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"Nur digital zu agieren, ist irgendwie auch leblos"

Nadine Winter

/ 5 Minuten zu lesen

Pulse of Europe (PoE) möchte Menschen zusammenbringen, die europäisch denken. Im Interview berichtet PoE-Gründer Daniel Röder über das Projekt und das Zusammenspiel von analogem und digitalem Engagement.

Daniel Röder bei einer Kundgebung von Pulse of Europe ( © Pulse of Europe / bearbeitet )

Kurz & knapp:

  • Die Initiative Pulse of Europe (PoE) möchte die Menschen sichtbar machen, die sich für Demokratie und Grundrechte in Europa einsetzen.


  • Digitale Werkzeuge unterstützen die Kommunikation im Projekt, tragen zu einer höheren und schnelleren Reichweite bei und ergänzen die Kundgebungen und Demonstrationen auf der Straße.


  • Demonstrationen können nicht das alleinige Instrument sein, sondern müssen laut PoE-Gründer Daniel Röder um andere Aktivitäten, etwa Diskussionsrunden in Schulen, ergänzt werden.


werkstatt.bpb.de: Wie ist Pulse of Europe entstanden und was war die ursprüngliche Idee hinter dem Projekt?

Daniel Röder: Die Entscheidung etwas zu tun, ist tatsächlich am Tag nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten gefallen. Ich hätte nie gedacht, dass jemand wie Trump Präsident werden kann. Wie schon beim Brexit sind die Menschen auch hier am Tag nach dem Urnengang auf die Straßen gegangen und haben demonstriert. Das fühlte sich falsch an. Warum nicht schon bevor wichtige Entscheidungen getroffen werden ein deutliches Zeichen setzen? Da hatten meine Frau und ich den Gedanken: Wenn das noch einmal passiert und wir zu spät auf die Straße gehen, dann ist zu viel verloren. Wir mussten handeln. Die Idee war einfach: Wir wollten diejenigen sichtbar machen, die europäisch denken und Demokratie und Grundrechte für wichtig halten. Die vielen Pro-Europäerinnen und -Europäer sollten sagen: "Hier sind wir und wir stehen für unsere Werte ein." Das gab es so vorher noch nicht. Im Gegenteil: In den vergangenen Jahren waren eher EU-kritische Bewegungen wie Pegida auf der Straße präsent. Aber wir wollen nicht zurück zu den Nationalstaaten und zu radikalisierten Gesellschaften. Wir wollen nicht hinter das zurückfallen, was wir in Europa erreicht haben.

Wie nutzen Sie die Möglichkeiten des Internets für die Organisation einer analogen Bewegung?

Wir haben ganz früh Facebook und Twitter genutzt und hatten recht schnell über 100.000 Freunde allein in Deutschland. Das war als Ergänzung zu den Demonstrationen und Kundgebungen sehr wichtig. Dadurch konnten wir den Bekanntheitsgrad der Bewegung deutlich steigern. Aufgrund der überwältigenden Welle an Aufmerksamkeit und Rückmeldungen, die uns im Frühjahr 2017 überrollte, mussten wir vieles aus dem Stegreif machen. Es gibt viele Bereiche, bei denen wir Abläufe verbessern müssen. Dazu gehört auch der Bereich der Sozialen Medien. Es gibt aktuell für Facebook und Twitter je eine hauptverantwortliche Person, aber insbesondere bei Facebook verschiedene Redakteurinnen und Redakteure. Derzeit führen wir außerdem ein Intranet ein, das uns helfen soll, innerhalb der Bewegung besser zu kommunizieren und damit noch effizienter zu werden. Das ist bei ehrenamtlichem Engagement das A und O. Risiken gibt es natürlich jede Menge bei einer Bewegung, die so schnell gewachsen ist. Wir sind gerade dabei, die Struktur des Vereins zu ändern, sodass alle Aktivistinnen und Aktivisten leichter Mitglieder werden können. Dadurch lernen wir auch mehr über uns selbst und können besser steuern, wer auf welche Daten Zugriff nehmen kann. Eine große Herausforderung ist, möglichst vielen Aktiven die Möglichkeit zu geben, Ereignisse intern und in den sozialen Medien schnell zu posten, Inhalte aber gleichzeitig so zu steuern, dass wir geschlossen auftreten und die Posts auf den unterschiedlichen Kanälen im Sinne der Gesamtbewegung erscheinen.

Warum setzen nutzen Sie in Zeiten zunehmender Online-Protestbewegungen gerade auf "klassische" Demonstrationen auf der Straße?

Es gab für uns dazu keine Alternative. Nur digital zu agieren, ist irgendwie auch leblos. Das haben wir auf der Straße gemerkt: Diese Energie, dieses intensive Gefühl des Miteinanders, das kann nur entstehen, wenn Leute mit gleicher, positiver Einstellung physisch zusammenkommen.

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Eine große Herausforderung ist, möglichst vielen Aktiven die Möglichkeit zu geben, schnell zu posten, Inhalte aber gleichzeitig so zu steuern, dass wir geschlossen auftreten und die Posts im Sinne der Gesamtbewegung erscheinen.

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Facebook und Twitter waren als Ergänzungen zu den Demonstrationen und Kundgebungen sehr wichtig.

Daniel Röder, Gründer der Initiative Pulse of Europe

Wie würden Sie die Entwicklung der Bewegung beschreiben und (wie) wird sie gesteuert?

