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Empfängerzahlen und -strukturen und Dunkelziffer der Nicht-Inanspruchnahme | Rentenpolitik | bpb.de

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Empfängerzahlen und -strukturen und Dunkelziffer der Nicht-Inanspruchnahme

Gerhard Bäcker Ernst Kistler

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Ende 2017 erhielten gut 1 Million Personen Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, darunter befanden sich zu 51,3 Prozent (544 Tsd.) Personen, die die Regelaltersgrenze erreicht haben, und zu 48,7 Prozent (515 Tsd.) Personen im Alter zwischen 18 Jahren und der Regelaltersgrenze mit einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung.

Nach wie vor herrschen gerade bei der älteren Bevölkerung Angst und Sorge, dass der Gang zum Sozialamt zum sozialen Stigma wird und die Familienbeziehungen gefährdet. (© ddp/AP)

EmpfängerInnen von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung 2003 – 2017 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Steigende Empfängerzahlen

Zwischen 2003 − seit der Einführung der Grundsicherung − und 2017 hat sich der Empfängerkreis mehr als verdoppelt. Die Dynamik des Anstiegs ist bei den voll erwerbsgeminderten BezieherInnen mit 200 Prozent viel dynamischer im Vergleich zu den BezieherInnen von Grundsicherung im Alter (Anstieg um 99 Prozent).

Betrachtet man die Struktur der Empfänger im Einzelnen, zeichnen sich folgende Auffälligkeiten ab:

  • Rund ein Viertel der EmpfängerInnen lebt in stationären Einrichtungen (Pflegeheimen) und erhält zusätzlich noch Hilfen zur Pflege oder Hilfen für Menschen mit Behinderungen. Das betrifft vor allem die Erwerbsgeminderten, während die Älteren noch zu 85 Prozent eigenständig wohnen.

  • EmpfängerInnen von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach Staatsangehörigkeit 2003 – 2017 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

  • Frauen sind unter den EmpfängerInnen leicht überrepräsentiert; die schlechtere Einkommenslage von Frauen im Alter macht sich hier bemerkbar.

  • Der Anteil der Deutschen an allen Leistungsempfänger liegt bei etwa 82 Prozent: Der Anteil der Nicht-Deutschen beträgt 15 Prozent und übersteigt damit den Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung. Seit 2003 haben sich die Proportionen nicht wesentlich verschoben (vgl. Abbildung "Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach Staatsangehörigkeit 2003 − 2017")

Empfängerquoten

Empfängerquoten von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung 2003 – 2017 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Betrachtet man die Empfängerquoten, also den Anteil der Menschen, die Grundsicherungsleistungen beziehen, an der jeweiligen Gesamtbevölkerung, zeigt sich ein überraschendes Ergebnis (vgl. Abbildungen "Empfängerquoten von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung 2017 und 2003 − 2017"): Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung hat eine vergleichsweise geringe Bedeutung. So beziehen nur 3,2 Prozent der Älteren diese Leistung, 2,9 Prozent der Männer und 3,1 Prozent der Frauen. Der Anteil der EmpfängerInnen an der jeweiligen Gesamtbevölkerung ist in den alten Bundesländern höher als in den neuen Bundesländern (vgl. Abbildung "Empfängerquoten der Grundsicherung im Alter nach Bundesländern 2017"), im Norden höher als im Süden sowie in den Stadtstaaten höher als in den Flächenstaaten.

Empfängerquoten von Grundsicherung im Alter nach Bundesländern 2017 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Ursächlich für diese regionalen Differenzierungen ist zum einen, dass in den neuen Bundesländern die finanzielle Situation der Bestandsrentner, insbesondere der Frauen, gegenwärtig günstiger ist als in den alten Bundesländern (Das trifft allerdings nicht mehr auf die Rentenneuzugänge zu!). Zum anderen kommen in dem Nord-Süd- und Stadt-Land-Gefälle auch die unterschiedlichen ökonomischen und sozialen Strukturen zum Ausdruck. Und zu berücksichtigen sind schließlich die regional stark abweichenden Kosten der Unterkunft. Es zeigt sich, dass Empfänger von einer niedrigen Rente in Regionen mit einem niedrigen Mietpreisniveau keinen Anspruch auf aufstockende Grundsicherung haben, während diese Rente im großstädtischen Raum nicht ausreicht, um den Grundsicherungsbedarf (einschließlich Kosten der Unterkunft) zu decken.

Zur Dunkelzifferproblematik

Die Zahlen und Daten über die Empfänger der Grundsicherung beziffern allerdings nur jene Personen, die tatsächlich Leistungen beanspruchen. Über die Größenordnung derer, die aufgrund ihres niedrigen Alterseinkommens zwar einen Anspruch hätten, diesen aber nicht wahrnehmen ("Dunkelziffer der Nicht-Inanspruchnahme"), gibt es keine aktuellen und verlässlichen Informationen.

Die Ursachen für die Nicht-Inanspruchnahme sind vielfältig : Die Betroffenen sind unzureichend informiert, ob sie noch einen Anspruch auf aufstockende Leistungen haben; dies insbesondere dann, wenn der Anspruch eher gering ist. Und nach wie vor herrschen gerade bei der älteren Bevölkerung Angst und Sorge, dass der Gang zum Sozialamt und der Erhalt bedürftigkeitsbezogener Leistungen zum sozialen Stigma werden und die Familienbeziehungen gefährden. So ist fraglich, dass der weitgehende Wegfall des Rückgriffs auf die Kinder den Betroffenen tatsächlich bekannt ist.

Zielsetzung der 2003 eingeführten Neuregelung war es aber gerade, durch den (weitgehenden) Verzicht auf den Rückgriff auf die Kinder sowie durch die Hinweise auf ergänzende Grundsicherungsleistungen, die die Rentenversicherung den Neurentnern gibt, die "verschämte Altersarmut" abzubauen. Ob und inwieweit dies erreicht worden ist, lässt sich nur grob abschätzen beurteilen (vgl. Kasten).

Mithilfe repräsentativer Bevölkerungsbefragung ist untersucht worden, wie verbreitet die verschämte Armut unter Älteren − bezogen auf das Jahr 2007 − ist: Von gut einer Million Menschen ab 65 Jahren, denen damals Grundsicherung zustand, bezogen nur 340.000 tatsächlich Leistungen. Die Quote der Nichtinanspruchnahme, so der technische Begriff für die Dunkelziffer der Armut, betrug laut Irene Becker 68 Prozent .

QuellentextDie Dunkelziffer wird in der Tendenz unterschätzt

"Becker ist sicher, dass dieses Ergebnis die Realität gut widerspiegelt. Schließlich steht die mit demselben Datensatz ermittelte 'bekämpfte Armut' in Übereinstimmung mit den amtlichen Statistiken – was für die Repräsentativität der Stichprobe spricht. Und wenn es Verzerrungen gäbe, dann würde die verdeckte Armut eher unterschätzt, betont die Forscherin. Möglich wäre nämlich, dass Menschen, die den Gang zum Sozialamt scheuen, auch überdurchschnittlich häufig vor der Teilnahme an Befragungen zurückschrecken. Personen mit Sparguthaben oder nur geringen Grundsicherungsansprüchen von unter 30 Euro im Monat hat sie bei ihrer Rechnung gar nicht berücksichtigt."

Quelle: Hans-Böckler-Stiftung (2012).

Weitere Inhalte

Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee ist Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.