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Parlamentswahl in Ungarn

Redaktion

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Bei der Parlamentswahl in Ungarn kommt die national-konservative Fidesz-Partei in Koalition mit der christlich-konservativen KDNP nach vorläufigem Endergebnis auf 48,8 Prozent der Stimmen. Der amtierende Ministerpräsident Victor Orbán kann mit diesem vorläufigen Ergebnis seine dritte Amtszeit in Folge antreten.

Victor Orbán, amtierender Ministerpräsident Ungarns, bei einer Rede anlässlich des ungarischen Nationalfeiertags am 15. März 2018. (© picture-alliance/AP)

Rund acht Millionen Menschen waren am 8. April aufgerufen, die Mitglieder der Ungarischen Nationalversammlung zu wählen. Laut vorläufigem Endergebnis erlangte die national-konservative Fidesz Partei in Koalition mit der KDNP 48,8% der Stimmen und damit voraussichtlich 133 der 199 Sitze im Parlament. Der amtierende Ministerpräsident Victor Orbán kann mit diesem vorläufigen Ergebnis seine dritte Amtszeit in Folge antreten.

Zweitstärkste Kraft wurde die rechtsradikale Jobbik-Partei mit 19,7%. Die sozialistische MSZP kam auf 12,4% der Stimmen. Fidesz-KDNP wird damit wahrscheinlich eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit erlangen, dies wird aber erst nach der Auszählung der Stimmen aller im Ausland lebenden Stimmberechtigten feststehen. Die Wahlbeteiligung lag bei 69,3% und ist damit um 7 Punkte höher, als noch bei den Wahlen 2014.

Parlamentswahl 2014

Orbán regiert das Land seit 2010 in einer Regierungskoalition seiner Partei – dem Bund der Jungen Demokraten (Fidesz) und der Christlich-Demokratischen Volkspartei (KDNP). Bei den Wahlen 2014 sicherte sich Fidesz-KDNP mit einer knappen parlamentarischen Zweidrittelmehrheitbei 133, der 199 Mandate im Parlament. Bei zwei Nachwahlen 2015 verlor die Regierungskoalition ihre Zweidrittelmehrheit allerdings wieder, da Kandidaten der Opposition die Nachwahlen für sich entscheiden konnten. Die linken und bürgerlichen Oppositionsparteien – vor allem die Sozialisten (MSZP) – durchliefen in den vergangenen Jahren eine massive Krise. 2014 konnte die Mitte-Links-Allianz unter Führung der MSZP gerade einmal 38 Parlaments-Sitze gewinnen. Bei Wahlen zweitstärkste Kraft war in den vergangenen Jahren die offen rechtsradikal auftretende Interner Link: Partei Jobbik. Sie trat nicht nur gegen die Zuwanderung von Flüchtlingen auf, sondern sieht sich auch als Bollwerk gegen den Liberalismus und ist in Teilen Interner Link: antisemitisch. Zuletzt gab sie sich öffentlich deutlich gemäßigter, kommt aus Sicht der MSZE als Koalitionspartner aber nicht in Frage.

Fidesz trat unter Orbáns Führung auch diesmal wieder mit der verbündeten KDNP an. Als wichtigster Herausforderer Orbáns galt der 42-jährige Gergely Karácsony. Er war Spitzenkandidat eines Bündnisses der MSZP mit der von ihm geführten grün-liberalen Kleinpartei "Dialog für Ungarn" (PM) sowie der einst von den Sozialisten abgespaltenen "Demokratischen Koalition" (DK) und drei kleineren linken und liberalen Parteien. Die Allianz kam in Umfragen jedoch nur auf Werte von 10 bis 15 Prozent.

Politisches System Ungarns

Ungarn hat eine Fläche von ungefähr 93.036 km² und rund 9.818.000 Einwohner und Einwohnerinnen. Hauptstadt und Sitz der Regierung ist Budapest. Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1989 ist Ungarn eine parlamentarische Republik. Das Parlament ist das oberste Staatsorgan und verkörpert die Volkssouveränität. Die Abgeordneten des Parlaments werden alle vier Jahre gewählt. Aktuell setzt sich das Parlament aus 199 Mandaten zusammen, davon werden 106 Mandate in Einerwahlkreisen nach relativem Mehrheitswahlrecht gewählt und 93 Mandate nach dem Verhältniswahlrecht. Das ungarische Parlament wählt den Präsidenten der Republik und den Ministerpräsidenten. 2011 verabschiedete das ungarische Parlament ein neues Wahlgesetz. Im Rahmen dieses neuen Gesetzes wurde unter anderem die Anzahl der Abgeordneten wurde von 386 auf 199 verringert. Mehr Informationen finden Sie hier.

Wahlkampf

Der Wahlkampf, den Victor Orbán mit der Fidesz-Partei in den vergangenen Wochen führte, war von stark nationalistischen Tönen gekennzeichnet. Der Ministerpräsident warb in Anlehnung an US-Präsident Interner Link: Donald Trump mit dem Slogan "Ungarn zuerst" um Wählerinnen und Wähler. Mitte März sagte Orbán bei einer Wahlkampfveranstaltung in Budapest: "Man will uns unser Land wegnehmen." Auch wenn der "Landraub" diesmal "nicht mit einem Federstrich" erfolge, wie dies in den Friedensverträgen nach dem Ersten Weltkrieg geschehen sei, als Ungarn zwei Drittel seines Gebiets hatte abtreten müssen, wolle man doch, „dass wir unser Land im Laufe mehrerer Jahrzehnte freiwillig anderen überlassen, Fremden, die von anderen Kontinenten kommen“ und die Kultur und Gesetze Ungarns nicht "respektieren".

