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Model International Criminal Court

Christian Geißler-Jagodzinski

/ 5 Minuten zu lesen

In diesem außerschulischen Projekt simulieren Jugendliche zweimal jährlich den Internationalen Strafgerichtshof.

Model International Criminal Court (MICC) ist eine Simulation des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag (eng. International Criminal Court, ICC). Jugendliche setzen sich in einer außerschulischen Projektwoche mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen sowie ihrer juristischen Verfolgung auseinander.

Urteilsverkündung bei einem "Model International Criminal Court" 2006. (© Stiftung EVZ / Jan Zappner)

Schülerinnen und Schüler aus Deutschland, Polen und einem dritten europäischen Land nehmen zweimal jährlich die Rollen der Anklage, Verteidigung und von Richtern beziehungsweise Richterinnen ein und erarbeiten in trinationalen Teams Plädoyers und Urteile anhand von Ausschnitten aus Original-Gerichtsprotokollen.

Innerhalb der Projektwoche simulieren sie vier Fälle, die vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal, dem Strafgerichtshof für das frühere Jugoslawien (ICTY) und dem Strafgerichtshof für Ruanda (ICTR) verhandelt wurden. Grundlage für die Simulation sind das Rom-Statut, die Verfahrensregeln und das materielle Recht des ICC. Außerdem gibt es Workshops zu Menschenrechtsfragen sowie Gespräche mit Überlebenden nationalsozialistischer Konzentrationslager oder des Krieges in Bosnien. Ein ebenfalls mit Schülerinnen und Schülern besetztes Presseteam dokumentiert die Arbeit des Model International Criminal Courts.

Ziele des Projekts

Zum einen will das Projekt für den Schutz der Menschenrechte sensibilisieren und den Schülerinnen und Schülern das internationale Strafrecht und seine Institutionen als Instrument der Sanktionierung von Menschenrechtsverletzungen nahe bringen. Dabei werden Grundkenntnisse des Ablaufs rechtsstaatlicher Verfahren vermittelt sowie die Schwierigkeiten juristischer Urteilsfindung deutlich gemacht.

Ein weiteres Anliegen ist, die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus in einem für die Jugendlichen ungewohnten Rahmen zu initiieren. Zudem entwickeln die Teilnehmer/innen entsprechend ihrer Rolle und den Umständen des Falls eine eigene Position beziehungsweise sprechen ein Urteil. So schulen sie die Fähigkeit, ihre Meinung öffentlich und effektiv zu vertreten.

Andererseits müssen sie sich mit Gegenpositionen auseinandersetzen, als Richter/innen die Beweise gegeneinander abwiegen sowie die Urteile entsprechend des rechtlich vorgegebenen Rahmens sprechen. Somit bedeutet die Teilnahme an der Simulation auch immer eine Auseinandersetzung mit Konflikten zwischen dem individuellen Gerechtigkeitsempfinden und dem Versuch objektiver Rechtssprechung.

Individuelle Vorbereitung vor Beginn der Projektwoche

Pro Schule bewerben sich acht Schülerinnen und Schüler zwischen 16 und 20 Jahren mit einem Motivationsschreiben für die Teilnahme am Projekt. Voraussetzung ist, dass sie die Projektsprache Englisch beherrschen und sich mit Unterstützung einer Lehrkraft auf die Simulation vorbereiten. Einige von ihnen müssen bereit sein, im Presseteam mitzuarbeiten. Über die Projektwebsite können sich die Teilnehmenden Materialien zu ihrem Fall , z.B. "Anklage gegen Albert Speer" herunterladen. Dazu gehören:

  • eine Zusammenfassung der historischen Situation (Deutschland im NS, 2. Weltkrieg, Speers Rolle im NS-System);

  • die Anklage, fokussiert auf den Punkt der Ausbeutung von Menschen als SklavenarbeiterInnen als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, strafbar unter dem Artikel 7(1)(c) des Rom-Statuts;

  • ca. 4 Seiten mit Ausschnitten aus den Zeugenbefragungen vor dem Nürnberger Tribunal (IMT);

  • Rechtsdokumente wie das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (dieses wird als Rechtsgrundlage für die Simulation verwendet) oder das Haager Abkommen von 1907;

  • das Projekthandbuch, in dem der Ablauf der Simulation beschrieben ist und das Beispiele für Plädoyers und Urteile enthält.

Auf Basis dieser Materialien bereiten sich die Jugendlichen in ihren Rollen (Anklage, Verteidigung, Richterschaft, Presseteam) auf den Fall vor. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer arbeiten dabei in trinationalen Teams mit je drei Personen. Der Kontakt und die Zusammenarbeit vor der Projektwoche laufen über das Internet.

InfoMethodensteckbrief

  • Teilnehmerzahl: k.A.

