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Fachkräftesicherung durch späteren Renteneintritt? | Rentenpolitik | bpb.de

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Fachkräftesicherung durch späteren Renteneintritt?

Gerhard Bäcker Ernst Kistler

/ 4 Minuten zu lesen

Die Forderung nach einer weiteren Anhebung der Regelaltersgrenze über das 67. Lebensjahr hinaus wird auch mit einem angeblich demografisch bedingten (Fach-)Kräftemangel begründet.

Älterer Arbeiter in einer Schreinerei. Forderungen nach einer Erhöhung des Renteneintrittsalters werden auch mit einem möglichen Fachkräftemangel begründet. (© picture-alliance, chromorange)

Will man sich mit diesem Argument seriös auseinandersetzen, ist zwingend darauf zu verweisen, dass derart weitreichende Prognosen über einen verbreiteten Fachkräftemangel oder gar allgemeinen Arbeitskräftemangel mit einer äußerst großen Unsicherheit behaftet sind. Bei der Abschätzung der zukünftigen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt geht es nämlich zum einen um das zu erwartende Angebot an Arbeitskräften. Zum anderen ist aber auch zu prüfen, wie hoch die Nachfrage der Unternehmen nach Arbeitskräften ausfallen wird. Beide Entwicklungen sind nicht voneinander unabhängig. Von einem drohenden allgemeinen Arbeitskräftemangel kann nur dann geredet werden, wenn die Nachfrage nach Arbeit in Zukunft höher ausfällt als das Angebot, wenn also die Arbeitslosigkeit nahezu vollständig abgebaut ist, die Unternehmen auf breiter Front erfolglos nach Arbeitnehmern suchen. Wie realistisch ist es, dass eine solche Situation eintritt?

Zum Arbeitsangebot

Berücksichtigt werden müssen

  • die Bevölkerungsentwicklung insgesamt und differenziert nach Altersgruppen (insbesondere hinsichtlich der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter) und

  • die Erwerbsbeteiligung in den jeweiligen Altersgruppen, differenziert nach Geschlecht.

Hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung kann überhaupt noch nicht abgesehen werden, in welchen Dimensionen und Strukturen die hohe Zahl von Asylbewerbern und Schutzsuchenden sowie von zugewanderten EU-Ausländern zu einem zusätzlichen Schub an Arbeitssuchenden führt, der den demografisch bedingten Rückgang der nachrückenden Jüngeren auf dem Arbeitsmarkt bremst. Eine andere Frage ist, ob die Arbeitsuchenden über ausreichende bzw. der Arbeitsnachfrage angepasste Qualifikationen verfügen und welche Maßnahmen eingeschlagen werden müssen, um diese Pass-Probleme zu bewältigen.

Bei der Erwerbsbeteiligung von Personen im rentennahen Alter ist zu berücksichtigen, dass es hier nicht nur auf Altersgrenzen ankommt. Denn das Rentenrecht sieht ja vor, dass der Renteneintritt über die Regelaltersgrenze hinaus verlängert werden kann (verbunden mit Rentenzuschlägen) und dass die Möglichkeit besteht, neben dem Bezug der Regelaltersgrenze unbegrenzt lang und in unbegrenzter Entgelthöhe weiterzuarbeiten − vorausgesetzt die Arbeitgeber machen entsprechende Angebote.

Zur Arbeitskräftenachfrage

Letztlich entscheidet sich die Frage, ob es in Zukunft einen Mangel oder einen Überschuss an Arbeitskräften (d. h. Unterbeschäftigung/Arbeitslosigkeit) geben wird, aus dem Zusammenspiel von Nachfrage nach und Angebot an Arbeitskräften – die aber nicht unabhängig voneinander sind. Allerdings ist es kaum möglich, die langfristige Wirtschaftsentwicklung und die sich daraus ableitende Arbeitsnachfrage zu prognostizieren. Denn selbst ein rückläufiges Arbeitsangebot bedeutet keineswegs, dass entsprechend die Arbeitsnachfrage nicht mehr gedeckt werden kann. Dieser Fehlschluss blendet nämlich aus, dass auch das Volumen der von den Unternehmen nachgefragten Arbeit (berechnet in der Zahl der Arbeitnehmer oder in der Summe aller Arbeitsstunden) rückläufig sein kann.

Die Nachfrage nach Arbeit wird dabei vor allem durch die Entwicklung der Arbeitsproduktivität bestimmt. Ein Anstieg der Arbeitsproduktivität führt dazu, dass immer weniger Personen einen steigenden Output produzieren. Zusätzliche Beschäftigung entsteht deshalb erst dann, wenn das Wachstum stärker ausfällt als der Zuwachs der Produktivität. Es kommt also darauf an, bei welcher Wachstumsrate die Beschäftigungsschwelle erreicht wird. Gegenwärtig wird hier ein Wert zwischen 1,2 Prozent und 1,5 Prozent angenommen. Wenn sich die Arbeitsnachfrage stärker reduziert (insbesondere durch Produktivitätseffekte) als das Arbeitsangebot, ist trotz der demografischen Entlastung nicht mit einem gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt zu rechnen. Dabei wird immer ein "Mismatch" (Abweichungen von Angebot und Nachfrage in qualifikatorischer, regionaler etc. Hinsicht) bestehen. Außerdem ist eine gewisse Sucharbeitslosigkeit auf einem funktionierenden Arbeitsmarkt genauso normal und notwendig, wie dass nicht jede Stelle sofort und ohne arbeitgeberseitige Kompromisse besetzt werden kann.

Es muss offen bleiben, ob diese Vorausberechnungen auch tatsächlich so eintreten werden. Diese Offenheit ist die Folge der großen ökonomischen und auch politischen wie ökologischen Unsicherheiten, die die globalisierte Welt und Ökonomie prägen. Es grenzt eher an Kaffeesatzleserei, wenn man benennen will, welche mittel- und längerfristigen Entwicklungen "realistisch" sind. Die Ökonomen zeigen sich bereits überfordert, einigermaßen treffsichere Prognosen für einen viel kurzfristigeren Zeitraum vorzulegen. Auf jeden Fall ist es wenig hilfreich, die Zukunft einfach aus der Fortschreibung der Vergangenheit ermitteln zu wollen und daraus die Entwicklung der Arbeitsnachfrage abzuleiten. Das leistet nur politischem Missbrauch Vorschub .

Bei dem Blick in die Zukunft darf auch nicht außer Acht bleiben, dass langfristig eine schrumpfende Zahl an Personen bzw. auch Haushalten eine tendenziell geringere Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen – und damit auch nach Arbeitskräften – zur Folge haben wird. Denn das Sozialprodukt eines Landes entwickelt sich nicht unabhängig von der Einwohnerzahl. Bezogen auf den Wohlstand einer Gesellschaft ist das allerdings kein Drama, denn maßgebend für den materiellen Wohlstand der Bevölkerung ist immer nur die Relation von Sozialprodukt pro Kopf der Bevölkerung – und nicht zuletzt die Verteilung des Sozialprodukts.

Weitere Inhalte

Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee ist Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.