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Nationalratswahl in Österreich | Hintergrund aktuell | bpb.de

Nationalratswahl in Österreich

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Am 15. Oktober 2017 wählte Österreich den Nationalrat, die Abgeordnetenkammer des Parlaments. Deutliche Zuwächse erzielten die konservative ÖVP und die rechtspopulistische FPÖ. Die sozialdemokratische SPÖ hielt sich stabil und wurde zweitstärkste Kraft. Österreichs Grüne verloren massiv und verpassten den Einzug in den Nationalrat.

Wahlplakate zur Nationalratswahl 2017 in Österreich. (© picture alliance/APA/picturedesk.com)

Laut Externer Link: vorläufigem Endergebnis vom 19. Oktober 2017 erhielt die ÖVP mit ihrem Spitzenkandidaten Sebastian Kurz 31,5 Prozent der Stimmen (62 Sitze), die FPÖ 26 Prozent (51 Sitze) und die SPÖ 26,9 Prozent (52 Sitze). Österreichs Grüne erlitten starke Verluste und fielen auf 3,8 Prozent.

Damit fallen Die Grünen unter die Vier-Prozent-Hürde und sind nicht mehr im Nationalrat vertreten. Den Einzug schaffte dagegen die Liste Pilz. Laut vorläufigem Endergebnis erreicht die Gruppierung um den ehemaligen Grünen-Abgeordneten Peter Pilz 4,4 Prozent (8 Sitze). Auch die liberalen NEOS werden im Nationalrat vertreten sein, sie erhielten 5,3 Prozent (10 Sitze).

Da die große Interner Link: Koalition zwischen der sozialdemokratischen SPÖ und der konservativen ÖVP im Mai 2017 vorzeitig aufgelöst worden ist, wählten die Österreicherinnen und Österreicher bereits ein Jahr früher als geplant den neuen Nationalrat. Er wird für eine Dauer von fünf Jahren gewählt. Insgesamt ziehen 183 Abgeordnete in den Nationalrat ein, der eine der beiden Kammern des österreichischen Parlaments ist. In diesem Jahr waren rund 6,4 Millionen Bürgerinnen und Bürger zur Wahl aufgerufen. Sie wählten in neun Landeswahlkreisen, die in 39 Regionalwahlkreise aufgeteilt sind.

Wer stand zur Wahl?

Zur Wahl standen die Listen von zehn Parteien und wahlwerbenden Gruppen. Einzelnen Kandidaten kann auf der Liste eine Vorzugsstimme gegeben werden, damit diese in die Nationalversammlung einziehen. In den letzten Externer Link: Umfragen vor der Wahl lag die Österreichische Volkspartei ÖVP mit 33 Prozent klar vorne. Die Partei trat mit der "Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei" an. Die ÖVP gilt als bürgerlich-konservative und christdemokratische Partei und ist eine der zwei traditionellen Großparteien im Land. Sie positioniert sich selbst als "Partei der politischen und gesellschaftlichen Mitte". Spitzenkandidat ist Sebastian Kurz, der im Juli 2017 zum neuen Parteivorsitzenden gewählt wurde und seit 2013 Österreichs Außenminister ist. Kernanliegen der Partei sind ein starker Mittelstand und kontrollierte Zuwanderung.

Die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) ist eine der drei Großparteien Österreichs. Sie stellte bislang den amtierenden Bundeskanzler, Christian Kern. Er führte die Partei auch im diesjährigen Interner Link: Wahlkampf als Spitzenkandidat an. Auch die Erste Nationalratspräsidentin, Doris Bures, gehört der Partei an, womit sie zwei der drei höchsten österreichischen Staatsämter besetzt. Außerdem stellte die SPÖ in der Mehrheit der Regierungen seit 1945 den Bundeskanzler. Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität definieren die Sozialdemokraten als ihre Grundwerte. Kernthemen sind soziale Gerechtigkeit, eine faire Interner Link: Steuerpolitik für die Mittelschicht und Interner Link: Arbeitnehmerrechte. Aktuelle Umfragen sehen die SPÖ bei 23 bis 27 Prozent.

Fast gleichauf mit der SPÖ ist die Interner Link: Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), für die laut Umfragen 25 bis 27 Prozentpunkte erwartet wurden. Die FPÖ, die sich selbst als "soziale Heimatpartei" bezeichnet, wurde 1956 von ehemaligen Nationalsozialisten gegründet und vertritt Interner Link: rechtspopulistische Positionen. Sie setzt sich etwa für ein "traditionelles" Menschen- und Gesellschaftsbild und den Schutz der "nationalen österreichischen Identität" ein. Zu ihren Kernthemen gehören nach eigenen Angaben die Sicherung der Außengrenzen Österreichs und eine faire Sozialpolitik. Spitzenkandidat der FPÖ ist Heinz-Christian Strache, der Parteivorsitzende. In Umfragen weit abgeschlagen finden sich drei weitere Parteien, deren Werte sich knapp über der Vier-Prozent-Hürde befinden.

