Das Gesundheitswesen in Deutschland – Ein Überblick
Thomas Gerlinger, Wolfram Burkhardt
Das Gesundheitswesen mit seinen aktuellen Problemen und Zukunftsaussichten ist ein Dauerbrenner in der politischen Arena. Eine spürbare Folge ist eine wachsende Skepsis in der Bevölkerung im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems. Kenntnisse der Strukturen, Akteure und Funktionsprinzipien des Gesundheitswesens sind hilfreich, um sich als Bürgerinnen und Bürger in die politische Diskussion über die Zukunft dieses zentralen Sektors unserer Gesellschaft einzumischen.
Stetig wachsende Bedeutung und große Zukunftschancen
Die persönliche Gesundheit, deren Erhalt oder Wiederherstellung, gehört für alle Menschen zu den wichtigsten Themen und größten Besorgnissen. Ein gewisses Maß an Gesundheit ist die Grundvoraussetzung für alle Lebensvollzüge. Seit es Menschen gibt, haben sich daher professionelle Strukturen um das Thema Gesundheit herum ausgebildet: Die Personen und Einrichtungen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeiten mit der Erhaltung der Gesundheit der Bevölkerung sowie der Behandlung von Krankheiten befasst sind, bilden den Kern des Gesundheitswesens.
Mit dem Entstehen der modernen Industriegesellschaften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind Gesundheit und medizinische Versorgung der Bevölkerung zunehmend auch zu einer wichtigen politischen Frage geworden. Der Staat hat seither viele die Gesundheit berührende Bereiche durch Gesetze geregelt, Institutionen gegründet und Zuständigkeiten festgelegt. Für die Entwicklung des Gesundheitssystems in Deutschland war die Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung durch die bismarckische Sozialgesetzgebung im Jahr 1883 besonders prägend.
Neben den Aktivitäten des Staates und seiner Institutionen haben natürlich die Dynamik des medizinischen Fortschritts, die zunehmende Vielfalt von gesundheitsbezogenen Produkten, Dienstleistungen und Anbietern sowie die stetig wachsende Nachfrage der Bevölkerung nach Gesundheitsleistungen wesentlich dazu beitragen, dass das Gesundheitswesen inzwischen zu einem der bedeutsamsten gesellschaftlichen Teilsysteme und Wirtschaftssektoren geworden ist.
Die Bedeutung des Gesundheitswesens wird in den kommenden Jahrzehnten noch weiter wachsen: Deutschland ist eine alternde Gesellschaft. Dafür ist einerseits die geringe Geburtenzahl verantwortlich und andererseits die noch immer zunehmende Lebenserwartung. Menschen über 60 Jahre werden in einigen Jahren die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Mit der größeren Zahl älterer Bürgerinnen und Bürger wird auch der Bedarf an Gesundheits- und Pflegeleistungen wachsen.
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Welche Faktoren die zunehmende Alterung der Bevölkerung in Deutschland bewirken und welche Konsequenzen diese Entwicklung für das Gesundheitswesen haben wird, erläutern die Lernobjekte "Demografischer Wandel" und "Demografie und GKV-Finanzen" in der Lerntour "Reformbedarf in der GKV-Finanzierung". Zur Lerntour
Die Kombination von steigender Nachfrage infolge des demografischen Wandels und einem sich weiter dynamisch entwickelnden medizinischen Fortschritt weckt die Hoffnung, dass im Gesundheitssektor in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zahlreiche neue Arbeitsplätze entstehen können. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass einige der bestehenden Strukturen des Gesundheitswesens reformiert werden.
Tipp
Testen Sie Ihr Vorwissen zum Thema dieser Lerntour!
Bevor Sie weiterlesen, können Sie anhand eines Lückentextes ausprobieren, was Sie bereits über das Thema "Gesundheitswesen in Deutschland" wissen.
Nutzen Sie später das ausgefüllte Arbeitsblatt als Zusammenfassung wesentlicher Lerninhalte.
"Das deutsche Gesundheitswesen bietet eine hochwertige Versorgung" – dieser Aussage stimmten in einer repräsentativen Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) im Jahr 2002 knapp 18 Prozent der Bevölkerung "voll und ganz" zu (Zok 2003). Noch im Jahr 1999 hatten in einer Umfrage im Auftrag des Arzneimittelherstellers Janssen-Cilag auf die fast gleichlautende Frage 33 Prozent "voll und ganz" zugestimmt (Wasem 1999).
Auch wenn man berücksichtigt, dass in der neueren Umfrage des WIdO nur gesetzlich Versicherte, in der Janssen-Cilag-Studie jedoch die Gesamtbevölkerung (einschließlich Privatversicherte) befragt wurden, lässt sich aufgrund dieser Ergebnisse konstatieren, dass die Zufriedenheit der Bevölkerung mit dem Gesundheitswesen in den letzten Jahren deutlich abgenommen hat.
Ist die gesundheitliche Versorgung in Deutschland zwischen 1999 und 2002 tatsächlich schlechter geworden, sodass eine abnehmende Zufriedenheit erklärbar wäre? Bei nüchterner Betrachtung dürfte man wohl zu folgender Einschätzung kommen: Die tatsächliche Versorgung ist im Großen und Ganzen weitgehend gleich gut und bei vielen einzelnen Krankheiten sogar eher besser als schlechter geworden. Aber: Die "Stimmung" und das Bild des Gesundheitswesens in der Öffentlichkeit sind in den letzten Jahren zunehmend negativer geworden.
Bei vielen Bürgerinnen und Bürgern dürfte der Eindruck vorherrschen, dass das deutsche Gesundheitswesen selbst schwer krank ist. Wie wäre sonst zu erklären, dass die Gesundheitspolitik in immer kürzeren Abständen mit neuen Reformgesetzen eingreifen muss?
Die Deutschen sind besonders kritisch
"Es besteht der Eindruck, dass in keinem anderen hoch industrialisierten Land der Welt so kritisch über das eigene Gesundheitswesen diskutiert wird wie in Deutschland."
Fritz Beske Institut für Gesundheits-System-Forschung Kiel: Pressemitteilung vom 19. April 2004
Doch wie groß sind die Probleme wirklich? Wird nicht vieles übertrieben oder aus Eigeninteresse von beteiligten Gruppen und Institutionen sogar falsch dargestellt? Wie sind die zahlreichen Reformmodelle und Änderungsvorschläge zu bewerten? Wer sind jeweils die Gewinner, und wer zahlt am Ende drauf?
Die Gesundheitspolitik ist ein besonders schwieriges Feld, weil das Gesundheitswesen selbst ein sehr komplexes Gebilde von Berufen, Aufgaben, Institutionen, wirtschaftlichen Interessen, ethischen Ansprüchen, rechtlichen Vorgaben usw. darstellt. Wo selbst viele Expertinnen und Experten sowie Politikerinnen und Politiker Mühe haben, den Überblick zu bewahren, kapitulieren die Bürgerinnen und Bürger erst recht.
Das E-Learning-Angebot der bpb zur Gesundheitspolitik bietet Ihnen Gelegenheit, sich mit den drängendsten Problemen und den konkreten Reformvorschlägen eingehender zu befassen. Ziel ist es, die Bürgerinnen und Bürger zur Beteiligung an der wichtigen Diskussion über die zukünftige Gestaltung des Gesundheitswesens zu ermuntern.
Für das Verständnis des Reformbedarfs, der bereits laufenden Umbau- und Modernisierungsprozesse sowie der vielfältigen Vorschläge für weitere Reformmaßnahmen sind Kenntnisse der wichtigsten Strukturen, Akteure und Funktionsprinzipien des deutschen Gesundheitswesens nützlich beziehungsweise unverzichtbar. Die Lerntour "Das Gesundheitswesen in Deutschland" soll einen Gesamtüberblick vermitteln und damit auf die Beschäftigung mit vertiefenden Lerntouren zu Einzelfragen der Gesundheitspolitik vorbereiten. Folgende Themen und Fragen begegnen Ihnen auf dieser Lerntour:
Welche politischen und organisatorischen Grundstrukturen kennzeichnen das deutsche Gesundheitssystem?
Wer sind die wichtigsten Akteure und Interessengruppen?
Wo sind welche Zuständigkeiten angesiedelt?
Neben Erläuterungen zu diesen grundlegenden Aspekten werden Ihnen die beiden größten Versorgungssektoren in ihren Grundzügen vorgestellt:
ambulante Versorgung
stationäre Versorgung
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Das Programm dieser Lerntour
Die Titel der einzelnen Lernobjekte können Sie der folgenden Übersicht entnehmen.
Wie hat alles angefangen? Das deutsche Gesundheitssystem im historischen Rückblick
Wie haben sich die derzeitigen Strukturen entwickelt? Was sind die Besonderheiten des deutschen Gesundheitswesens im Vergleich zu anderen Ländern?
Wer hat das Sagen im Gesundheitswesen?
Welche Rolle spielen Staat und Politik? Welche Funktionen haben die Verbände und Körperschaften?
Welchen Einfluss haben andere Institutionen und Interessenvertretungen?
Der erste Anlaufpunkt: Die ambulante ärztliche Versorgung
Wie ist die ambulante Versorgung aufgebaut? Wie oft und warum werden niedergelassene Ärztinnen und Ärzte aufgesucht? Wie werden die Vertragsärztinnen und -ärzte vergütet? Wie ist die Aufgabenverteilung zwischen Haus- und Fachärztinnen und -ärzte? Welche neuen Versorgungsformen gibt es?
Wenn es ernst wird: Stationäre Versorgung
Wie ist die stationäre Versorgung strukturiert und geregelt? Wie werden die Kapazitäten der Krankenhäuser geplant? Wie funktioniert das neue Vergütungssystem? Wie wird sich dieser Sektor entwickeln?
Alle Grafiken zum Download
Hier sind alle Grafiken dieses Abschnitts als PDF-Dokument zusammengefasst. Zum Download klicken Sie bitte auf den Link.
Fritz Beske Institut für Gesundheits-System-Forschung Kiel (2004): Pressemitteilung zur Veröffentlichung der Studie "Das deutsche Gesundheitswesen im internationalen Vergleich", Berlin, 19.04.2004
Statistisches Bundesamt (2005): Gesundheitsausgaben und Gesundheitspersonalrechnung. Stuttgart, 2005
Wasem, Jürgen: Das Gesundheitswesen in Deutschland: Einstellungen und Erwartungen der Bevölkerung. Neuss: Janssen-Cilag, 1999
Zok, Klaus (2003): Gestaltungsoptionen in der Gesundheitspolitik. Die Reformbereitschaft von Bürgern und Versicherten im Spiegel von Umfragen. Bonn: Wissenschaftliches Institut der AOK
Ein Mann spricht am 25.04.2012 in Berlin mit seinem Arzt.
Prof. Dr. Dr. Thomas Gerlinger ist Professor an der AG 1: Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik und Gesundheitssoziologie an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften Universität Bielefeld
Wolfram Burkhardt
Prof. Dr. Wolfram Burkhardt ist Professor an der Fachhochschule Frankfurt am Main - University of Applied Sciences im Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit
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