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Das bedingungslose Grundeinkommen - eine verteilungs- und sozialpolitische Alternative? | Verteilung von Armut + Reichtum | bpb.de

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Das bedingungslose Grundeinkommen - eine verteilungs- und sozialpolitische Alternative?

Gerhard Bäcker Ernst Kistler

/ 13 Minuten zu lesen

Wenn der Sozialstaat trotz eines erheblichen Mitteleinsatzes Armutsrisiken nur unzureichend bekämpft, also ein zentrales verteilungspolitisches Ziel verfehlt, dann besteht Reformbedarf. Am weitreichendsten ist der Ansatz eines "bedingungslosen Grundeinkommens" (BGE). Abgezielt wird auf eine pauschale Geldleistung, die allen Bürger*innen zusteht. Wird damit die Einkommensverteilung aber tatsächlich "gerechter"?

Ein Banner an einem Balkon in Berlin wirbt für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Wird damit die Einkommensverteilung aber tatsächlich "gerechter"? (© picture-alliance, Lothar Ferstl)

Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Modelle

Was tun gegen eine zunehmende Ungleichverteilung von Einkommen? Eine Antwort wird seit vielen Jahren diskutiert und findet gerade aktuell eine große Resonanz: Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE). Allerdings ist der Begriff äußerst schillernd. Das Spektrum der Modelle reicht von sozialutopischen, emanzipatorischen und sich "links" verstehenden Konzepten bis hin zu rein neoliberalen, marktradikalen Ansätzen .

Gleichwohl lassen sich hinsichtlich des Grundgedankens eines BGE bestimmte Gemeinsamkeiten feststellen:

  • Leistungsberechtigung (nahezu) der gesamten Wohnbevölkerung,

  • Ausgestaltung als (weitgehend) pauschale und individuelle, rein auf die Einzelperson bezogene Geldleistung,

  • Unabhängigkeit von der Höhe des Einkommens oder Vermögens,

  • Verzicht auf jegliche Voraussetzungen oder Gegenleistungen.

Erwerbsarbeit und Einkommen sollen also grundsätzlich entkoppelt werden. Ob Erwerbsarbeit und in welchen Dimensionen aufgenommen wird, soll allein von der individuellen Entscheidung abhängig sein. Diese gleichsam "doppelte" Bedingungslosigkeit, die Zahlung eines Pauschalbetrags an alle Bürger unabhängig von Einkommens- und Vermögensprüfungen zum einen und die Zahlung ohne Verweis auf zumutbare Arbeit und mögliche Sanktionen zum anderen, stellt insofern den Kern des Konzeptes dar.

Ob das "gerecht" ist bzw. gerechter als das gegenwärtige Sozialleistungssystem, bleibt zu überprüfen:

  • Warum sollte es sinnvoll sein, nach dem Gießkannenprinzip auch an Personen ein Grundeinkommen zu zahlen, die bereits über ein hohes (Haushalts)Einkommen verfügen?

  • Wie ist es zu vertreten, dass es infolge der Individualisierung und Pauschalierung der Leistung zu einer strukturellen Schlechterstellung von allein lebenden Personen und kleinen Haushalten kommt? Denn unbestritten kann in einem Haushalt mit mehreren Personen besser gewirtschaftet werden, da sich die Fixkosten dann auf diese Personen verteilen. Und offensichtlich ist auch, dass die Kosten der Unterkunft pro Person bei größeren Haushalten sinken.

Die versprochene "Gleichheit" kann tatsächlich zu höchst ungleichen Ergebnissen führen. Besser gestellt sind Personen, die mietfrei (Wohneigentum) wohnen oder nur geringe Unterkunftskosten haben. Benachteiligt sind hingegen Alleinstehende sowie Personen, deren Einkommen durch hohe Fixkosten sowie durch hohe Miet- und Mietnebenkosten gemindert wird.

