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Inklusion als Aufgabe politischer Bildung im demokratischen Staat

Bettina Lindmeier Dorothee Meyer Wolfram Hilpert

/ 5 Minuten zu lesen

Politische Bildung ist in einem demokratischen Staat aufgefordert, Inklusion als Aufgabe anzunehmen. Politische Bildung sollte ihren Beitrag dazu leisten, dass so weit wie möglich alle Bürgerinnen und Bürger die ihnen gegebene Freiheit realisieren und sich einzumischen können. Wenn sie dies denn wollen.

Politische Bildung initiiert und organisiert Bildungsprozesse, in denen die Einzelnen sich mit dem Politischen auseinandersetzen.
Wer der politischen Überzeugung ist, dass die auf Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten beruhende Demokratie zu verteidigen, zu bewahren und zu vertiefen ist, für den sollte poli-tische Bildung von hoher gesellschaftlicher Relevanz sein.
Eine Demokratie braucht nämlich Demokratinnen und Demokraten. Demokratinnen und Demokraten werden aber nicht einfach geboren. Demokratie muss vielmehr von Generation zu Generation neu erlernt werden. Deswegen können wir nicht verzichten auf eine politische Bildung, die in einer Demokratie und für diese streitet und deren Leitprinzipien Pluralität, Kontroversität und Achtung der Würde aller Menschen sind.

Es ist unstrittig, dass eine Demokratie Bürgerinnen und Bürger braucht, die politisch handeln. Politisches Handeln aber erfordert Kompetenzen, die zu erlernen sind. Es gibt unterschiedliche Ansichten zu der Frage, wie viele aktiv handelnde Bürgerinnen und Bürger eine Demokratie braucht. Fest steht jedenfalls: Nicht jede und nicht jeder kann und will in gleichem Maße und auf gleiche Art und Weise politisch tätig sein. Die Freiheit, sich nicht einzumischen, ist aber nur dann eine, wenn man auch die Freiheit hat, sich einzumischen, um es frei nach Hannah Arendt zu formulieren.
Auch wenn wir auf das schauen, was üblicherweise mit dem Begriff »die Politik« verbunden wird, stellen wir fest: In einer repräsentativen Demokratie entscheiden als Vertreterinnen und Vertreter des Souveräns – der Bürgerinnen und Bürger – nur wenige gewählte Abgeordnete, Mandats- und Amtsträgerinnen und -träger. Und trotzdem ist ein Angebot politischer Bildung für alle Bürgerinnen und Bürger in einer Demokratie kein Luxus.

Es gibt Voraussetzungen, durch die politische Macht in der Demokratie legitimiert sein muss. Zwei davon sollen hier genannt werden:

  • Die Verantwortung, die die politischen Entscheidungsträgerinnen und -träger für das Gemeinwesen haben, muss letztendlich auf eine freie, gleiche und geheime Wahl durch den Souverän, die Bürgerinnen und Bürger, zurückgeführt werden können. So ist beispielsweise die Bundeskanzlerin/der Bundeskanzler durch den in freier und geheimer Wahl gewählten Bundestag legitimiert.

  • Jede Bürgerin und jeder Bürger muss eine Vielzahl von Möglichkeiten haben, sich einzumischen, teilzuhaben und politische Entscheidungen zu beeinflussen. Die aktive Teilnahme in Bürgerinitiativen, politischen Verbänden, Parteien oder in Beiräten sind Einflussmöglichkeiten, aber auch politische Gespräche mit Nachbarinnen und Nachbarn, Beiträge im Internetportal Youtube oder anderen Social-Media-Kanälen, Mahnwachen, Petitionen oder Demonstrationen. Ohne diese vielfältigen Möglichkeiten der Partizipation aktiver Bürgerinnen und Bürger verkümmert die Demokratie.

Bürgerinnen und Bürger, die ihre Partizipationsrechte aktiv und kontinuierlich wahrnehmen, sind allerdings eine Minderheit. Viele beschränken ihre Beteiligung an Politik, wenn überhaupt, auf Beobachtung oder auf Gespräche mit Bekannten und Familie und nehmen allenfalls ihr Wahlrecht wahr. Und doch ist die Freiheit, sich aktiv einbringen zu können und politische Entscheidungen zu beeinflussen, entscheidend für die Demokratie. Es gibt immer wieder Ereignisse, Herausforderungen, Betroffenheiten, in denen bzw. durch die sich auch ansonsten eher beobachtende Bürgerinnen und Bürger sehr aktiv einbringen. Es gibt individuelle Lebensphasen, in denen aktive Partizipation für die oder den Einzelne(n) sehr wichtig wird.