  • Altersstufe: Klasse 10-13

  • Zeitbedarf: 1,5 Tage

  • Preis (ohne Fahrten): Nicht ermittelbar

  • Benötigte Ausstattung: Großer Raum, Handbuch zur Simulation, Materialien zur Recherche des historischen Kontexts

Zur Vorbereitung müssen sich die Jugendlichen eingehend über die historische Situation des Falles informieren sowie aus den vorliegenden Dokumenten (und nur auf diese dürfen sich die Jugendlichen beziehen) eine vorläufige Anklage, Verteidigungsschrift, ein Urteil oder einen Zeitungsartikel formulieren. Die Lehrkräfte unterstützen sie beim Auffinden von Informationen, nicht jedoch beim Analysieren der Dokumente und dem Formulieren der Positionspapiere. Mit dieser Vorbereitung im Gepäck, reisen die Jugendlichen zur eigentlichen Simulation in die Internationale Jugendbegegnungsstätte im polnischen Kreisau/Krzyżowa an.


Die Projektwoche

Vor dem Beginn der eigentlichen Prozesssimulationen nehmen die Jugendlichen an einem eintägigen Workshop zu Menschenrechtsfragen teil, in dem insbesondere das Recht auf einen fairen Prozess thematisiert wird. Zudem klären die Jugendlichen mögliche Fragen zu dem historischen Hintergrund ihres Falls.

Am zweiten Tag finden rhetorische und juristische Trainingsrunden statt. In diesen werden die Vorbereitungen ergänzt sowie einzelne juristische Strategien und das Auftreten verfeinert. Die Mitglieder des Presseteams korrigieren und schreiben in dieser Zeit ihre Artikel und lernen Zeitungslayout.

Die Simulation selbst beginnt am dritten Tag mit einer kurzen Einführung in die historische Situation. In dieser werden der Fall beziehungsweise die Verbrechen des Angeklagten für das Publikum kurz beschrieben. In der Simulation tragen die Jugendlichen formale Kleidung, die Richterschaft zum Beispiel Talare. Dies soll eine Realitätsnähe zum simulierten Rahmen "Gerichtshof" herstellen und den formalen Charakter der Prozesse betonen.

Die Jugendlichen simulieren über circa 2,5 Stunden den reduzierten Schlussteil des Prozesses bestehend aus:

  • Plädoyer der Anklage,

  • Plädoyer der Verteidigung,

  • Befragung der Parteien durch die Richterschaft,

  • Schlussplädoyers beider Parteien.

Nach den Schlussplädoyers ziehen sich die Richter/innen zurück, um ein Urteil zu fällen. Dieses darf nur auf den in der Simulation vorgebrachten Argumenten aufbauen. Alle anderen Teilnehmer und das Publikum nutzen die Zeit für Feedback oder werden durch das Presseteam zum Prozessverlauf interviewt. Am Ende wird das Urteil verlesen.

Auswertung

Nach dem Ende der Simulation werden die Argumente und Argumentationsstrategien reflektiert. Die Jugendlichen erhalten ein umfassendes Feedback zu ihrer Performance durch das Projektteam.

In einem Workshop diskutieren die Teilnehmer darüber hinaus über das Strafmaß und seine Angemessenheit. Nicht zuletzt wird so auch der Unterschied zwischen einer moralischen Verurteilung eines Verbrechens einerseits und seiner schwierigen und komplexen juristischen Verfolgung beziehungsweise Ahndung andererseits deutlich. Auch die Ambivalenz einer Verurteilung entsprechend der individuellen Schuldfähigkeit kommt zur Sprache.

Diese Überlegungen, das Prozessgeschehen im Projekt, O-Töne der beteiligten Jugendlichen sowie der historische Prozess und seine Vorgeschichte werden in der Projektzeitung festgehalten.

Projektträger

Das Projekt wurde von der Kreisau-Initiative Berlin e.V. entwickelt und findet gemeinsam mit der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung zweimal jährlich statt. Mit den Jugendlichen arbeitet während der Simulation ein junges Team aus mehreren europäischen Ländern. Gefördert wird das Projekt durch die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (Berlin).

Literatur

Geißler-Jagodzinski, Christian/ Mandel, Franziska: Model International Criminal Court. Projektbeschreibung unter: Externer Link: www.lernen-aus-der-geschichte.de.

Kastner, Klaus: Die Völker klagen an. Der Nürnberger Prozess 1945-1946. Darmstadt: Primus Verlag 2005.

Kreisau-Initiative-Berlin e.V.: Handbook MICC 2005 / 2006 /2007 /2008+ Cases 2005 / 2006 / 2007/ 2008. unveröffentlicht (Auf Nachfrage eventuell beim Projekt MICC erhältlich).

Theissen, Gunnar & Nagler, Martin (Hg.): Der Internationale Strafgerichtshof – Fünf Jahre nach Rom. Tagungsdokumentation, Berlin 2004. Homepage: Externer Link: www.institut-fuer-menschenrechte.de.

Weinke, Annette: Die Nürnberger Prozesse. München: Beck 2006.

Christian Geißler-Jagodzinski ist seit 2001 als freiberuflicher Referent der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung tätig. Die Schwerpunkte seiner Arbeit sind die Geschichte des 20. Jahrhunderts, Gedenkstättenpädagogik, Bildung gegen Diskriminierung, Menschenrechtsbildung und Methoden der politischen Bildung. Er ist Gründungsmitglied des Vereins Externer Link: Lernen aus der Geschichte e.V. (Berlin)