Auch der Opposition und kritischen Medien drohte Orbán: "Wir sind sanfte und freundliche Menschen, aber wir sind weder blind noch tölpelhaft. Nach der Wahl werden wir uns natürlich Genugtuung verschaffen – moralische, politische und auch juristische Genugtuung." Der Mainzer Politologe Gerd Mielke macht sich große Sorgen um die Demokratie des Landes, das nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1989 gut viereinhalb Jahrzehnte von der Sowjetunion besetzt war. Er zählt Ungarn zur Gruppe der sogenannten "defekten Demokratien".

Orban profitiert von Änderungen des Wahlsystems

Vor allem Änderungen des Wahlsystems 2011 hätten Orbán und seiner Partei "einen fast uneinholbaren Begünstigungsfaktor verschafft", so Mielke. Er kritisiert, dass das Parlament unter Orbán nicht nur beinahe halbiert wurde, sondern, dass die Zahl der Wahlkreismandate im Verhältnis zu den nach tatsächlichen Stimmanteilen der Parteien vergebenen Listenmandaten massiv erhöht wurde. 106 Direktmandate stehen nun 93 Listenmandaten gegenüber. "Das Besondere an diesen Wahlkreismandaten ist die Regelung, dass das Mandat schon im ersten Wahlgang für den Kandidaten mit der relativen Mehrheit vergeben wird", so Mielke. Dies bringe einen starken Verzerrungseffekt zugunsten der relativ größten Partei hervor, die flächendeckend gut und gleichmäßig organisiert ist. Fidesz gelang es so 2014 im Listenbündnis mit der christlich-demokratischen KDNP mit gerade einmal gut 45 Prozent der Stimmen, zwei Drittel der Sitze zu erringen.

Die US-amerikanische Expertin für ungarisches Verfassungsrecht, Kim Lane Scheppele, kam bereits 2014 zu dem Ergebnis, dass die Wahlen in Ungarn aufgrund des Wahlsystems nicht mehr als fair und frei zu bezeichnen seien. Bei der 2011 verabschiedeten Reform handle es sich ihrer Meinung nach nicht bloß um eine Stärkung der Elemente eines Interner Link: Mehrheitswahlsystems. Die ungarische Regierung hatte bei der Neuordnung der Wahlkreise gezielt zu ihren Gunsten manipuliert. So wurden Wahlkreise, in denen die Interner Link: Opposition zuvor noch eine Mehrheit hatte, gespalten und solche, in denen Fidesz bereits zuvor eine Mehrheit hatte, wurden vergrößert.

Der Politikwissenschaftler Mielke ist überzeugt: "Nimmt man noch die Gängelung der Medien und der Justiz hinzu, so zeichnet sich seit einiger Zeit in der Tat eine Verschlechterung der demokratischen Standards ab – und dies durch gezielte Maßnahmen der Regierungspartei."

Die amerikanische Nichtregierungsorganisation Externer Link: Freedom House, die seit vielen Jahren den Zustand der Demokratien auf der Welt bewertet, sieht die Entwicklung des politischen Systems in Ungarn ebenfalls kritisch. Freedom House gibt Ungarn bei der Bewertung der politischen Rechte im Land nur 28 von 40 möglichen Punkten. 2016 waren es noch vier Punkte mehr gewesen. Zum Vergleich: Deutschland bekommt von der NGO 39 von 40 möglichen Punkten. Neben der Einflussnahme der Regierung auf die Medien, insbesondere die öffentlich-rechtlichen, gefährdeten auch die ungleichen Werbe- und Finanzmittel einen fairen Wahlkampf, analysiert Freedom House.

Orbans Fidesz lag in Umfragen vorne

Umfragen sahen Fidesz-KDNP in der Wählergunst klar in Führung – zuletzt lag die Partei bei Zustimmungswerten von knapp unter 50 Prozent. Die Wählerschaft ist allerdings stark polarisiert. Neben der in Teilen der Bevölkerung großen Armut sorgen auch Korruption und das darbende Gesundheits- und Bildungssystem für Unmut.

Bei der Bürgermeisterwahl in der konservativen Fidesz -Hochburg Hódmezövásárhely im Februar gab es allerdings eine Überraschung. Die Opposition hatte geschlossen einen unabhängigen Kandidaten unterstützt. Das Spektrum reichte von den Sozialisten (MSZP) über die Demokratische Koalition (DK), die Ökopartei LMP, die liberale Együtt, die neue Jugendpartei Momentum bis zu Jobbik. Der Herausforderer schlug den Fidesz -Kandidaten relativ deutlich mit 57 Prozent der Stimmen.

Ungarische Wahlforscher und Wahlforscherinnen gaben der Opposition deshalb auch bei den anstehenden Parlamentswahlen durchaus Chancen für den Fall, dass sie sich lagerübergreifend auf einen gemeinsamen Kandidaten oder Kandidatin je Wahlkreis verständigen würde – dies ist jedoch aufgrund der erheblichen ideologischen Unterschiede nur in einzelnen Regionen gelungen. Vor allem Jobbik hatte sich solchen Bestrebungen verweigert.

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