie es in der Strategie heißt. Und wie sieht es beim "Klimaschutz-Sorgenkind" Verkehr aus? "Sowohl im Luft- als auch im Seeverkehr sind für die Dekarbonisierung klimaneutrale synthetische Kraftstoffe erforderlich", heißt es in der Strategie. Das bezweifelt keiner, auch Brennstoffzellen in Bussen, Zügen und Lkw sind ziemlich unstrittig. Der Satz "Auch in bestimmten Bereichen bei PKWs kann der Einsatz von Wasserstoff eine Alternative sein", kommt dagegen bei Umweltschützern eher schlecht an: Sie werfen der Branche vor, nicht auf batterieelektrische Fahrzeuge umsteigen zu wollen, in denen Strom effizienter genutzt wird als über den Wasserstoff-Umweg.

Teresa Dapp (dpa), "Allzweckwaffe für den Klimaschutz?" in: Bonner General-Anzeiger vom 11. Juni 2020

Kohlenstoffhaltige synthetische Energieträger ähneln dabei den derzeit eingesetzten fossilen Energieträgern und können diese daher leicht ersetzen. So ist der Transport synthetischer Energieträger per Schiff beispielsweise wesentlich einfacher und günstiger als der von Wasserstoff. Durch die verschiedenen notwendigen Umwandlungsschritte ist die Herstellung synthetischer Energieträger jedoch mit erheblichen energetischen Verlusten verbunden. Zudem wird für die Herstellung synthetischer Energieträger CO2 benötigt, das bei der Verbrennung der Energieträger wieder freigesetzt wird. Folglich sind synthetische Energieträger nur dann CO2-neutral, wenn dieses CO2 nicht aus fossilen Quellen stammt, sondern entweder aus (nachhaltig erzeugter) Biomasse oder über spezielle und energieintensive Anlagen direkt aus der Atmosphäre gewonnen wird (Direct Air Capture).

Aufgrund der erheblichen energetischen Umwandlungsverluste bei der Produktion synthetischer Energieträger wird daher vielfach argumentiert, dass eine direkte Elektrifizierung gegenüber dem Einsatz synthetischer Energieträger zu bevorzugen ist. Durch eine Minimierung des Einsatzes synthetischer Energieträger kann der ohnehin erwartete starke Anstieg des Bedarfs an erneuerbar erzeugtem Strom begrenzt werden. Beispielsweise liegt der Strombedarf für die Fahrt einer bestimmten Strecke mit einem Elektroauto um ein Vielfaches niedriger als der (indirekte) Strombedarf, der für die gleiche Strecke mit einem Auto benötigt wird, das über synthetischen Kraftstoff angetrieben wird.

In einigen der betrachteten Szenarien (zum Beispiel in KN2050) wird daher auch soweit wie möglich auf eine direkte Elektrifizierung (z. B. Elektroautos und Wärmepumpen) und – falls dies nicht praktikabel ist – zunächst auf einen Einsatz von Wasserstoff (z. B. Primärstahlerzeugung per Wasserstoff statt per synthetischem Gas) gesetzt. Andere Szenarien (zum Beispiel TM95) nehmen hingegen einen stärkeren Einsatz synthetischer Energieträger an und begründen dies damit, dass sie (gegenüber Wasserstoff) leichter importiert und leichter in bestehenden Anwendungen genutzt werden können.

Biomasse:

Der direkte Einsatz erneuerbarer Energien in den Endenergiesektoren steigt in den meisten der betrachteten Szenarien ebenfalls an. Neben dem Einsatz von Biomasse fällt hierunter insbesondere die Nutzung von Umweltwärme (beim Einsatz von Wärmepumpen) sowie von Solarthermie. Das inländisch verfügbare nachhaltige Potenzial für die energetische Nutzung von Biomasse wird dabei unterschiedlich eingeschätzt. Während in den Szenarien 95 %-Pfad, TM95 und KN2050 unterstellt wird, dass die energetische Nutzung von Biomasse gegenüber dem gegenwärtigen Niveau noch (moderat) gesteigert werden kann, nimmt der Biomasseeinsatz im Szenario GreenSupreme ab. Dies liegt daran, dass das Umweltbundesamt den Anbau von Biomasse zur Energiegewinnung sowie die Nutzung von Waldrestholz aus Gründen der Nachhaltigkeit ablehnt. Im Szenario GreenSupreme erfolgt bis zum Jahr 2030 folglich ein Ausstieg aus der Anbaubiomasse. Die Verwendung der Biomasse erfolgt in den Szenarien 95 %-Pfad sowie KN2050 zukünftig verstärkt in der Industrie, insbesondere zur Wärme- und Dampfbereitstellung. Im Szenario TM95 wird die verfügbare Biomasse hingegen in stärkerem Maße im Verkehr und im Gebäudesektor eingesetzt.

