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Weiterhin kein Exit der EZB

Tim Bartz

/ 8 Minuten zu lesen

Eigentlich war die Europäische Zentralbank schon dabei, aus dem Krisenmodus auszusteigen. Doch dann kam die Coronapandemie – und mit ihr eine Wiederauflage der Rettungsmaßnahmen, schreibt der Wirtschaftsjournalist Tim Bartz.

Das Coronavirus hat die EZB und ihre Präsidentin Christine Lagarde weit zurückgeworfen auf dem Weg zu einer normalen Zentralbankpolitik.German Finance Minister Olaf Scholz, left, and Christine Lagarde, right, President of the European Central Bank, speak at the beginning of the second session of the Informal Meeting of Economics and Finance Ministers in Berlin, Germany, Friday, Sept. 11, 2020. (Kay Nietfeld/DPA via AP, Pool) (© picture-alliance/AP)

Sie hatte sich so viel vorgenommen, als sie im November 2019 ihren Dienst als Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) antrat. Kommunikativer als ihr Vorgänger Mario Draghi wollte Christine Lagarde sein, den Diskurs mit allen gesellschaftlichen Schichten aufnehmen, die Strategie der EZB runderneuern und sich auch noch dem Kampf gegen die Erderwärmung widmen.

Dann brach die Coronapandemie aus, und Lagarde war nach nur wenigen Wochen im neuen Amt schlagartig zum Handeln gezwungen.

Seit große Teile von Europas Wirtschaft Mitte März im Lockdown verschwunden waren, ist nichts mehr wie zuvor. Die EZB hat unter Lagarde die Käufe von Staats- und Unternehmensanleihen drastisch ausgeweitet und klargestellt, dass die Zinsen in der Eurozone für die nächsten Jahr extrem niedrig bleiben. Ein Ausweg aus der Krisenpolitik der vergangenen Jahre ist weiter weg als je zuvor.

Stattdessen gewinnen Vertreterinnen und Vertreter der "Modern Money Theory" (MMT) Oberwasser, die die Geldpolitik der Zentralbanken viel strikter an den Bedürfnissen von Politik und Gesellschaft ausrichten und damit revolutionieren wollen.

Debatte um die EZB-Politik könnte Fahrt aufnehmen

Tim Bartz (© Privat)

In Deutschland könnte, so sich die wirtschaftlichen Verhältnisse verschlechtern, die politische und juristische Debatte um die EZB-Politik, deren Grenzen und einen möglichen Austritt der Bundesrepublik aus dem Währungsraum Fahrt aufnehmen, je näher die Bundestagswahl im Herbst 2021 rückt.

Doch zunächst zurück zu Lagardes Amtsantritt. Der war überschattet von einem offenen Zerwürfnis im Rat der EZB. Das Gremium umfasst die Präsidenten der 19 nationalen Zentralbanken des Eurosystems sowie die sechs Mitglieder des EZB-Direktoriums, eine Art Vorstand der Institution. Offiziell beschließt der Rat die Geldpolitik: die Höhe der Leitzinsen, Anleihekäufe, weitere geldpolitische Maßnahmen und so weiter.

In der Realität sah der Entscheidungsprozess unter Lagardes Vorgänger Mario Draghi anders aus. Mit wenigen Vertrauten bereitete Draghi die geldpolitischen Maßnahmen vor, anschließend nahm der Italiener in einem als "Beichtstuhlverfahren" berühmt gewordenen Prozedere Kontakt zu ausgewählten Notenbankchefs auf, um sich deren Unterstützung im Rat zu sichern. Kam es schließlich zur Abstimmung im Rat, konnte er sicher sein, dass die Mehrheit hinter ihm und seiner Politik stehen würde.

Mit seinem Verhalten zog Draghi insbesondere von deutscher Seite Kritik auf sich. Bundesbankchef Jens Weidmann grummelte im EZB-Rat lautstark. Letztlich aber gelang dem Italiener, was ihm sein Mandat vorgab: den Zusammenhalt der Eurozone zu bewahren.

Draghi erbte Geldpolitik im Ausnahmezustand

Das war schwierig genug: Von seinem Vorgänger Jean-Claude Trichet hatte Draghi eine Geldpolitik im Ausnahmezustand geerbt, weil sich zu Beginn des Jahrzehnts die Schuldenkrise in Europa zu einer Vertrauenskrise der Gemeinschaftswährung entwickelt hatte. Draghi setzte ab 2011 fort, was Trichet begonnen hatte: In der Finanzkrise ab 2008 hatte die EZB Europas Banken reichlich zu günstigen Konditionen Zentralbankgeld geliehen, damit die Institute nicht finanziell austrocknen; in der Staatsschuldenkrise ab 2010 begann sie, Anleihen von Staaten am Markt aufzukaufen. Der Effekt: Indem die EZB als Käufer bereitsteht, steigen die Kurse der Anleihen und sinkt deren Verzinsung – dieses wechselseitige Verhältnis von Kursen zu Zinsen ist typisch für Anleihen.

