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Stadt und Migration – eine Einführung | Stadt und Gesellschaft | bpb.de

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Stadt und Migration – eine Einführung Zu den Formen der Zuwanderung in die Städte

Inken Carstensen-Egwuom

/ 21 Minuten zu lesen

Urbane Orte sind die primären Zielorte für Zuwandernde. Inken Carstensen-Egwuom stellt Wege der Migration und die Diversität der städtischen Migrationsbevölkerung vor.

(@ Meike Fischer)

Die nachfolgenden Zitate aus einführenden Texten in die Migrations-, Stadt- und Raumforschung betonen: Städtische Entwicklung und städtisches Leben setzen räumliche Mobilität voraus. Die Versorgung der Menschen in den Städten ist nur mit Produkten und Rohstoffen von „anderswo“ möglich. Die städtische Wirtschaft ist außerdem von Menschen abhängig, die in die Stadt ziehen, um dort zu arbeiten – und auch von solchen Menschen, die „in die Welt“ ziehen und vielleicht eine Verbindung zu ihrer Herkunftsregion oder -stadt aufrechterhalten. In Kampagnen wie den „Migrant Strikes“ wird das verdeutlicht: Viele wirtschaftliche Aktivitäten in großen und kleinen Städten basieren auf der Arbeitskraft von MigrantInnen. Städtisches Leben ist somit von einer Vielfalt an Perspektiven auf aktuelle Herausforderungen und Probleme geprägt.

Zitat

"Großstädte entstehen und wachsen durch Zuwanderung. Zuwanderung ist konstitutiver Bestandteil der Stadtentwicklung. Ohne Zuwanderung gibt es nicht nur kein Bevölkerungswachstum, selbst Stabilität der Bevölkerung würde es in Großstädten ohne Zuwanderung nicht geben.''

Häussermann/Oswald 1997
Zitat

"Stadtgeschichten sind immer auch Migrationsgeschichten.“

Yildiz 2013
Zitat

"Städte, ihr Wachstum und ihre Veränderungsprozesse [sind] nicht ohne Wanderungsprozesse zu verstehen.“

Pott & Tsianos 2014
Zitat

"Ohne Migration gibt es keine Städte und Migranten wandern meistens in Städte.“

Hillmann 2016

Um genauer über den Zusammenhang von Stadtgesellschaft und Migration nachzudenken, sind zunächst Begriffsklärungen nötig: Was wird als Migration benannt? Wer wird als MigrantIn bezeichnet? Danach wird eine Unterscheidung verschiedener Gruppen von MigrantInnen vorgenommen und anhand von aktuellen Statistiken die migrationsbedingte Diversität in deutschen Städten beschrieben. Zuletzt werden unterschiedliche Perspektiven aufgezeigt, aus denen der Zusammenhang von Stadt und Migration betrachtet werden kann.

Was wird als Migration definiert, wer als Migrant oder Migrantin?

Migration

Nach einer international weit verbreiteten Definition von UN und OECD wird als langfristige internationale Migration jeder Wohnsitzwechsel gezählt, bei dem eine Person über mehr als ein Jahr in einen anderen Nationalstaat zieht. Umzüge innerhalb von Nationalstaaten werden als Binnenmigration bezeichnet. Auch auf der Ebene der EU kann bei einem Umzug aus einem EU-Land in ein anderes von EU-Binnenmigration gesprochen werden. Wohnortswechsel, die von kürzerer Dauer sind, aber saisonal bzw. regelmäßig wiederkehren – etwa die Wanderungen von SaisonarbeiterInnen oder von 24-Stunden-Pflegekräften, die sich monatlich abwechseln – werden als kurzfristige internationale Migration bezeichnet. Je nach Richtung der Migration und Perspektive werden die Personen, die migrieren, als ImmigrantInnen oder als EmigrantInnen bezeichnet. Diese Einführung konzentriert sich auf Immigration in deutsche Städte.

Aus analytischer Perspektive kann jede Migrationsbewegung durch ein großes Bündel an Motiven (auf individueller sowie auf Haushalts- oder Gemeinschaftsebene) und durch erschwerende oder erleichternde institutionelle Bedingungen (Visa-Voraussetzungen, ökonomische Bedingungen, rechtliche Beschränkungen und Barrieren an Grenzen, Wohnortzuweisungen, Anwerbeabkommen, Zuerkennung von internationalem Schutz, etc.) charakterisiert werden. Es gibt also jenseits eines individuellen Entscheidungsspielraums von MigrantInnen eine Vielzahl an steuernden, ermöglichenden und beschränkenden Faktoren für Migration. Eine Flucht vor Verfolgung oder Krieg gehört aus dieser Perspektive ebenso zu einer Definition von Migration wie der längerfristige Einsatz von Fachkräften in ausländischen Zweigstellen des gleichen Konzerns. Damit ist Migration ein Oberbegriff für vielfältige Wanderungsbewegungen mit einer Vielzahl an komplexen Geschichten, Ressourcen und Ansprüchen.

Migrationshintergrund

Eine in Deutschland verwendete statistische Kategorie, die auch familiengeschichtliche Migrationserfahrungen miteinbezieht, ist die der Menschen mit Migrationshintergrund. Die Kategorie wurde im Jahr 2005 vom statistischen Bundesamt eingeführt. Mit ihr wurden zunächst „alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland Geborenen mit mindestens einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil“ zusammengefasst. Inzwischen hat eine Person laut der Definition des Statistischen Bundesamtes (2017a, 4) einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt. Die Kategorie macht also sichtbar, wie sehr Deutschlands EinwohnerInnen – und dabei ganz besonders die städtische Bevölkerung – von vergangenen und aktuellen Migrationsbewegungen geprägt sind.

Gleichzeitig aber ist die Kategorie der Menschen mit Migrationshintergrund sehr grob. Sie umfasst eine noch größere Vielfalt an Lebenslagen und Erfahrungen als die oben beschriebene Kategorie der langfristigen internationalen MigrantInnen. Außerdem wird eine (inzwischen oft hochbetagte) Gruppe von Personen mit eigener Migrationserfahrung in dieser Begriffsbestimmung wiederum ausgespart: nämlich diejenigen, die in der direkten zeitlichen Folge des Zweiten Weltkriegs (bis 1949) auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland geflohen sind oder dorthin vertrieben wurden. Um die Diversität der Erfahrungen von Menschen mit Migrationshintergrund schlaglichtartig zu verdeutlichen, zeigt die folgende Tabelle 1 eine Differenzierung der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Deutschland nach Staatsbürgerschaft (ausländisch oder deutsch) und eigener Migrationserfahrung (mit oder ohne).

Tab. 1: Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland

Mikrozensus 2015

Eigene Migrationserfahrung Ohne eigene Migrationserfahrung Gesamt
Ausländische Staatsbürgerschaft ca. 6,43 Mio.ca. 1,34 Mio.ca. 7,77 Mio.
Deutsche Staatsbürgerschaft ca. 5,02 Mio.ca. 4,32 Mio.ca. 9,34 Mio.

Quelle: Statistisches Bundesamt 2017a, 36. Eigene Darstellung.

Angesichts der Diversität der Erfahrungen und der Hintergründe, die sich jeweils in unterschiedlichen Kategorien verbergen, versuchen neuere Forschungsarbeiten mit dem Begriff der postmigrantischen Gesellschaft gängige gegensätzliche Kategorisierungen als EinheimischeR und MigrantIn in Frage zu stellen. Dabei wird zum einen auf andere wesentliche Differenzen wie etwa Einkommen, Bildungsstand, Geschlecht und rassialisierte Kategorisierungen aufmerksam gemacht. Zum anderen wird ein Raum für die Artikulation mehrdeutiger und „mehrheimischer“ Perspektiven geschaffen.

Besonders auffällig bei den unterschiedlichen Begriffsbestimmungen ist: Bei Anwendung der geläufigen UN-Definition langfristiger internationaler Migration werden nur Personen mit eigener Migrationserfahrung als MigrantInnen charakterisiert. Im deutschsprachigen Raum jedoch werden im Alltag auch etliche (etwa in Köln, Berlin oder Düsseldorf geborene) Personen ohne eigene Migrationserfahrung als MigrantInnen bezeichnet. Ihnen wird damit eine „pränatale“ Migrationserfahrung unterstellt. In Auseinandersetzung mit solchen Benennungen, die ihre selbstverständliche Anwesenheit in und Zugehörigkeit zu Deutschland in Frage stellen, entwickelten verschiedene Gruppen unterschiedliche humoristische bis ernste Gegenstrategien und Interventionen: Initiativen, Zusammenschlüsse und Vereine wie Kanak Attack oder der braune mob e.V. , Comedians wie Fatih Çevikkollu sowie Bücher wie „Wir Neuen Deutschen“ oder „Das Manifest der Vielen“ sind nur einige von vielen Beispielen. Solche zivilgesellschaftlichen Bewegungen entwickeln sich häufig in Großstädten. Dies lässt sich unter anderem mit der Vielfalt und Hybridität von städtischen Identitäten, mit der Förderung von diversen Kultur- und Kunsteinrichtungen als Räume des Nachdenkens und der Auseinandersetzung sowie mit der Funktion städtischer Räume als Knotenpunkte internationalen Austauschs in Verbindung bringen.

Auch statistisch lässt sich zeigen, dass (familiengeschichtliche) Migrationserfahrungen und eine migrationsbedingte Diversität in städtischen Regionen alltäglicher sind als in ländlichen Gebieten, zudem in Westdeutschland stärker vertreten sind als in den ostdeutschen Bundesländern (ohne Berlin). Dem Mikrozensus von 2015 zufolge liegt der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung in den Stadtstaaten Hamburg (28,8 %), Berlin (27,7 %) und Bremen (29,4 %) bei über einem Viertel, genauso wie in Hessen (28,4 %), Baden-Württemberg (28,0 %) und Nordrhein-Westfalen (25,6 %). Unter den östlichen Bundesländern (ohne Berlin) sind Brandenburg (5,9 %) und Sachsen (5,4 %) die Länder mit den höchsten Anteilen an Menschen mit Migrationshintergrund.

Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung nach nicht-administrativen Gebietseinheiten (Mikrozensus 2015)

Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung nach nicht-administrativen Gebietseinheiten (Interner Link: Grafik zum Download) (© bpb)

Der in der Grafik gezeigte Vergleich zwischen ländlichen, verstädterten und städtischen Regionen macht zudem deutlich: In städtischen Regionen liegt der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund durchschnittlich bei 26,9 Prozent. In ländlichen Regionen beträgt der Anteil hingegen nur 12,1 Prozent. Die städtische Diversität und die Normalität vielfältiger Herkünfte in den Städten führen unter anderem dazu, dass sich junge GroßstädterInnen mit Migrationshintergrund oft unmissverständlich mit ihrer Geburtsstadt identifizieren können. Dagegen ist es für sie teilweise schwieriger zu artikulieren, sie seien „Deutsche“ Wenn auf der Ebene der (Groß-)Stadt ein Zugehörigkeitsgefühl besteht, muss dies also nicht, wie es eine einfache Über- und Unterordnung von Räumen implizieren würde, auch auf einer größeren räumlichen Ebene gelten. Frankfurt ist zwar Teil von Hessen und Hessen wiederum Teil von Deutschland, doch wer FrankfurterIn ist, wird nicht unbedingt auch als HessIn und DeutscheR anerkannt bzw. würde sich selbst so bezeichnen. Damit verändert sich auch der Blick auf die Stadt selbst:

