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Vor 40 Jahren: Beginn der Militärdiktatur in Argentinien | Hintergrund aktuell | bpb.de

Vor 40 Jahren: Beginn der Militärdiktatur in Argentinien

Redaktion

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1976 stürzte das Militär in Argentinien die Regierung Perón. In der Folge herrschte sieben Jahre lang ein diktatorisches Regime, dem zahlreiche Menschen zum Opfer fielen. Die Aufarbeitung der Verbrechen dauert bis heute an.

Mitglieder der Menschenrechtsorganisation "Großmütter des Platzes der Mairevolution" und "Mütter des Platzes der Mairevolution" halten ein Banner mit den Bildern von Verschwundenen. (© picture-alliance/AP)

Am 24. März 1976 verhaftete eine Gruppe von Militärs unter der Führung General Jorge Rafael Videlas die Interner Link: argentinische Präsidentin Isabel Martinez de Perón. Der Zeitpunkt für einen Putsch war günstig: Die Bevölkerung war müde von der politischen Gewalt, dem Terror linker Guerillatruppen und regierungsnaher Paramilitärs. Hinzu kam der marode Zustand der Wirtschaft. Viele Argentinier hatten daher die Hoffnung, dass sich mit der Machtübernahme durch das Militär die Situation des Landes zum Besseren verändern würde.

Staatsterror und Widerstand

Diese Hoffnung wurde bald enttäuscht. Die von Videla angeführte Militärjunta übernahm den Staatsapparat und errichtete ein System der Überwachung, mit dem sie Bevölkerung wie Institutionen kontrollierte. Nach dem Putsch entfesselte die Junta einen "schmutzigen Krieg" und verfolgte systematisch Gegnerinnen und Gegner des Regimes. Mobile Einsatzkommandos machten Jagd auf vermeintliche linke Oppositionelle: Gewerkschafter, Studenten, Intellektuelle, Journalisten und Anhänger Peróns. Sie wurden meist in geheime Lager gebracht, von denen es mehrere Hundert im ganzen Land gab. Monate-, manchmal jahrelang wurden sie ohne Prozess festgehalten und gefoltert. Viele dieser "Verschwundenen" (Desaparecidos) wurden ermordet.

Sicherheitskräfte verscharrten die Leichen der Opfer an geheimen Orten in anonymen Massengräbern oder warfen sie von Flugzeugen aus in den Rio de la Plata. Eine halbe Million Argentinier flüchteten während dieser Zeit ins Ausland.

Falklandkrieg und das Ende der Diktatur

Mit dem Versuch, die Falklandinseln zu erobern, leitete das Regime im April 1982 seinen eigenen Niedergang ein. Es hatte die Entschlossenheit Großbritanniens unterschätzt, sein Überseegebiet im Südatlantik zu verteidigen. Das Vereinigte Königreich entsandte eine 28.000 Mann starke "Task Force", bestehend aus Marine- und Luftstreitkräften. Nach nur 72 Tagen hatte Großbritannien die argentinischen Truppen geschlagen.

30. März 1982: Polizisten bewachen eine Gruppe von Protestanten, die sie während der größten Anti-Regierungsdemonstration seit dem Putsch aufgegriffen haben. (© picture-alliance/AP)

Durch die Niederlage im Falklandkrieg büßte das Militär an politischer Autorität ein und auch die dauerhaft schlechte Wirtschaftslage verstärkte die Unzufriedenheit. In der Bevölkerung mehrten sich die Proteste gegen die Regierung: Bereits seit dem 30. April 1977 versammelten sich wöchentlich Mütter auf dem zentralen Platz in der Hauptstadt Buenos Aires, um gegen das Verschwinden ihrer Töchter und Söhne zu protestieren. Die Bewegung der "Interner Link: Mütter des Platzes der Mairevolution" (Madres de Plaza de Mayo) sorgte auch international für Aufmerksamkeit. Der wachsende Druck durch die Bevölkerung zwang die Machthaber schließlich, den Weg zur Demokratisierung einzuleiten.

Am 30. Oktober 1983 fanden die ersten freien Wahlen nach mehr als zehn Jahren statt. Das argentinische Volk wählte Raúl Alfonsín von der sozialdemokratisch orientierten "Radikalen Bürgerunion" (Unión Cívica Radical) zum neuen Präsidenten.

Die juristische Aufarbeitung der Militärdiktatur

Noch heute, mehr als 30 Jahre nach dem Ende der Junta, dauert die Interner Link: Aufarbeitung der Interner Link: Diktatur und seiner Verbrechen an. Als eine seiner ersten Amtshandlungen berief Raúl Alfonsín die "Nationale Kommission über das Verschwindenlassen von Personen" (CONADEP) ein. Sie dokumentierte in dem später unter dem Titel Externer Link: Nie wieder (Nunca Más) bekannt gewordenen Abschlussbericht 8.963 Fälle gewaltsamen "Verschwindenlassens". Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International setzen die Zahl mit 15.000 Menschen noch höher an, andere Menschenrechtsgruppen und Medienberichte sprechen von bis zu 30.000.

Außerdem hob der neue Präsident die noch vom Militär angeordnete Amnestie auf und öffnete so den Weg für Prozesse gegen die Täter. 1985 wurden die führenden Mitglieder der Militärjunta zu langen Haftstrafen verurteilt.

Gegen den Willen Alfonsíns wurde das Strafverfahren auch auf untere militärische Ränge ausgeweitet. Allerdings verabschiedete der Kongress auf Druck des wieder erstarkenden Militärs im Dezember 1986 das Schlusspunktgesetz (Ley de Punto Final), nach dem Angehörige der Militärregierung nur noch innerhalb einer Frist von 60 Tagen angeklagt werden konnten. Mit dem wenig später verabschiedeten "Befehlsnotstandsgesetz" (Ley de Obediencia Debida) wurde die Zahl der vorliegenden Anklagen so von 370 auf etwa 40 gesenkt. Der nachfolgende Präsident Carlos Menem setzte diese Politik des Schlussstrichs fort und begnadigte 1989/90 alle Militärs, die wegen Menschenrechtsverbrechen aus der Zeit der Militärdiktatur bereits im Gefängnis saßen oder vor Gericht standen. Die Begnadigung galt auch für Ex-Diktator Videla.

Erst als Néstor Kirchner 2003 Präsident wurde, trat eine Interner Link: Kehrtwende ein: Auf seine Initiative hob der argentinische Kongress die Amnestiegesetze wieder auf. Im Juni 2005 erklärte auch der Oberste Gerichtshof von Argentinien Menems Amnestiedekret von 1990 für verfassungswidrig.

2010 verurteilte ein Gericht in Córdoba den ehemaligen Diktator Jorge Rafael Videla wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft. In einem weiteren Verfahren wurden Videla und Reynaldo Bignone, der letze Chef der Militärjunta, sowie vier weitere ehemalige ranghohe Offiziere im Juli 2012 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Am 17. Mai 2013 starb Videla im Alter von 87 Jahren in einem Gefängnis bei Buenos Aires. Bis heute ist das Schicksal vieler Opfer seines Regimes ungeklärt.

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