Dieses Konzept fasziniert und begeistert : Das Recht auf ein auskömmliches und repressionsfreies Einkommen vermeidet Armutslagen, verhindert das Problem der Nicht-Inanspruchnahme ("Dunkelziffer der Armut") und ermöglicht Freiheit und Individualität jenseits der Zwänge der fremdbestimmten Lohnarbeit. Insofern gilt das Grundeinkommen auch als ein Problemlöser, um dem Verlust von Arbeitsplätzen und drohender Massenarbeitslosigkeit den Schrecken zu nehmen. Da das Grundeinkommen eine Alternative zur Erwerbsarbeit ist, sinkt – so die Argumentation – die Nachfrage nach knappen Arbeitsplätzen. Dadurch eröffnen sich Möglichkeiten, statt Erwerbsarbeit andere ehrenamtliche, künstlerische oder familiäre Tätigkeiten auszuüben. Zudem kommt es durch die einfache, repressionsfreie und administrativ unaufwendige Einkommensleistung zu einer Entschlackung des komplexen, hochgradig ausdifferenzierten und bürokratisierten Systems der sozialen Sicherung, insbesondere der fürsorgerechtlichen und einkommensgeprüften Systeme

Entscheidend ist, wie das BGE im Einzelnen aussehen soll. Denn erst die konkrete Ausgestaltung entscheidet darüber, wie es sich unter den Bedingungen seiner Gegenfinanzierung auf die Einkommens- und Lebenslage einzelner Bevölkerungsgruppen auswirkt. Diese Auswirkungen können sich auch – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – auf das gesamte Sozialsystem und auf angrenzende Bereiche erstrecken, so auf den Arbeitsmarkt, die Arbeitsverhältnisse, die öffentlichen Haushalte, die Entwicklung von Produktivität und Wachstum, und Anstoß zu einem grundsätzlichen Wechsel des wohlfahrtsstaatlichen Arrangements geben. Insofern trägt die Debatte einen im hohen Maße politischen-ideologischen Charakter, sie ist durch unterschiedliche Wertvorstellungen und Leitbilder über die zukünftige Gestaltung des Sozialstaates geprägt. Immer geht es auch um das Zusammenspiel von Markt, Staat und Gesellschaft, um das Verhältnis von Individualität und Solidarität und um die Gewichtung von Leistungs- und Bedarfsgerechtigkeit.

Höhe des Grundeinkommens und Gegenfinanzierung

Grundlegendes Kriterium für Auswirkungen eines Grundeinkommens ist neben der Frage nach der Gegenfinanzierung dessen Höhe. Neoliberale Vertreter setzen den Betrag sehr niedrig an – etwa zwischen 500 und 700 Euro, deutlich unterhalb der gegenwärtigen Grundsicherung (einschließlich Kosten der Unterkunft) . Dann allerdings kann weder von einer umfassenden Armutsvermeidung noch von einer Alternative zur Erwerbsarbeit die Rede sein. Erwerbstätigkeit wird vielmehr notwendig, da nur so das soziokulturelle Existenzminimum erreicht werden kann. Die Betroffenen sind gezwungen (nicht administrativ, sondern ökonomisch) hinzuzuverdienen. Und für all jene, die dazu nicht in der Lage sind (so Menschen in besonderen Lebenslagen und mit Behinderungen) braucht es dann doch wieder ergänzender, bedarfsbezogener Regelungen mit dem entsprechenden bürokratischen Aufwand.

Diese Konzepte, die grundsätzlich den Arbeitsmarkt als "Markt" stärken wollen, wenden insofern die Idee eines BGE in eine bestimmte Richtung. Hier geht es im Unterschied zu einem "emanzipatorischen" BGE um die Einschränkung von Sozialausgaben und um die Deregulierung des Arbeitsmarktes. Das beginnt ganz entscheidend bei der Leistungshöhe und reicht bis hin zu Vorstellungen, die gesetzliche Arbeitslosen-, Renten- sowie Kranken- und Pflegeversicherung einzugrenzen oder ganz abzuschaffen . Die Betroffenen sollen sich privat absichern (in der Kranken- und Pflegeversicherung mit einer einkommensunabhängigen Kopfpauschale), was zu enormen Mehrbelastungen gerade im unteren Einkommensbereich führen und den Wert eines BGE noch weiter mindern würde.

