Wie andere Leistungsarten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) steht auch der Arzneimittelsektor unter den Vorzeichen der Kostendämpfungspolitik. Dabei sind sehr unterschiedliche Ebenen und Ansatzpunkte für die Begrenzung der Arzneimittelausgaben möglich. Grundsätzlich kann dies auf folgenden Wegen geschehen:
durch eine Einflussnahme auf die Arzneimittelpreise
durch eine Einflussnahme auf das Verordnungsverhalten der Ärztinnen und Ärzte
durch eine Einschränkung der Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln (Leistungsausgliederungen)
durch eine Verlagerung von Kosten auf die Patientinnen und Patienten, möglicherweise in Verbindung mit einer sinkenden Nachfrage nach Arzneimitteln
Arzneimittelpolitik in Deutschland setzt in ihren Bemühungen um Kostendämpfung auf eine Kombination dieser Ansatzpunkte und Handlungsebenen. In den letzten Jahren wurde in schneller Folge eine Vielzahl von Gesetzen verabschiedet, die auch auf eine Kostendämpfung in der Arzneimittelversorgung zielten. Man kann sogar sagen, dass der Arzneimittelsektor angesichts der kräftigen Ausgabensteigerungen der vergangenen Jahre ein bevorzugtes Ziel der Kostendämpfungspolitik war.
Einflussnahme auf die Arzneimittelpreise
Die Einflussnahme auf die Arzneimittelpreibildung erfolgt mithilfe unterschiedlicher Instrumente. Der Gesetzgeber verfolgt das Ziel:
diejenigen patentgeschützten Arzneimittel, die keinen therapeutischen Fortschritt darstellen und daher als Scheininnovationen gelten, in die Festbetragsregelungen einzubeziehen;
den Arzneimittelherstellern und den Apotheken aufzuerlegen, den gesetzlichen Krankenkassen Rabatte auf die Arzneimittelpreise zu gewähren;
den Anteil von Parallel- und Reimporten an den abgegebenen Arzneimitteln zu erhöhen.
Die geltenden Festbetragsregelungen beeinflussen nicht nur die Arzneimittelpreise, sondern auch das Arzneimittelangebot. Die bis Ende 2003 generelle Befreiung patentgeschützter Arzneimittel von den Festbeträgen schuf im Zusammenwirken mit dem nicht allzu restriktiven Zulassungsrecht für die Pharmaunternehmen einen starken Anreiz, sogenannte Analogpräparate zu entwickeln. Dabei handelt es sich um Medikamente mit in aller Regel nur geringfügigen Veränderungen (Molekülvariationen) gegenüber bereits bekannten Wirkstoffen. Wegen ihrer Ähnlichkeit mit bereits auf dem Markt befindlichen Medikamenten werden sie auch "Me-too-Präparate" genannt. Diese Arzneimittel fallen unter den Patentschutz, obwohl sie in den meisten Fällen keinen oder einen nur marginalen therapeutischen Zusatznutzen haben. Längst nicht jedes neue Produkt bedeutet eine therapeutische Verbesserung für die Patientin und den Patienten. Für die Zulassung zum Arzneimittelmarkt spielte dies aber keine Rolle, denn deren Erteilung hängt lediglich davon ab, ob der Nachweis für die Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität eines Wirkstoffs erbracht kann.
Unternehmen sind an der Entwicklung derartiger Arzneimittel interessiert, weil diese wegen des Patentschutzes bis Ende 2003 nicht unter die Festbetragsregelungen fielen und sich daher erheblich höhere Preise erzielen ließen. Der durchschnittliche Preis für ein patentgeschütztes Me-too-Präparat liegt ganz erheblich über dem für ein Generikum. Hinzu kommt, dass die Entwicklungskosten für derartige Arzneimittel sowie die mit ihrer Markteinführung verbundenen Risiken relativ gering sind. Trotz der Chance, mit einer innovativen Substanz deutlich höhere Preise und entsprechend höhere Gewinne zu erzielen, lohnt sich weiterhin die Entwicklung von Analogsubstanzen. Denn bei einem Me-too-Präparat fallen deutlich geringere Forschungs- und Entwicklungskosten an als bei neuen, innovativen Arzneimitteln. Bei der Entwicklung von Me-too-Präparaten handelt es sich in erster Linie um eine Strategie zur Umgehung der Festbetragsregelungen beziehungsweise um eine Strategie der verdeckten Preiserhöhung. Zwar können wirklich innovative patentgeschützte Arzneimittel einen im Durchschnitt deutlich höheren Preis erzielen (194,96 Euro) als patentgeschützte Me-too-Präparate, sodass sich bei einem Markterfolg die Chance bietet, die hohen Forschungs- und Entwicklungskosten zu amortisieren. Dennoch ist diese Aussicht aus den genannten Gründen für viele Unternehmen nicht Anreiz genug, ihre Anstrengungen auf wirkliche Innovationen zu konzentrieren.
So wundert es nicht, dass es sich bei etwa der Hälfte der neu zugelassenen Arzneimittel bis zum Jahr 2000 fast durchgängig um derartige Analogpräparate handelte. In Deutschland lassen sich von den seit 1986 eingeführten neuen Wirkstoffen beinahe 45 Prozent als Analogpräparate klassifizieren, während es sich in lediglich 36 Prozent der Fälle um innovative Wirkstoffe handelte. Der Rest entfiel auf Wirkstoffe mit verbesserten pharmakodynamischen oder pharmakokinetischen Eigenschaften (Coca/Nink/Schröder 2009, S. 168). Die therapeutische Qualität von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen weist also eine große Spannbreite auf.
Für die Gesellschaft bedeutet dies, dass aus betriebswirtschaftlichen Gründen Ressourcen auf die Entwicklung von Arzneimitteln gelenkt werden, die keinen oder nur einen geringen Zusatznutzen mit sich bringen. Für die GKV und die Patientinnen und Patienten entstehen damit trotz fehlenden oder nur geringen Zusatznutzens höhere Ausgaben. Erst mit dem Jahr 2001 ging der Anteil der Analogpräparate an den neu zugelassenen Arzneimitteln deutlich zurück. Im Jahr 2008 belief er sich immerhin noch auf 34,5 Prozent, während 41,4 Prozent der Neuzulassungen – zwölf von 29 Wirkstoffen – im eigentlichen Sinne innovativ waren. Allerdings ist bei der Bewertung dieser zwölf Innovationen auch in Rechnung zu stellen, dass fünf von ihnen trotz eines neuen Wirkmechanismus bereits auf dem Markt verfügbaren therapeutischen Alternativen nicht überlegen waren (Fricke/Schwabe 2009, S. 45, 47).
Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber im GKV-Modernisierungsgesetz mit Wirkung vom 1. Januar 2004 die bisherige generelle Befreiung patentgeschützter Arzneimittel von den Festbetragsregelungen wieder aufgehoben. Seitdem unterliegen patentgeschützte Arzneimittel dann der Bildung von Festbeträgen, wenn sie keine therapeutische Verbesserung mit sich bringen. Dazu zählt das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) auch ausdrücklich die Verringerung von Nebenwirkungen (§ 35 Abs. 1a SGB V).
Einführung von Preisabschlägen für die gesetzlichen Krankenkassen
Ein weiteres Instrument, mit dem der Gesetzgeber Einfluss auf die Arzneimittelpreise nimmt, sind gesetzlich verfügte Rabatte (Preisabschläge), die entweder die Apotheken oder die Arzneimittelhersteller den gesetzlichen Krankenkassen als Großabnehmern von Arzneimitteln zu gewähren haben. In verschiedenen Gesundheitsreformen wurden derartige Preisabschläge – zum Teil mit einer Befristung – eingeführt oder erhöht. Darüber hinaus sah das GKV-Modernisierungsgesetz eine Absenkung der Festbeträge vor, die zum 1. April 2004 in Kraft trat. Dadurch wurde nach Kassenangaben ein Einsparvolumen von 2,5 Milliarden Euro realisiert.