Recycling:

Neben der Senkung des Energiebedarfs durch Effizienzsteigerungen und Lebensstiländerungen sowie dem Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energieträger (bzw. auf Energieträger, die auf erneuerbaren Energien basieren) gibt es zwei weitere wichtige Strategien, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Zum einen kann eine deutliche Stärkung der Kreislaufwirtschaft, also insbesondere eine Steigerung der Recyclingraten, die energie- und emissionsintensive Primärerzeugung von Grundstoffen wie Stahl oder Grundstoffchemikalien reduzieren. Entsprechende Steigerungen der Recyclingraten werden in allen Szenarien angenommen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß.

Abscheidung und Lagerung von CO2:

Zudem wird in drei der vier betrachteten Szenarien (in 95 %-Pfad, TM95 und KN2050) eine Abscheidung und Lagerung von CO2 (Carbon Capture and Storage, CCS) aus industriellen Prozessen angenommen. Der Einsatz von CCS wird vielfach vor allem für sogenanntes prozessbedingtes CO2 als notwendig angesehen. Dieses prozessbedingte CO2 kann nicht durch den Einsatz erneuerbarer Energien vermieden werden, sondern fällt bei der chemischen Umwandlung benötigter Ausgangsmaterialien an. In einigen Fällen ist es zwar möglich, die prozessbedingten Emissionen durch den Einsatz neuartiger Prozesse zu vermeiden, wie bei der Umstellung der kohlebasierten Primärstahlproduktion in Hochöfen auf eine wasserstoffbasierte Herstellung in Direktreduktionsanlagen. Sofern aber solche alternativen Prozesse nicht existieren bzw. nicht in ausreichendem Maße umgesetzt werden können, wird für das "unvermeidbare" prozessbedingte CO2 vielfach der Einsatz von CCS vorgeschlagen, um tatsächlich Klimaneutralität erreichen zu können.

Insbesondere für die Vermeidung der CO2-Emissionen der Zementherstellung könnte CCS zukünftig zum Einsatz kommen. Bei der Herstellung von Zement fällt beim Brennen von Kalkstein – einem wesentlichen Bestandteil von Zement – unvermeidlich CO2 an. In den Szenarien 95 %-Pfad, TM95 und KN2050 wird bis zum Jahr 2050 ein Großteil dieses CO2 abgeschieden und zu unterirdischen Speichern (zum Beispiel in leergeförderte Erdgasfelder unter der Nordsee) transportiert. Das Umweltbundesamt sieht CCS aus Gründen der Nachhaltigkeit allerdings kritisch, unter anderem weil es bei der Speicherung von CO2 Leckagen für möglich hält, die zu Risiken für Grundwasser und Böden führen könnten. Daher wird im Szenario GreenSupreme nicht auf diese Strategie zurückgegriffen. Dafür werden in diesem Szenario vergleichsweise optimistische Annahmen zur Reduktion des Zementbedarfs, zur Möglichkeit des Recyclings von Beton sowie zur Entwicklung neuer CO2-armer Zemente bzw. zementähnlicher Baustoffe getroffen.

Umstellung der Energiebereitstellung auf erneuerbare Energien

Deutschlands Strommix (© picture-alliance / dpa / dpa Grafik / dpa-infografik GmbH; Quelle: Bundesverband der Energieund Wasserwirtschaft)

Eine zentrale Voraussetzung für ambitionierten Klimaschutz ist ein beschleunigter Ausbau erneuerbarer Energien in der Strom- und Wärmeerzeugung. Im Jahr 2050 basiert die Stromerzeugung in allen vier betrachteten Klimaschutzszenarien vollständig auf erneuerbaren Energien, gegenüber einem Anteil von rund 45 Prozent im Jahr 2020.

Dabei wird die Stromerzeugung aus Windenergie (an Land und auf dem Meer) und Solarenergie (Photovoltaik) den Szenarien zufolge klar dominieren, rund 85 bis 90 Prozent des 2050 erzeugten Stroms wird den Szenarien zufolge aus diesen Quellen stammen. Geringere Beiträge zur Stromerzeugung liefern zusätzlich Wasserkraft, Biomasse, Geothermie sowie Power-to-X-Energieträger. Letztere werden in den Szenarien im Jahr 2050 insbesondere in solchen Stunden eingesetzt, in denen die Erzeugung aus Wind- und Photovoltaik-Anlagen unzureichend ist.

