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Vor 30 Jahren: Rechtsextreme Ausschreitungen in Hoyerswerda

Redaktion

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Ab dem 17. September 1991 kam es in der sächsischen Stadt Hoyerswerda zu schweren rassistischen Ausschreitungen, an denen sich Hunderte Menschen beteiligten. Die Vorfälle sorgten landesweit und international für Aufsehen.

Nach den schweren rechtsextremen Ausschreitungen verließen die Bewohner des attackierten Asylbewerberheimes in der Thomas-Müntzer-Straße Hoyerswerda. (© picture-alliance / ZB | Thomas Lehmann)

Zwischen dem 17. und dem 23. September 1991 ereigneten sich in der sächsischen Stadt Hoyerswerda mehrere rassistisch motivierte Übergriffe, die sich gegen Bewohnerinnen und Bewohner eines Vertragsarbeiterwohnheims und einer Flüchtlingsunterkunft richteten. Die Ausschreitungen standen am Beginn einer Serie von rechtsextremen Gewalttaten in den 1990er-Jahren in Deutschland und lösten eine Debatte über Rassismus und rechte Gewalt aus. Anlässlich des 30. Jahrestages der Ausschreitungen finden in diesem Jahr zahlreiche Gedenkveranstaltungen statt.

Geschichte Hoyerswerdas

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Hoyerswerda eine sächsische Kleinstadt mit etwa 7.000 Einwohnern. Ab dem Jahr 1955 entstand wenige Kilometer nördlich der Stadtgrenzen, in Schwarze Pumpe, das größte Braunkohlekombinat der DDR. In Hoyerswerda wurde deswegen jenseits der historischen Ortsgrenzen eine große Wohnstadt für Arbeiterinnen und Arbeiter errichtet. 1981 lebten fast 72.000 Menschen in Hoyerswerda, darunter überdurchschnittlich viele junge Menschen. Zeitweise galt die Stadt als eine der kinderreichsten in der DDR. Die einheimische Bevölkerung lebte weitestgehend friedlich mit den so genannten "Vertragsarbeitern" aus anderen sozialistischen Ländern nebeneinander, oft aber ohne persönlichen Kontakt.

Nach der Wiedervereinigung begann der Zusammenbruch der Schwerindustrie, von der Hoyerswerda abhängig war. Insgesamt gingen in der Region bis zu 150.000 Arbeitsplätze verloren. Die Einwohnerzahl der Stadt schrumpfte rapide, im Jahr 1991 lebten dort 62.400 Menschen, heute sind es noch etwa 32.000. Die Arbeitslosenquote stieg im Laufe der 1990er-Jahre auf zeitweise über 26 Prozent an. Gleichzeitig gewannen rechtsextreme Akteure an Einfluss. Bereits im Juni 1991 gab es eine rechtsextreme "Bürgerwehr" in der Stadt. Ende August 1991 griffen Rechtsextreme ein Wohnlager für Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Schwarze Pumpe an und brannten es nieder.

Beginn der Ausschreitungen im September 1991

Am späten Nachmittag des 17. September 1991 attackierte eine Gruppe rechtextremer Jugendlicher auf dem Lausitzer Platz in Hoyerswerda-Neustadt vietnamesische Zigarettenhändler. Die Vietnamesen flüchteten in die Albert-Schweitzer-Straße, wo sich die Wohnunterkunft für die verbliebenen Vertragsarbeiter aus Mosambik und Vietnam befand. Dort sammelte sich eine Gruppe von Rechtsextremen, die das Haus mit Steinen bewarfen. Die Polizei griff zunächst nur zögerlich ein, erst gegen 19:30 Uhr traf ein Einsatzkommando ein, dem es bis 21 Uhr gelang, die Lage zunächst unter Kontrolle zu bringen.

Im Laufe des Abends und des folgenden Tages sprach sich in der Stadt herum, dass es vor den Vertragsarbeiterunterkünften zu Ausschreitungen gekommen war. Am Nachmittag sammelte sich eine noch größere gewaltbereite Menschenmenge in der Albert-Schweitzer-Straße. Auch viele Anwohnerinnen und Anwohner feuerten die rechtsextremen Randalierer zu Gewalttaten an. Es kam zu pogromartigen Zuständen. Die in dem Gebäude eingeschlossenen Menschen aus Mosambik und Vietnam wehrten sich zwar ihrerseits. Doch der randalierende Mob vor dem Haus wuchs in den darauffolgenden Tagen weiter an und umfasste zwischenzeitlich bis zu 500 Gewaltbereite, Sympathisantinnen und Sympathisanten sowie Schaulustige.

Angriff auf Asylbewerberheim

Die Gewaltausschreitungen hielten bis zum 20. September an. Erst dann sperrte die Polizei das Areal rund um die Vertragsarbeiterunterkunft ab. Nun zogen die Gewalttäter zum Asylbewerberheim in der Thomas-Müntzer-Straße, wo zu dieser Zeit mehr als 200 Flüchtlinge lebten und griffen sie mit Steinen, Stahlkugeln und Molotowcocktails an. Sachsens damaliger Innenminister Rudolf Krause (CDU) schlug vor, das Asylbewerberheim einzuzäunen. Erst am 23. September 1991 evakuierten die Behörden schließlich das Gebäude. Die Asylbewerberinnen und Asylbewerbern wurden mit Bussen aus der Stadt gebracht. Rechtsextreme und ihre Anhängerinnen und Anhänger attackierten auch die Busse und feierten anschließend, dass Hoyerswerda nun vermeintlich "ausländerfrei" sei. Die Polizei nahm 83 Menschen fest. Insgesamt wurden 32 Menschen bei den rassistischen Ausschreitungen verletzt.

Die Bilder aus Hoyerswerda verbreiteten sich in den Medien und lösten in Deutschland und weltweit Entsetzen aus. Hoyerswerda wurde zu einem Symbol für rassistische Gewalt in Deutschland. Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" vermerkte, dass der "hässliche Deutsche" in Hoyerswerda sein "Coming-out" gehabt hätte. Hamburgs Ausländerbeauftragter Günter Apel (SPD) sagte, dass die Ausschreitungen "nach der Reichspogromnacht 1938 ungefähr das Schlimmste" seien, "was sich je auf deutschem Boden abgespielt" habe. Bis heute stufen Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler die Evakuierung der Flüchtlinge als "Kapitulation" vor den Rechtsextremen ein.

Serie von rechtsextremen Gewalttaten in den 1990er-Jahren

Kritik gab es vor allem am Verhalten der Polizei. Der Vorwurf: Durch ein rechtzeitiges und gewissenhaftes Eingreifen hätten die fast einwöchigen Ausschreitungen gestoppt werden können. Insgesamt 19 rechtsextreme Gewalttäter mussten sich ab dem 11. Oktober 1991 vor Gericht verantworten. Die Jugendlichen wurden zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt, die erwachsenen Täter erhielten Bewährungsstrafen.

Die Ausschreitungen in Hoyerswerda waren der Beginn einer Serie von rechtsextremen Gewalttaten in den 1990er-Jahren. Im August 1992 griffen Rechtsextreme ein Asylbewerberheim und eine Unterkunft für Vertragsarbeiter in Rostock-Lichtenhagen an. Die Ausschreitungen dauerten vor den Augen der Polizei mehrere Tage an. Im November des gleichen Jahres verübten Neonazis einen Brandanschlag auf ein von türkischen Familien bewohntes Haus in der schleswig-holsteinischen Stadt Mölln, bei dem drei Menschen starben. Wiederum ein halbes Jahr später, im Mai 1993, kamen fünf türkischstämmige Frauen und Mädchen bei einem Brandanschlag auf ein Wohnhaus im nordrhein-westfälischen Solingen ums Leben.

Rassismus: Ein gesamtdeutsches Problem

Im Laufe der 1990er Jahre entwickelte sich der aufkommende Rassismus und Rechtsextremismus zu einem gesamtdeutschen Problem. Die rechtsextreme DVU zog 1991 in Fraktionsstärke in die Bremer Bürgerschaft und 1992 in den Landtag von Schleswig-Holstein ein. Die rechtsradikalen "Republikaner" bekamen bei der Landtagswahl 1992 in Baden-Württemberg 10,9 Prozent der Stimmen. Gegen die zunehmende rassistische Gewalt regte sich jedoch auch zivilgesellschaftlicher Protest: Es kam zu Demonstrationen mit teilweise Hunderttausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sich gegen rassistische Gewalt positionierten.

In jenen Jahren beeinflusste die gestiegene Zahl von Flüchtlingen das politische Klima in Deutschland. Eine Ursache für die Zunahme waren die Jugoslawienkriege der 1990er Jahre. Die Bundesregierung aus CDU, CSU und FDP einigten sich 1993 mit der SPD auf den sogenannten "Asylkompromiss", der eine Änderung des Grundgesetztes zur Folge hatte: Geflüchtete, die sich zuvor in Drittländern oder "sicheren Herkunftsstaaten" aufgehalten haben, haben seitdem keinen Anspruch mehr auf Asyl in Deutschland. Kritikerinnen und Kritiker sehen darin die de facto Abschaffung des Grundrechts auf Asyl in Deutschland.

Im Osten Deutschlands verfestigten sich – auch vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der früheren DDR-Wirtschaft und der daraus resultierenden sozialen Umbrüche– rechtsextreme Strukturen besonders stark. Rechtsextremismus war in den 1990er-Jahren in den östlichen Bundesländern flächendeckend in der Jugendkultur verankert.

Folgen und Gedenken

Als im Jahr 2014 die Zahl von Flüchtlingen nach Deutschland zunahm, wurde in Hoyerswerda – erstmals seit 1991 – wieder ein Wohnheim für Asylbewerberinnen und Asylbewerber eingerichtet. Es bildete sich eine Bürgerinitiative unter dem Namen "Hoyerswerda hilft mit Herz", die bis heute aktiv ist und bei der Unterbringung, Betreuung und Unterstützung von Asylsuchenden hilft. Seit Oktober 2015 hat die Stadt auch einen Beauftragten für Asyl und Integration. Trotz des zivilgesellschaftlichen Engagements ist das Problem rechtsextremer Gewalt jedoch bis heute nicht aus Hoyerswerda und Deutschland insgesamt verschwunden.

Im Zuge der flüchtlingspolitischen Debatte der 2010er-Jahre kam es abermals zu rechtsextremen Ausschreitungen. Im sächsischen Freital versuchten im Juni 2015 bis zu 1.500 Demonstrantinnen und Demonstranten die Belegung eines ehemaligen Hotels mit Asylbewerberinnen und Asylbewerbern zu verhindern. Im August 2015 fanden gewaltsame rassistische Ausschreitungen in Heidenau statt. In der Öffentlichkeit wurden damals Parallelen zu den Gewalttaten der frühen 1990er-Jahren gezogen.

An die Ausschreitungen in Hoyerswerda wird anlässlich des 30. Jahrestages in diesem Jahr mit einer Vielzahl von Gedenkveranstaltungen erinnert. So organisiert die Initiative "Zivilcourage Hoyerswerda" ein Gedenkwochenende. Daran nehmen auch Vertreterinnen und Vertreter der Städte Rostock, Mölln und Solingen teil.

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