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Der Energiebinnenmarkt der EU | Energiepolitik | bpb.de

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Der Energiebinnenmarkt der EU Große Pläne, aber nur zögerliche Umsetzung

Oliver Geden

/ 6 Minuten zu lesen

Die Vollendung des europäischen Binnenmarkts für Strom und Gas kommt nach wie vor nur schleppend voran, obwohl dessen Vorteile auf der Hand liegen. Ein diskriminierungsfreier grenzüberschreitender Handel würde die Energieversorgung nachhaltiger, preisgünstiger und vor allem sicherer machen.

Ein Ingenieur des ungarischen Energiekonzerns FGSZ kontrolliert das Erdgasnetz des Landes. Die Netzinfrastruktur der EU-Staaten ist nicht ausreichend miteinander verknüpft, um einen unbeschränkten Wettbewerb zu garantieren. (© AP, Bela Szandelszky)

Die Europäische Union (EU) verfügt seit 1993 über einen sehr weitgehend integrierten Binnenmarkt, der in vielen Wirtschaftssektoren für europaweit einheitliche Bedingungen sorgt und einen diskriminierungsfreien Zugang aller Anbieter in jedem Mitgliedstaat gewährleistet. Eine bedeutende Ausnahme bildet der Handel mit den leitungsgebundenen Energieträgern Strom und Gas. Trotz zahlreicher Anläufe ist die Schaffung eines funktionierenden Energiebinnenmarkts bis heute nicht vollendet. Die nationalen Energiemärkte sind grenzüberschreitend nur unzureichend miteinander verknüpft, und die Mitgliedstaaten unterscheiden sich in ihrer Energiepolitik immer noch sehr stark.

EU-Staaten sind unterschiedlich stark von Energieimporten abhängig

Themengrafik: Energieimporte der EU-27 (PDF) (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Betrachtet man den EU-Gesamtenergiemix (Werte jeweils für 2010), so haben die fossilen Energieträger Öl (35,1 Prozent), Gas (25,1 Prozent) und Kohle (15,9 Prozent) nach wie vor die größten Anteile. Atomenergie macht 13,5 Prozent aus und die erneuerbaren Energieträger kommen auf 9,8 Prozent. Die Importabhängigkeit ist bei Rohöl mit 84 und bei Erdgas mit 62 Prozent schon jetzt sehr hoch, bei Kohle beträgt sie vergleichsweise niedrige 39 Prozent. Problematisch ist dabei auch die Abhängigkeit von nur wenigen Produzentenländern. So ist Russland sowohl bei Öl, Gas und Kohle der größte Lieferant der EU. Da sich die Energiemärkte weltweit in einer Umbruchphase befinden, sind zukünftige Trends derzeit nur sehr schwer zu bestimmen. Sicher ist lediglich, dass der Anteil der erneuerbaren Energien in Europa deutlich steigen wird. Bis 2020 soll er auf 20 Prozent des Energieverbrauchs ausgebaut werden.

Themengrafik: Energiemix nach Staaten (PDF) (© OECD/IEA 2018)

Bei der Bewertung solcher Zahlen muss immer berücksichtigt werden, dass es sich lediglich um europäische Durchschnittswerte handelt. Die Strukturen in den einzelnen Mitgliedstaaten unterscheiden sich zum Teil beträchtlich voneinander. So weist etwa Frankreich mit 41 Prozent einen besonders hohen Anteil von Atomenergie auf. Polens Energieversorgung basiert größtenteils auf Kohle (54 Prozent). Schweden erreicht bei den erneuerbaren Energien einen Anteil von 34 Prozent. Ähnlich ungleich verteilt sind Ausmaß und Herkunft der Energieeinfuhren. Während einige wenige Mitgliedstaaten gegenwärtig sogar mehr Rohstoffe fördern als sie selbst verbrauchen – so zum Beispiel Dänemark bei Öl und Gas, die Niederlande bei Gas, Tschechien und Polen bei Kohle – sind viele Staaten fast vollständig auf Energieimporte angewiesen. Insbesondere im Gassektor existieren häufig 100-prozentige Abhängigkeiten von einem einzigen Lieferanten. In Mittel- und Osteuropa ist dieser Lieferant in der Regel Russland, auf der iberischen Halbinsel aber wird der Bedarf überwiegend aus afrikanischen Quellen gedeckt.