Erhöhung des Anteils von Re- und Parallelimporten
Eine Option zur Verringerung der Arzneimittelausgaben ist die Erhöhung des Importanteils an den abgegebenen Arzneimitteln. Die Einsparungen, die auf diese Weise erzielt werden können, beruhen auf den großen Preisunterschieden zwischen den nationalstaatlichen Arzneimittelmärkten. Um in Niedrigpreisländern konkurrenzfähig zu sein, müssen deutsche Arzneimittelhersteller einen Teil ihrer Präparate dort zu weit niedrigeren Preisen anbieten als auf dem deutschen Markt. Zum Teil könnten Apotheken diese Präparate in Deutschland zu niedrigeren Preisen an die Patientinnen und Patienten abgeben, wenn der Pharmagroßhandel sie aus den betreffenden Ländern direkt wieder importieren würde (Reimporte), anstatt sie auf den nationalstaatlichen Vertriebswegen, also direkt beim Hersteller, zu erwerben. In gleicher Weise könnte man auch mit den von ausländischen Herstellern in Niedrigpreisländern angebotenen Arzneimitteln verfahren (Parallelimporte).
Die diversen Reformgesetze der zurückliegenden Jahre sahen folgende Bestimmungen über den Anteil von Re- und Parallelimporten vor:
Mit dem GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 wurde die Verpflichtung der Apotheken zur Abgabe preisgünstiger Importarzneimittel wieder in das Sozialgesetzbuch aufgenommen (§ 129 Abs. 1 SGB V). Da sich die Krankenkassen und die Spitzenorganisationen der Apothekerinnen und Apotheker im Rahmenvertrag nicht auf einen bestimmten Importanteil verständigen konnten, wurde der Konflikt auf dem Wege des Schiedsverfahrens gelöst. Dem Schiedsstellenentscheid zufolge musste jede Apotheke ab Januar 2003 beim GKV-Fertigarzneimittelumsatz eine Importquote von sieben Prozent erreichen. Allerdings war damit nichts über den Preis der Re- beziehungsweise Parallelimporte ausgesagt.
Das GKV-Modernisierungsgesetz schränkte die Pflicht zur Abgabe von preisgünstigen Importen ein: Sie galt nun nur noch für solche Arzneimittel, deren Abgabepreis um 15 Prozent oder 15 Euro niedriger war als der Preis des von der Ärztin oder dem Arzt verordneten Arzneimittels (§ 129 Abs. 1 SGB V). Von 1998 bis 2008 hatte sich insgesamt der Umsatz mit Importarzneimitteln im Apothekenmarkt stark erhöht – der Marktanteil stieg in diesem Zeitraum von 1,8 Prozent auf 9,0 Prozent (Verband Forschender Arzneimittelhersteller 2009, S. 46). Durch neue gesetzliche Bestimmungen schwächten sich der Umsatz- und der Marktanstieg der Re- beziehungsweise Parallelimporte im Jahr 2004 zunächst ab. So ging zwischenzeitig der Umsatz um etwa 30 Prozent zurück, und der Marktanteil importierter Arzneimittel reduzierte sich auf 4,9 Prozent. Der Rahmenvertrag für das Jahr 2004 verpflichtete die Apotheken zu einer Mindestabgabequote von preisgünstigen Reimporten in Höhe von fünf Prozent (Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände 2006).
Darüber hinaus wurden sowohl Arzneimittelhersteller als auch Apotheken durch neue Rabattbestimmungen in eng begrenztem Umfang in die Kostendämpfungsbemühungen mit einbezogen.
Einflussnahme auf das Verordnungsverhalten der Ärztinnen und Ärzte
Arztindividuelle Richtgrößen
Kostendämpfungsstrategien in der Arzneimittelversorgung setzen nicht nur bei der Preissteuerung an, sondern auch bei der Mengensteuerung, also bei Art und Umfang der verordneten Medikamente. Darüber wiederum entscheidet die Ärztin beziehungsweise der Arzt. Deshalb zielt eine Reihe von Gesetzesbestimmungen darauf, das Verordnungsverhalten der Ärztinnen und Ärzte zu beeinflussen.
