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Steuern und Beiträge im internationalen Vergleich | Verteilung von Armut + Reichtum | bpb.de

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Steuern und Beiträge im internationalen Vergleich

Gerhard Bäcker Ernst Kistler

/ 4 Minuten zu lesen

Um dem grundgesetzlichen Postulat "Sozialstaat" gerecht zu werden, brauchen der Staat bzw. die Sozialversicherung unbestreitbar viel Geld. Sind die Abgabenquoten in Deutschland im internationalen Vergleich besonders hoch?

Häuser im Stadtteil Malarhojden in Stockholm. In Deutschland liegt der Spitzensteuersatz der Einkommensteuer bei 47,48 Prozent und damit nur im mittleren Bereich der Vergleichsländer. Deutlich höher ist er mit 55,52 Prozent in Frankreich bzw. 57,19 Prozent in Schweden. (© picture-alliance, Alexander Farnsworth)

Bei der Beantwortung dieser Frage ist zu berücksichtigen, dass vor allem die Sozialsysteme in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich finanziert werden. Wir kennen auf der einen Seite Systeme, die weitgehend über Steuern finanziert werden, und auf der anderen Seite Systeme, die auf der Beitragsfinanzierung beruhen. Dies gilt auch in den Ländern der Europäischen Union (vgl. "Finanzierung der Sozialleistungen nach Arten"). So weist Dänemark einen Steueranteil bei der Finanzierung der Sozialleistungen von nahezu 80 Prozent auf, Deutschland und Österreich (als klassische Sozialversicherungsstaaten) finanzieren die Sozialleistungen zu rund 64 Prozent über Beiträge der Versicherten und ihrer Arbeitgeber.

Finanzierung der Sozialleistungen nach Arten in ausgewählten EU-Ländern 2017 (Interner Link: Grafik zum Download)

Deswegen macht es Sinn, die Abgabenquoten in der EU insgesamt zu vergleichen, also Sozialversicherungsbeiträge und Steuern zusammenzufassen. An dieser Stelle kann allerdings nicht berücksichtigt werden, wie die nationalen Steuersysteme im Einzelnen ausgestaltet sind, welchen Tarifverlauf sie aufweisen und welche Verteilungswirkungen von ihnen ausgehen. Das gleiche gilt für die Abweichungen innerhalb der Beitragsfinanzierung. Auch ist es nicht möglich, alle Mitgliedsstaaten aufzulisten; dargestellt werden zentrale Staaten ("Abgabenquoten in ausgewählten EU-Ländern 2008 und 2018").

Abgabenquoten (Steuern und Sozialabgaben) in ausgewählten EU-Ländern 2008 und 2018 (Interner Link: Grafik zum Download) (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Setzt man die Höhe des Gesamtaufkommens aus Steuern und Beiträgen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt, errechnen sich die Steuer- und Abgabenquoten, die sich wiederum zur Gesamtabgabenquote addieren. Die höchste Gesamtabgabenquote in der EU hatte im Jahr 2018 Frankreich mit 46,1 Prozent vorzuweisen, gefolgt von Dänemark (44,9 Prozent), Belgien (44,8 Prozent) und Schweden (43,9Prozent). Dagegen verzeichneten Estland (33,2 Prozent), Großbritannien (33,5 Prozent), Spanien (34,4 Prozent) und Polen (35,0 Prozent) verhältnismäßig niedrige Abgabenquoten. Deutschland liegt mit 38,2 Prozent im unteren Mittelfeld

Werden die Abgaben in Steuern und Sozialabgaben unterteilt, lassen sich unterschiedliche Anteile in den ausgewählten EU-Mitgliedsstaaten erkennen.

  • So weisen die höchsten Steuerquoten Dänemark (44,8 Prozent), Schweden (34,3 Prozent), Belgien (31,4 Prozent), Frankreich (30,0 Prozent) und Italien (29,0 Prozent) auf und damit dieselben Länder, bei denen die Gesamtabgabenquoten am höchsten sind.

  • Bei den Sozialabgaben dominieren Frankreich (16,1 Prozent), Deutschland (14,4 Prozent), die Niederlande (14,0 Prozent), Belgien (13,5 Prozent) sowie Italien und Polen (jeweils 13,1 Prozent). Die Sozialabgabenquote liegt auch bei den weiteren ausgewählten Ländern bei mindestens 10 Prozent, lediglich in Dänemark, Großbritannien und Schweden spielt sie keine bzw. nur eine untergeordnete Rolle.

  • Weiterhin ist auffällig, dass Estland, Polen, und Spanien vor allem deshalb eine niedrige Gesamtabgabenquote aufweisen, weil in diesen Ländern insbesondere die Steuerquote mit jeweils unter 23Prozent verhältnismäßig niedrig ausfällt.

Im Vergleich zum Jahr 2008 ist die gesamte Abgabequote in den meisten Ländern – bis auf Schweden, Dänemark, Italien und Polen – moderat gestiegen. Dabei haben sich in allen Ländern entweder beide Abgabenquoten oder zumindest eine von beiden im Zeitverlauf erhöht.