Für die Staaten der Eurozone bedeutet das, neue Anleihen zu niedrigen Zinsen ausgeben zu können – es fällt ihnen also leichter, Schulden zu machen. Das war von Anfang an umstritten, vor allem in Deutschland, wo die strikte Trennung von Geld- zu Finanzpolitik sakrosankt und identitätsstiftend ist, auch weil die Bundesbank wie keine zweite Zentralbank auf ihr besteht.

Zu Draghis Amtsantritt verschärfte sich die Staatsschulden- und Vertrauenskrise in Europa, der Euroraum drohte zu zerbrechen. Die Lage war so angespannt, dass Draghi im August 2012 seine berühmten Worte sprach, den Euro um jeden Preis zu verteidigen ("whatever it takes").

Seine Aussage verfehlte ihre Wirkung nicht. Die Lage beruhigte sich, und Europas Wirtschaft erholte sich ab der Mitte des Jahrzehnts. Moderate Wachstumsraten und Fortschritte beim Abbau der Arbeitslosigkeit wurden sichtbar, vor allem im Süden des Kontinents. Sogar Griechenland, das größte Sorgenkind, kehrte an die Kapitalmärkte zurück und konnte erstmals seit Jahren wieder Anleihen begeben.

Hoffnung auf Ende des Krisenmodus der EZB

In dieser Situation wuchs die Hoffnung all derer, die sich wünschten, dass die EZB heraus aus dem Krisenmodus finden würde, in dem sie seit Jahren feststeckte. Die Leitzinsen waren im März 2016 erstmals auf null Prozent gefallen. Schon seit Juni 2014 mussten Geschäftsbanken, die ihr Geld sicherheitshalber über Nacht bei der EZB parken, Einlagenzinsen bezahlen; zunächst 0,1 Prozent, dann schrittweise immer mehr. Aktuell sind es bis zu 0,5 Prozent. Der Hintergedanke dabei: Lieber sollten die Banken den Unternehmen und den Bürgerinnen und Bürgern der Eurozone Geld als Kredit weiterreichen als es bei der EZB übernachten zu lassen. Hinzu kamen die milliardenschweren Anleihekaufprogramme, die die Bilanzsumme der EZB drastisch anschwellen ließen.

Mit der allmählichen, spürbaren Erholung der Konjunktur begann ab 2018 dann eine Debatte über konkrete Schritte der EZB, den "Exit" zu suchen. Und tatsächlich beschlossen die Frankfurter Zentralbanker, die Anleihekäufe ab Oktober 2018 auf 15 Milliarden Euro je Monat zu halbieren und zum Jahresende ganz einzustellen.

Doch was wie der Anfang vom Ende der Krisenpolitik schien, war nur eine Atempause. Denn in seiner vorletzten Ratssitzung im September 2019 setzte Draghi überraschend durch, dass die EZB ihr Anleihekaufprogramm reanimieren werde: Zu schlecht waren die Wachstumsaussichten, zu niedrig die Inflation in der Eurozone. Ab November 2019, pünktlich zu Lagardes Amtsantritt, solle sie monatlich für 20 Milliarden Euro Anleihen von Staaten und Unternehmen sowie Pfandbriefe kaufen, lautete der Beschluss im Rat, den Draghi gegen erbitterten Widerstand durchpaukte.

Das Zerwürfnis wurde öffentlich. Die Zentralbankchefs von Deutschland, Österreich und den Niederlanden, aber auch dem traditionell in der Geldpolitik laxeren Frankreich verfassten ein Memorandum, in dem sie Draghis Geldpolitik scharf angriffen. Viele Expertinnen und Experten indes sahen die Entscheidung des Italieners als Steilvorlage für Lagarde: Indem Draghi ein letztes Mal Krisenmaßnahmen beschließen ließ, eröffnete er seiner Nachfolgerin die Möglichkeit, alsbald wieder auszusteigen und sich vor allem in Deutschland als Hardlinerin zu profilieren.

Lagarde hatte nie für eine Zentralbank gearbeitet

Anders als ihre Vorgänger hatte Christine Lagarde nie für eine Zentralbank gearbeitet, stattdessen Karriere in der Politik gemacht: als Wirtschafts- und Finanzministerin ihres Heimatlandes sowie als Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Mehr als alle anderen Kandidaten auf die Draghi-Nachfolge war Lagarde also ein Stück weit gezwungen, auf ihre Kritikerinnen und Kritiker zuzugehen und insbesondere der deutschen Skepsis zu begegnen.

Seit die Pandemie Europa und die Welt im Griff hat, ist das nicht mehr möglich. Im Gegenteil: Lagarde hat das Anleihekaufprogramm um das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) sogar noch erweitert; allein PEPP umfasst 1,35 Billionen Euro. Das noch unter Draghi aufgelegte Asset Purchase Programme (APP) mit seinen monatlichen Käufen von 20 Milliarden Euro wird fortgesetzt. Und dass der Leitzins auf absehbare Zeit weiter bei null Prozent liegt, ist klar. Genau wie der Umstand, dass Geschäftsbanken für Einlagen auf ihren Notenbank-Konten auch künftig zahlen müssen, auch wenn die EZB den Instituten inzwischen in Nuancen entgegenkommt.