QuellentextStädtische Diversität

Eine Großstadt ist also in solchen Zugehörigkeitsprojekten implizit nicht Teil einer nationalen Republik, sondern eine potenziell weltstädtische Metropole, die sozialen und kulturellen Raum für Lebensprojekte bietet, in denen Mehrfachzugehörigkeiten und Migrationsgeschichten normal sind und transnationale, multilokale Verflechtungen die Kultur prägen.

Quelle: Carstensen-Egwuom 2011

Die Diversität der städtischen Migrationsbevölkerung

Doch woher und mit welchen Erfahrungen kommen internationale MigrantInnen in deutsche Städte? Zur Frage nach dem „woher“ werden in Abschnitt 3 nach Staatsangehörigkeit differenzierte statistische Auswertungen vorgestellt. Dadurch werden außerdem beispielhaft die großen Unterschiede in der migrationsbedingten Diversität deutscher Städte aufgezeigt. Im Folgenden werden demgegenüber zunächst unterschiedliche Gruppen von ZuwanderInnen differenziert, deren (institutionalisierte) Aufenthalts- und Lebensbedingungen sich ansatzweise unterscheiden lassen.

Eine erste Gruppe bilden diejenigen Menschen mit Migrationshintergrund, deren Aufenthalt in Deutschland auf der aktiven Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften (in der BRD von 1955 bis 1973, in der DDR von 1965 bis 1989) beruht. In Westdeutschland sind dies häufig Menschen türkischer, italienischer und griechischer Herkunft (sogenannte „GastarbeiterInnen“). In Ostdeutschland ist die größte Gruppe der ehemaligen ArbeitsmigrantInnen vietnamesischer Herkunft (sogenannte „VertragsarbeiterInnen“). Ein Großteil lebt inzwischen in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland. Die MigrantInnen dieser Gruppe kamen nicht auf eigene Faust nach Deutschland, sondern sie wurden jeweils von konkreten Betrieben angefordert und je nach Arbeitskräftebedarf an unterschiedlichen Orten, zunächst meist in Sammelunterkünften, untergebracht.

So wurden sie beispielsweise ganz besonders in Regionen mit einem hohen Anteil an industriellen Arbeitsplätzen oder mit einem hohen Arbeitskräftebedarf in der Logistikbranche eingesetzt. Nach dem Anwerbestopp 1973 setzte ein verstärkter Familiennachzug ein. In der Folge zogen die ArbeitsmigrantInnen häufig mit ihren Familien in billige, fabriknahe Wohnungen und in die Sanierungsgebiete der Innenstädte (häufig Stadtteile mit Planungsunsicherheiten). Durch den Strukturwandel der Wirtschaft wurden viele der ehemals Angeworbenen arbeitslos, während insgesamt ein Sockel struktureller Arbeitslosigkeit bei ehemaligen IndustriearbeiterInnen entstand. Auch in Ostdeutschland verloren die sogenannten VertragsarbeiterInnen direkt nach der Wende auf einem chaotischen Arbeitsmarkt mit großen Rechtsunsicherheiten als erste ihre Arbeit. Durch die Konzentration auf arbeitsintensive Branchen und manuelle Tätigkeiten sowie diskriminierende Entlassungen traf der wirtschaftliche Strukturwandel und der politisch-gesellschaftliche Umbruch in der DDR also auch die VertragsarbeiterInnen hart.

Eine im städtischen Raum recht deutlich sichtbare Strategie von ArbeitsmigrantInnen (und anderen Gruppen von MigrantInnen), mit Arbeitslosigkeit und strukturellem Ausschluss umzugehen, eigene Träume und Vorstellungen umzusetzen und auch ein Bleiberecht zu erlangen, ist diejenige des Aufbaus einer Selbstständigkeit. Insbesondere in benachteiligten Quartieren mit einem hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund entwickelte sich daraus eine lebendige, kleinbetriebliche Ökonomie und eine alltägliche Multikulturalität. Die unternehmerische Selbständigkeit ist dabei gleichzeitig verbunden mit einer Hoffnung auf stärkere gesellschaftliche Teilhabe wie auch mit der Befürchtung von Aufstiegshindernissen und Ausschluss.

Bezüglich der aktuellen Zuwanderung nach Deutschland zum Zweck der Erwerbstätigkeit können mehrere Kategorien unterschieden werden, da je nach Qualifikationsniveau der Erwerbstätigkeit für Nicht-EU-BürgerInnen unterschiedliche Prozesse und Voraussetzungen gelten und ein unterschiedlicher Aufenthaltstitel erteilt wird: Beschäftigungen, für die keine Berufsausbildung erforderlich ist, qualifizierte Beschäftigung, akademische Berufe (Blaue Karte EU), leitende Angestellte und SpezialistInnen sowie Einwanderung im Rahmen eines internationalen Personalaustausches innerhalb großer Unternehmen (Expatriates)(BMI/BAMF 2016, 65-74).