Die zum Teil deutlichen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sind vor allem deshalb von Bedeutung, weil viele der nationalen Energiemärkte nach wie vor weitgehend voneinander abgeschottet sind. Es existiert bislang kein einheitlicher europäischer Binnenmarkt für die leitungsgebundenen Energieträger Strom und Gas. Diese beiden Energieträger können nicht europaweit diskriminierungsfrei gehandelt werden – was dem EU-Binnenmarktprinzip widerspricht. Fortgeschritten ist die Integration allenfalls auf regionaler Ebene, im Stromsektor etwa zwischen Deutschland, Frankreich und den BeNeLux-Ländern.

Energiebinnenmarkt würde Preise senken und Versorgung sichern

Die Vorteile einer Vollendung des europäischen Energiebinnenmarkts liegen auf der Hand. Ein diskriminierungsfreier grenzüberschreitender Handel mit Strom und Gas würde die Versorgung nachhaltiger, preisgünstiger und vor allem sicherer machen. Der in manchen Ländern phasenweise überschüssige Wind- und Solarstrom könnte zu niedrigen Börsenpreisen in andere Mitgliedstaaten verkauft werden. Ein erhöhter Wettbewerbsdruck auf etablierte Versorger hätte eine preisdämpfende Wirkung. Und wann immer irgendwo in Europa Erdgas knapp würde, könnten Versorger aus anderen Mitgliedstaaten einspringen.

Interaktive Karte: Atomkraft weltweit (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Aus deutscher Sicht besteht aber auch ein bislang kaum diskutierter Nachteil. Solange die Kernenergie in Europa erlaubt bleibt – und nichts deutet darauf hin, dass eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten dem deutschen Beispiel eines Atomausstiegs folgen will – darf auch der Handel mit Nuklearstrom nicht behindert werden. Deutschland hat zwar das Recht, nach 2022 die Produktion von Atomstrom auf eigenem Territorium zu verbieten, den Konsum von Atomstrom in Deutschland jedoch nicht.

Die spezifischen Probleme bei der Vollendung eines Strom- und eines Gasbinnenmarkts sind vor allem mit der besonderen Rolle der Energienetze zu erklären. Da es für einen neuen Produzenten oder Händler zu kostspielig und aus volkswirtschaftlicher Perspektive auch widersinnig wäre, jeweils eigene Leitungen aufzubauen, ist die Regulierung des Netzzugangs von entscheidender Bedeutung. Zwar sind die Netzeigentümer in der gesamten EU schon seit Langem zur Durchleitung von Strom- und Gaslieferungen Dritter grundsätzlich verpflichtet. Doch da die Netze historisch meist in der Hand großer Energieproduzenten oder -importeure lagen, hatten diese nur ein geringes Interesse daran, neue Anbieter fair zu behandeln. Nicht selten lehnten sie die Durchleitung mit dem Argument ab, die Kapazität ihres Netzes sei bereits ausgelastet, während sie gleichzeitig notwendige Erweiterungsinvestitionen verweigerten oder hohe Durchleitungsgebühren verlangten. Ein fairer Wettbewerb wurde dadurch verhindert.