Die Idee eines "emanzipatorischen" BGE, die Menschen von ("schlechter") Arbeit zu befreien und Druck auf die Arbeitgeber aufzubauen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und die Löhne zu erhöhen, wird also hier ins glatte Gegenteil verkehrt. So verwundert es nicht, dass mit dem Argument, das BGE stehe immer als Absicherung zur Verfügung, auch gefordert wird, den Mindestlohn, den Kündigungsschutz, die Eltern- und Pflegezeit sowie die Entgeltfortzahlung abzuschaffen. Und zur Finanzierung wird vorgeschlagen, das über das BGE hinausreichende Einkommen mit einem pauschalen Steuersatz ("Flat tax") zu belasten. Grundfreibeträge, niedrige Eingangssteuersätze und progressive Tarife soll es dann nicht mehr geben, mit der Folge, dass niedrige Erwerbseinkommen genauso stark belastet werden wie Spitzeneinkommen.

Verfechter eines "emanzipatorischen" BGE gehen von einem hohen Leistungsbetrag aus . Grundlegend ist, dass es sich hierbei um einen kopfbezogenen Pauschalbetrag (mit wenigen Ausnahmen) handeln soll, der dann die bisherigen einkommensabhängigen Transfers wie auch das Kindergeld ablöst. Um Verschlechterungen gegenüber dem aktuellen Niveau der Grundsicherung zu vermeiden, müsste diese Pauschale, die ja nicht nach der Haushaltszusammensetzung und den tatsächlichen Wohnkosten unterscheidet, jeden Einzelfall abdecken. Es kommt hierbei vor allem auf die Kosten der Unterkunft an. In Gebieten mit einem sehr hohen Niveau der Unterkunftskosten kann deshalb der Gesamtbedarf für einen Ein-Personen-Haushalt – einschließlich möglicher Sonder- und Mehrbedarfe (für Allerziehende oder Menschen mit Behinderungen) durchaus den Betrag von 1.100 Euro im Monat erreichen. Bei einem Mehrpersonenhaushalt würden sich dann noch sehr viel höhere Beträge ergeben.

Wie hoch im Einzelnen der Leistungsbetrag eines BGE auch immer festgesetzt wird – es geht kein Weg daran vorbei, dass ein solcher, der gesamten Bevölkerung zufließender Pauschalbetrag ungeheuer kostenintensiv ist. Bei einer Bevölkerungszahl von etwa 82,7 Millionen (2019) errechnet sich bei einer Leistung von 1.100 Euro ein Ausgabevolumen von rund 1 Billion Euro. Wenn man einen reduzierten Betrag von 550 Euro von Kindern unterhalb des vollendeten Alters von 16 Jahren (rund 11,5 Mio. Personen) unterstellt und diesen herausrechnet, sind es immer noch gut 850 Mrd. Euro. Um diese Dimensionen (Daten für 2019) bewerten zu können:

  • Das Bruttoinlandsprodukt liegt etwa bei 3,4 Billionen Euro, das Volkseinkommen, das nach der Systematik der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als Verteilungssumme zur Verfügung steht, erreicht einen Wert von etwa 2,5 Billionen Euro.

  • Die Summe aller Sozialausgaben (Sozialbudget) beziffert sich auf rund 1 Billion Euro.

  • Die sog. Förder- und Fürsorgesysteme innerhalb des Sozialbudgets führen zu Ausgaben in Höhe von 193 Mrd. Euro (vgl. Abbildung "Struktur der Sozialleistungen nach Leistungsarten 2019 In Mrd. Euro und in Prozent aller Sozialleistungen").

Struktur der Sozialleistungen nach Leistungsarten 2019 (Interner Link: Grafik zum Download) (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