Eine andere Gruppe von ArbeitsmigrantInnen sind BürgerInnen der Europäischen Union, die ein Recht auf Personenfreizügigkeit haben (Recht auf Einreise und Aufenthalt gemäß § 2 Abs. 1 FreizügG/EU). „Dies schließt das Recht ein, den Arbeitsplatz frei zu wählen. Freizügigkeitsberechtigt sind Arbeitnehmer, Erbringer und Empfänger von Dienstleistungen, niedergelassene selbständige Erwerbstätige sowie die […] Familienangehörigen dieser Personen“ (BMI/BAMF 2016, 55). Mit den verschiedenen Erweiterungsrunden der EU wurden zunächst zeitweise Beschränkungen der Personenfreizügigkeit für Staatsangehörige neuer EU-Mitgliedsstaaten eingeführt, seit dem 1.7.2015 allerdings gilt für alle EU-BürgerInnen in Deutschland die volle Personenfreizügigkeit (BMI/BAMF 2016, 56). Im Jahr 2015 waren Rumänien, Polen und Bulgarien die bedeutendsten Herkunftsländer von EU-BinnenmigrantInnen in Deutschland. Insgesamt wurden ca. 846.000 Zuzüge aus EU-Staaten registriert. Die EU-BinnenmigrantInnen machten damit im Jahr 2015 ca. 40 Prozent der Gesamtzuwanderung nach Deutschland aus (BMI/BAMF 2016, 57). Im gleichen Jahr zogen auch ca. 518.000 EU-BürgerInnen aus Deutschland fort. Insgesamt bleibt jedoch ein positiver Wanderungssaldo gegenüber allen EU-Mitgliedsstaaten (BMI/BAMF 2016, 60).

Nach einem Rückgang der Asylanträge in Deutschland bis 2008 ist die Zahl der Personen, die in Deutschland Schutz vor Krieg, Verfolgung oder Diskriminierung suchen und einen Asylantrag stellen, bis 2015 wieder kontinuierlich gestiegen. Diese Menschen werden nach dem Königssteiner Schlüssel, der sich an Bevölkerungszahl und Steueraufkommen orientiert, auf die unterschiedlichen Bundesländer verteilt. Um in Deutschland einen Asylantrag zu stellen, muss sich eine Person zunächst einmal im Bundesgebiet aufhalten, also die EU-Außen- und Binnengrenzen überwinden. Im Jahr 2015, im sogenannten Sommer der Migration, kamen besonders viele Personen als Schutzsuchende nach Deutschland. Insgesamt wurden in diesem Jahr 1.091.894 Personen im Verteilungssystem für Asylsuchende erfasst und den Bundesländern zugewiesen (BAMF 2016, 29). Die Hauptherkunftsländer der Schutzsuchenden waren Syrien mit ca. 428.000 Personen, Afghanistan mit ca. 154.00 Personen und der Irak mit ca. 122.000 Personen (BAMF 2016, 30).

Im Jahr 2016 gingen die Zahlen der neueinreisenden Asylsuchenden aufgrund von Restriktionen und Abkommen zum Umgang mit den EU-Außengrenzen wieder zurück. Es wurden jedoch mehr Asylanträge gestellt als in 2015, weil die Antragstellung häufig erst einige Monate nach Einreise erfolgen kann. In den Bundesländern werden AsylantragstellerInnen zunächst in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht (BAMF 2016, 31) und danach je nach sogenannter „Bleibeperspektive“ für die Dauer des Asylverfahrens auf die Kommunen verteilt.

Außerdem sind sie inzwischen auch nach einer Anerkennung als international schutzberechtigte Person (Asylanerkennung, Flüchtlingsanerkennung oder subsidiär schutzberechtige Person) dazu verpflichtet, ihren Wohnsitz dort zu nehmen, wohin sie zugewiesen wurden, solange sie keiner Erwerbstätigkeit nachgehen.

Auch die Zuständigkeit der einzelnen Außenstellen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für bestimmte Herkunftsländer führt zu spezifischen Mustern der Verteilung verschiedener Nationalitäten von Schutzsuchenden auf Regionen und Städte, denn nicht jede Außenstelle ist für jedes Herkunftsland verantwortlich. Eine Übersicht über die Zuständigkeiten der verschiedenen Aufnahmeeinrichtungen wird jährlich in einer Herkunftsland-Liste zusammengestellt. Daran lässt sich erkennen, dass beispielweise für das Herkunftsland Jemen nur die Außenstellen des BAMF in Kiel und Neumünster, für Nigeria nur die Außenstellen in Essen, Dortmund, Karlsruhe und München zuständig sind.

Wenn ein Asylgesuch abgelehnt wurde, jedoch keine eigenständige Ausreise erfolgt und von einer Abschiebung vorübergehend abgesehen wird, weil den betreffenden Personen eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben droht oder eine Abschiebung nicht möglich ist (zum Beispiel, weil in dem Herkunftsland Krieg herrscht, medizinische Probleme vorliegen oder sie keine Papiere haben), wird eine sogenannte Duldung ausgestellt. In vielen Fällen verbleiben Menschen lange im Status der Duldung. Sie muss häufig in kurzen Abständen verlängert werden und begründet eine besonders große Unsicherheit über die Perspektive in Deutschland. Über eine nachhaltige Integration (Erwerbstätigkeit, Deutschkenntnisse, etc.) können geduldete Personen nach acht Jahren eine Aufenthaltserlaubnis bekommen (§ 25b AufenthG).