Die Grünen traten mit Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek an, die derzeit auch Vizepräsidentin des Europa-Parlaments ist. Traditionell konzentrierten sich die 1986 gegründeten Grünen auf Themen wie den Atomausstieg und die Interner Link: Energiewende, die Einhaltung von Interner Link: Menschenrechten und faire und biologische Landwirtschaft.

NEOS – Das Neue Österreich und Liberales Forum definiert sich als Interner Link: liberale Partei Österreichs, welche die traditionelle Parteienlandschaft reformieren will. Sie ist seit der letzten Wahl 2013 erstmalig im Nationalrat vertreten. Kernthemen der Liberalen sind Bildungsgleichheit, ein starkes Europa und mehr Freiheiten für Unternehmen.

Die Liste Peter Pilz wurde im Juli 2017 vom ehemaligen Grünen-Abgeordneten Peter Pilz gegründet und tritt erstmals zur Nationalratswahl an. Die wahlwerbende Gruppe – eine Vereinigung, die eine Wahlliste stellt – hat derzeit vier Mitglieder und plant nicht, sich formell als Partei zu gründen, sondern definiert sich über die einzelnen Listenkandidaten und ihre politischen Schwerpunkte. Zentrale Themen sind Migration und Flüchtlingspolitik sowie Umverteilung und Gerechtigkeit.

Weitere Listen, die zur Wahl standen, waren: Die Weissen, Freie Liste Österreichs & FPS-Liste Dr. Karl Schnell (FLÖ), Kommunistische Partei Österreichs und Plattform PLUS – offene Liste (KPÖ) und Liste Roland Düringer – Meine Stimme Gilt. Dazu traten weitere Parteien nur in einzelnen Landeswahlkreisen an.

Wahlumfragen und ihre Aussagekraft

Die letzte Sonntagsfrage "Welche Partei würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Nationalratswahl wäre?" wurde vom Meinungsforschungsinstitut "research affairs" im Auftrag der Tageszeitung "Österreich" am 9.10.2017 veröffentlicht. In Österreich ist es die Regel, dass Umfragen zur Sonntagsfrage von privaten Meinungs- und Marktforschungsinstituten im Auftrag von Medien durchgeführt werden. Die Umfrageinstitute weisen jedoch ausdrücklich darauf hin, dass ihre Erhebungen nicht den Wahlausgang vorhersagen können. So macht etwa das Institut IMAS mit Blick auf den von ihnr ermittelten Externer Link: Antworten zur Sonntagsfrage deutlich, dass es sich um eine" IST-Messung" handelt und zahlreiche Faktoren die "Prognosefähigkeit massiv beeinflussen". Dazu gehört eine allgemeine Schwankungsbreite, die bei der genannten "research affairs"-Sonntagsfrage bei +/-3,2 Prozent lag.

Hinzu kommen Faktoren wie Personen, die sich erst kurz vor der Wahl entscheiden oder umentscheiden; Personen, die sich nicht über ihre Wahlabsicht äußern wollen, Wechselwähler und medienwirksame Ereignisse kurz vor dem Wahltermin, welche die Aussagekraft von Umfragen auch nach eigenen Angaben der Institute vor der Wahl stark einschränken können. Der Nutzen und die Effekte von Umfragen im Vorfeld von Wahlen sind umstritten.

Wahlkampfthemen und Wahlprogramme

Dominierende Wahlkampfthemen waren Arbeit und Steuern, Flucht und Asyl, Bildung, Gesundheit, Familie und Europa.

Die ÖVP fordert Steuersenkungen von 14 Milliarden Euro pro Jahr und eine reduzierte Mindestsicherung für Asylberechtigte. Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft sollen erst nach fünf Jahren Interner Link: Sozialleistungen erhalten können. Die öffentliche Interner Link: Überwachung soll ausgeweitet werden. Mit Blick auf Migration nach Europa spricht sich Sebastian Kurz für die Schließung der Mittelmeerroute aus. Die Kompetenzen der EU möchte die ÖVP einschränken und schlägt einen "Subsidiaritätspakt" vor.

Mit "Plan A" als Teil ihres Wahlprogramms setzt die SPÖ auf Steuerentlastungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie sieht einen Mindestlohn von 1.500 Euro und eine Erhöhung der Mindestpension vor. Zudem möchte sie eine Erbschaftssteuer ab einer Million Euro einführen. In der EU will die SPÖ an einer engen Zusammenarbeit, besonders bei den Themen Migration, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik festhalten, und setzt sich – wie die ÖVP und die Grünen – für eine EU-weite Interner Link: Finanztransaktionssteuer ein.

Die FPÖ fordert mehr direkte Demokratie, Steuerentlastungen und will die Pflichtmitgliedschaft in Wirtschafts- und Arbeiterkammer abschaffen. Die rechtspopulistische Partei will Zuwanderung stoppen. Zugang zu Sozialleistungen sollen laut FPÖ nur noch Österreicher oder Beitragszahler nach fünf Jahren haben, Österreicher sollen auf dem Arbeitsmarkt bevorzugt behandelt werden. Die FPÖ will, dass die Interner Link: EU Kompetenzen an Österreich zurücküberträgt und aus dem Europäischen Stabilisierungsmechanismus austritt.