Das derzeit wichtigste Instrument zur Steuerung des ärztlichen Verordnungsverhaltens sind die arztindividuellen Richtgrößen als Instrument der Mengensteuerung (§ 84 Abs. 6 SGB V). Richtgrößen sind Beträge, die der Ärztin/dem Arzt für die Arzneimitteltherapie einer Patientin oder eines Patienten vorgegeben werden und die im Durchschnitt bei allen Patientinnen und Patienten nicht überschritten werden dürfen. Sie werden nach Arztgruppen sowie nach Regionen differenziert. Außerdem sollen auch das Alter und die Krankheitsarten berücksichtigt werden. Allerdings handelt es sich bei Richtgrößen zunächst nur um Orientierungswerte, die eine Steuerungswirkung erst in Zusammenhang mit Wirtschaftlichkeitsprüfungen entfalten können. Die Richtgrößen unterliegen den allgemeinen Bestimmungen über die Wirtschaftlichkeitsprüfungen in der vertragsärztlichen Versorgung.
Zum 1. Januar 2001 hob die Regierungskoalition mit dem Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz (ABAG) die Arzneimittelbudgets und die Androhung des Kollektivregresses auf. Dies war in erster Linie eine Reaktion auf wachsende Proteste der Vertragsärztinnen und -ärzte. Stattdessen haben die Landesverbände der Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVs), nunmehr getrennt für den Arzneimittel- und den Heilmittelbereich, auf der Grundlage einer Rahmenvereinbarung der Spitzenverbände und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) jährlich eine Obergrenze für die Arzneimittelausgaben zu vereinbaren (§ 84 Abs. 1 SGB V). Dabei sollen als Anpassungskriterien unter anderem berücksichtigt werden:
Veränderungen der Zahl und der Altersstruktur der Versicherten,
Veränderungen der Preise der Arzneimittel,
Veränderungen der gesetzlichen Leistungspflicht der Krankenkassen,
der wirtschaftliche und qualitätsgesicherte Einsatz innovativer Arzneimittel,
Veränderungen des Verordnungsumfanges von Arzneimitteln aufgrund von Verlagerungen zwischen den Leistungsbereichen,
die Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven.
Die Krankenkassen haben monatlich für jede KV die Entwicklung der Arzneimittelausgaben zu erfassen. Bei einer Überschreitung müssen die regionalen Vertragsparteien den Ursachen nachgehen und Maßnahmen ergreifen, die eine Einhaltung der Ausgabenvolumina möglichst sicherstellen. Die zu vereinbarenden Ausgabenvolumina stellen also im Unterschied zu den Budgets keine strikten Ausgabenobergrenzen mehr dar. Des Weiteren soll sich die gemeinsame Selbstverwaltung aus Ärztinnen, Ärzten und Krankenkassen auf Bundes- und auf regionaler Ebene auf die Definition von Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitszielen sowie auf dazugehörige Umsetzungsmaßnahmen verständigen (§ 84 Abs. 2 SGB V). Dazu zählen die Umstellung der Versorgung, wo möglich, auf preisgünstige Generika und der Verzicht auf die Verordnung teurer Arzneimittelinnovationen, wenn ihr therapeutischer Zusatznutzen nicht nachgewiesen oder nur gering ist.
Seit der Abschaffung der Budgets sind die Richtgrößen das einzige – wenn auch schwach – sanktionsbewehrte Instrument der Mengensteuerung. Die einschlägigen Bestimmungen wurden mit dem ABAG konkretisiert. Die Richtgrößen sollen demzufolge auf der Grundlage von bundesweiten Rahmenvorgaben von den Spitzenverbänden der Krankenkassen und den Landesverbänden der KVs für die einzelnen Arztgruppen vereinbart werden (§ 84 Abs. 6 SGB V). Dabei ist langfristig vorgesehen, sie nach Altersstufen und Krankheitsarten der Patientinnen und Patienten zu differenzieren. Bei einer Überschreitung dieser Grenze um mehr als 15 Prozent sollen die betreffenden Ärztinnen und Ärzte beraten und für sie gegebenenfalls Kontrollen verfügt werden, bei einer Überschreitung um mehr als 25 Prozent sollen sie finanziell zur Verantwortung gezogen werden (§ 106 Abs. 6 SGB V). Regressmaßnahmen greifen aber erst dann, wenn die Überschreitungen nicht durch Praxisbesonderheiten begründet werden können. Wenn sie den wirtschaftlichen Bestand der Praxis gefährden, können sie der Ärztin oder dem Arzt erlassen oder gestundet werden. Insgesamt waren dies im Vergleich zu den bisherigen Budgets "weichere" Bestimmungen, die – wie sich rasch zeigen sollte – keine wirksame Handhabe gegen weitere Ausgabensteigerungen boten.
