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Eröffnungsrede von Thomas Krüger auf der Tagung Entgrenzter Rechtsextremismus? Internationale Perspektiven und Gegenstrategien am 9. Februar 2015 in München | Presse | bpb.de

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Eröffnungsrede von Thomas Krüger auf der Tagung Entgrenzter Rechtsextremismus? Internationale Perspektiven und Gegenstrategien am 9. Februar 2015 in München

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Sehr geehrter Herr Staatsminister, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

eine griechische Fahne auf dem Titel einer Veranstaltung der BUNDESzentrale für politische Bildung? Nein, wir haben unser Wirkungsgebiet nicht ausgedehnt. Entstanden ist diese Aufnahme bei einer Demonstration der NPD-Jugendorganisation in Berlin – sie hätte in den letzten Jahren aber auch an vielen anderen Orten in Deutschland so entstehen können. Das wirkt auf den ersten Blick für viele Außenstehende irritierend. Griechenland? Was haben deutsche Rechtsextreme – ausländerfeindlich und allein auf ihren Nationalstaat bezogen – mit Griechenland zu tun? Und doch: ein Großteil der rechtsextremen Parteien und Organisationen in Europa und der westlichen Welt ist miteinander verbunden, sie tauschen sich aus und agieren gemeinsam. Entgrenzt sich der Rechtsextremismus?

Die rechtsextreme Musikszene ist längst über die Grenzen hinaus verzweigt. Heute treten deutsche Bands nicht nur „vor der Wohnungstür“ auf, sondern auch gemeinsam mit niederländischen oder britischen Gruppen in Norditalien oder beispielsweise Ungarn. Organisiert werden diese Konzerte von international agierenden Netzwerken wie „Blood and Honour“ oder den „Hammerskinheads“. „Blood and Honour“ übrigens ist seit dem Jahr 2000 in Deutschland verboten. Oder nehmen Sie die großen Gedenktage der rechtsextremen Szene. Beim Gedenken an den Diktator Franco nehmen immer wieder Delegationen der NPD und freier Kameradschaften teil, die ihre Verbundenheit und Solidarität bekunden. Eine Nähe, die sich auch auf Ebene des Europaparlaments zeigt. Nicht zuletzt werden auch immer wieder ideologische Konstrukte eines grenzübergreifenden nationalistischen Raumes wie das „Reich Europa“ oder „Eurasien“ innerhalb der extremen Rechten erdacht.

Ein auf den Nationalstaat begrenzter Rechtsextremismus ist also eine Illusion. Längst verwischen diese Grenzen im Zuge der allumfassenden Globalisierung und der kommunikativen Vernetzung.

Die Auseinandersetzung mit dem Thema „Entgrenzter Rechtsextremismus“ muss nicht in einer Atmosphäre der Panik und des Aktionismus geführt werden – das nützt niemandem, und dafür ist auch der Grad der Vernetzung und der momentan drohenden Gefahr für die Demokratie zu gering. Trotz allem ist eine Beschäftigung mit den Strukturen und Netzwerken geboten.

Mit dieser Tagung will die Bundeszentrale für politische Bildung einen Beitrag dazu leisten. Wir möchten Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Szenen und Akteure in unterschiedlichen Ländern darstellen. Dabei soll ein besonderer Blick auf den Rechtsextremismus in den Vereinigten Staaten und Russland gerichtet werden. Grenzübergreifende theoretische Konzepte der extremen Rechten werden genauso beleuchtet wie Rechtsterrorismus, der Wandel in den Agenden der rechtsextremen Parteien und ihre Inhalte. In einem weiteren Modul wird es um den in Europa erstarkenden Rechtspopulismus gehen. Denn auch hier sieht die politische Bildung eine entscheidende Aufgabe: Wie sollen wir umgehen mit Zusammenschlüssen auf europäischer Ebene, die doch Europa als solches ablehnen? Wie umgehen mit latenter und unverhohlener Muslimfeindlichkeit, Politikverdruss und Demokratieablehnung?

Steht der erste Tag im Zeichen einer Bestandsaufnahme, möchten wir uns am zweiten Tag mit der Frage nach den Möglichkeiten und den Grenzen der Intervention befassen. Dieser Frage soll aus Perspektive von Wissenschaft und Praktikerinnen und Praktikern nachgegangen werden. Wichtig ist unseres Erachtens, dabei nicht nur über die Erfolge zu sprechen, sondern uns gleichwohl über Fehler und Versäumnisse zu verständigen. Wir brauchen eine gelebte Fehlerkultur, um Ansätze, Modelle und Projekte weiterentwickeln zu können. Einladen möchte ich Sie auch, im Anschluss in einen regen Austausch zu treten: mit den Kolleginnen und Kollegen von Initiativen aus Europa und Amerika, die im Rahmen des Weltcafés ihre Ansätze präsentieren, wie rechtsextremen Strukturen und Einstellungen direkt oder indirekt zu begegnen ist und wie die Prävention von Rassismus und Gewalt gestärkt werden kann. Den Ausgang der Fachtagung bildet morgen Mittag die Diskussion um Hassverbrechen. Wird eine Novellierung des Strafrechts tatsächlich helfen, Straftaten aus rassistischer oder antisemitischer Motivation besser zu verfolgen?

Noch ein Wort aus aktuellem Anlass: In Zeiten von PEGIDA, von IS und den Anschlägen gegen Charlie Hebdo wird die Beschäftigung mit rechtsextremistischen Einstellungen und Verhaltensweisen akut notwendig. Zwei Extreme nutzen sich dabei gegenseitig, um sich zu profilieren. Ausgewogene Haltungen tragen hier umso mehr zu einer unerlässlichen Versachlichung der Debatte bei.

Unabhängig von aktuellen Sachlagen: Es muss für die Gesellschaft und insbesondere für die politische Bildung eine kontinuierliche Aufgabe sein, rechtsextremen Strukturen und Aussagen entgegenzutreten, über sie aufzuklären und zivilgesellschaftliche Handlungsoptionen aufzuzeigen. Selbst wenn die aktuelle Bedrohung der Demokratie in Deutschland durch organisierte rechtsextremistische Parteien derzeit eher gering ist: Durch die Beschäftigung mit politischem Extremismus können wir mehr über die Demokratie lernen. Und das ist letztlich auch ein Ziel politischer Bildung.

Des Weiteren darf nicht unterschlagen werden, dass wir in Deutschland weiterhin ein massives Problem mit rechtsextremistisch motivierter Alltagsgewalt haben. Die Opfer solcher Gewalttaten leiden in vielerlei Hinsicht: Nicht nur unter den körperlichen Folgen, sondern auch durch die Erkenntnis, aufgrund von Äußerlichkeiten oder bestimmten Überzeugungen zum Opfer geworden zu sein.

Die Bundeszentrale für politische Bildung informiert aus diesem Grund seit vielen Jahren über die unterschiedlichen Strukturen und Denkweisen der rechtsextremen Szene. Mit Print- und Onlineformaten vermittelt die bpb Wissen über dieses Weltbild. Sie fördert Initiativen, die sich der Rechtsextremismusprävention und der Deradikalisierung widmen. Sie bietet Multiplikatorinnen- und Multiplikatorenfortbildungen an und ist auch im Social Media-Bereich äußerst aktiv.

Und ich bin froh, sie heute hier begrüßen zu dürfen, um gemeinsam weiter in diesem Themenfeld zu arbeiten. Ich wünsche ihnen viele gute Vorträge, spannende Vertiefungsangebote und intensive Gespräche.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten