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Pringle-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes | bpb.de

Pringle-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes

L. Fischer

In der P. vom 27.11.2012 bezog der EuGH erstmals Stellung zur Zulässigkeit von Maßnahmen zur Bekämpfung der Schuldenkrise. Wie für Entscheidungen des EuGH üblich, wurde diese nach der Klägerpartei im Ausgangsverfahren – dem irischen Abgeordneten Thomas Pringle – benannt, welcher sich unter anderem gegen das Handeln der irischen Regierung wendete. Im Kern hatte der EuGH in dem Vorabentscheidungsverfahren, welches vom irischen Supreme Court eingeleitet wurde, zwei Fragen zu klären: zum einen, ob der ESM-Vertrag (Europäischer Stabilitätsmechanismus, ESM) und zum anderen, ob die Einführung von Art. 136 Abs. 3 AEUV mit Europarecht zu vereinbaren ist.

Art. 136 Abs. 3 AEUV ermächtigt die Mitgliedstaaten zur Einführung von Stabilitätsmechanismen, wie beispielsweise dem ESM. Die Vorschrift wurde durch ein vereinfachtes Änderungsverfahren nach Art. 48 Abs. 6 EUV beschlossen. Gerade gegen den Beschluss im vereinfachten Verfahren wurden jedoch Einwände erhoben. Der Dritte Teil des AEUV – also insbesondere Art. 136 AEUV – kann grundsätzlich im vereinfachten Verfahren geändert werden. Zu beachten ist allerdings, dass dies allerdings dann nicht gilt, wenn es um die ausschließliche Unionskompetenz in Sachen der Eurowährungspolitik geht (Art. 3 Abs. 1 lit. c) AEUV). Der EuGH musste nun also beurteilen, ob die Möglichkeit zur Einsetzung eines Stabilitätsmechanismus eine Maßnahme der Währungspolitik darstellt. Hierzu führte er aus, dass Währungspolitik auf Preisstabilität abziele, der Stabilitätsmechanismus allerdings auf die Wahrung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in der Eurozone abstelle und damit eine Maßnahme der Wirtschaftspolitik sei. Demnach hielt der EuGH die Einführung von Art. 136 Abs. 3 AEUV im vereinfachten Verfahren für zulässig. Hierbei belässt es der EuGH jedoch nicht, sondern führt darüber hinaus aus, dass Art. 136 Abs. 3 AEUV keine Regelung enthalte, »die es der Union ermöglicht, eine Handlung vorzunehmen, die vor dem Inkrafttreten der Änderung des AEU-Vertrags nicht möglich war«. Mit anderen Worten hält der EuGH die eingeführte Regelung des Art. 136 Abs. 3 AEUV für rein deklaratorisch. Hinsichtlich des ESM-Vertrages wurden diverse Primärrechtsverletzungen geltend gemacht. Die weitere – und umstrittenere – Frage, die sich stellte, war allerdings die, ob der ESM-Vertrag nicht gegen die No-Bailout-Klausel des Art. 125 AEUV verstößt. Diese Vorschrift verbietet die Haftung der Union bzw. der Mitgliedstaaten für Verbindlichkeiten einzelner Mitgliedstaaten. Der EuGH sah die No-Bailout-Klausel ausgehend von ihrem Sinn und Zweck allerdings als nicht einschlägig an. Die Norm solle insbesondere zu einer soliden und verantwortungsvollen Haushaltspolitik anhalten. Einzelne Staaten sollen sich also nicht darauf verlassen dürfen, dass ihre sorglose Haushaltspolitik von anderen Mitgliedstaaten aufgefangen wird. Hilfeleistungen zwischen den Staaten seien folglich nur dann mit der No-Bailout-Klausel unvereinbar, wenn sie einen Anreiz zu einer sorglosen Haushaltspolitik leisten könnten. Dies sei aber im Falle des ESM nicht gegeben, da die Staaten zum einen weiterhin persönlich – gegenüber dem ESM – für ihre Schulden haften und die Hilfe zum anderen an strenge Auflagen geknüpft ist. Der Anreiz zu einer soliden Haushaltspolitik bleibe für die Mitgliedstaaten somit bestehen. Die Entscheidung kommt damit zu dem Ergebnis, dass sowohl Art. 136 Abs. 3 AEUV als auch der ESM-Vertrag mit Unionsrecht vereinbar sind.

Literatur

  • Weiß/Haberkamm, Der ESM vor dem EuGH – Widersprüchliche Wertungen in Luxemburg und Karlsruhe?, EuZW 2013, 95 (99).

aus: Große Hüttmann / Wehling, Das Europalexikon (3.Auflage), Bonn 2020, Verlag J. H. W. Dietz Nachf. GmbH. Autor des Artikels: L. Fischer

Siehe auch:

Fussnoten

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