Für die Sparerinnen und Sparer in Euroland ist das Fluch und Segen zugleich. Segen, weil die EZB auch unter Lagarde signalisiert, alles dafür zu tun, die Wirtschaft des Gemeinschaftsraums zu stützen – in erster Linie durch niedrige Zinsen, um die Kreditvergabe anzukurbeln. Das sichert letztlich Arbeitsplätze und bereitet den Boden für Wachstum. Fluch, weil die besonders bei den Deutschen so beliebten Sparbücher und Versicherungspolicen weiterhin kaum Zinsen abwerfen werden.

Inzwischen deutet sich zaghaft an, dass die Bundesbürger gewillt sind, ihr Geld anders anzulegen als in der Vergangenheit – in Aktien etwa, die seit Jahren verlässlich mehr als die meisten anderen Geldanlagen abwerfen. Selbst den Corona-Schock von Mitte März hatten die Börsen binnen weniger Wochen erstaunlich gut verdaut. Inzwischen notieren die Kurse auf Jahreshochständen. Aber es sind Trippelschritte. Noch horten die Deutschen ihr Vermögen von mehr als sechs Billionen Euro meist auf Sparbüchern oder in bar.

Eine Verhaltensänderung bei der persönlichen Geldanlage aber ist dringend nötig, denn für die nächsten Jahre werden sich an der Geldpolitik der EZB allenfalls Details ändern. So hat die Notenbank überdeutlich signalisiert, im hoffentlich bald einsetzenden, kräftigen Aufschwung für längere Zeit Inflationsraten von mehr als zwei Prozent zu tolerieren. Ähnliches haben die Kolleginnen und Kollegen in den USA vor.

Das klingt technisch, hat aber weitreichende Auswirkungen. Ihr Inflationsziel hat die EZB bei knapp zwei Prozent angesetzt – eigentlich, so schreibt es ihre Strategie vor, müsste sie bei Überschreiten dieser Marke die Zinsen anheben. Tatsächlich verfehlt sie die Marke jedoch seit Jahren; aktuell sinken die Verbraucherpreise sogar, einige Expertinnen und Experten sprechen von Deflation.

Dennoch: Indem sie ihr Ziel von knapp zwei Prozent aufgibt, entledigt sich die EZB auch der Pflicht, Krisenmaßnahmen wie etwa Anleihekäufe oder negative Einlagenzinsen zu beenden, sobald die Inflationsmarke erreicht ist. Theoretisch also könnte sie noch lange Zeit so weitermachen – der Ausstieg aus der Nullzinspolitik ist damit für die nächsten Jahre unwahrscheinlich.

Daran ändert auch das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts nichts. Die Karlsruher Richterinnen und Richter hatten Anfang Mai 2020 die Anleihekäufe der EZB für teilweise verfassungswidrig erklärt und sich erstmals gegen ein entsprechendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gestellt. Sie störten sich vor allem daran, dass die EZB nicht begründet habe, warum die Käufe verhältnismäßig und ihre Auswirkungen auf alle Bürgerinnen und Bürger gerechtfertigt seien.

EuGH-Urteil Steilvorlage für die deutsche EZB-Kritik

Das war einerseits eine Steilvorlage für die deutsche EZB-Kritik, andererseits ein merkwürdiges Urteil: Denn die EZB hat ihre Maßnahmen immer wieder ausführlich erläutert. In die Bredouille brachte der Richterspruch vor allem die Bundesbank: Die ist zwar selbst ausgesprochen EZB-kritisch, aber als deutsche Institution gezwungen, in Vertretung der EZB auf das Urteil zu antworten – die EZB selbst sieht sich nur dem EuGH gegenüber rechenschaftspflichtig.

Inzwischen hat die Bundesbank der Bundesregierung und dem Bundestag entsprechende Erklärungen übersandt und die Forderungen des Verfassungsgerichts für erfüllt erklärt. Die Kläger wird das allerdings kaum von den nächsten juristischen Schritten abhalten, sie werden weiter klagen.

Und Anlass dafür werden sie haben, denn anders als geplant wird die EZB unter Lagarde eben nicht aus den Krisenprogrammen aussteigen können. Dafür sind die ökonomischen Folgen der Covid-19-Pandemie zu gravierend.

Keine Frage: Christine Lagarde wollte andere, neue Akzente setzen und ihren Vorgänger vergessen machen. Stattdessen hat das Corona-Virus sie und die EZB weit zurückgeworfen auf dem Weg, wieder eine "normale" Zentralbank zu werden.

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ist Bankenexperte beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Zuvor arbeitete der studierte Volkswirt unter anderem für das Manager Magazin, Reuters und die Financial Times Deutschland.