Einen Sonderfall stellt die sogenannte Ausbildungsduldung dar, die für Auszubildende mit Duldung sicherstellen soll, dass sie für die Dauer der Ausbildung in Deutschland bleiben dürfen (§ 60a Abs.2 AufenthG). Hannes Schammann stellt fest, dass verschiedene kommunale Ausländerbehörden ihre Ermessensentscheidungen insbesondere im Themenbereich der Duldung unterschiedlich ausgestalten. Je nach Bundesland und Kommune kann die Situation für Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus dadurch ganz unterschiedlich ausfallen.

In besonders prekären rechtlichen Verhältnissen leben illegalisierte MigrantInnen. Für MigrantInnen ohne gültigen Aufenthaltstitel, deren Zahl schwer zu schätzen ist, machen die lokal verschiedenen Routinen der Überwachung und Kontrolle oder des Zugangs zu Rechten wie Schulbildung oder medizinischer Versorgung einen großen Unterschied. So gibt es zum Beispiel in etlichen Städten in Deutschland medizinische Anlaufpraxen für Menschen ohne Papiere, die jedoch häufig prekär finanziert oder ehrenamtlich organisiert sind.

MigrantInnen deutscher Herkunft aus verschiedenen Ländern der ehemaligen Sowjetunion, der ehemaligen Tschechoslowakei sowie aus Polen und Rumänien bilden eine weitere Gruppe von Personen mit Migrationshintergrund. Bis 1992 konnten sie laut Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (BVFG) als AussiedlerInnen, ab 1993 als SpätaussiedlerInnen in einem institutionalisierten Aufnahmeverfahren, das bereits im Herkunftsland beginnt, nach Deutschland einreisen. Die Aufnahme von SpätaussiedlerInnen basiert auf dem Konstrukt der „deutschen Volkszugehörigkeit“, die auf unterschiedliche Weise nachgewiesen und anerkannt werden muss. Seit 2007 kann das Bekenntnis „zum deutschen Volkstum“ durch eine entsprechende Erklärung und einen Nachweis von Sprachkenntnissen auf dem Niveau B1 des europäischen Referenzrahmens erfolgen (BMI/BAMF 2016, 160). Auch Familienangehörige und Nachkommen können auf Antrag und unter bestimmten Bedingungen nach Anerkennung der Spätaussiedlereigenschaft mit einreisen. (Spät-)AussiedlerInnen müssen sich nach Einreise in einer Erstaufnahmeeinrichtung des Bundes registrieren lassen und werden – wie Asylsuchende – nach dem Königssteiner Schlüssel auf die Bundesländer verteilt (BMI/BAMF 2016, 160-161). Die (Spät)Aussiedlerzuwanderung machte zwischen 1988 und 1990 mit jährlich 200.000 bis fast 400.000 Personen einen großen Teil der Zuwanderung nach Deutschland aus, von 1991 bis 1995 lag sie stabil bei über 200.000 Personen jährlich. Seit 1995 sinkt die Neuzuwanderung von SpätaussiedlerInnen kontinuierlich seit 2006 macht sie jährlich nur zwischen 1.800 und 7.700 Personen aus.

Eine weitere Gruppe, jüdische MigrantInnen aus der ehemaligen Sowjetunion, wird seit 1990 durch ein besonderes, gesetzlich festgelegtes und institutionalisiertes Verfahren in Deutschland aufgenommen. „Die Aufnahme der russisch-jüdischen Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion bzw. den GUS-Nachfolgestaaten wurde in den Verlautbarungen deutscher Politiker als ein Akt besonderer moralischer Verpflichtung dargestellt“, schreibt Körber (2005, 23). Die Revitalisierung jüdischen Lebens und die Stärkung jüdischer Gemeinden war und ist ein explizites Ziel der Aufnahme jüdischer MigrantInnen in Deutschland (Körber 2005, 61). Bedeutende Prozentanteile der Mitgliederschaft von jüdischen Gemeinden in deutschen Städten sind inzwischen russischer oder ukrainischer Herkunft.

Wie auch die Zuwanderung von SpätaussiedlerInnen erfolgt die Immigration von Juden und Jüdinnen aus der ehemaligen Sowjetunion auf der Basis einer administrativen Zuschreibung ethnischer Zugehörigkeit, mit einer quotierten Zuweisung auf ein bestimmtes Bundesland und häufig in mehrgenerationalen Familienverbänden (Körber 2005, 56-59). Die Zahlen jüdischer ImmigrantInnen sind seit 2003 tendenziell stark zurückgegangen, 2015 wurden im gesamten Jahr lediglich 378 Personen aufgenommen (BMI/BAMF 2016, 131).

Junge Menschen, die nach Deutschland kommen, um ein Studium oder eine Ausbildung zu absolvieren, bilden eine weitere Kategorie von ZuwanderInnen. Diese BildungsmigrantInnen kommen aus der ganzen Welt – und ihre Ziele sind meist größere Städte mit begehrten Universitäten oder Fachhochschulen. BildungsmigrantInnen werden teils über Stipendien gefördert oder kommen über institutionalisierte Hochschulpartnerschaften nach Deutschland. EU-BürgerInnen können aufgrund der EU-Freizügigkeitsabkommen ohne Visum in Deutschland studieren und nach dem Studium arbeiten. Seit 2004 können auch BildungsmigrantInnen aus Drittstaaten nach dem erfolgreichen Abschluss ihres Studiums für eine Zeit von bis zu 18 Monaten in Deutschland bleiben, um sich eine ihrem Abschluss angemessene Arbeitsstelle zu suchen (§ 16 Abs. 4 AufenthG).