Die Grünen setzen sich für ein erwerbsunabhängiges Grundeinkommen und weniger Steuern bei kleineren und mittleren Einkommensklassen ein. Zu ihrem Wahlprogramm gehört auch die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 1.750 Euro. Das Ziel der Partei ist, bis 2030 Strom zu 100 Prozent aus Interner Link: erneuerbaren Energien zu gewinnen. Asylverfahren sollen beschleunigt und Ausbildungschancen für Flüchtlinge verbessert werden.

Neos streben eine Reduzierung der Staatsausgaben um 19 Milliarden Euro an. In ihrem "Zukunftsmanifest" fordert die junge Partei Autonomie an Schulen, ein Ministerium für Interner Link: Innovation und Digitalisierung und einen frühen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz. Für ein "gemeinsames Europa" wollen sich die Neos unter anderem für eine EU-Armee einsetzen.

Die Liste Pilz hat kein Wahlprogramm: "Bei uns wird es keinen Klubzwang und kein Interner Link: Parteiprogramm geben. Unsere Kandidatinnen und Kandidaten sind unsere Programme", besagt ihre Website.

Eines der meistgenutzten Tools, um sich Orientierung über die Themen der Nationalratswahl zu verschaffen, ist Externer Link: wahlkabine.at. Es wurde gemeinsam vom Institut für Neue Kulturtechnologien in Kooperation mit anderen politikwissenschaftlichen Instituten und Gesellschaften erstellt. User beziehen zu 26 Fragen Stellung, gewichten sie auf einer Skala von eins bis neun und die Ergebnisse können anschließend mit den Standpunkten der Parteien verglichen werden.

Das Parlament in Österreich

Österreich hat ein Zweikammerparlament. Die österreichischen Staatsbürger wählen die 183 Abgeordneten des Nationalrats nach Verhältniswahlrecht für fünf Jahre. Für Parteien besteht eine Vier-Prozent-Hürde. Der Nationalrat ist etwa vergleichbar mit dem Bundestag. Er hat unter anderem die Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren.

Die zweite Kammer des Parlaments ist der Bundesrat, der aus 61 Mitgliedern besteht, die von den Landtagen gewählt werden. Er vertritt die Interessen der Bundesländer. Die neun Bundesländer Österreichs entsenden je nach Bevölkerungsgröße zwischen drei und zwölf Mitgliedern.

Öffentliche Debatten

Die Wahlkampfthemen wurden auch in Unterhaltungsformaten diskutiert. Am vergangenen Mittwoch fand im ORF ein vielbeachtetes TV-Duell zwischen SPÖ-Spitzenkandidat Christian Kern und ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz statt. Kerns SPÖ wolle demnach "dafür sorgen, dass es in Österreich gerecht zugeht", der amtierende Bundeskanzler warnte vor Sozialabbau unter der ÖVP. Kurz sprach hingegen von Steuererleichterungen, auch "für kleine und mittlere Einkommen", und appellierte an den "Mut zur Veränderung". Neben den inhaltlichen Debatten prägte die Affäre um eine "Schmutzkübelkampagne" gegen Sebastian Kurz den Wahlkampf. Auf zwei Facebook-Seiten sowie in mehreren Videos wurde der ÖVP-Chef unter anderem mit rassistischen und antisemitischen Botschaften sowie Falschaussagen in Verbindung gebracht. Die österreichischen Medien "Die Presse" und "Profil" enthüllten Ende September, dass diese Kampagne von Tal Silberstein verantwortet wurde, einem ehemaligen Wahlkampfberater der SPÖ, der ein eigenes Wahlkampfteam beaufsichtigte. SPÖ-Parteivorsitzender Christian Kern gab an, nichts davon gewusst zu haben und versprach Aufklärung.

Koalitionsmöglichkeiten in der Diskussion

Für eine absolute Mehrheit im Parlament sind mindestens 92 der 183 Sitze nötig. Sowohl eine Koalition aus ÖVP und SPÖ als auch eine Koalition aus ÖVP und FPÖ wären nun möglich. Die beiden Varianten gelten rechnerisch als am wahrscheinlichsten, und die inhaltlichen Schnittmengen zwischen der ÖVP und der FPÖ als am größten. Das Verhältnis von ÖVP und SPÖ ist nicht nur durch die Silberstein-Affäre, sondern auch durch die vergangene gemeinsame Legislaturperiode angespannt. Dass eine Koalition aus SPÖ und FPÖ zusammen mit einer dritten Partei zustande kommt, gilt als unwahrscheinlich, da sowohl die Grünen, als auch Neos oder die Liste Pilz sich offen gegen die rechtspopulistische FPÖ wenden.

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