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Eröffnungsrede zur Tagung "Europa auf der Kippe? Rechtsextremismus und Rechtspopulismus im Vorfeld der Europawahlen" am 17. März 2014 in Köln | Presse | bpb.de

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Eröffnungsrede zur Tagung "Europa auf der Kippe? Rechtsextremismus und Rechtspopulismus im Vorfeld der Europawahlen" am 17. März 2014 in Köln

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Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb (© bpb, Lars Welding)

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Sehr geehrter Herr Dr. Koppelberg, sehr geehrter Herr van Hasselt, sehr geehrte Tagungsteilnehmende, liebe Referentinnen und Referenten, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Im April 2013 versucht ein Abgeordneter der rechtsextremen griechischen „Goldenen Morgenröte“, den amtierenden Bürgermeister von Athen anzugreifen. Er verletzt dabei ein 12jähriges Mädchen. Ein ungarischer Abgeordneter der Jobbik-Partei fordert am 26. November 2012 im Parlament, Listen der in Ungarn lebenden Juden zu erstellen, die seiner Meinung nach ein „nationales Sicherheitsrisiko“ darstellen würden. In einem Leserbrief drängt der Vorsitzende der niederländischen „Partei für die Freiheit“, Geert Wilders, auf ein Verbot des „faschistischen Buches“ Koran und einen Einwanderungsstopp für Muslime in die Niederlande. Die Vorsitzende des französischen „Front national“, Marine LePen, steckt sich das Ziel, bei den Europawahlen 2014 die stärkste Kraft in Frankreich zu werden. Mit Wilders gründet sie die „Europäische Allianz für Freiheit“, Grundlage einer gemeinsamen Fraktion im Europäischen Parlament. Die britische europakritische UKIP-Partei landet bei sechs Nachwahlen in Unterhaus-Wahlkreisen jeweils auf dem zweiten Platz und setzt die Tories inhaltlich unter Druck.

Und auch in Deutschland fehlt es uns leider nicht an Beispielen. Hier in Köln hat es eine rechtsextreme Vereinigung namens pro NRW ins Stadtparlament geschafft, deren islamfeindliche Wahlplakate diese sonst so offene Stadt monatelang verhangen haben. Diese Gruppierung hat gleichnamige Initiativen im Bundesland und auf Bundesebene geschaffen, deren wichtigstes Thema ihre Islamophobie ist. Zudem ist die Gefahr, dass die NPD einen Sitz für das Europäische Parlament erreicht nicht gering. Bei den letzten Wahlen kamen sie auf 1,0%. Nach dem Fallen der 3% Hürde benötigt eine Partei etwa 0,8% Punkte für ein Mandat.

Was eint all diese Bewegungen? Und was trennt sie? Diese Tagung mit dem Titel „Europa auf der Kippe? Rechtspopulismus und Rechtsextremismus im Vorfeld der Europawahlen“ will die Frage nach den Unterschieden zwischen all diesen Strömungen stellen. Aber es soll auch die Frage erörtert werden, welche Gemeinsamkeiten sich auftun.

Klar ist von vornherein: Bei einem Vergleich von Parteien wie der griechischen „Goldenen Morgenröte“, mit ihrem radikalen Antisemitismus und ihrer Gewalttätigkeit, und einer oft als „radikalliberal“ bezeichneten Partei wie der britischen UKIP treten die Unterschiede klar vor Augen: Das Verhältnis dieser Bewegungen zu demokratischen Spielregeln, zur Demokratie als Leitgedanke einer Gesellschaft und auch das Verhältnis zu Gewalt als Mittel der Durchsetzung politischer Ziele trennt sie.

Doch beobachtet man die Parteien, ihre Mitglieder und die Positionierungen in den einzelnen Ländern, dann treten auch Gemeinsamkeiten ins Blickfeld: Gemein ist all diesen Parteien zunächst der massive Stimmengewinn in den Wahlen der letzten Jahre – und auch für die anstehende Wahl zum Europäischen Parlament rechnen Demoskopen aus den unterschiedlichsten Ländern Europas mit einschneidenden Wahlerfolgen dieser als „rechtsextrem“ oder auch als „rechtspopulistisch“ bezeichneten Parteien. Dies ist umso erstaunlicher, schaut man sich einen weiteren einenden Faktor an: die gemeinsame Ablehnung genau dieser Institution: die Europäische Union. Die Ablehnung ihrer Souveränität und eine immer wieder propagierte Rückbesinnung auf nationale Stärke und Entscheidungsgewalt ihrer Mitgliedstaaten. Die EU wird zum Feindbild stilisiert, dem es sich zu widersetzen gilt. Dies äußert sich in der Ablehnung von Normen genauso wie in immer wieder aufkommenden rassistischen Äußerungen und heraufbeschworenen Drohkulissen einer „Überschwemmung“ durch Flüchtlinge, Einwanderer und Lohnarbeiter. Dabei stützen sich viele dieser Parteien auf die Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit demokratischen Strukturen und Prozessen – gerade die rechtspopulistischen Parteien gerieren sich als „Sprachrohr“ des „kleinen Mannes“.