In den Modellen wird nun davon ausgegangen, dass Leistungen dieser Förder- und Fürsorgesysteme, wie Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Kinderzuschlag, Hilfe zum Lebensunterhalt, Wohngeld, Kindergeld, steuerliche Kinderfreibeträge, Ausbildungsförderung, Elterngeld und Unterhaltsvorschuss, durch das Grundeinkommen ersetzt werden und entsprechend entfallen können. Allerdings würde dies zu einer grundsätzlichen Fehlorientierung der Sozialpolitik führen. Denn vernachlässigt wird bei diesen Überlegungen, dass sich die Förder- und Fürsorgesysteme keineswegs auf die Zahlung von Geldleistungen beschränken. Denn so wichtig ein ausreichend hohes Einkommen in einer Marktgesellschaft auch ist, zur Vermeidung von Armut und sozialer Ausgrenzung sowie zur Sicherstellung von sozialer Teilhabe, gesellschaftlicher Integration und Inklusion bedarf es mehr als die Zahlung von Geldbeträgen (vgl. "Interner Link: Grundsicherung und Armutsbekämpfung"). Deswegen spielen vor allem im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII), der Sozialhilfe (SGB XII), der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) und der Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung (SGB IX) die Angebote an sozialen Dienstleistungen und Einrichtungen eine zentrale Rolle. Erforderlich ist ein breites, auf unterschiedliche Lebenslagen und -phasen abgestelltes Spektrum von Förderung, Beratung, Unterstützung, Vermittlung, Betreuung, Erziehung und Bildung. Kritik an der aktuellen Ausrichtung des SGB II ist es ja gerade, dass die im Kontext des Ansatzes von Fördern und Fordern praktizierte Politik die Förderelemente vernachlässigt. Das betrifft nicht nur die arbeitsmarktpolitischen Leistungen (Vermittlung, Beratung, Qualifizierung) sondern gleichermaßen auch die kommunalen Eingliederungsleistungen wie Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen, Sucht- und Schuldnerberatung, psychosoziale Betreuung. Wenn das Gesamtangebot von sozialen Diensten und Einrichtungen aufrechterhalten werden soll, dann stehen die Sach- und Dienstleistungen der Sozialhilfe, der Kinder- und Jugendhilfe und die Eingliederungsleistungen der Grundsicherung nicht zur Gegenfinanzierung zur Verfügung. Der Einsparbetrag durch ein BGE würde sich – grob gerechnet – auf rund 90 Mrd. Euro reduzieren.

Da sich das zur Verteilung stehende reale Volkseinkommen nicht plötzlich durch ein BGE um 850 Mrd. bis 1 Billion Euro erhöht (oder ein Inflationsschub ausgelöst wird), muss der Rest aus dem Steuersystem aufgebracht werden. Da sich das zur Verteilung stehende Volkseinkommen nicht plötzlich um etwa 1 Billion Euro erhöht, bedarf es so oder so zwingend einer Gegenfinanzierung durch drastische Steuererhöhungen.

Das gesamte Steueraufkommen liegt aber (2019) "nur" bei rund 800 Mrd. Euro und muss für die Ausgaben des Staates (Bund, Länder und Gemeinden) insgesamt, also für Bildung, Wissenschaft, Forschung, innere und äußere Sicherheit, Verwaltung und Personal, Infrastruktur, Verkehr, Umwelt, Zuschüsse an die Sozialversicherungsträger usw., eingesetzt werden und steht damit – bis auf die Einsparungen bei den steuerfinanzierten Förder- und Fürsorgeleistungen - nicht zur Verfügung (vgl. "Interner Link: Steuern, Beiträge und Sozialleistungen").

Deshalb ist es zwingend erforderlich, noch zusätzlich (!) ein weitaus höheres Steueraufkommen zu erzielen. Bezieht man sich nicht auf die Umsatzsteuer und spezielle Verbrauchsteuern, die ja auf die Preise abgewälzt werden und zu entsprechenden Kaufkraftverlusten führen, sondern auf die Steuern vom Einkommen (Aufkommen 2019: 364 Mrd. Euro), müssten die Steuersätze, die dann jenseits des Grundeinkommens einsetzen, drastisch angehoben werden, um Einnahmen in der erforderlichen Größenordnung zu erzielen. Hinzu kämen dann noch die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung (20 Prozent des Bruttoeinkommens).

Da das Grundeinkommen und die Steuerschuld nicht miteinander verrechnet würden, werden diejenigen, die über ein zusätzliches Einkommen verfügen, sowohl das Grundeinkommen erhalten als auch Steuern bezahlen. Es kommt also zu einem enormen Umverteilungsvorgang ("linke Tasche, rechte Tasche") in den oben skizzierten Größenordnungen. Zumindest hier ist die Frage zu stellen, ob das, abgesehen von dem enormen bürokratischen Aufwand, wirklich gewollt und sinnvoll ist?

Die Größenordnung des Kreises der Nettoempfänger einerseits und der Nettozahler andererseits hängt von der Höhe des Steuersatzes und der Höhe des BGE ab. Je niedriger der Steuersatz (einen Grundfreibetrag wird es logischerweise nicht mehr geben), umso mehr weitet sich der Kreis der Personen aus, die noch eine Aufstockung bzw. Erhöhung ihres Einkommens erhalten. Bei einem pauschalen Steuersatz von beispielsweise 50 % und einem Grundeinkommen in Höhe von 1.000 Euro würde der Kreis der Nettoempfänger bis zu einem Monatseinkommen von 2.000 Euro reichen . Das macht es zwar attraktiv, noch hinzuzuverdienen, aber das Einnahmevolumen bleibt entsprechend niedrig und reicht keineswegs um die Kosten zu decken. Je stärker aber das zusätzliche Einkommen weggesteuert wird, d.h. je höher die sog. Entzugsrate ausfällt, desto weniger lohnt es sich hinzuzuverdienen. Es wäre dann attraktiver, nur für eine begrenzte Stundenzahl zu arbeiten oder überhaupt auf eine Erwerbstätigkeit zu verzichten (was ja nach dem Konzept ausdrücklich gewollt ist) oder auf Schwarzarbeit auszuweichen. Und neben den Steuern müssten ja auch noch die Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden, mit der Folge einer weiteren Erhöhung der Entzugsrate. Offen bleibt dabei, ob die Beitragseinnahmen, die sich dann ja nur auf die Erwerbseinkommen oberhalb des Grundeinkommens beziehen, überhaupt ausreichen, um die laufenden Ausgaben der Sozialversicherung zu decken .

Entkopplung von Einkommen und Erwerbsarbeit?

Im Ergebnis zeigt sich, dass von "Bedingungslosigkeit" im Sinne von Einkommensunabhängigkeit auch bei einem "emanzipatorischen" Konzept keine Rede sein kann, ja dass dies ökonomisch überhaupt nicht möglich ist. Es wird eben nicht jede und jeder begünstigt, sondern es kommt zu einer massiven Umverteilung des Volkseinkommens hinsichtlich Belastungen und Begünstigungen, bei der je nach steuerpolitischer Ausgestaltung im Einzelnen zu prüfen ist, wer zu den Nettoempfängern und wer zu den Nettozahlern gehört. Angesichts der Dimensionen des Finanzierungsbedarfs ist es aber unvermeidbar, dass bereits ab der unteren Mitte der Erwerbseinkommenspyramide die Belastungen überwiegen.

Das Prinzip der Bedingungslosigkeit eines hohen, emanzipatorischen Grundeinkommens soll zu einer völligen Unabhängigkeit des Leistungsanspruchs und -bezugs von der Erwerbsbereitschaft führen. Das bisher für den Sozialstaat leitende Prinzip, dass vorausgesetzt bzw. finanziell honoriert wird, den Lebensunterhalt durch eine Erwerbstätigkeit erwirtschaften und dass erst dann, wenn dies nicht (mehr) möglich oder zumutbar ist, Anspruch auf Sozialleistungen besteht, wird gleichsam umgedreht. Arbeiten im niedrigen Stundenbereich und auch das "Nichtstun" gelten vielmehr als akzeptabel, ja als wünschenswerte Norm, die – wie bei den Zielen gezeigt wurde – dazu beitragen soll, Arbeitslosigkeit zu vermeiden oder zu bekämpfen.