Die starke Fokussierung der Szenarien auf die Stromerzeugung aus Wind- und Solarenergie liegt zum einen daran, dass bei diesen erneuerbaren Energieträgern in Deutschland die größten Potenziale für eine zusätzliche Nutzung gesehen werden. Zum anderen ist infolge deutlicher Kostenrückgänge während der vergangenen rund zwei Jahrzehnte die Stromerzeugung aus diesen Anlagen mittlerweile sehr günstig möglich.

Nettostromerzeugung und -bedarf 2019 sowie 2050 (© Eigene Darstellung: Quellen: AG Energiebilanzen und zitierte Szenariostudien, siehe Literatur)

Neben der Dominanz von Wind- und Solarenergie in der zukünftigen Stromerzeugung der betrachteten Szenarien fällt auf, dass alle vier Szenarien einen deutlichen Anstieg des zukünftigen Strombedarfs beschreiben – je nach Szenario um rund 30 bis 70 Prozent zwischen 2019 und 2050 (siehe Grafik Nettostromerzeugung und -bedarf). Einen wesentlichen Grund für diesen Anstieg stellt die oben erwähnte Elektrifizierungsstrategie dar, durch die fossile Energieträger in den Sektoren Gebäude, Verkehr und Industrie verdrängt werden. Gleichzeitig wird zukünftig Strom auch benötigt, um daraus Wasserstoff zu erzeugen, der dann entweder direkt oder nach Umwandlung in kohlenstoffhaltige synthetische Energieträger zum Einsatz kommt. Diese Nutzung von Wasserstoff und synthetischen Energieträgern kann auch als "indirekte Elektrifizierung" bezeichnet werden. Zwar werden in den Szenarien auch weitere Effizienzsteigerungen bei gegenwärtigen Stromanwendungen wie zum Beispiel Haushaltsgeräten und elektrischen Pumpen in der Industrie angenommen, die dadurch ausgelösten Einsparungen beim Strombedarf können den zusätzlichen Strombedarf durch direkte und indirekte Elektrifizierung allerdings nicht kompensieren.

Power-to-X:

Die Grafik zeigt den Bedarf an Power-to-X-Energieträgern in den vier betrachteten Szenarien im Jahr 2050. Wie oben erwähnt, werden diese gasförmigen oder flüssigen Energieträger in erster Linie bei solchen Anwendungen genutzt, bei denen eine direkte Verwendung von Strom nicht möglich bzw. nicht praktikabel ist.

Bedarf an und Herkunft von Power-to-X-Energieträgern in den betrachteten Szenarien im Jahr 2050 (© Eigene Darstellung; Quellen: zitierte Szenariostudien, siehe Literatur)

In den betrachteten Szenarien findet die Nutzung überwiegend in der Industrie und im Verkehr statt, beispielsweise zur Deckung des industriellen Wärme- und Dampfbedarfs sowie für den Antrieb von Teilen des Güter- und Schiffsverkehrs.

In drei der vier betrachteten Szenarien liegt der Power-to-X-Bedarf im Jahr 2050 zwischen knapp 400 und rund 550 TWh. Nur im Szenario TM95 werden mit knapp 910 TWh deutlich mehr Power-to-X-Energieträger benötigt. Der hohe Bedarf in diesem Szenario liegt unter anderem an der relativ geringen Nutzung von CO2-Abscheidung und -Speicherung (im Vergleich zu den Szenarien KN2050 und insbesondere 95 %-Pfad) sowie an eher vorsichtigen Annahmen zu Fortschritten im Bereich der Kreislaufwirtschaft und energiesparender Lebensstiländerungen (insbesondere im Vergleich zum Szenario GreenSupreme).

Wind- und Solarenergie:

Obwohl die zukünftig stark auf Wind- und Solaranlagen basierende Stromerzeugung mit dem Wetter oder der Tages- und Jahreszeit schwankt, wird eine zuverlässige Stromversorgung auch in einem durch Wind- und Solaranlagen dominierten System für möglich gehalten. Voraussetzungen hierfür sind insbesondere ein weiterer Aus- und Umbau des Stromnetzes, eine Flexibilisierung der Stromnachfrage zum Beispiel durch niedrigere Stromtarife in Stunden mit hohem Ökostromangebot, die Nutzung von Batteriespeichern sowie nicht zuletzt eine ausreichende Kapazität an Gaskraftwerken. Solche "Power-to-Gas"-Kraftwerke werden zukünftig in Zeiten geringer Wind- und Solarstromerzeugung betrieben, wobei kein fossiles Erdgas zum Einsatz kommt, sondern Wasserstoff oder vielleicht auch synthetisches Methan, die in Zeiten mit viel Wind- und Solarstrom erzeugt und zwischengespeichert werden.

Karikatur: "Geänderte Trassenführung" (© Gerhard Mester)

Die zukünftige Zusammensetzung des Strommixes aus Windenergieanlagen an Land (Wind Onshore), Windenergieanlagen auf dem Meer (Wind Offshore) sowie Photovoltaik-Anlagen unterscheidet sich allerdings von Szenario zu Szenario. Ein wesentlicher Grund für diese Unterschiede sind abweichende Einschätzungen hinsichtlich der zukünftigen Kostenentwicklungen und der Umsetzbarkeit bzw. gesellschaftlichen Akzeptanz für den Zubau einzelner Technologien. So wird in dem aktuellsten der vier betrachteten Szenarien (KN2050) ein relativ starker Zubau von Photovoltaik angenommen, um erwartete Grenzen beim Ausbau der Windenergie an Land kompensieren zu können. Solche Ausbaugrenzen könnten sich infolge einer mangelnden Akzeptanz für Windenergieanlagen ergeben. So liegt seit 2018 der Zubau der Onshore-Windenergie in Deutschland auf einem niedrigen Niveau, was unter anderem auf unzureichende Akzeptanz für den Ausbau dieser Anlagen an einigen Standorten sowie Konflikte mit dem Vogelschutz zurückgeführt wird.

QuellentextSolarenergie auf dem Wasser

Das Luftbild ist auf den ersten Blick irritierend. Es zeigt einen See, dessen Wasserfläche weitgehend mit blauschimmernden rechteckigen Paneelen abgedeckt ist. Es ist ein schwimmender Solarpark nahe der niederländischen Stadt Zwolle. […]
Der Stromerzeugung auf dem Wasser wird einiges zugetraut. Es gibt gleich mehrere Vorteile: Das kühle Nass reguliert die Temperatur in den Solarzellen. So kann bei der Umwandlung von Sonnenlicht mehr elektrische Energie erzeugt werden als bei einer Anlage an Land.

Das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE) macht in einer aktuellen Studie darauf aufmerksam, dass dadurch eine höhere "Flächennutzungseffizienz" im Vergleich zu Solarparks auf Wiesen und Äckern erzielt werde. Und das ist nach Ansicht von ISE-Chef Andreas Bett enorm wichtig: Zum Gelingen der Energiewende werde ein Photovoltaikausbau mit bis zu 500 Gigawatt benötigt – das wäre fast das Zehnfache der bisher installierten Leistung.

Aber aufgrund der begrenzten landwirtschaftlichen Nutzfläche müssten "landneutrale Lösungen" entwickelt werden. Dazu zählen Anlagen an und auf Gebäuden sowie auf dem Wasser. Schließlich gibt es laut ISE hierzulande 4474 sogenannte künstliche Standgewässer, die allermeisten sind durch die Gewinnung von Baumaterial (Sand und Kies) entstanden. Hinzu kommen stillgelegte Steinbrüche, Stauseen und vor allem Braunkohletagebaue.

Nach dem Abgraben des fossilen Rohstoffs laufen die Gruben von selbst mit Grundwasser voll. 500 Seen sind bisher so entstanden […]. Die schwimmende Photovoltaik bietet eine nahezu ideale Anschlussverwendung für die Braunkohlereviere. Die früheren Tagebauareale sind bereits gut an die Stromnetze angebunden. Das theoretisch mögliche Sonnenstrompotenzial der Seen liegt bei 56 Gigawatt. Ein weiterer Vorteil: Die Anlagen können zügig errichtet werden. […]

In den Niederlanden gibt es ein spezielles Förderprogramm für die schwimmenden Anlagen. Hierzulande herrscht harter Wettbewerb. Bei der jüngsten Ausschreibung für Solarparks erhielt die zuständige Bundesnetzagentur 346 Gebote, nur ein Drittel kam zum Zuge. Inzwischen werden Zuschläge vergeben, die den Betreibern eine Vergütung von deutlich weniger als fünf Cent pro Kilowattstunde gewähren. Und die technischen Möglichkeiten sind noch längst nicht ausgeschöpft. Experten erwarten, das sich die Kosten noch einmal halbieren werden, was die Sonne zur mit Abstand billigsten Quelle für die Stromerzeugung machen könnte.
Bisher kann die Floating Photovoltaik (FPV) allerdings gegen die Konkurrenz an Land nur schwer mithalten: Die Stromerzeugungskosten liegen laut ISE zehn bis 15 Prozent höher. Die schwimmenden Module, die robuster als konventionelle konstruiert sind, müssen entweder am Ufer oder auf dem Grund der Seen befestigt werden. Das kostet Geld und schränkt damit auch die Standorte für einen wirtschaftlichen Betrieb ein.

Konkurrierende Nutzungen müssen zudem bedacht werden: Tourismus, Freizeitaktivitäten, Natur- und Landschaftsschutz. Es bleiben in den Braunkohlerevieren laut der ISE-Studer ISE-Studie, die von [Baywa Re, einem "Floating-PV-Entwickler" aus Braunschweig] in Auftrag gegeben wurde, etwa fünf Prozent der Wasserflächen übrig, die eine Maximalleistung von gut 2,7 Gigawatt bringen können, was aber immer noch etwa zwei Atomkraftwerken entspricht. […]

[…] ISE-Experte Harry Wirth [schlägt] Ausschreibungen speziell für FBV und andere flächenneutrale Kraftwerke vor, die noch einen Marktanschub benötigen […]. Es könne auch sinnvoll sein, die schwimmende Photovoltaik von vornherein in die Sanierungspläne der Tagebaugebiete aufzunehmen.
Die ISE-Experten raten aber auch an, eine Bürgerbeteiligung zu organisieren und die Akzeptanz der Anlagen an einem Pilotprojekt zu testen – wohl um den Ärger, den viele Windkraftprojekte gemacht haben, beim Strom vom Baggersee zu gleich zu vermeiden.

Photovoltaik leistet einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz. So rechnen die Experten der Branchenvereinigung Solar Cluster Baden-Württemberg in einer aktuellen Studie vor, dass eine größere Solaranlage auf einem Hausdach pro Jahr den Ausstoß von zehn Tonnen CO2 verhindert. Das entspricht in etwa der Menge, die ein Bundesbürger jedes Jahr im Schnitt verursacht, und es ist ungefähr genau so viel wie 800 Buchen in derselben Zeit binden können. Dabei wurde von Modulen mit einer Maximalleistung von 16 Kilowatt ausgegangen.

Grundlage der Studie waren neue Zahlen des Umweltbundesamts (UBA), denen zufolge jede erzeugte Kilowattstunde Sonnenstrom in Deutschland derzeit 627 Gramm Kohlendioxid vermeidet. Deutschlandweit hat die Photovoltaik damit 2018 insgesamt die Emissionen von fast 29 Millionen Tonnen verhindert. Bei den Berechnungen des UBA wurde auch die gesamte Energie berücksichtigt, die zur Herstellung der Anlage benötigt wird. Ergebnis: Je nach Zelltechnologie dauert es ein bis drei Jahre bis der Saldo abgetragen ist. Die Anlagen sind aber für eine Lebensdauer von mindestens 20 Jahre ausgelegt. 30 Jahre und mehr halten viele Experten aber für sicher.

Bei der Berechnung des Klimaschutzeffekts ist das UBA davon ausgegangen, dass der Sonnenstrom elektrische Energie verdrängt, die ansonsten zu knapp zwei Drittel aus Kohle- und gut einem Drittel aus Gaskraftwerken gekommen wäre. […]

Frank-Thomas Wenzel, "Strom vom Baggersee", in Frankfurter Rundschau vom 18. Februar 2020

Allerdings müsste sich den Szenarien zufolge der durchschnittliche jährliche Ausbau von Wind- und Photovoltaik-Anlagen bereits bis zum Jahr 2030 deutlich gegenüber dem in den Jahren 2018 bis 2020 realisierten Ausbau erhöhen, um die in den Szenarien beschriebenen Emissionseinsparungen verwirklichen zu können. In den Szenarien GreenSupreme und KN2050 müsste sich der jährliche Zubau dieser Anlagen in Summe sogar mehr als verdoppeln.

Versorgung aus dem Ausland:

In allen betrachteten Szenarien wird aufgrund der angenommenen Potenzial- bzw. Akzeptanzgrenzen für den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland der Großteil der benötigten Power-to-X-Energieträger aus dem Ausland importiert. Diese Importe könnten zukünftig aus Ländern kommen, die sehr gute Bedingungen für erneuerbare Energien haben. Durch hohe Solarstrahlung und/oder gute Windbedingungen ist die auf erneuerbaren Energien basierende Stromerzeugung in diesen Ländern sehr günstig, wodurch dort auch niedrige Erzeugungskosten für strombasierten Wasserstoff realisiert werden können. Häufig verfügen diese Länder auch über ein ausreichend großes Potenzial an erneuerbaren Energien, um neben der klimaneutralen Deckung ihres eigenen Strom- und Wasserstoffbedarfs zusätzlich Wasserstoff zu exportieren. Hierzu zählen Länder wie Norwegen oder Marokko, aus denen Wasserstoff prinzipiell kostengünstig über eine Pipeline nach Deutschland transportiert werden könnte, aber auch Länder wie Australien oder Chile, aus denen Power-to-X-Energieträger per Schiff importiert werden müssten.

QuellentextMarokko als Vorreiter im Klimaschutz

Der Maghreb ist reich an Sonne und Wind. Die Ressourcen sind riesig. Doch nur ein Land beginnt, sie wirklich zu nutzen. Jahrelang musste sich Marokko von Spanien mit Strom beliefern lassen. Aber bald soll dort die Energiewende gelingen und bis 2030 mehr als die Hälfte der verbrauchten Energie aus erneuerbaren Quellen stammen. Marokko ist neben Gambia das einzige afrikanische Land, dessen Politik mit den Zielen des Pariser Abkommens kompatibel ist. Das zeigt ein Blick auf die Weltkarte des "Climate Action Tracker". Die Internetseite beobachtet, in welchem Maß Staaten ihre Selbstverpflichtungen beim Klimaschutz einhalten.

[…] Vor drei Jahren [2016] war König Mohamed VI. stolzer Gastgeber der ersten UN-Klimakonferenz nach der Unterzeichnung des Vertrags von Paris. Der König, dessen Dynastie beansprucht, vom Propheten Mohammed abzustammen, präsentierte das rohstoffarme Marokko als ein modernes, weltoffenes und "nachhaltiges Königreich". Besucher lässt er gerne nach Ouarzazate an den Rand der Sahara führen. Dort entsteht mit deutscher Unterstützung eines der größten Solarkraftwerke der Welt – mit einer Million Parabolspiegeln. Insgesamt plant die Regierung in Rabat fünf solcher Anlagen mit einer Kapazität von zusammen 2000 Megawatt. Hunderte Windparks und Staudämme sind geplant.

Im Nachbarland Algerien kommt die Energiewende dagegen nicht richtig voran. Dabei ist sie auch aus wirtschaftlichen Gründen wichtig: Algerien lebt vom Export seines Erdgases und Erdöls. Aber der inländische Energiekonsum wächst, was die Einnahmen aus dem Export der Ressourcen schmälert, die langsam zur Neige gehen. Die Nutzung von Sonne und Wind soll deshalb dazu beitragen, weniger Rohstoffe zu Hause zu verbrauchen und mehr davon zu exportieren. Bis 2030 werden nach dem Willen der Regierung Photovoltaik und Windkraft für mehr als 20.000 Megawatt Strom sorgen. Damit wäre knapp ein Drittel des algerischen Energiebedarfs gedeckt. Aber ähnlich wie im benachbarten Tunesien blockieren Korruption und politischer Stillstand wichtige Entscheidungen.

Hans-Christian Rößler, Madrid
Klimaserie Heißzeit – Das Bewusstsein wächst langsam, in: Frankfurter Allgemeine Woche Nr. 49 vom 29. November 2019, S. 22 ff.
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Die in den Szenarien im Jahr 2050 importierten Mengen an Power-to-X-Energieträgern in Höhe von rund 310 TWh (KN2050) bis 740 TWh (TM95) liegen dabei deutlich niedriger als die über 2000 TWh Mineralöl und Erdgas, die im Jahr 2019 nach Deutschland importiert wurden. Für die Realisierung von Power-to-X-Importen werden allerdings in den Exportländern entsprechende Stromerzeugungsanlagen sowie eine hinreichende Importinfrastruktur aufgebaut werden müssen. Um entsprechende Importe zukünftig tatsächlich realisieren zu können, sollten daher möglichst frühzeitig internationale Partnerschaften auf Augenhöhe etabliert werden.

In drei der vier betrachteten Szenarien wird (nahezu) ausschließlich ein Import von synthetischen (kohlenstoffhaltigen) Energieträgern angenommen, insbesondere da diese im Vergleich zu Wasserstoff niedrigere Transportkosten aufweisen, wenn sie aus anderen Weltregionen importiert werden. Das Szenario KN2050 sieht hingegen einen höheren Import von Wasserstoff gegenüber synthetischen Energieträgern vor. Für eine Fokussierung auf Wasserstoff spricht unter anderem der gegenüber synthetischen Energieträgern geringere Strombedarf für die Erzeugung sowie die Tatsache, dass für Wasserstoff kein Bedarf an (klimaneutralem) CO2 anfällt.

