Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Ziele der Sprachverwendung | Sprache und Politik | bpb.de

Sprache und Politik Grundlagen Einstieg Sprachverwendung Ziele der Sprachverwendung Sprachvermittlung Verwaltungssprache Kampf um Wörter Politische Korrektheit Semantische Kämpfe Schlagwörter Ideologie und Sprache Einstieg Diskursanalyse Belastete Wörter Stigmavokabeln Sprache zur NS-Zeit NS-Vokabeln Jedem das Seine DDR-Sprache Glossar DDR-Sprache Sprache der 68er Debatte Staatsziel Deutsch Von Schimären und andere Aberglauben Glossar Material Redaktion

Ziele der Sprachverwendung

Heiko Girnth

/ 11 Minuten zu lesen

Überzeugen, beeinflussen oder das eigene Image pflegen: Die Funktionen politischer Sprache sind zahlreich. Eine bewusste Wortwahl und Argumentationsstrategie spielen dabei stets eine große Rolle.

Glauben an den Wechsel: Barack Obama überzeugte mit seiner "Change-Kampagne" 2008 die amerikanischen Wähler. (© AP)

Vier Grundfunktionen politischen Sprachhandelns

Persuasion

Die wichtigste Funktion der politischen Sprache ist 'Persuasion', also der Versuch, mit sprachlichen Mitteln Meinungen und Einstellungen der Adressaten zu beeinflussen. Idealerweise gelingt dies durch überzeugendes Argumentieren mit dem Ziel des Konsenses. Persuasion ist dann ein dynamischer, wechselseitiger Prozess, in dessen Verlauf die Kommunikationspartner auch bereit sind, sich überzeugen zu lassen. Die parteiliche und machtbezogene Dimension der politischen Kommunikation lassen sich allerdings mit dieser idealen Form der Persuasion nur unvollständig fassen. So muss nicht nur in Rechnung gestellt werden, dass politische Diskussionen für die Öffentlichkeit inszeniert sind und die Diskussionspartner keinesfalls die Absicht haben, sich überzeugen zu lassen. Vielmehr muss auch davon ausgegangen werden, dass politische Akteure strategische Maximen verfolgen und beispielsweise Informationen verschweigen und falsche Informationen verbreiten, um damit den politischen Diskurs in eine bestimmte Richtung zu lenken. Da die persuasive Funktion oft mit der informativen Funktion gekoppelt ist, spricht man auch von der 'informativ-persuasiven Funktion'. Sie ist eine von vier Grundfunktionen, die das politische Sprachhandeln prägen.

integrative Funktion

Neben der informativ-persuasiven Funktion kommt auch der integrativen Funktion in der politischen Kommunikation eine tragende Rolle zu. Sprachliches Handeln ist integrativ, wenn es dazu dient, kollektive Einstellungen und Überzeugungen öffentlich zu bekunden und sich somit einer gemeinsamen Werthaltung zu versichern. Die integrative Funktion findet sich beispielsweise in Parteiprogrammen oder auch in Gedenkreden. Letztere sind meist mit bestimmten Daten verknüpft und nehmen auf zentrale historische Ereignisse Bezug wie beispielsweise die NS-Verbrechen und den Zweiten Weltkrieg. Aber auch die traditionellen Weihnachts- und Neujahrsansprachen von Bundespräsident bzw. Kanzler haben diese integrative Funktion.

regulative Funktion

Die regulative Funktion ist die zentrale Funktion der institutionsexternen Außenkommunikation, die die administrativ geregelte Kommunikation zwischen staatlichen Behörden und Bürgerinnen und Bürgern umfasst. Die regulative Funktion regelt die Beziehungen zwischen den Regierenden und den Bürgern. In gewisser Weise handelt es sich hier um eine Kommunikationsrichtung von 'oben' nach 'unten'. Texttypen mit regulativer Funktion sind beispielsweise Gesetze, Erlasse oder Sofortprogramme. Hier dominieren Sprechhandlungen wie AUFFORDERN, ANWEISEN und GESETZE ENTWERFEN.

poskative Funktion

Als vierte und letzte Grundfunktion kann hier die poskative Funktion (von lat. poscere = fordern) genannt werden. Hier werden beispielsweise von Bürgerinnen und Bürgern, Gruppen und Verbänden Forderungen gestellt, Wünsche vorgetragen oder Widerstand geleistet. Die poskative Funktion ist eine Umkehrung der regulativen Funktion. Sie ist typisch für Texte wie Aufrufe, Petitionen oder Manifeste.

Zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken. (© BPB)

Um diese Grundfunktionen durchzusetzen wenden die politischen Akteure bestimmte Sprachhandlungsmuster an. Diese zielen auf die Art und Weise der Vermittlung der Grundfunktionen ab. So kann beispielsweise die Grundfunktion informativ-persuasiv durch unterschiedliche Sprachhandlungen wie ARGUMENTIEREN, INFORMIEREN oder BEWERTEN realisiert werden. Am Beispiel des Texttyps Parteiprogramm kann das Verhältnis von Grundfunktion und Sprachhandlung verdeutlicht werden: Die dominierende Funktion des Parteiprogramms ist integrativ. Das Programm ist Grundlage für die Identität einer Partei. Diese dominante Grundfunktion wird durch zahlreiche Sprachhandlungen wie beispielsweise LEGITIMIEREN, PROFILIEREN, BEKENNEN, WERBEN, SICH ABGRENZEN realisiert. Exemplarisch zeigt dies ein Auszug aus dem Hamburger Grundsatzprogramm der SPD aus dem Jahre 2007:

"Unsere Grundwerte sind Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Im sozialdemokratischen Verständnis bilden sie eine Einheit. Sie sind gleichwertig und gleichrangig. Sie bedingen, ergänzen, stützen und begrenzen einander. Unser Verständnis der Grundwerte bewahrt uns davor, Freiheit auf die Freiheit des Marktes, Gerechtigkeit auf den Rechtsstaat, Solidarität auf Armenfürsorge zu reduzieren."
(Externer Link: Hamburger Parteiprogramm)

In diesem Textbeispiel artikulieren sich in den Schlagwörtern Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität die elementaren Werte der Partei, die hier im Sinne der integrativen Funktion hervorgehoben werden. Die SPD BEKENNT sich zu diesen positiven Werten und VERGEWISSERT sich einer gemeinsamen Grundhaltung. Dies wird auch durch die Verwendung des Personalpronomens unser in der Verbindung mit dem Oberbegriff Grundwerte erreicht. Gleichzeitig dient diese Textpassage auch dazu, sich vom politischen Gegner ABZUGRENZEN und ihm ein auf die Aspekte Markt, Rechtsstaat und Armenfürsorge reduziertes Verständnis der Grundwerte VORZUWERFEN.

Imagebildungsfunktion

Politisches Sprachhandeln hat noch eine weitere wichtige Funktion, die in Zeiten der zunehmenden Personalisierung und Medialisierung besondere Relevanz erlangt und die eng mit der informativ-persuasiven Funktion verknüpft ist: die Imagebildungsfunktion. Diese Funktion zielt auf die Selbstdarstellung und Profilierungsfunktion von Politikern und hatte spätestens 2002 mit dem Fernsehduell zwischen den Spitzenkandidaten Gerard Schröder und Edmund Stoiber einen medialen Höhepunkt. Im Idealfall präsentieren sich Politiker als volksnah, authentisch, sympathisch, kompetent, souverän und unverwechselbar. Mit Bodenständigkeit und Volksnähe soll dem Image der Politiker als den Abgehobenen, als 'denen da oben' entgegengesteuert werden. Für Politiker bieten sich hierzu zahlreiche Möglichkeiten, die vom Bürgergespräch über Wahlkampfveranstaltungen bis hin zu politischen Talkshows oder Personality-Talkshows reichen. Auch das Internet erweist sich als ideales Medium, um sich optimal zu 'vermarkten'. Eigene Homepages, Weblogs und Plattformen wie Youtube und Facebook vermitteln das Bild moderner Politiker, die Bürgernähe pflegen und sich hochkompetent den Herausforderungen der Zeit stellen.

Das Beispiel Twitter

Dies zeigt auch das Beispiel von Twitter, einer Internet-Plattform, die so genanntes Microblogging (blog = web + log) ermöglicht. Die Textnachrichten (updates oder tweets) haben einen Umfang von maximal 140 Zeichen, können von Benutzern (Followern) abonniert werden und werden chronologisch in einem Blog dargestellt. Heute benutzen zahlreiche Politikerinnen und Politiker Twitter. Themen von Twitter sind das politische Tagesgeschäft, das aktuelle politische Geschehen, Alltagsthemen und persönliche Einstellungen. Die in Twitter realisierten Sprachhandlungen sind INFORMIEREN, KOMMENTIEREN, BEWERTEN, AKTIVIEREN, WERBEN, LEGITIMIEREN und PROFILIEREN. Dabei ist die Imagebildungsfunktion bei Twitter besonders ausgeprägt. Exemplarisch seien hier einige Tweets aus dem Jahre 2010 aufgeführt (um Uhrzeit, Datum und Quelle gekürzte Darstellung):

Kristina Schröder (Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend):

"Eben war ich bei der Eröffnung der 'Langen Tafel' am Alexanderplatz, bin Schirmherrin der 'Tafeln' in Deutschland."

"Das Problem bei Debatte um türkische Schulen in Dt. ist doch, dass argumentiert wird, die Kinder müssten erst ihre Muttersprache gut lernen."

"Das Ehepaar Schröder bedankt sich für die vielen Glückwünsche zur Hochzeit :-)"

Dagmar Wöhrl (CSU-Bundestagsabgeordnete für Nürnberg-Nord und Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung):

"Jaaa, unsere #Lena hat gewonnen! Was für ein tolles Gefühl! Go Europe!"

"In der ersten Sitzung intensive Diskussion über das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen!"

"So, Arbeit ruft...genug getwittert ;)"

"Treffe mich mit Karl-Theodor zu #Guttenberg, um über die neue NATO-Strategie zu sprechen!"

Die Politikerinnen präsentieren sich hier in lockerer Sprache als informierte und kompetente Entscheidungsträger, deren Einblicke in ihren Tagesablauf Transparenz schaffen und sie als Menschen wie du und ich erscheinen lassen.

Annahme verweigert: Demonstration gegen das "Sparpaket" der Regierung im Jahr 1999 in Berlin. (© AP)

Bewusste Wortwahl

Wie die Beispiele zeigen, beziehen politische Akteure bestimmte Positionen und bringen Einstellungen und Bewertungen gegenüber politisch relevanten Sachverhalten zum Ausdruck. Ein elementares sprachliches Mittel der Durchsetzung politischer Ziele ist der bewusste Einsatz des politisch relevanten Wortschatzes. Benutzt der politische Akteur ein Schlagwort wie Unrechtsstaat in Bezug auf die ehemalige DDR, dann geht es ihm sicherlich nicht nur darum, festzulegen, worüber er spricht. Er will vor allem eine Wertung zum Ausdruck bringen: seine Einstellung zu den staatlichen Institutionen der ehemaligen DDR. Aufgrund der in Wörtern enthaltenen Wertung wird in den Adressaten eine bestimmte Einstellung gegenüber dem angesprochenen Sachverhalt erzeugt. Bewertungen können auch durch Attribute realisiert werden. So macht es einen Unterschied, ob man von einem sozial ausgewogenen Sparpaket oder einem ungerechten oder unsozialen Sparpaket spricht.

