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Flexibilisierung der Altersgrenzen | Rentenpolitik | bpb.de

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Flexibilisierung der Altersgrenzen

Gerhard Bäcker Ernst Kistler

/ 3 Minuten zu lesen

Eine klare Regelaltersgrenze strukturiert einerseits das Arbeitsleben in sinnvoller und berechenbarer Weise. Andererseits sind die Arbeitsfähigkeit und die Bedürfnisse der Menschen im höheren Erwerbsalter höchst unterschiedlich. Und: Ihre Arbeitsmarktchancen sind sehr verschieden.

Therapeutin erklärt einem Patienten anhand eines Skeletts ihre Behandlung. Die Arbeitsfähigkeit und die Bedürfnisse der Menschen sind im höheren Erwerbsalter höchst unterschiedlich. (© picture-alliance, imageBROKER)

Mit der Einführung fester Altersgrenzen wurde in modernen Gesellschaften eine Norm geschaffen, die die Biographien von ganzen Generationen in die Phasen von Arbeit und Ruhestand trennte, die Planung und das Verhalten von Individuen, Unternehmen und Familien prägte.

Altersgrenze

Der durch das Alterssicherungssystem gewährte Rentenanspruch, ab einer bestimmten Altersgrenze eine Rente beziehen zu können, bedeutet zugleich, nicht mehr bis ins höchste Alter hinein arbeiten zu müssen.

Die Altersgrenze ist insofern eine zentrale Orientierungsgröße für die Lebensplanung der Beschäftigten und somit fester Bestandteil der Arbeitnehmer-Normalitätserwartung.

Quelle: Bäcker u. a. (2010), S. 365.


Bei dieser im öffentlichen Bewusstsein meist positiven Bewertung einer fixen Regelaltersgrenze als Bezugspunkt, ab dem der Arbeitsangebotszwang für Ältere aufgehoben wird, ist auch zu bedenken, dass die ursprüngliche Festlegung dieser Altersgrenze auf 70 Jahre im "Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Alterssicherung" von 1889 mehr ein verwaltungstechnisches Abfallprodukt als eine intendierte sozialpolitische Wohltat war: "In einem Alter, in dem quasi jeder Arbeiter als erwerbsunfähig gelten konnte, sollte das Institut der Altersrente den zeitraubenden und aufwändigen Nachweis der Erwerbsunfähigkeit ersparen".

Den Charakter einer sozialpolitischen Errungenschaft erhielt die Installierung einer Regelaltersgrenze formal mit ihrer Absenkung auch für Arbeiter auf 65 Jahre im Jahr 1916 und faktisch erst dadurch, dass die Altersrente mehr als nur ein Zuschuss zum Lebensunterhalt im Alter wurde und das Ziel der Armutsvermeidung, ja der Lebensstandardsicherung relevant wurde (v. a. durch die große Rentenreform 1957).

Seither, insbesondere im Kontext der arbeitsmarktinduzierten Frühverrentungspolitiken, v. a. aber mit der Wiederanhebung der Regelaltersgrenze durch die "Rente mit 67" findet eine permanente, hochgradig verästelte Diskussion über eine Flexibilisierung der Altersgrenzen statt. Gegenstand dieser Debatten sind im Inhalt wie in der Intention so verschiedene Dinge wie einerseits z. B. die Frage nach einer altersdiskriminierenden Wirkung der Regelaltersgrenze bzw. einiger berufs-/tätigkeitsspezifischer Sonderaltersgrenzen (z. B. bei Piloten).

Andererseits wird (gerade angesichts der Rente mit 67) die Frage diskutiert, ob es nicht neben der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit spezieller Renten für bestimmte Personen- oder Berufsgruppen bedarf (z. B. bei Schwerbehinderten, langjährig – speziell unter besonders belastenden Arbeitsbedingungen – Arbeitenden/Versicherten etc.).

Daneben gibt es, teils auch ideologisch begründete, Argumentationen, die eine starre Altersgrenze grundsätzlich ablehnen und der o. g. Normalitätsvorstellung das Ziel einer flexibilisierten und individualisierten Wahlfreiheit entgegenhalten. Dabei dürfte es ganz entscheidend auch auf eine versicherungsmathematisch gut begründete Flexibilisierung ankommen, denn eine nicht als gerecht empfundene Bevorzugung bestimmter Fallgruppen würde die Akzeptanz der Solidargemeinschaft belasten.

Geradezu unübersichtlich werden die Diskussionen zu diesem Thema dadurch, dass "flexible" versus "starre" Altersübergänge eben nicht nur ein Gegenstand von Regeln in der Gesetzlichen Rentenversicherung sind, sondern viele andere Rechts- und Politikbereiche berühren. So ist z. B. bei einem vorzeitigen Renteneintritt auch zu beachten, ob die Alterssicherungsleistungen aus privater bzw. betrieblicher Vorsorge ebenfalls flexibel sind, ob Hinzuverdienstgrenzen zu beachten sind usw. Bei einer Überlegung, evtl. über die Regelaltersgrenze hinaus länger zu arbeiten, ist der Arbeitsvertrag und die Zustimmung des Arbeitgebers relevant, wie auch die Ausgestaltung der konkreten Arbeitswelt, wodurch sich Herausforderungen und Chancen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber ergeben.

Die Ausführungen in diesem Abschnitt können auf solche Verästelungen nur begrenzt eingehen. Behandelt werden vor allem Fragen nach der Sinnhaftigkeit eines abrupten versus langsamen Übergangs in den Ruhestand, nach bestehenden Möglichkeiten eines flexiblen Renteneintritts und ihren Problemen sowie nach den sich im Zusammenhang mit der Rente mit 67 diesbezüglich aktuell stellenden Herausforderungen.

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Gerhard Bäcker, Prof. Dr., geboren 1947 in Wülfrath ist Senior Professor im Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Bis zur Emeritierung Inhaber des Lehrstuhls "Soziologie des Sozialstaates" in der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkte: Theorie und Empirie des Wohlfahrtsstaates in Deutschland und im internationalen Vergleich, Ökonomische Grundlagen und Finanzierung des Sozialstaates, Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere Alterssicherung, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lebenslagen- und Armutsforschung.

Ernst Kistler, Prof. Dr., geboren 1952 in Windach/Ammersee ist Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie, INIFES gGmbH in Stadtbergen bei Augsburg. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Arbeitsmarktberichterstattung, Demografie, Sozialpolitik, Armutsforschung.