Ehe- und LebenspartnerInnen von AusländerInnen und Deutschen sowie Kinder unter 18 Jahren können über ein Visum zur Familienzusammenführung nach Deutschland einreisen. Für den Familiennachzug zu AusländerInnen muss grundsätzlich die Sicherung des Lebensunterhalts nachgewiesen werden (BMI/BAMF 2016, 141). Generell muss die nachziehende Person in den meisten Fällen eine Sprachprüfung absolvieren (BMI/BAMF 2016, 155). Bei anerkannten Flüchtlingen wird von einem Sprachnachweis sowie von der Sicherung des Lebensunterhaltes Abstand genommen, wenn der Antrag auf Familienzusammenführung bis zu drei Monate nach Anerkennung als Flüchtling gestellt wird (BMI/BAMF 2016, 141-142). Eine Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung berechtigt zur Erwerbstätigkeit. Die Aufenthaltserlaubnis von nachziehenden Ehe- und LebenspartnerInnen ist in den ersten drei Jahren nach Einreise grundsätzlich vom Bestehen der Ehe bzw. der Lebenspartnerschaft abhängig. Erst danach kann ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erworben werden. Diese Situation begründet ein Abhängigkeitsverhältnis und führt teilweise zu herausfordernden familiären Dynamiken.

Unterschiedliche migrationsbedingte Vielfalt in deutschen Städten

(@ Meike Fischer)

Anhand der oben gemachten Unterscheidung von verschiedenen Migrationswegen und damit zusammenhängenden Lebensbedingungen ist deutlich geworden: Obwohl aus dem gleichen Herkunftsland kommend, wohnen in einer Stadt meist Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen. Beispielsweise sind die Youtuber Allaa Faham (Hamburg) und Abdoul Abbasi (Göttingen), die den Kanal „GermanLifeStyle GLS“ aufgebaut haben, als Studierende nach Deutschland gekommen. Sie werden dennoch häufig als Geflüchtete wahrgenommen, weil sie aus Syrien stammen.

Aus der Türkei kommen in Deutschland beispielsweise sowohl MigrantInnen, die in Folge der Gastarbeiteranwerbung nach Deutschland gezogen sind, Personen, die als HeiratsmigrantInnen oder im Familiennachzug nach Deutschland kommen, Geflüchtete und internationale Studierende. Eine lediglich herkunfts(land)basierte Analyse der Lebensbedingungen verschiedener Gruppen von MigrantInnen ist also nicht zielführend, wenn sie nicht genauer auf Migrationswege, rechtliche und ökonomische Bedingungen schaut. Gleichwohl sollen im Folgenden Unterschiede zwischen deutschen Städten mit Bezug auf ihre migrationsbedingte Diversität näherungsweise und überblicksartig mit Hilfe der Daten zu den Staatsangehörigkeiten der ausländischen Bevölkerung aufgezeigt werden, da diese Daten zuverlässig und regelmäßig erhoben werden.

Abhängig von geschichtlichen, geographischen, wirtschaftlichen, administrativen und kulturellen Faktoren zeigen sich große Unterschiede in der Bevölkerung mit ausländischer Staatsangehörigkeit zwischen verschiedenen Städten und Regionen. Hier werden beispielhaft an den Städten Flensburg, Chemnitz, Wolfsburg und Düsseldorf einige Besonderheiten verdeutlicht.

Tab. 2: Die fünf häufigsten Staatsangehörigkeiten der ausländischen Bevölkerung in Flensburg, Schleswig-Holstein

Staatsangehörigkeit Dänemark Polen Türkei Syrien Rumänien
Personenanzahl 2.319877841587513
Prozentualer Anteil an der ausländischen Bevölkerung 24,19,18,76,15,3

Quelle: Statistisches Bundesamt 2016, 235-236. Eigene Darstellung.

Dass in Flensburg Dänisch die häufigste Staatsangehörigkeit der ausländischen Bevölkerung ist, kann mit besonderen historischen Bedingungen erklärt werden. Flensburg war in der frühen Neuzeit (16. Jahrhundert) die größte Handelsstadt der dänischen Krone und in der Zeit der Nationalstaatenbildung immer wieder zwischen Dänemark und Deutschland (bzw. zwischen Preußen und Österreich) umkämpft. Erst durch eine Abstimmung im Jahr 1920 wurde Flensburg eine deutsche Grenzstadt. Daher sind dänische Staatsangehörige in Flensburg auch meist keine MigrantInnen, sondern eine lang ansässige Minderheitsbevölkerung. Gleichwohl gelten sie in den gängigen statistischen Kategorien aufgrund ihrer ausländischen Staatsangehörigkeit als Menschen mit Migrationshintergrund. Die ausländische Bevölkerung in Flensburg macht insgesamt 8,9 Prozent der Gesamtbevölkerung von ca. 86.000 EinwohnerInnen (Statistisches Bundesamt 2017b, 31) aus.

Tab. 3: Die fünf häufigsten Staatsangehörigkeiten der ausländischen Bevölkerung in Chemnitz, Sachsen

Staatsangehörigkeit Syrien Afghanistan Indien Irak Russische Föderation
Personenanzahl 2.9861.6201.0971.0811.080
Prozentualer Anteil an der ausländischen Bevölkerung 14,88,05,45,45,4

Quelle: Statistisches Bundesamt 2016, 277-278. Eigene Darstellung.