Die Aut-idem-Regelung – begrenzte Verordnungsentscheidungen für Apothekerinnen und Apotheker
Da die Aufhebung der Arzneimittelbudgets zu einem deutlichen Anstieg der Arzneimittelausgaben führte – sie lagen 2001 um 10,4 Prozent über dem Vorjahresniveau –, sah sich die Regierungskoalition im Verlauf des Jahres 2002 zu neuerlichen gesetzlichen Interventionen veranlasst, deren wichtigste die sogenannte "Aut-idem-Regelung" war. "Aut idem" kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "oder das gleiche". Ihr zufolge sollen Ärztinnen und Ärzte nicht mehr ein bestimmtes Medikament, sondern nur noch einen Wirkstoff verschreiben. Die Apothekerin oder der Apotheker ist dann gehalten, ein entsprechendes Präparat aus dem unteren Preisdrittel auszuwählen.
Allerdings ist die Anwendung dieser Bestimmung mit diversen Einschränkungen versehen:
Erstens wird die Aut-idem-Regelung nur dann wirksam, wenn die Ärztin oder der Arzt dies durch ein Kreuz auf dem Rezeptvordruck gestattet. Die Ärztin oder der Arzt muss die Apothekerin oder den Apotheker also ausdrücklich zu einer eigenständigen Auswahl eines Medikaments ermächtigen.
Zweitens dürfen nur solche Medikamente ersetzt werden, die im jeweiligen Anwendungsbereich zugelassen sowie in Dosierung, Darreichungsform und Packungsgröße mit dem verschriebenen Präparat identisch sind.
Drittens findet die Aut-idem-Regelung dann keine Anwendung, wenn die Ärztin oder der Arzt von sich aus ein Generikum aus dem unteren Preisdrittel verordnet.
Diese Einschränkungen waren ein Zugeständnis der Regierungskoalition an die Vertragsärzteschaft, die heftig gegen die Reformpläne protestierte. Insgesamt erwies sich die Aut-idem-Regelung bisher als weitgehend wirkungslos, vor allem weil die verordnenden Ärztinnen und Ärzte die ihnen eingeräumte Möglichkeit, die Regelung individuell außer Kraft zu setzen, sehr häufig nutzten.
Einschränkung der Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln
Zu den wichtigsten Steuerungsinstrumenten in der Arzneimittelversorgung zählt die Einschränkung der zulasten der Krankenkassen verordnungsfähigen Arzneimittel. Sie setzt unterhalb der Ebene der Arzneimittelzulassung an und versucht Steuerungseffekte dadurch zu erzielen, dass sie den Krankenkassen die Finanzierung bestimmter Arzneimittel nicht gestattet. Sie kann sowohl als Instrument der Kostendämpfung als auch als Instrument der Qualitätssicherung dienen. Seit den 1980er-Jahren hat der Gesetzgeber diverse Einschränkungen der Verordnungsfähigkeit verfügt.
Ausschluss von Bagatellarzneimitteln
Seit 1983 sind Bagatellarzneimittel, also Medikamente gegen als geringfügig eingestufte Gesundheitsstörungen, für Versicherte über 18 Jahre von der Verordnungsfähigkeit durch die GKV ausgeschlossen (§ 34 Abs. 1 SGB V). Dabei handelt es sich um Erkältungs- und Grippemittel, Mund- und Rachentherapeutika, Abführmittel und Mittel gegen Reisekrankheit.