EU hat für mehr Wettbewerb gesorgt

Mit dem Dritten Binnenmarktpaket, das 2009 vor allem auf Drängen der EU-Kommission verabschiedet wurde, hat es einige sichtbare Fortschritte gegeben. So wurde die Entflechtung von Netz und Produktion entscheidend forciert. Interner Link: Viele große Energieversorger, gerade auch in Deutschland, haben inzwischen ihre Strom- und Gasnetze verkauft, zum Teil auch unter der Androhung von Kartellverfahren. Die Netzzugangsregeln wurden verbessert, die überregionalen Netzbetreiber zu einer verstärkten Kooperation verpflichtet. Den Verbrauchern wurde die Möglichkeit gegeben, ihren Anbieter kurzfristig zu wechseln. Die nationalen Energieregulierungsbehörden sollen nun weitaus unabhängiger von staatlichem Einfluss agieren, für deren europaweite Zusammenarbeit wurde eigens eine Behörde eingerichtet. In weiteren Verordnungen hat die EU zudem die Transparenzregeln für den Energiehandel verschärft und ein gemeinsames Krisenmanagement bei der Gasversorgungssicherheit eingerichtet.

Die entsprechenden Rechtsvorschriften wurden bislang jedoch noch nicht von allen Mitgliedstaaten korrekt umgesetzt, obwohl die gesetzten Fristen bereits verstrichen sind. Die Kommission hat deshalb inzwischen in vielen Fällen Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Die 27 Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten haben zwar mehrfach bekräftigt, den EU-Energiebinnenmarkt bis 2014 vollenden zu wollen, doch mit der Umsetzung der bestehenden europäischen Rechtsakte in nationales Recht allein wird es nicht getan sein.

Netzinfrastruktur muss ausgebaut werden

Zu viele Detailprobleme harren bislang noch einer Lösung, und selten bedarf es allein einer politischen Entscheidung, um spürbare Fortschritte zu erzielen. So ist die Fragmentierung der europäischen Strom- und Gasmärkte ganz wesentlich auf den nur unzureichenden Ausbau grenzüberschreitender, die nationalen Energienetze verknüpfender Energieleitungen zurückzuführen, sogenannter Interkonnektoren. Zwar kann der Staat hier Anreize setzen, etwa durch finanzielle Zuschüsse, bessere Genehmigungsverfahren oder investitionsfreundliche Regularien. Die konkrete Entscheidung über den Bau einer Stromleitung oder einer Gaspipeline treffen jedoch die Unternehmen selbst. Darüber hinaus werden zwischenstaatliche Unterschiede bei technischen Netzstandards und kommerziellen Handelsregeln nur langsam angeglichen, was den grenzüberschreitenden Austausch ebenfalls behindert. Ein Wettbewerb zwischen Energieversorgern verschiedener Mitgliedstaaten findet dementsprechend bislang kaum statt. Zudem existieren nach wie vor auch "Energieinseln“, die nur unzureichend an die europäischen Verbundnetze angeschlossen sind und im Krisenfall nur notdürftig aus anderen EU-Staaten mitversorgt werden können, z.B. der Stromsektor in den baltischen Staaten.

Die Schaffung eines funktionierenden Energiebinnenmarkts wird in den kommenden Jahren ein zentrales Handlungsfeld der europäischen Energiepolitik bleiben, auch wenn viele der Detailentscheidungen kaum jenseits der interessierten Fachöffentlichkeit diskutiert werden dürften. Sollte tatsächlich ein diskriminierungsfreier europäischer Markt für den Handel mit Energieträgern entstehen, so wird dies langfristig auch tiefgreifende Veränderungen in der europäischen Energiepolitik nach sich ziehen müssen, vor allem durch eine weitgehende Relativierung der nationalen Souveränität in energiepolitischen Fragen. Wenn der Markt erst einmal vollständig europäisiert ist, dann wird nicht nur die Energiemarktregulierung auf europäischer Ebene angesiedelt sein müssen, sondern auch die zentralen energiepolitischen Entscheidungen. Im Fokus der Akteure im EU-Ministerrat stünde dann nicht mehr der jeweilige nationale Energiemix, sondern weitaus stärker als heute die gemeinsame europäische Energieversorgungsstruktur.

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Dr. Oliver Geden ist Senior Associate bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin und beschäftigt sich dort vor allem mit der Energie- und Klimapolitik der EU.