Die Freiheit, sich einzumischen, ist keine Freiheit, die sich nur auf »große Politik« bezieht. Es geht nicht nur um die Freiheit, zum Beispiel kritische Leitartikel zu schreiben oder Großdemonstrationen anzumelden. Auch das Neinsagen zu rassistischen oder sexistischen Diskriminierungen im Alltag sind eminent politische Akte. Und auch das Private kann politisch sein, etwa die Entscheidung, die eigene sexuelle Orientierung nicht zu verstecken. Ohne diese Offenheit und einen entsprechenden Wandel im gesellschaftlichen Leben wäre etwa die »Ehe für alle« nicht realisiert worden.

Die Freiheit aller, sich politisch einzumischen, ist jedoch nicht selbstverständlich und kann immer wieder infrage gestellt werden. Zumeist sind hiervon nicht alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen betroffen. Bestimmte gesellschaftliche Gruppen sind eher der Gefahr der Ausgrenzung und der Beschränkung ihrer Beteiligungsmöglichkeiten ausgesetzt als andere. Die Bedingungen der realen Alltagswirklichkeit schränken ihre Freiheit ein, sich einzumischen. Vielfach gehört dazu auch, dass politische Bildungsangebote von Ausgrenzung betroffene Menschen nicht oder nur unzulänglich erreichen. Daher bedarf es des Zusammenwirkens der politischen Bildung mit anderen Disziplinen, wie etwa der Externer Link: Pädagogik bei Nicht / Behinderung, um sich der Frage anzunehmen, wie die Möglichkeiten politischer Teilhabe gefördert werden können. Ziel dieser Förderung ist es, dass von Ausgrenzung betroffene Einzelpersonen und Gruppen sich (besser) einmischen können.

Politische Bildung ist also herausgefordert, Inklusion als Aufgabe anzunehmen. Sie ist herausgefordert, weil sie den grundsätzlichen Anspruch hat, alle Menschen zu erreichen. Ihr Ziel ist es, einen Beitrag dazu zu leisten, dass alle Bürgerinnen und Bürger die Kompetenz erwerben und die Freiheit realisieren können, sich einzumischen (oder auch nicht).

Eine Kernaufgabe inklusiver politischer Bildung ist das Empowerment von Menschen, für die das Verstehen politischen Geschehens in besonderem Maße erschwert ist und somit auch der Erwerb von Kompetenzen als Voraussetzung für politische Beteiligung. Zu dieser Gruppe gehören allerdings nicht pauschal zum Beispiel Menschen mit Behinderung oder mit einem Migrationshintergrund. Keiner würde eine entsprechende Zuordnung etwa für den Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble oder die baden-württembergische Landtagspräsidentin Muhterem Aras treffen. Auf der anderen Seite erleben auch viele Menschen Erschwernisse, die nicht unter diese oder andere üblicherweise genannten Kategorisierungen fallen. So kann beispielsweise die individuelle Bildungsgeschichte von Menschen mit ganz unterschiedlichen Herkünften und Fähigkeiten unter Bedingungen verlaufen sein, die das Verständnis politischer Prozesse sehr erschweren.

Lernprozesse im Rahmen inklusiver politischer Bildung stehen im Zentrum eines dynamischen Gruppengeschehens und richten sich auf die Aushandlung von Gemeinsamkeit und Differenz in heterogenen Gruppen. Daher ist neben dem Empowerment das Erlernen des politischen Diskurses in heterogenen Gruppen ein weiteres Kernanliegen inklusiver politischer Bildung.

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Der Artikel ist ein adaptierter Abschnitt (S. 10-12) des Beitrages Wolfram Hilpert/ Dorothee Meyer/ Bettina Lindmeier (2020), Einleitung. In: Dorothee Meyer/ Wolfram Hilpert/ Bettina Lindmeier, Externer Link: Grundlagen und Praxis inklusiver politischer Bildung, Bonn. S. 8 - 20.
Dort finden Sie auch weitere Fundstellenangaben und weitere Literatur.

Fussnoten