Einführung einer Negativliste
Darüber hinaus wurde 1989 eine sogenannte Negativliste in das SGB V aufgenommen, die zusätzlich unwirtschaftliche Arzneimittel von der Verordnung zulasten der Kassen ausschließt (§ 34 Abs. 3 SGB V). Dies betrifft Arzneimittel
die für das Therapieziel nicht erforderliche Bestandteile enthalten,
deren Wirksamkeit wegen der Vielzahl der enthaltenen Wirkstoffe nicht sicher beurteilt werden kann oder
deren Wirksamkeit nicht nachgewiesen ist.
Die Negativliste wird durch eine Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) im Einvernehmen mit dem Bundeswirtschaftsministerium und mit Zustimmung des Bundesrats erstellt – erstmals geschah dies 1991 – und in unregelmäßigen Abständen aktualisiert. Für die Realisierung von Einsparungen ist sie allerdings von eher geringerer Bedeutung, weil ein großer Teil der betreffenden Arzneimittel mittlerweile vom Markt verschwunden ist.
Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel
Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz wurden zum 1. Januar 2004 nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel grundsätzlich aus der Erstattungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen. Künftig können sie nur noch in Ausnahmefällen zulasten der GKV verordnet werden. Dies ist dann der Fall, wenn das betreffende Medikament bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gilt (§ 34 Abs. 1 SGB V).
§ 34 SGB V Ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel
"Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind von der Versorgung nach § 31 ausgeschlossen."
www.sozialgesetzbuch.de
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat eine Ausnahmeliste dieser Erkrankungen und Standardtherapeutika erstellt.
Allein durch den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel trat für die GKV im Jahr 2004 zwar eine Umsatzentlastung von 1,4 Milliarden Euro ein (Schwabe 2005, S. 186). Auf der anderen Seite wurden die gesetzlich versicherten Patientinnen und Patienten mit einer entsprechenden Kostenbelastung konfrontiert. Die Kosten für diese Arzneimittel werden in den Bereich der Selbstmedikations verlagert und müssen von den Patientinnen und Patienten in vollem Umfang selbst getragen werden.
Kontoverse Diskussion um eine Positivliste
Eine weit größere Aufmerksamkeit zieht in der gesundheitspolitischen Diskussion die Positivliste auf sich. Sie soll ausschließlich jene Medikamente umfassen, die als wirksam gelten können. Nur noch diese sollen zulasten der GKV verordnet werden können; umstrittene Arzneimittel oder Arzneimittel mit geringfügigem therapeutischem Nutzen würden hingegen von der Erstattungsfähigkeit durch die Krankenkassen ausgeschlossen. Eine Positivliste könnte somit die Markttransparenz erhöhen und die Qualität der Arzneimittelversorgung verbessern. Inwieweit sie auch Einsparungen mit sich bringen würde, ist umstritten. Es sind jedoch auch weniger die möglichen Einspareffekte, sondern vor allem die erwarteten Verbesserungen der Versorgungsqualität, mit denen die Befürworterinnen und Befürworter – vor allem die Krankenkassen – die Einführung dieses Instrumentes begründen. In der Ärzteschaft und vor allem in der Pharmaindustrie stößt die Positivliste auf Widerstand, der in erster Linie auf die von ihr berührten Interessen zurückzuführen ist. Die Ärzteschaft sieht ihre professionelle Autonomie und die Pharmaindustrie ihre Gewinne bedroht, wenn das Spektrum der verordnungsfähigen Medikamente eingeschränkt wird. Das zur Legitimation von ihnen vielfach verwendete Argument, eine Positivliste führe zur Minderung der Versorgungsqualität beziehungsweise zu Rationierungen, lässt sich vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den in nahezu allen anderen europäischen Ländern eingeführten Positivlisten nicht aufrechterhalten.
Die Positivliste hat eine lange, wechselvolle legislative Geschichte: Erstmals sah auf Initiative der SPD das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) 1993 ihre Einführung vor. Die konservativ-liberale Bundestagsmehrheit hob jedoch diese Bestimmung 1995 wieder auf, noch bevor sie umgesetzt werden konnte. Das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 nahm sie erneut in das Sozialgesetzbuch auf (§ 33a SGB V). Demzufolge sollten dort diejenigen Präparate aufgenommen werden, "die für eine ausreichende und notwendige Behandlung, Prävention oder Diagnose von Krankheiten oder erheblichen Gesundheitsstörungen geeignet sind; Voraussetzung für diese Eignung ist ein mehr als geringfügiger therapeutischer Nutzen" (§ 33 Abs. 7 SGB V). Allerdings ging die Bildung der Positivliste nur sehr schleppend voran. Die zu ihrer Vorbereitung eingerichtete "Kommission für die Arzneimittelverordnung" übergab erst im Frühjahr 2002 dem BMG eine entsprechende Vorschlagsliste. Im Herbst 2002 brachte die Bundesregierung schließlich einen Gesetzentwurf zur Einführung einer Positivliste in den Bundestag ein, der es ermöglichen sollte, dass dieses Steuerungsinstrument im Jahr 2003 in Kraft treten könne. Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag setzte aber bei den Verhandlungen über das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) im Herbst 2003 einen Verzicht auf die Positivliste durch.
Verlagerung von Kosten auf die Patientinnen und Patienten
Neben Budgets und Richtgrößen, die auf das Verordnungsverhalten der Ärztin oder des Arztes zielen, spielen Zuzahlungen als Instrumente zur Steuerung der Arzneimittelnachfrage durch die Patientinnen und Patienten eine große Rolle in der Kostendämpfungspolitik. Seit Mitte der 1990er-Jahre wurden die Zuzahlungen zunächst moderat und in den 1990er-Jahren in mehreren Stufen kräftig angehoben.
Zuletzt wurden die Zuzahlungen zu Arzneimitteln mit dem GKV-Modernisierungsgesetz zum 1. Januar 2004 kräftig erhöht. Die bisher nach Packungsgrößen gestaffelte Zuzahlung wurde auf eine prozentuale Zuzahlung umgestellt. Nach dieser zahlen die Patientinnen und Patienten zehn Prozent – mindestens jedoch fünf Euro und höchstens zehn Euro – des Abgabepreises.
Zudem wurden die Möglichkeiten zur Befreiung von Zuzahlungen grundsätzlich neu gestaltet: Die Härtefallklausel, nach der sozial Schwache vollständig von bestimmten Zuzahlungen befreit waren, wurde abgeschafft. Die maximale Zuzahlungsgrenze für alle Versicherten wurde von einem Prozent auf zwei Prozent der Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt pro Jahr angehoben (Überforderungsklausel). Chronisch Kranke, die bisher keine Zuzahlungen leisten mussten, haben künftig bis zu einem Prozent der Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt zuzuzahlen.
Im Rahmen dieser neuen Regelung stiegen die Zuzahlungen für Arzneimittel im Jahr 2005 deutlich an, nämlich auf knapp 2,3 Milliarden Euro. Insbesondere zwischen 2003 und 2004 nahm das gesamte Zuzahlungsvolumen erheblich zu. Seit 2005 ist es aber absolut und relativ wieder stark rückläufig. 2012 leisteten die GKV-Versicherten Zuzahlungen in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Euro. Hier spielte auch das Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG) eine Rolle, das den Spitzenverbänden der Krankenkassen die Möglichkeit einräumte, Arzneimittel, die den Festbetrag um mehr als 30 Prozent unterschreiten, von der Zuzahlung zu befreien. Auch im Rahmen der Rabattverträge können die Krankenkassen eine Zuzahlungsbefreiung für Arzneimittel vorsehen. Die Summe der Zuzahlungen für Arzneimittel machte 2008 6,3 Prozent des gesamten GKV-Fertigarzneimittelumsatzes aus. Ihren höchsten Anteil hatten sie 1998 mit 15,0 Prozent erreicht, 2004 gab es mit 10,4 Prozent ein Zwischenhoch (Coca/Nink/Schröder 2009, S. 183).
Mit dem Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes ist auch der Anteil der zuzahlungspflichtigen Verordnungen deutlich angestiegen: Waren im Jahr 2003 mit rund 48 Prozent fast die Hälfte aller Verordnungen zulasten der GKV von Zuzahlungen befreit, lag dieser im Jahr 2004 nur noch bei 29 Prozent, um 2005 auf 36 Prozent anzusteigen. Der gegenüber dem Jahr 2003 niedrigere Anteil zuzahlungsbefreiter Arzneimittel ist auf die Abschaffung der "Härtefallregelung" und auf die geänderte "Chronikerregelung" zurückzuführen.