Es muss an dieser Stelle offen bleiben, wie groß der Personenkreis der Menschen sein wird, die nur vom Grundeinkommen leben und sich vom Arbeitsmarkt (temporär oder dauerhaft, partiell oder vollständig) zurückziehen oder ihre Arbeitszeit stark einschränken. Allerdings steht und fällt die Durchsetzbarkeit der Vorstellungen damit, dass die Alternative "Grundeinkommensbezug statt Erwerbstätigkeit" in der Realität nicht oder nur sehr begrenzt greift. Denn der Ausstieg nicht nur einer Minderheit aus der Erwerbsarbeit stellt die Finanzierbarkeit des (Sozial)Staats vor unlösbare Probleme. Je höher das Grundeinkommen ausfällt und je attraktiver es als Alternative zur Erwerbstätigkeit ist, desto stärker werden bei einer Gegenfinanzierung die Belastungen bei denjenigen ausfallen, die als Erwerbstätige und Bezieher von Erwerbseinkommen über Steuern zur Finanzierung des Grundeinkommens herangezogen werden. Die Nettoeinkommen geraten unter einen zunehmenden Druck, und die Aufnahme von Erwerbsarbeit wird sich für einen wachsenden Kreis von Beschäftigten kaum noch rechnen, was wiederum den Rückzug aus dem Arbeitsmarkt verstärken würde: ein Teufelskreis!

Da aber – trotz aller Produktivitätsfortschritte – Erwerbsarbeit notwendig ist und bleibt, um eine hohe Wertschöpfung zu erreichen, das gesellschaftliche Wohlstandsniveau zu sichern sowie die Finanzierung des Sozialstaates zu ermöglichen, begrenzt ein solcher Selbstverstärkungseffekt alle Ideen einer prinzipiellen Entkoppelung von Erwerbsarbeit und Einkommen. Aus ökonomischer Sicht gilt, dass sich Erwerbsarbeit und Einkommen gesamtwirtschaftlich nicht trennen lassen. Einkommen (Löhne wie Gewinn- und Vermögenseinkünfte) entstehen immer in der Phase der Erstellung und Verteilung des Sozialprodukts. Personen, die per Umverteilung staatliche Transfers erhalten und sich davon Güter und Dienstleistungen kaufen, leben von der Arbeit der anderen.

Dieser Abkopplungs- und Umverteilungsprozess ist im gegenwärtigen Sozialleistungssystem aber an Bedingungen geknüpft: Er wird auf gesellschaftlich anerkannte, als schützenswert erachtete Risiken, Tatbestände und Bedarfslagen (Arbeitslosigkeit, fehlende Erwerbsfähigkeit, Krankheit, Alter, Erwerbsminderung, Elternzeit, Pflegezeit) beschränkt, wobei sich die sozialpolitischen Kontroversen auf die Frage nach dem sachlichen, personellen und zeitlichen Umfang dieser Abkoppelung von Einkommen und Erwerbsarbeit und nach der Höhe der Leistungsansprüche konzentrieren. Konkret heißt das, u.a. analog zum Elterngeld auch ein Pflegegeld (bei der familiären Pflege von Angehörigen) zu zahlen oder eine längere berufliche Auszeit finanziell abzusichern. Aber immer geht es um definierte Gründe und Anlässe und eben nicht um die Finanzierung eines selbstbestimmten Lebens völlig frei von den Mühen und Zwängen der Erwerbsarbeit.

Alle vorliegenden empirischen Befunde weisen darauf hin, dass ein umverteilender Sozialstaat nur solange akzeptiert und finanziert wird, wie es zu auch Gegenleistungen kommt und der Grundsatz der Solidarität in beide Richtungen weist. Der Kreis der Nettoempfänger muss begrenzt bleiben, das Geld zur Finanzierung muss von der Mehrheit der Bevölkerung aufgebracht werden. Die Solidarität der Zahlenden ist aber keineswegs selbstverständlich, sondern ein "knappes Gut". Die Zahlungsbereitschaft hängt zentral von der Akzeptanz sozialpolitischer Regelungen ab. Wenn schon Hartz-IV-Empfänger trotz Bedürftigkeitsprüfung und harter Anforderungen an zumutbare Arbeit häufig als "Drückeberger" diffamiert werden, wird der Grundsatz einer prinzipiellen Erwerbsarbeitsfreiheit, d.h. der finanziellen Unterstützung des "Nichtstun" erst recht keine Zustimmung finden. Warum sollten jene, die (physisch wie psychisch) harte Arbeit leisten, die keineswegs nur als "Erfüllung", sondern eben auch als Last erlebt wird, bereit sein, ein "Nichtstun" durch ihre Abgaben zu finanzieren?