Vor dem Hintergrund der erwarteten Stimmengewinne dieser Parteien hat die Bundeszentrale für politische Bildung in Kooperation mit der Bonner Regionalvertretung der Europäischen Kommission diese Tagung ins Leben gerufen: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Journalistinnen und Journalisten aus Europa und den USA werden in den nächsten zwei Tagen mit Ihnen diese Bewegungen analysieren. Themen wie Antisemitismus, Antiziganismus und Antimuslimismus werden genauso diskutiert wie das Wahlverhalten in Europa und Erfahrungen mit Regierungsbeteiligungen rechtspopulistischer Parteien. Bewusst ist diese Tagung im Mittelfeld des Wahlkampfes platziert, um genügend Informationen zur Auseinandersetzung zur Verfügung zu stellen.

Eine der zentralen Fragen wird sein, welche Herausforderungen auf die Europäische Union zukommen werden, wenn das Europaparlament mit Volksvertretern besetzt sein wird, die die Europäische Union und ihre Ideen ablehnen. Wird die Idee Europa zunichte gemacht? Kann sie ein paar kritische bis destruktive Stimmen locker verkraften? Oder könnten gar positive Anstöße zur Selbstreflexion gegeben werden? Eins ist sicher: Die Verfechter des europäischen Gedankens müssen sich mit ihren Kritikern auseinandersetzen. Sie müssen die Argumente der Europaskeptiker konfrontieren, abseits aller Dämonisierungen. Denn die Resonanz, die diese Ablehnung Europas bei vielen Bürgerinnen und Bürgern erzeugt, ist ein Fakt.

Informieren, analysieren, sich auseinandersetzen: dazu dient diese Tagung.

Die Bundeszentrale für politische Bildung tritt so auch seit Jahren dem Rechtsextremismus entgegen: Sie informiert über die unterschiedlichen Strukturen der rechtsextremen Szene, über Entwicklungen und ihre Ideologie. Durch diverse Publikationen und Online-Dossiers sollen Bürgerinnen und Bürger über die Gefahren dieses Weltbildes aufgeklärt werden. Die Devise lautet hier: Extremismusprävention durch Information. Dieser Ansatz erreicht viele, aber nicht alle Bürgerinnen und Bürger. Und so fördert die bpb zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich vorbeugend dem Rechtsextremismus entgegenstellen oder sich im Sinne einer Deradikalisierung direkt an Rechtsextremisten wenden. Um eine effiziente Arbeit gegen Rechtsextremismus zu sichern, hat die bpb im vergangenen Jahr in Kooperation mit ausgewählten Trägern Qualifizierungsmaßnahmen entwickelt, die sich direkt an Fachkräfte wenden, die in ihrer täglichen Arbeit mit extremistischen Äußerungen und abwertenden Haltungen konfrontiert sind. Und auch über die konkrete Arbeit im Themenfeld Extremismus hinaus sieht sich die Bundeszentrale für politische Bildung in der Verantwortung für Prävention. Denn allen Informationen und Formaten, die die bpb anbietet – die neueste Ausgabe des Grundgesetzes, das Jugendmagazin fluter oder Israel-Studienreisen – liegt eine Annahme zugrunde: Diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die über die Möglichkeiten der Mitwirkung in dieser Demokratie umfänglich Bescheid wissen, nutzen auch die damit verbundenen Chancen und gestalten so ein demokratisches Zusammenleben, abseits von einer Ideologie der Ungleichheit und Fremdenfeindlichkeit.

Ich danke unserem Kooperationspartner, der Regionalvertretung der Europäischen Kommission in Bonn für die enge Zusammenarbeit im Vorfeld dieser Tagung. Und nun wünsche ich Ihnen eine gute Zeit hier im Maternushaus, spannende Vorträge und anregende Diskussionen.

Vielen Dank.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten