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Kleines 3x3 des Storytellings | Vernetztes Erinnern | bpb.de

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Kleines 3x3 des Storytellings Drei Fragen. Drei Antworten. Drei Perspektiven.

Redaktion

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Storytelling - uralte Tradition oder Modewort? Die Werkstatt der bpb hat Erzählforscherin und Theaterpädagogin Kristin Wardetzky, den Naturwissenschaftler und Bildungsexperten Peter Heering und den Journalisten und Storytelling-Kenner Simon Sturm nach ihren sehr unterschiedlichen Zugängen zum Storytelling befragt.

(Mai Le/ Flickr/ bearbeitet ) Lizenz: cc by/2.0/de

Über unsere Interviewpartner/-in:

Externer Link: Prof. Dr. Peter Heering ist Leiter des Instituts für Physik und Chemie und ihre Didaktik an der Universität Flensburg. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte ist die Geschichte der Naturwissenschaften. Im Rahmen des Projektes Externer Link: Science StoryTelling erforscht er narrative Ansätze für den naturwissenschaftlichen Unterricht.

Simon Sturm arbeitet als Redakteur und Reporter beim WDR und ist Autor des Buches Externer Link: Digitales Storytelling. Eine Einführung in neue Formen des Qualitätsjournalismus (2013). Seit 2014 ist er Lehrbeauftragter für Multimedia-Storytelling an der Westfälischen Hochschule.

Prof. Dr. Dr. Kristin Wardetzky ist Professorin i. R. für Theaterpädagogik an der Universität der Künste Berlin. Für Ihren Einsatz, das Erzählen als Kunstform zu etablieren, bekam sie 2015 das Bundesverdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland verliehen. 2008 initiierte sie das Projekt Externer Link: ErzählZeit in Berliner Schulen, Kindergärten, Bibliotheken und Museen für das u.a. auch Ausländerinnen und Ausländer Geschichten in ihren Heimatsprachen erzählen.

Werkstatt: Was ist Storytelling für Sie? 

Kristin Wardetzky: "Storytelling" bezeichnet eine Kommunikationsform. Im Erzählen werden Erlebnisse, Erfahrungen und Phantasien strukturiert und sinnhaft geordnet. Erzählen öffnet Zugänge zur Welt, zum Anderen, zum Ich. Erzählen umschließt die Banalitäten des Alltags ebenso wie Grundfragen der menschlichen Existenz. Erzählen erfordert und fundiert soziale Interaktion. Es ist eine dialogische, alterierende Form der Gemeinsamkeit, der Teilhabe am Schicksal anderer, der Verständigung im Miteinander. Erzählen und Zuhören sind die beiden Seiten der gleichen Münze. Gegenwärtig gewinnt das mündliche Erzählen wieder steigende Wertschätzung, und zwar als radikale Gegenkultur zur Hegemonie der Medien. Diese neue Erzählbewegung schöpft aus der Tradition, überschreitet dabei globale Grenzen und sucht den Anschluss an die Ästhetik der Postmoderne.

Simon Sturm: Der Begriff ist zu einem Buzzword in der Medienbranche geworden, aber im Prinzip steckt dahinter eine uralte Kulturtechnik, die jeder vom Lagerfeuer kennt: das möglichst spannende Erzählen einer Geschichte. Menschen machen seit jeher ganz spontan aus vielen Dingen Geschichten und nehmen Informationen am liebsten in Form von Geschichten auf. Storytelling ist eine tief in der Gesellschaft verwurzelte Form der narrativen Wissensvermittlung. Fast wichtiger als die Informationen sind dabei oftmals die Emotionen, die eine Geschichte weckt. Eine US-amerikanische Politikweisheit besagt: Die Macht ist mit dem, der die beste Story erzählt.

Peter Heering: Im speziellen Fall des Externer Link: Science StoryTelling, mit dem ich mich vorrangig beschäftige, handelt es sich um einen fachdidaktischen Ansatz für den naturwissenschaftlichen Unterricht. Hierbei werden durch eine Geschichte Inhalte historisch kontextualisiert in naturwissenschaftliche Bildungsprozesse eingebracht. Damit wird nicht nur ein Verstehen naturwissenschaftlicher Inhalte angestrebt, sondern gerade auch eines über Naturwissenschaften und deren Arbeitsweisen. Die Betonung liegt bei unserer Interpretation dieses Ansatzes auf dem "Telling", d.h. es geht nicht (nur) um die Story, sondern insbesondere auch um das Erzählen, das wir als eine Kunst und zugleich eine Bereicherung für den naturwissenschaftlichen Unterricht begreifen. Damit wird die erzählende Lehrkraft auch andersartig im Unterricht wahrnehmbar.

Was sind Chancen und Herausforderungen des Storytellings?