Maßnahmen zur Minderung der Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft

Die Landwirtschaft verursacht derzeit rund 8 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen (UBA 2020). Die CO2-Emissionen spielen dabei eine untergeordnete Rolle, es dominieren die Emissionen der Treibhausgase Methan und Lachgas. Eine weitgehende Minderung dieser Emissionen gilt als besonders schwierig. Aufgrund unvermeidbarer biologischer Prozesse (z. B. dem Entstehen von Methan durch Verdauungsprozesse in der Tierhaltung) werden sich Restemissionen der Landwirtschaft auch langfristig nicht komplett vermeiden lassen. Die vier hier betrachteten Szenarien halten bis zum Jahr 2050 gegenüber 1990 einen Rückgang der Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft um rund 50 bis 70 Prozent für möglich. Die verbleibenden Restemissionen müssten für das Ziel einer Klimaneutralität durch die oben erwähnten Optionen für "negative Emissionen" ausgeglichen werden.

In der Studie der dena (2018) wird die Landwirtschaft nicht im Detail behandelt, sondern es wird für eine Abschätzung des Treibhausgasminderungspotenzials dieses Sektors auf eine andere bestehende Studie verwiesen. Die anderen drei Studien diskutieren hingegen auch den Landwirtschaftssektor und nennen konkrete Maßnahmen, mit denen sich die Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft, die zwischen 1990 und 2018 um 20 Prozent gesunken sind, weiter reduzieren ließen.

Klimaschutz auf dem Teller (© picture-alliance / dpa / dpa Grafik / dpa-infografik GmbH; Quelle: WWF)

In allen Studien wird beispielweise auf das Potenzial für eine Ausweitung der Vergärung von Gülle in Biogasanlagen verwiesen und ein effizienterer zukünftiger Einsatz von Düngemitteln unterstellt, aus denen treibhauswirksames Lachgas entsteht. In der Studie für das Umweltbundesamt von 2019 wird zudem ein Abbau der Tierbestände infolge eines angenommenen geringeren Fleischkonsums und rückläufiger Fleischexporte unterstellt. In der Studie für den BDI wird die Reduzierung des Rinderbestandes hingegen nur als eine Option bezeichnet, falls sich der Methanausstoß der Rinder nicht durch noch in Entwicklung befindliche organische Futtermittelzusätze ("Methanpille") in bedeutendem Maße reduzieren lassen sollte. In der Studie für Agora Energiewende von 2020 wird wiederum als Fortschreibung der Entwicklungen der vergangenen Jahre eine Verschiebung des Fleischkonsums hin zu mehr Geflügel und weniger Rind angenommen. Aufgrund der stärkeren Klimawirkung von Rindern führt dieser Trend zu einer gewissen Reduktion des Treibhausgasausstoßes der Landwirtschaft.

Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den betrachteten Szenarien

Die betrachteten Szenarien aus verschiedenen Studien legen nahe, dass Deutschland alleine mit gegenwärtig einsatzbereiten sowie absehbar verfügbaren Technologien bis Mitte des Jahrhunderts seine Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um mindestens 95 bis 97 Prozent reduzieren könnte. Eine solch weitgehende Minderung der Emissionen könnte das von der Bundesregierung und der EU verfolgte Ziel der Klimaneutralität erreichbar machen, sofern es gelingt, die nicht vermiedenen Restemissionen zu kompensieren – entweder über technische Maßnahmen wie die Abscheidung und Speicherung von CO2 aus der Verbrennung von Biomasse oder über eine gezielte Stärkung natürlicher CO2-Senken wie Wälder und Moore.

Die Szenarien verdeutlichen jedoch auch, dass das Erreichen solch weitgehender Reduktionen der Treibhausgasemissionen eine gegenüber der Vergangenheit starke Intensivierung von Klimaschutzmaßnahmen in allen Bereichen erfordern wird. So müssten beispielsweise in allen Szenarien pro Jahr deutlich mehr Gebäude als bisher saniert werden, Elektroautos müssten in den nächsten Jahren stark steigende Anteile an den Pkw-Neuzulassungen erreichen und Wind- und Photovoltaik-Anlagen müssten wesentlich stärker ausgebaut werden als in den vergangenen Jahren.

Die betrachteten Szenarien stimmen ebenfalls grundsätzlich darin überein, dass Deutschland auch zukünftig – wenn auch in geringerem Maße als heute – auf Energieimporte angewiesen sein wird. Die importierten Energieträger müssen allerdings im Ausland zunehmend auf Grundlage von erneuerbaren Energien (insbesondere erneuerbarem Strom) erzeugt werden. Zusätzlich sehen die Szenarien die Notwendigkeit und Möglichkeit, einen Teil des zukünftigen Wasserstoffbedarfs aus inländischer elektrolysebasierter Erzeugung zu decken. Unter anderem für diese Strategie stellt ein beschleunigter Ausbau von Wind- und Solaranlagen eine zentrale Voraussetzung dar.

Neben der weitgehenden Senkung der energie- und prozessbedingten Emissionen in den Sektoren der Energiewirtschaft, der Industrie, des Verkehrs und der Gebäude erfordert Klimaneutralität auch eine Reduktion der Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft. Alle betrachteten Szenarien verweisen dabei auf die Potenziale einer ausgeweiteten Vergärung von Gülle in Biogasanlagen sowie eines effizienteren Einsatzes von Düngemitteln.

Es gibt jedoch auch Unterschiede in den Minderungsstrategien der betrachteten Szenarien. Diese Unterschiede verdeutlichen, dass verschiedene Pfade in Richtung Klimaneutralität denkbar sind und dass es derzeit noch abweichende Einschätzungen in Wissenschaft und Gesellschaft in Bezug auf eine wünschenswerte oder am ehesten realisierbare Kombination von Klimaschutzstrategien gibt.

Deutliche Unterschiede gibt es unter anderem bezüglich der Frage, ob die CO2-Abscheidung und -Speicherung – wie im Szenario 95 %-Pfad des BDI von 2018 – zukünftig eine zentrale Rolle zur Minderung der Emissionen aus Industrie (inkl. industrieller Kraftwerke) und Abfallwirtschaft spielen sollte oder ob diese Option insbesondere in Hinblick auf die gesellschaftliche Akzeptanz so weit wie möglich begrenzt werden sollte (wie im Szenario TM95) bzw. vielleicht sogar ganz verzichtbar ist (wie im Szenario GreenSupreme). Auch hinsichtlich der Frage, ob in den kommenden Jahrzehnten deutliche Verschiebungen in Richtung klimafreundlicher Lebensstile bzw. Konsumgewohnheiten angenommen werden können, unterscheiden sich die Szenarien. Ebenfalls gibt es unterschiedliche Einschätzungen in Bezug auf die Höhe und Zusammensetzung des zukünftigen Energieimports. So wird vielfach ein starker Import kohlenstoffhaltiger synthetischer Energieträger angenommen, während im Szenario KN2050 mehr Wasserstoff als synthetische Energieträger importiert wird.

Schließlich gibt es vor dem Hintergrund der Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz neben der grundsätzlichen Einigkeit zur hohen Bedeutung des Ausbaus erneuerbarer Energien in den Szenarien unterschiedliche Einschätzungen, wie viel des grundsätzlich vorhandenen Potenzials bis 2050 genutzt werden kann und wie sich die relative Bedeutung von Photovoltaik, Windenergie an Land und Windenergie im Meer entwickeln wird.

Christiane Beuermann ist seit 2003 stellvertretende Abteilungsleiterin Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik und seit 2019 Co-Leiterin des Forschungsbereichs Internationale Klimapolitik. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Internationale Klimapolitik; Ökonomische Instrumente der Klimapolitik; Verknüpfung Klima- und Nachhaltigkeitspolitik sowie Evaluation, Monitoring, Reporting.

Prof. Dr. Stefan Lechtenböhmer ist seit 2010 Abteilungsleiter Zukünftige Energie- und Industriesysteme. Seit April 2015 hat er eine Honorar-Professur für Umwelt- und Energiesysteme, Spezialgebiet zukünftige nachhaltige Energiesysteme, an der Universität Lund. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Energie- und Industrietransformation zur Klimaneutralität, Langfristszenarien einer CO2-armen Gesellschaft, Energie-, Klima- und Industriepolitik

Dr. Sascha Samadi ist Senior Researcher in der Abteilung Zukünftige Energie- und Industriesysteme, Forschungsbereich Sektoren und Technologien. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Analysen der Optionen für weitgehende Minderungen der CO2-Emissionen im Industriesektor und deren Interdependenzen mit dem Energiesystem sowie Auswertungen deutscher, europäischer und globaler Energie- und Klimaschutzszenarien.