Ein in der politischen Kommunikation weit verbreitetes sprachliches Mittel ist die Metapher. Metaphern sind Ausdruck einer grundlegenden kognitiven Fähigkeit des Menschen. Durch Metaphernbildung werden neue sprachliche Ausdrucksmittel geschaffen und neue Konzepte sprachlich erschlossen. Metaphern vereinfachen komplexe Sachverhalte, interpretieren politische Entwicklungen, ermöglichen den Rückgriff auf Vertrautes und erzeugen Assoziationen. Eine weit verbreitete Metapher in der öffentlich-politischen Kommunikation ist beispielsweise die Fundament-Metapher: 'Fundament der Gesellschaft sind Ehe und Familie, die wir stärken wollen.' (Externer Link: Kurzfassung Grundsatzprogramm der CDU 2007) Ehe und Familie werden hier als Basis, als Grund konzeptualisiert, auf dem eine Gesellschaft errichtet ist. Die Fundament-Metapher kommt in zahlreichen Varianten vor, beispielsweise als Haus-Metapher (das europäische Haus).

Statt der statischen Fundament-Metapher werden oft auch die Ziel-Metapher und die Weg-Metapher benutzt: 'Für dieses Ziel eines freien und sicheren Lebens in der Chancengesellschaft formulieren wir die Grundsätze unserer Politik in diesem Programm.' (Externer Link: Grundsatzprogramm CDU) Oder: 'Auf dem Weg zur Gleichstellung von Frauen und Männern ist unsere Gesellschaft weit vorangekommen.' (Hamburger Grundsatzprogramm der SPD 2007. (Externer Link: Hamburger Programm der SPD) Mit der Weg-Metapher, die auf der Alltagserfahrung des Menschen beruht, sind vielfältige Assoziationen verbunden, die wiederum metaphorisch realisiert werden können. So werden Brücken gebaut, Weichen gestellt und Richtungswechsel vorgenommen. Politisches Handeln wird auch sehr oft als Kampf konzeptualisiert: 'Deshalb kämpfen wir für eine Politik, die im eigenen Land, in Europa und in der Welt eine soziale Antwort auf den globalen Kapitalismus formuliert.' (Externer Link: Hamburger Programm der SPD)

"Mission erfüllt" steht auf einem Banner hinter George W. Bush als dieser am 1. Mai 2003 auf der Abraham Lincoln die Hauptkampfhandlungen im Irak für beendet erklärt. (© AP)

Frames: Sinn- und Wissenszusammenhänge

Neben der Metapher besitzen Wortzusammensetzungen eine stark persuasive Wirkung. So bieten sich für diejenigen, die die Bezeichnung Krieg für den 'Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan' nicht für angemessen halten, bis zum heutigen Tage zahlreiche Bezeichnungsalternativen an: Friedenseinsatz, Stabilisierungseinsatz oder Mission. Wortzusammensetzungen wie Friedenseinsatz und Stabilisierungseinsatz dienen Regierungen dazu, den Einsatz von Soldaten zu legitimieren. Sie benennen über den Sachverhalt hinaus die positiv bewerteten Ziele etwa des 'Einsatzes deutscher Soldaten in Afghanistan'. Jede dieser Bezeichnungen ruft ganz bestimmte Sinn- und Wissenszusammenhänge auf, so genannte Frames. Der Frame, der durch Frieden aktiviert wird, enthält positive Konzepte wie 'Ruhe und Sicherheit (im Zusammenleben der Menschen)'. Darüber hinaus aber aktiviert Frieden aber auch ein Konzept, das erst in jüngster Zeit im Zusammenhang mit den Rechtfertigungen von militärischen Einsätzen entstanden ist, nämlich 'Zustand, in dem die Menschenrechte verwirklicht werden können'. Stabilisierungseinsatz aktiviert ebenso ein positives Konzept. Wenn etwas stabilisiert werden muss, dann ist es vorher in ein (bedrohliches) Ungleichgewicht gebracht worden. Friedenseinsatz und Stabilisierungseinsatz entfalten so eine starke persuasive Wirkung, da mit ihrer Hilfe die Legitimation des Einsatzes und damit eine komplexe Argumentation in ein einziges Wort verpackt werden. Zudem bringen sie mehr oder weniger konkrete Handlungsaufforderungen zum Ausdruck. Zugleich zeigen sich an diesen Beispielen aber auch die Grenzen der Persuasion durch das Wort. Die Macht des Wortes endet da, wo die Menschen mit der Realität konfrontiert werden und eine Diskrepanz zwischen Wort und Wirklichkeit empfunden wird.