Simon Sturm: Gutes Storytelling bietet die Chance, ein Maximum an Aufmerksamkeit für eine Debatte, eine Person oder ein Produkt zu gewinnen. Es kann ein sperriges oder abstraktes Thema spannender und besser verständlich machen. Aber Storytelling kann auch verwässern und verschleiern. Das hängt ganz davon ab, was hinter der Geschichte steckt, welche Interessen damit verbunden sind. In der Werbung etwa werden uns immer häufiger Geschichten um ein Produkt verkauft. Das Produkt selbst wird nur noch indirekt beworben. Eine Marke soll vor allem ein Gefühl vermitteln, keine Fakten. Und auch Politik verkauft sich zunehmend über Personen und ihre Geschichten, weniger über die politischen Inhalte.

Kristin Wardetzky: Im Zeitalter globaler Migration kommt dem Erzählen eine eminent politische Bedeutung zu. Erzählen stärkt die vielfältigen Bestrebungen des Austauschs zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, und zwar durch Wahrnehmen, Erkunden und Auskosten kultureller Differenzen. Vielfalt, wie von der UNESCO definiert, erweist sich im Erzählen als hocheffizientes energetisches Potenzial. In dieser Form geselliger Kommunikation liegt die Chance, die Grenzen des unreflektierten Urteilens und Wertens zu überwinden und Vorurteile kritisch zu hinterfragen. Erzählen ist eine "community building art". Es fördert nachweislich Prozesse der Integration bzw. der Inklusion - insbesondere im schulischen Bereich. Die Evaluation von Langzeit-Erzählprojekten in Schulen und Kitas haben gezeigt, dass Erzählen ein konkurrenzloses Verfahren darstellt, um die deutsche Sprache nachhaltig zu vermitteln, Imaginations- und Kommunikationsfähigkeit zu entwickeln und die Neugier auf Fragen nach unserer Herkunft und unserer Zukunft anzustacheln.

Peter Heering: Wenn man im Fall des Science HistoryTelling Emotionen in eine Geschichte einbezieht, entsteht ein höheres Identifikationspotential für die Zuhörenden. Dies schafft ein Gegengewicht zu den vorhandenen Stereotypen von rationalen Naturwissenschaftlern und Naturwissenschaftlerinnen. Gleichzeitig wird naturwissenschaftliche Forschung als kulturelle Tätigkeit und deren Ergebnisse als menschliches Produkt wahrnehmbar. Beides ist bedeutsam im Hinblick auf den allgemeinbildenden naturwissenschaftlichen Unterricht und die Steigerung des Interesses an Naturwissenschaften. Eine zentrale Herausforderung besteht darin, dass der Unterricht weiterhin sehr über Inhalte definiert wird und Lehrkräfte dadurch Probleme mit der Umsetzung des Ansatzes haben, da "passende" Stories fehlen.

Wie verändert die Digitalisierung das Storytelling?

Peter Heering: Vordergründig gar nicht, da es gerade auf das "analoge" Erzählen ankommt. Allerdings gibt es eine Reihe potenzieller Veränderungen. So sind möglicherweise die Vorerfahrungen der Zuhörenden nicht gleich: Durch den Gebrauch digitaler Medien hat Erzählen einen anderen Stellenwert; hier liegt möglicherweise ein Potenzial unseres Ansatzes. Denkbar erscheint zwar der Einsatz von Erzählvideos, hier wird aber der soziale Charakter der Interaktion zwischen erzählender Person und Zuhörenden grundlegend verändert und es erscheint fraglich, ob dies vorteilhaft ist. Positiv sind die neuen Möglichkeiten der Vernetzung und des Austausches für Lehrkräfte, die diesen Ansatz nutzen (wollen).

Simon Sturm: Die Digitalisierung hat das mediale Nutzungsverhalten radikal verändert und ermöglicht ganz neue Formen des Storytellings. Zuvor voneinander getrennte Medienarten wie Text, Video, Grafik oder Audio können interaktiv verschmelzen. So entstehen neue Erzählformate wie Webdokus, Newsgames oder Virtual-Reality-Formate. Soziale Netzwerke brechen alte Regeln der Nachrichtenverbreitung und machen Geschichten leichter teilbar. Letztlich können auf digitalen Plattformen mehr Sinne angesprochen werden, die spontane Emotionalität von Geschichten wird erhöht. Das kann Wissen spannender und erfahrbarer machen, aber auch ablenken vom Wesentlichen und Storytelling verflachen.

Kristin Wardetzky: Mit der Digitalisierung wird die sinnliche, körperliche Dimension des lebendigen Erzählens zurückgenommen. Die Dialogpartner treten nicht in direkten 1:1-Kontakt, sondern dieser wird medial vermittelt. Das hat den Vorteil der schnellen Kontaktaufnahme und des spontanen Austauschs. Problematisch ist der Verlust der Unmittelbarkeit in der sozialen Interaktion.

Vielen Dank für Ihre Antworten!

Für die Redaktion schreiben: Oliver Baumann, Jördis Dörner, Kirsten Mieves.