Analysiert man die Verteilung der Zuzahlungsbelastungen im Verordnungsjahr 2004 nach dem Geschlecht der Versicherten, wird deutlich, dass Patientengruppen mit einer hohen Zahl an Arzneimittelverordnungen mehr Zuzahlungen zu leisten haben. Frauen leisteten im Jahr 2004 durchschnittlich 36,08 Euro und Männer 26,77 Euro an gesetzlicher Zuzahlung. Die durchschnittliche Zuzahlungsbelastung pro Versicherte/Versicherten – im Jahr 2008 rund 23 Euro – ist daher ein eher unzureichender Indikator. Ein großer Teil der Gesundheitsausgaben konzentriert sich eben auf einen kleinen Teil der Versicherten.
Hinzu kommt, dass der Anteil der insgesamt privat getragenen Arzneimittelausgaben erheblich höher ist als das genannte Zuzahlungsvolumen von 2008 in Höhe von 6,3 Prozent: Dann nämlich, wenn man die Selbstmedikation und den vermutlich zunehmenden, in seiner Größenordnung allerdings nicht zuverlässig abschätzbaren Umsatz mit solchen Medikamenten berücksichtigt, die Kassenpatientinnen und -patienten von Ärztinnen und Ärzten auf Privatrezept verordnet werden. Hinzu treten weitere Zuzahlungen, die durch das GMG eingeführt wurden, wie beispielsweise für Heil- und Hilfsmittel. Deutschland hat wie nur wenige andere europäische Länder in den vergangenen zwei Jahrzehnten Arzneimittelkosten auf die Patientinnen und Patienten verlagert.
Zuzahlungen sind durch den Widerspruch zwischen Steuerungswirkung und Sozialverträglichkeit gekennzeichnet. Sollen sie sozialverträglich sein, dann müssen sie niedrig ausfallen, entfalten in diesem Fall aber keine Steuerungswirkung. Sollen sie eine Steuerungswirkung entfalten, so müssen sie finanziell deutlich spürbar sein, sind dann aber kaum sozialverträglich, weil sie sozial Schwächere weit stärker treffen als Besserverdienende, auch wenn dieser Effekt durch die Härtefall- und die Überforderungsklausel teilweise aufgefangen wird. Internationale Erfahrungen etwa in der Schweiz oder in den Niederlanden deuten darauf hin, dass es sehr schwierig ist, eine prozentuale Zuzahlungsregelung so zu gestalten, dass einerseits ein wirtschaftliches Verhalten der Patientinnen und Patienten gefördert wird, andererseits aber die Zuzahlung nicht so hoch liegt, dass ärmere Patientinnen und Patienten, um Kosten zu sparen, auf dringend notwendige Medikamente verzichten.
Generell können begründete Zweifel angemeldet werden, dass Zuzahlungen der Patientin oder dem Patienten einen Anreiz bieten, sich als souveräne Konsumentinnen und Konsumenten auf dem Arzneimittelmarkt zu bewegen und die eigene Nachfrage an Effizienzkriterien auszurichten:
Die Patientinnen und Patienten sind in der Regel nicht darüber informiert, ob preiswertere und/oder wirksamere Medikamente zur Verfügung stehen, und zumeist auch nicht in der Lage, sich derartige Informationen zu beschaffen.
Außerdem liegt die Entscheidung über die Arzneimittelverordnung in der Hand der Ärztin oder des Arztes, und die Patientin oder der Patient hat im Allgemeinen keinen oder nur einen geringen Einfluss auf diese Entscheidung.
Es spricht daher vieles dafür, dass individuelle Zuzahlungen zu Arzneimitteln eine Umverteilungs-, aber keine sinnvolle und sozialpolitisch wünschenswerte Steuerungswirkung haben.
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Prof. Dr. Dr. Thomas Gerlinger ist Professor an der AG 1: Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik und Gesundheitssoziologie an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften Universität Bielefeld
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