Große Teile der ausländischen Bevölkerung in Chemnitz haben Staatsangehörigkeiten der Länder, aus denen Asylsuchende nach Deutschland kommen (z.B. Syrien, Afghanistan und Irak, s.u.). Diese Personen werden über einen Zuweisungsschlüssel nach Chemnitz verteilt, damit ihr Asylbegehren in Sachsen bearbeitet werden kann. Der große Anteil an InderInnen in Chemnitz lässt sich auf Bildungsmigration zum Studium an der Technischen Universität zurückführen. Da in Chemnitz ansonsten nur kleinere Gruppen von länger ansässigen MigrantInnen leben (Spätaussiedler und ihre Familienangehörigen, ehemalige vietnamesische VertragsarbeiterInnen), die außerdem häufig bereits eingebürgert sind, nehmen die Asylsuchenden und BildungsmigrantInnen mit ausländischer Staatsangehörigkeit hohe Prozentanteile ein. Insgesamt macht die ausländische Bevölkerung 5,8 Prozent der Gesamtbevölkerung von ca. 249.000 Menschen aus.

Tab. 4: Die fünf häufigsten Staatsangehörigkeiten der ausländischen Bevölkerung in Wolfsburg, Niedersachsen

Staatsangehörigkeit Italien Polen Syrien Türkei Tunesien
Personenanzahl 5.5561.202920633422
Prozentualer Anteil an der ausländischen Bevölkerung32,77,15,43,72,5

Quelle: Statistisches Bundesamt 2016, 289-290. Eigene Darstellung.

Der große Anteil an Personen mit italienischer Staatsangehörigkeit beruht auf der Anwerbung italienischer Gastarbeiter, die bei Volkswagen tätig wurden (von Oswald 1997). Volkswagen konzentrierte nach dem Bau der deutsch-deutschen Mauer 1961 alle Kraft auf eine Anwerbung von Arbeitskräften aus Italien. Dafür nennt von Oswald (1997) sowohl die Geschichte der italienischen „Fremdarbeiter“ zur NS-Zeit als auch die Effektivität der Anwerbeagenturen in Italien sowie die Beziehungen des katholischen Generaldirektors Nordhoff zum Vatikan in Rom als Gründe. Von 1970 bis 1973 wurden auch ArbeiterInnen aus Tunesien angeworben – auch dies ist in den heutigen Zahlen noch sichtbar. Insgesamt macht die ausländische Bevölkerung 12,4 Prozent der Gesamtbevölkerung von ca. 124.000 EinwohnerInnen aus.

Tab. 5: Die fünf häufigsten Staatsangehörigkeiten der ausländischen Bevölkerung in Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen

Staatsangehörigkeit Türkei Griechenland Polen Italien Japan
Personenanzahl 14.00010.2239.9487.4596.161
Prozentualer Anteil an der ausländischen Bevölkerung 9,77,16,95,24,3

Quelle: Statistisches Bundesamt 2016, 295-296. Eigene Darstellung.

In Düsseldorf zeigt sich im Vergleich zu allen vorher genannten Städten, dass unter den fünf häufigsten Staatsangehörigkeiten der ausländischen Bevölkerung keine derjenigen Länder vertreten sind, aus denen die meisten Asylsuchenden nach Deutschland kommen. Dies hängt mit der zahlenmäßig bedeutenderen, länger ansässigen ausländischen Bevölkerung aus den Gastarbeiter-Anwerbestaaten sowie aus der EU zusammen. Außerdem ist Düsseldorf die einzige deutsche Stadt, in der MigrantInnen aus Japan in der Gruppe der häufigsten ausländischen Staatsangehörigkeiten eingehen. JapanerInnen in Düsseldorf sind meist Fach- und Führungskräfte und deren Familienangehörige sowie Studierende der künstlerischen bzw. musikalischen Hochschulen. Für die Kinder der japanischen SpezialistInnen gibt es eine eigene japanische internationale Schule. Auf der Seite des japanischen Generalkonsulats in Düsseldorf wird die Geschichte der JapanerInnen in Düsseldorf nachgezeichnet und berichtet, dass Düsseldorf manchmal als „Klein-Tokyo am Rhein“ bezeichnet wird. Insgesamt macht die ausländische Bevölkerung 18,1 Prozent der Gesamtbevölkerung von ca. 612.000 EinwohnerInnen aus.

Verschiedene Perspektiven auf Stadt und Migration

In den letzten beiden Abschnitten wurde überblicksartig die Diversität der Migrationsbevölkerung in deutschen Städten und die unterschiedliche migrationsbedingte Vielfalt deutscher Städte beschrieben. Zum Abschluss sollen hier aus einer systematisierenden Perspektive heraus unterschiedliche wissenschaftliche Denkansätze und Herangehensweisen an das Thema Stadt und Migration vorgestellt werden. Diese Herangehensweisen lassen sich jeweils mit spezifischen gesellschaftspolitischen Perspektiven, Zielen und Absichten verbinden.

Um die Aktivitäten und Perspektiven von medial und politisch marginalisierten Personen in den Fokus zu rücken, konzentriert sich eine erste Gruppe von Ansätzen auf die Sichtweisen, politischen Bewegungen und Kämpfe von MigrantInnen. Anders als statistisch orientierte, kategorisierende und objektivierende Gesamtbetrachtungen der städtischen Migrationsgesellschaft schärfen solche Ansätze den Blick für die unterschiedlichen Interessenlagen mit Bezug auf das Thema Diversität und Einwanderung. Hierzu können beispielsweise die Ziele, Möglichkeiten und Einschätzungen des städtischen Alltagslebens und der städtischen Entwicklung aus der Perspektive einer bestimmten Gruppe von MigrantInnen nachgezeichnet werden. Im Hinterzimmer eines Afro-Shops lässt sich zum Beispiel durch geduldiges, langfristiges Zuhören bei Diskussionen um die Vor- und Nachteile verschiedener europäischer und amerikanischer Städte viel über relevante Aspekte der Einschätzung des städtischen Lebens lernen. Weiterhin können die politischen und kulturellen Aktivitäten und Interventionen verschiedener Gruppen von MigrantInnen in der Stadt in den Vordergrund gerückt werden – und damit auch die Kämpfe um Rechte und die Bemühungen um Teilhabe in der Stadtgesellschaft.

