Bei Analyse der Verdienstunterschiede muss berücksichtigt werden, dass die Höhe der Bruttomonatsverdienste maßgeblich von der geleisteten Arbeitszeit abhängt. Es liegt auf der Hand, dass bei einer Vollzeitarbeit (womöglich noch aufgestockt durch Überstunden) ein höherer Verdienst anfällt als bei einer Teilzeitarbeit oder bei einem Minijob. Deswegen ist es aussagekräftiger, von den Bruttostundenlöhnen auszugehen. Die empirischen Befunde zeigen, dass es zwischen niedrigen Stundenlöhnen (nach unten begrenzt durch den gesetzlichen Mindestlohn) und Spitzenlöhnen (nach oben hin unbegrenzt) eine große Spannweite gibt.
2018 erzielten Besserverdienende das 3,27-Fache des Bruttostundenverdiensts von Geringverdienenden. Der Verdienstabstand zwischen Gering- und Besserverdienenden hat sich zwischen 2014 und 2018 leicht verringert, 2014 lag der Abstand noch beim 3,48-Fachen
Dezile der Bruttostundenverdienste und Beschäftigung mit Niedrig- und Hochlohn
Ergebnisse der Verdienststrukturerhebungen 2014 und 2018*
Insgesamt | Westdeutschland (einschließlich Berlin) | Ostdeutschland | ||||
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2014 | 2018 | 2014 | 2018 | 2014 | 2018 | |
Dezilangaben des Bruttostundenverdienstes, in Euro | ||||||
1. Dezil | 8,34 | 9,71 | 8,59 | 9,90 | 7,09 | 9,21 |
5. Dezil = Median | 15,00 | 16,58 | 15,47 | 17,04 | 12,00 | 13,97 |
9. Dezil | 29,03 | 31,76 | 29,84 | 32,59 | 23,48 | 25,79 |
Dezilsverhältnisse | ||||||
9. Dezil/ 1. Dezil | 3,48 | 3,27 | 3,47 | 3,29 | 3,31 | 2,80 |
9. Dezil/ 5. Dezil | 1,94 | 1,92 | 1,93 | 1,91 | 1,96 | 1,85 |
5. Dezil/ 1. Dezil | 1,80 | 1,71 | 1,80 | 1,72 | 1,69 | 1,52 |
Anteil der Beschäftigung, in Prozent | ||||||
unter Niedriglohnschwelle | 21,4 | 21,1 | 19,3 | 20,0 | 34,5 | 29,1 |
über Hochlohnschwelle | 21,2 | 20,8 | 22,7 | 22,3 | 11,5 | 11,2 |
Quelle: Statistisches Bundesamt 2020b.
Das Dezilsverhältnis ist ein Maß zur Messung des Abstands zwischen Geringverdienenden (untere 10 Prozent der Lohnskala) und Besserverdienenden (obere 10 Prozent). Hierfür wird der Bruttostundenverdienst, ab dem eine Person zu den Besserverdienenden zählt (2018: 31,76 Euro), ins Verhältnis gesetzt zum Bruttostundenverdienst, bis zu dem Geringverdienende reichen (2018: 9,71 Euro). Damit ergibt sich für 2018 eine Lohnspreizung von 3,27 (31,76 Euro/9,71 Euro).
Folgende Faktoren spielen bei der Spreizung der Stundenverdienste eine zentrale Rolle
Die Abweichungen widerspiegeln den schulischen und beruflichen Bildungsabschluss und konkret die im Arbeitsprozess geforderten Qualifikationen. Das Statistische Bundesamt (2019) unterscheidet in der Verdienststatistik zwischen fünf Leistungsgruppen (LG): Beschäftigte in leitender Stellung (LG 1), herausgehobenen Fachkräfte (LG 2), Fachkräfte (LG 3), angelernte Beschäftigte (LG 4) und ungelernte Beschäftigte (LG 5). Während im produzierenden Gewerbe (2019) in der oberen Leistungsgruppe der Bruttostundenverdienst bei 53,31 (Männer)/47,28 (Frauen) Euro liegt, erreicht er in der unteren Leistungsgruppe nur 17,23 bzw. 15,81 Euro.
Diese qualifikations- und tätigkeitsbezogene Differenzierung wird überlagert durch die Knappheit bzw. den Überschuss an bestimmten Arbeitskräften. So sind unqualifizierte und gering qualifizierte Beschäftigte im besonderen Maße von Arbeitslosigkeit betroffen, was tendenziell zu einer Absenkung ihrer Löhne führt.
Die Höhe der Stundenlöhne hängt entscheidend von den einzelnen Wirtschaftsbranchen ab (vgl. Abbildung "Durchschnittliche Bruttostundenverdienste/Vollzeit in ausgewählten Hoch- und Niedriglohnbranchen 2019"). Unter dem Einfluss unterschiedlicher branchentypischer Produktions-, Produktivitäts- und Gewinnentwicklungen sowie der Wettbewerbskonstellationen auf den Weltmärkten lassen sich Wirtschafts-zweige (wie Luftfahrt, Finanz- und Versicherungsdienstleistungen, Energieversorgung, Maschinenbau) als Hochlohnbranchen bezeichnen. Andere Wirtschaftszweige (wie das Gastgewerbe, der Einzelhandel, die Gebäudereinigung oder die Wach- und Sicherheitsdienste) gelten hingegen als Niedriglohnbranchen. So liegen in der Mineralölverarbeitung, den Finanz- und Versicherungsdienstleistungen oder in der Luftfahrt die durchschnittlichen Bruttostundenentgelte mehr als doppelt so hoch, z.T. sogar dreimal so hoch wie in den Niedriglohnbranchen − so bei der Leiharbeit, im Gastgewerbe, in Call-Centern oder bei den Wach- und Sicherheitsdiensten.
Neben den ökonomischen Faktoren kommt schließlich auch institutionellen Faktoren wie der Ausgestaltung von Tarifverträgen, dem gewerkschaftlichen Organisationsgrad der Beschäftigten und damit der Durchsetzungsmacht der Gewerkschaften in der Tarifpolitik eine wichtige Bedeutung für die sehr unterschiedliche Höhe der Arbeitseinkommen zu.