Argumentationsmuster in der politischen Kommunikation

Der Gebrauch von Wörtern ist immer in Argumentationsstrategien eingebettet, wobei sich typische Argumentationsmuster oder auch Argumentationstopoi in der politischen Kommunikation etabliert haben. Nach Klein (2003: 1468) beziehen die Akteure Stellung zu bestimmten Themen, indem sie aus ihrer Perspektive auf Situationsdaten verweisen, Bewertungen der Situationsdaten vornehmen, leitende Prinzipien oder Werte anführen, Ziele benennen und auf Konsequenzen des thematisierten Handelns oder auch der Daten, Bewertungen, Prinzipien und Ziele hinweisen. Argumentativ verwendet werden aus diesen Handlungskategorien Handlungstopoi, das heißt Begründungsschemata für die Rechtfertigung von Handlungen oder handlungsbezogenen Einstellungen bzw. für Angriffe auf dieselben. Argumentationstopoi haben die Funktion, bestimmte Positionen zu legitimieren. Politische Handlungen werden durch Ziele (Finaltopos) begründet und durch Situationsbewertungen (Motivationstopos) motiviert. Den Situationsbewertungen wiederum liegen bestimmte Annahmen über die Situation (Datentopos) und deren Konsequenzen (Konsequenztopos), andererseits aber auch Prinzipien oder Werte (Prinzipientopos) zugrunde.

Dies kann am Beispiel des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan verdeutlicht werden. Eine Argumentationslinie, die in diesem Zusammenhang von Friedenseinsatz oder Stabilisierungseinsatz spricht, sieht folgendermaßen aus:

  • Datentopos: es liegt eine instabile politische Situation vor, Unterdrückung der Bevölkerung und Gewaltausübung seitens der Taliban

  • Prinzipientopos: Demokratie, Freiheit, Menschenrechte

  • Motivationstopos: dass Menschen unterdrückt und in ihrer Freiheit eingeschränkt werden, ist nicht hinnehmbar

  • Finaltopos: Hilfe beim Aufbau eines demokratischen Gemeinwesens

Die politischen Akteure führen die genannten Argumentationsmuster nicht immer vollständig aus. In den meisten Fällen ist das auch gar nicht nötig, da fehlende Argumentationsmuster meist mitgedacht werden. So löst das Wort Stabilisierungseinsatz die oben aufgeführte Argumentationskette auch ohne explizite Nennung aus.

Wie ausführlich politische Akteure ihre Argumentationen gestalten können, hängt immer auch von Texttyp und Interaktionsformat ab. Statements im Fernsehen, Interviews und die Teilnahme an politischen Talkshows erfordern die Fähigkeit, in einem sehr engen Zeitrahmen die eigene Position zu vermitteln. Im Gefolge des zunehmenden Einflusses der Medien auf die Politikvermittlung ist darüber hinaus die Tendenz zu beobachten, bei den Argumentationsmustern dem Datentopos eine besondere Stellung einzuräumen. Insbesondere in politischen Talkshows wird dem politischen Gegner gerne unterstellt, er verfüge nicht über genügend Fakten oder er sage die Unwahrheit. Die Einrichtung eines 'Fakten-Check' in der politischen Talkshow hartaberfair trägt dieser Bedeutung der Fakten Rechnung. Äußerungen der Gäste werden auf der Homepage der Sendung zeitversetzt in indirekter Rede angeführt. Ein Link führt zum O-Ton des Zitats. Dieser indirekten Redewiedergabe folgen nun die Kommentare und Sichtweisen von Experten, bei denen es sich häufig um Wissenschaftler handelt. Diese sollen qua Profession maximale Objektivität und Sachkenntnis vermitteln und somit die Aussagen der Talkshow-Gäste auf den Prüfstand stellen.