Reformpolitik statt Utopien

Die kritische Hinterfragung der "Bedingungslosigkeit" als des Grundprinzips eines Grundeinkommens macht deutlich, dass dies beiden Eckpfeiler, nämlich "Einkommensunabhängigkeit" und "Freiheit von Erwerbsarbeit" schlichtweg nicht realisierbar sind . Deshalb bleibt es wohl eine Daueraufgabe der Wissenschaft, über Illusionen und Irrtümer aufzuklären.

In der Realität aber ist der Regelbedarf der Grundsicherung/Sozialhilfe 2020 für Alleinstehende von 424 Euro auf 432 Euro pro Monat gestiegen – also um lediglich 8 Euro. Zugleich ist es bis dato nicht gelungen, die besonders harten Sanktionen für jugendliche SGBII-Empfänger zurückzunehmen, ganz zu schweigen von einer grundsätzlichen Neuausrichtung des SGBII.

Eine Reformpolitik muss deshalb an mehreren, aber konkreten Punkten ansetzen, die sich in ein Gesamtkonzept für einen modernen Sozialstaat eingebunden sind. Zweifelsohne ist es schwierig für solche "Mühen der Ebenen" als bessere Alternative zum Grundeinkommen ausreichend Zustimmung zu finden oder gar Begeisterung zu entfachen. Denn unweigerlich sind solche Reformen kleinteiliger und komplexer als die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen.

Es ist deshalb kaum überraschend, dass seit Jahren darüber kontrovers diskutiert wird, ob und inwieweit hohe Vermögen sowie die Einkommen von Spitzenverdienern und hier insbesondere die Einkommen aus Vermögen (Zinsen, Kursgewinne) unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit stärker belastet werden sollen . An Bedeutung zugenommen hat darüber hinaus das Thema, wie es gelingen kann, die Gewinne von internationalen Konzernen steuerlich korrekt zu erfassen. Problematisiert wird u.a.,

  • ob es gerecht ist, dass auf Zinserträge nur eine pauschale Abgeltungssteuer von 25 Prozent zu zahlen ist; dies auch dann, wenn das Gesamteinkommen wesentlich höher liegt;

  • wie Formen der legalen Steuerverminderung oder gar -vermeidung, ganz zu schweigen von illegalen Formen der Steuerhinterziehung oder Steuerausgleichserschleichungen ("Cum-Ex Skandal"), unterbunden werden können;

  • warum die Wiedererhebung der Vermögensteuer politisch nicht durchsetzbar ist;

  • was dagegen spricht, Gewinne aus den explodierenden Bodenpreisen durch eine Bodenwertzuwachssteuer abzuschöpfen;

  • welche Maßnahmen auf internationaler oder zumindest EU-Ebene ergriffen werden müssen, um die Gewinne der US-Digitalkonzerne (die derzeit frei zu Niedrigsteuerländern verschoben werden können) am Ort des Umsatzes zu versteuern.

  • weshalb gerade große Erbschaften (vor allem bei der Vererbung von Betriebsvermögen) steuerlich verschont werden, denn je höher das geerbte oder geschenkte Vermögen, desto geringer die Steuerlast der Erbschaftsteuer.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Im Überblick: Kovce/Priddat 2019; Butterwegge/Rinke 2018; Wagner 2009.

  2. Vgl. u.a. Precht, R. D. 2018, S. 32 ff.; Kovce, P. 2018, S. 50 ff.

  3. Straubhaar 2017, S. 95 ff.; Straubhaar 2018, S. 10 ff.

  4. Straubhaar/Hohenleitner 2008, S. 30 ff.

  5. Vgl. Wolf 2018.

  6. Bäcker, G. 2017, S. 453.

  7. Raddatz 2019.

  8. Krämer, R. 2018, S. 331 ff.

  9. Vgl. u.a. Bach 2015; S. 11ff.; Bach/Thiemann 2016; S. 79 ff.

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Gerhard Bäcker, Ernst Kistler für bpb.de

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Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee ist Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.