Pulse of Europe ist eine Idee von nur zwei Menschen, die in kürzester Zeit umgesetzt wurde und schnell großen Zulauf erhalten hat. Wir haben stets auf das Positive gesetzt, sind keine Anti-Bewegung. Ich glaube, dass Pulse of Europe nichts Statisches, sondern etwas Fließendes ist. Ich kann nicht sagen, was wir in zwei Jahren sein werden. Die Steuerung erfolgt zunächst lokal in den Ortsgruppen, dann kooperativ mit der Geschäftsstelle und dem Vereinsvorstand sowie in Arbeitsgruppen, die orts- und landesübergreifend sind. In manchen Ländern gibt es nationale Koordinatoren, in anderen nicht. Dort geht dann die Abstimmung über die Projektgruppen und über die Zentralstelle Frankfurt.

Pulse of Europe wird von Kritikerinnen und Kritikern bisweilen als zu wenig konkret oder gar inhaltsleer beschrieben. (Vgl. etwa Externer Link: Ulrike Guérot im taz-Interview). Wie gehen Sie mit solchen Sichtweisen um?

Wenn man in die öffentliche Wahrnehmung gerät, gehören kritische Stellungnahmen dazu. Aus meiner Sicht war es aber völlig richtig, bislang keine konkreten politischen Forderungen zu stellen. Andernfalls hätten sich bei weitem nicht so viele Menschen hinter Pulse of Europe versammeln können. Tatsächlich sind wir im Laufe des Jahres 2017 immer konkreter geworden und haben europäische Themen und Problemfelder sehr konkret benannt. Wir fungieren als Brennglas für Problemfelder und als Diskussionsplattform. Mit Ulrike Guérot sind wir übrigens im Austausch.

Die Bewegung entstand vor rund einem Jahr. Inzwischen sind die Kundgebungen seltener geworden und die Menschen weniger. Woran liegt das und wie gehen Sie damit um?

Wir haben unsere Demonstrationen in vielen Städten ganz bewusst von einem wöchentlichen auf einen monatlichen Rhythmus umgestellt. Das Format regelmäßiger Demonstrationen verbraucht sich auch nach einiger Zeit: Auf Dauer kann man nicht jeden Sonntag zehntausende Menschen mobilisieren. Das ist schlicht illusorisch. Außerdem war das auch eine Belastung für viele der Aktivistinnen und Aktivisten vor Ort: Wenn Sie das über Monate jede Woche machen, dann haben Sie keine Freizeit mehr. Hinzu kommt: Die Menschen sind nach den Wahlausgängen in Frankreich und den Niederlanden auch etwas beruhigt und gehen deswegen weniger auf die Straße – aus meiner Sicht zu Unrecht. Die Lage hat sich eigentlich überhaupt nicht geändert, solange die Gewählten nichts daraus machen. In Osteuropa haben die PoE-Aktivisten die Taktung der Demonstrationen dagegen zuletzt wieder erhöht und in Deutschland veranstalten viele Städte im Dezember und Januar Kundgebungen im Freien. Das Spektrum unserer Aktivitäten ist auch deutlich breiter geworden. Wir gehen zum Beispiel auch in Schulen und veranstalten dort Diskussionsrunden. Sicher ist, dass wir ab Februar wieder sichtbarer sein werden, da im Frühling in Italien ein neues Parlament gewählt wird und den meisten Menschen nicht klar ist, dass dort die nächste große Gefahr für Europa droht. Derzeit liegt die populistische 5-Stelle-Bewegung in den Umfragen vorn. Sie hat angekündigt, aus dem Euro austreten zu wollen und ist insgesamt europaskeptisch. Die Sprengkraft, die darin liegt, ist ähnlich groß wie sie in Frankreich gewesen wäre, wenn der Front National gewählt worden wäre. In Italien ist die Situation vielleicht noch gefährlicher, weil es dort keinen klaren Anti-Helden wie Marine Le Pen gibt und die Problematik nicht in gleicher Weise wahrgenommen wird.

Was können junge Menschen, die sich politisch engagieren möchten, davon lernen?

Dass das Gefühl, man könne alleine ohnehin nichts ausrichten, trügt. Man kann viel bewegen, auch wenn die Resultate nicht immer sofort erkennbar sind. Ich bin der Überzeugung, dass positive Energie am Ende stärker ist als destruktive.

Hintergrundinformationen zum Interview:

Daniel Röder ist Wirtschaftsanwalt, Mediator und Konfliktcoach aus Frankfurt. Im Herbst 2016 gründete er zusammen mit seiner Frau Sabine Röder die Initiative Externer Link: Pulse of Europe. Pulse of Europe ist eine Initiative, die zeigen möchte, dass viele Menschen an die Grundidee der Europäischen Union und ihre Reformierbarkeit glauben. Diese organisiert überparteilich und überkonfessionell monatliche Demonstrationen und Bürgerbewegung und möchte eine europäische Zivilgesellschaft stark machen.

Nadine Winter ist seit September 2017 Praktikantin bei werkstatt.bpb.de. Davor studierte sie Wirtschaftswissenschaften an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und der Universidade de Coimbra in Portugal. Während ihres Studiums sammelte sie Erfahrungen im Bereich Entwicklungszusammenarbeit.