Die Bedeutung der Fakten wird beispielsweise auch durch die im Internet eingesetzte Kommunikationsform Rapid Response auf die Spitze getrieben. Rapid Response ist ein Instrument des Online-Wahlkampfes, der in den USA bereits eine längere Tradition besitzt. Äußerungen des politischen Gegners, etwa auf Wahlkampfveranstaltungen oder in Fernseh-Auftritten, werden mit dem Instrument des Rapid Response möglichst zeitnah in das Internet gestellt und durch so genannte Fakten widerlegt. Für Rapid Response ist ein digitales Medium wie das Internet notwendig. Erst dieses ermöglicht schnelles Reagieren auf den politischen Gegner. Traditionelle Massenmedien wie Zeitung, Radio und Fernsehen sind dazu nur bedingt geeignet. Das Internet besitzt ein technisches Potential, das Interaktivität sowie Aktualität und Kapazität bereitstellt. Zudem besitzt das Internet einen ausgeprägten Dokumentationscharakter, es bietet die Möglichkeit, alle negativen Aktionen des politischen Gegners in Text und Bild zu dokumentieren und zu kommentieren.

Einflussnahme auf den Adressaten

Letztlich dienen alle sprachlichen Handlungen der politischen Akteure dem Ziel die Einstellungsstrukturen der Adressaten in der beabsichtigten Weise zu beeinflussen. Es lassen sich Einstellungsveränderung, Einstellungspolarisierung und Einstellungsbestätigung unterscheiden.

Einstellungsveränderung

Die Einstellungsveränderung soll eine Veränderung der Einstellungen des Adressaten bewirken. Insbesondere in Texten mit informativ-persuasiver Funktion, also beispielsweise in Pressekommentaren oder in politischen Talkshows werden Wörter und Argumentationsmuster gebraucht, die dem Zweck der Einstellungsveränderung dienen.

Einstellungspolarisierung

Mit der Einstellungspolarisierung soll der eigene Standpunkt plakativ verdeutlicht werden und gegebenenfalls eine Reaktion auf Seiten des Adressaten hervorgerufen werden. Es handelt sich bei der Einstellungspolarisierung auch um die Herbeiführung eines Dissenses mit dem Ziel, die Diskussion in eine bestimmte Richtung zu lenken. Zwar ist nicht die Herbeiführung eines Dissenses, sondern die Erreichung eines Konsenses eine Grundvoraussetzung freiheitlicher Demokratie, doch aus strategischen Gründen kann die Dissensbetonung für die politischen Akteure sinnvoll sein. Einstellungspolarisierung und Dissensbetonung spielen unter den Bedingungen von Öffentlichkeit, Massenmedialität und Mehrfachadressierung eine wichtige Rolle.

Einstellungsbestätigung

Die Einstellungsbestätigung zielt darauf ab, bereits vorhandene Einstellungen beim Adressaten zu bekräftigen und gegebenenfalls auch zu verstärken. Sie kann vor allem in Texten mit integrativer Funktion wirksam werden, also etwa in Parteiprogrammen oder Gedenkreden. Aber auch Wahlreden auf Wahlkampfveranstaltungen müssen nicht unmittelbar der Wählerwerbung dienen (informativ-persuasive Funktion), sondern können vor allem der Mobilisierung der eigenen Anhänger dienen, deren Überzeugungen und Positionen noch einmal bekräftigt werden (integrative Funktion).

Fussnoten

Prof. Dr. Heiko Girnth, geb. 1964, arbeitet am Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas der Philipps-Universität Marburg. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zum Thema Sprache und Politik u.a. Sprache und Sprachverwendung in der Politik. Eine Einführung in die linguistische Analyse öffentlich-politischer Kommunikation / Polit-Talkshows – Bühnen der Macht. Ein Blick hinter die Kulissen.