Hier können als Beispiele die Protestcamps am Berliner Oranienplatz, die Aktivitäten der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ (Hess & Lebuhn 2014) oder auch die Aktivitäten des Vereins „Afrika ist auch in Bremen“ oder der African Football Cup in Bremen genannt werden.

Eine zweite Gruppe von Ansätzen rückt die institutionellen und diskursiven Mechanismen der Produktion von Unterschieden zwischen (verschiedenen Gruppen von) MigrantInnen und Einheimischen in der Stadtgesellschaft in den Fokus. Solche Ansätze zielen auf eine Reflexion der differenzierten In- und Exklusion verschiedener Gruppen von MigrantInnen in der Stadtgesellschaft. Differenzierungen können dabei beispielsweise je nach Herkunftsland, Aufenthaltsstatus, beruflichem Status, Migrationsweg, Geschlecht oder Lebensalter analysiert werden. Durch solche Herangehensweisen werden komplexe, miteinander verwobene Hierarchisierungen sichtbar gemacht. Im Zentrum steht dabei die Analyse der unterschiedlichen Möglichkeiten von MigrantInnen zu einer gesellschaftlichen Teilhabe. Eine Konsequenz dieser Perspektive ist, dass sie den analytischen Blick von einem individuellen Fokus auf den sogenannten Integrationswillen einzelner MigrantInnen hin zu strukturellen Möglichkeiten und politisch festgelegten Zugangsbarrieren lenkt. Auf der Ebene konkreter lokaler Verhandlungen von Migration wird dazu beispielsweise der stadtpolitische Umgang mit Migrations- und Integrationsprozessen (z.B. anhand von Integrationskonzepten, Segregationsprozessen oder Stadtteilpolitiken) analysiert. Dabei wird auch deutlich, wie kommunale Politiken jeweils in komplexe Mehrebenensysteme eingebettet sind (zur Flüchtlingspolitik siehe beispielsweise Schammann & Kühn 2016).

Zu diesen Ansätzen gehört außerdem die Betrachtung von Erzählungen über und Darstellungen von MigrantInnen in der städtischen Öffentlichkeit (z.B. in lokalen Tageszeitungen): Kommen MigrantInnen als Akteure vor? Welche Rollen werden ihnen zugeschrieben, welche Funktion zugesprochen? (Glick Schiller 2012, 896-897). Durch solche Analysen wird deutlich, welche Handlungs- und Teilhabemöglichkeiten (verschiedenen Gruppen von) MigrantInnen durch vorherrschende öffentliche Normalitätsannahmen zugewiesen werden.

Auf die Einbindung von Städten in internationale wirtschaftliche Verflechtungen fokussiert eine dritte Gruppe von Ansätzen, die hier abschließend vorgestellt werden soll. Migration wird dabei als grundlegender Teil der städtischen (Wirtschafts-)Entwicklung betrachtet. Solche Ansätze öffnen den analytischen Blick für Verbindungslinien zwischen der aktuellen Migrationssituation in Städten und globalen, kolonialen Verflechtungsgeschichten (Mains et al. 2013; Conrad & Randeria 2002). Initiativen wie „Hamburg postkolonial“ oder „Berlin postkolonial“ thematisieren in ihren erinnerungspolitischen Interventionen unter Anderem, dass die aktuelle migrationsbedingte Diversität in Städten nicht unabhängig von (post)kolonialen Machtverhältnissen und Verbindungen gesehen werden kann.

So lässt sich beispielsweise analysieren, wie städtische Identitäten und Abgrenzungen, Institutionen und Wirtschaftsstrukturen historisch verankert und auf spezifische Weise in die globalisierte Welt eingebunden sind. Damit ist das gesellschaftspolitische Anliegen verbunden, der Annahme entgegenzutreten, dass Städte, Regionen und Nationen sich unabhängig von ihrer Einbettung in überlokale Verflechtungen und anhand einer eigenständigen, abgrenzbaren inneren Logik entwickeln. Die spezifischen Möglichkeiten von MigrantInnen innerhalb städtischer Ökonomien sind ebenfalls, wie Glick Schiller & Çaglar (2011) betonen, von der Position der jeweiligen Stadt im Feld internationaler Kontakte, in Wettbewerbs- und Handelsstrukturen geprägt. Daraus entwickeln sich auch unterschiedliche Möglichkeiten für MigrantInnen, sich in konkreten Städten ökonomisch, politisch und gesellschaftlich einzubringen und somit die jeweilige Stadt ihrerseits zu prägen.

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Inken Carstensen-Egwuom ist geographische Migrationsforscherin. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen transnationale Migration, Intersektionalität, postkoloniale Theorien sowie Positionalität und Reflexivität in qualitativer Forschung. Im Jahr 2016 verteidigte sie an der Europa-Universität Flensburg erfolgreich ihre Dissertationsschrift mit dem Titel „Intersektionalität und Transnationalismus zusammen denken. Eine intersektionale Perspektive auf die transnationale soziale Positionierung nigerianischer Migranten in Bremen.“ Sie arbeitet in der Anlauf- und Beratungsstelle für ehrenamtliches Engagement mit Geflüchteten bei der Stadt Flensburg.