Eine – aber auch nur sehr begrenzte – Erklärung für die nur mittleren Abgabenquoten ist in der Unternehmensbesteuerung zu suchen. Diese ist definiert als die tarifliche Besteuerung des Gewinns von Kapitalgesellschaften und wird in Prozent von Körperschaftsteuer, Gewerbe- und ähnlichen Steuern des Bundes und der Gebietskörperschaften gemessen (vgl. "Unternehmensbesteuerung 2019 im internationalen Vergleich"). In Deutschland addieren sich diese verschiedenen Steuern nominal auf 29,9 Prozent im Jahr 2018. Dabei entfallen etwa gleich viel auf den Bund (15,83 Prozent) und die Gebietskörperschaften (14,07 Prozent).

Unternehmensbesteuerung 2019 im internationalen Vergleich

in Prozent

StaatenGesamtbelastung
Belgien29,58
Bulgarien10
Dänemark22
Deutschland29,9
Estland20
Finnland20
Frankreich 32,02
Griechenland 24
Irland 12,5
Italien 27,9
Kroatien 18
Lettland 20
Litauen 15
Luxemburg 24,9
Malta 35
Niederlande25
Österreich 25
Polen 19,0
Portugal 22,5
Schweiz 20,65
Rumänien 16,0
Schweden 21,4
Schweiz 20,65
Slowakei 21,0
Slowenien 19
Spanien 25,0
Tschechien 19
Ungarn 10,8
Vereinigtes Königreich 19
Zypern 12,5

Quelle: Eigene Darstellung nach BMF 2020, S. 16.

Mit einer Gesamtbelastung der Gewinne der Kapitalgesellschaften von 29,9 Prozent liegt Deutschland auf Rang 3 der betrachteten Länder, hinter Malta (35 Prozent) und Frankreich (32,02 Prozent). Mit 10 Prozent weist Bulgarien den geringsten Wert aus; sehr ähnlich auch Ungarn mit 10,82 Prozent.

Ein weiterer "Erklärungsansatz" ist in der Höhe der Steuersätze zu suchen. Die Tabelle "Einkommensteuerspitzensätze der Zentralstaaten und der Gebietskörperschaften sowie sonstige Zuschläge" zeigt – entgegen der hierzulande gängigen Vorstellung von einem geradezu "erwürgend" hohen Spitzensteuersatz (wohlgemerkt: Spitzen- und nicht die tatsächlich bezahlten Durchschnittssteuersätze!), dass Deutschland eher im Mittelfeld der betrachteten Länder liegt. Aber auch hier wären weitere Differenzierungen angebracht: Zu berücksichtigen wäre vor allem, ab welchem Einkommen der Spitzensteuersatz erreicht wird.

Einkommensteuerspitzensätze der Zentralstaaten und der Gebietskörperschaften sowie sonstige Zuschläge

in Prozent

Staaten2019
Belgien 53,5
Bulgarien 10
Dänemark 52,1
Deutschland 47,48
Estland 20
Finnland 50,8
Frankreich 55,52
Griechenland 55
Irland 48,0
Italien 45,28
Kroatien 42,5
Lettland 31,4
Litauen 27
Luxemburg 45,8
Malta 35
Niederlande 51,75
Norwegen 38,2
Österreich 55
Polen 36
Portugal 53
Rumänien 10
Schweden 57,19
Schweiz (Kanton Zürich) 39,97
Slowakei 25
Slowenien 50
Spanien 45
Tschechien 22
Ungarn 15
Vereinigtes Königreich 45
Zypern 35

Quelle: Eigene Darstellung nach BMF 2020, S. 31.

Der Spitzensteuersatz der Einkommensteuer (Lohnsteuer plus veranlagte Einkommensteuer inklusive Solidarzuschlag liegt in Deutschland bei 47,48 Prozent und damit nur im mittleren Bereich der Vergleichsländer. Das ist zwar weit mehr als die jeweils zehn Prozent in Bulgarien und Rumänien, aber auch deutlich weniger als die 55,52 Prozent in Frankreich und die 57,19 Prozent in Schweden.

Interessant ist auch, dass von den nicht in der Tabelle enthaltenen Ländern außerhalb Europas Kanada (53,53 Prozent) und Japan (55,95 Prozent) deutlich höhere Spitzensteuersätze als Deutschland haben. In den USA ist der Spitzensatz der Einkommensteuer mit 49,7 nur etwas höher als der deutsche Wert.

Fasst man die Befunde dieses internationalen Vergleichs von Steuern und Abgaben im Jahr 2019 für Deutschland zusammen, so ist festzuhalten:

  • Deutschland hat eine eher niedrige Steuerquote von 23,8 Prozent (Anteil der Steuern in Prozent des Bruttoinlandsprodukts),

  • Unter Einbeziehung der Sozialversicherungsbeiträge ergibt sich eine gesamte Abgabenquote von 38,2 Prozent. Auch das nur ein mittlerer Wert,

  • Bei der Unternehmensbesteuerung – gemessen als tarifliche Belastung des Gewinns von Kapitalgesellschaften durch die Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und ähnliche Steuern – ist die nominale Belastung mit zusammengenommen 29,9 Prozent hoch. Deutschland liegt hier auf Rang drei der Vergleichsländer.

  • Betrachtet man als weiteren Indikator den Höchststeuersatz der Lohn- und Einkommensteuer, so liegt dieser in Deutschland bei 47,48 Prozent und damit nur im mittleren Bereich der Vergleichsländer (Rang 19 von 30 europäischen Ländern). Zu bedenken ist dabei, dass der Spitzensteuersatz eine rein tarifliche Größe ist – die effektive Belastung ist mit dem Durchschnittssteuersatz zu messen!

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Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee ist Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.