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Grußwort zur Eröffnung der Tagung "Laboratorium Stadt: Innovationen in Europa und Ostasien" (16. März 2016, Berlin) | Presse | bpb.de

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Grußwort zur Eröffnung der Tagung "Laboratorium Stadt: Innovationen in Europa und Ostasien" (16. März 2016, Berlin)

/ 4 Minuten zu lesen

Sehr geehrte Frau Löffler, sehr geehrter Herr Taube,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Gäste,

„Die Schwärmerei für die Natur kommt von der Unbewohnbarkeit der Städte.“

Diesen Ausspruch soll der in Augsburg geborene, 1941 ins kalifornische Exil gedrängte und später nach Berlin zurückgekehrte Berthold Brecht geprägt haben. Doch sind es doch gerade Städte, die eine ihnen ganz eigene Anziehungskraft ausüben. Ob New York, Hamburg, Tokyo oder Berlin. Ihnen allen wurden Lieder gewidmet. Ihnen allen und vielen weiteren fühlten und fühlen sich Menschen verbunden.

Gleichwohl macht Brecht auf einen Umstand aufmerksam, der nicht von der Hand zu weisen ist: Städte stehen vor großen Herausforderungen. 1950 brüsteten sich weltweit nur zwei Städte mit dem Titel der „Zehn-Millionen-Megastadt“: Tokio und New York. Heute stehen fast 30 Städte auf dieser Liste. Ein Großteil von ihnen liegt in Asien.

Die Vereinten Nationen rechnen damit, dass bis 2050 drei Viertel aller Menschen weltweit in urbanen Lebensräumen wohnen werden. Dazu tragen auch gigantische- hierzulande kaum bekannte – staatliche Umsiedlungsprogramme wie in China bei, die in den letzten Jahren forciert wurden: schon heute leben mehr als die Hälfte der Chinesen nicht mehr auf dem Land, in den nächsten Jahren wird die städtische Bevölkerung um weitere 300 Millionen Menschen wachsen.

Die Risiken und Chancen dieses politisch gesteuerten Wandels sind noch kaum erforscht – und was wir von dort entwickelten Fehlentwicklungen oder auch Lösungsstrategien lernen können ebenso wenig.

Umso wichtiger scheint es mir, dass unsere Tagung das System Stadt interkulturell und vergleichend beleuchtet und auslotet. Nicht zuletzt auch, weil hierzulande unsere Städte vor großen Herausforderungen stehen – in sozialer, ökologischer, kultureller und damit natürlich auch in politischer Hinsicht. Die Polis als Urform demokratischer Gesellschaft – das ist mehr als ein Gemeinplatz.

Der amerikanische Politikwissenschaftler Benjamin Barber sieht zum Beispiel in den Städten weltweit größere Fähigkeiten, globale Probleme zu lösen und die Demokratie weiter zu entwickeln als in den – seiner Ansicht nach - ‚dysfunktionalen Nationalstaaten‘ des 21. Jahrhunderts. In den Städten sieht Barber einfach bessere Möglichkeiten für internationale Kooperation, für freiwillige Zusammenschlüsse und für die pragmatische Lösung von Alltagsproblemen. Sein Buch ‚If mayors ruled the world‘ bietet hierzu eine Fülle von Beispielen.

Nicht zuletzt betont Barber aber auch, dass es eine zentrale Aufgabe heutiger Gesellschaften sei, dass alle Menschen dort, wo sie lebten, sich als Bürger anerkannt fühlen könnten. Viel zu oft würde Citizenship oder Citizenship Education sich eher als ausschließendes Konzept generieren und wahrgenommen werden und somit seinem eigentlichen Kern nicht gerecht werden. Damit hat Barber eine wichtige Aufgabe politischer Bildung in der heutigen Zeit formuliert und uns gleichzeitig herausgefordert.

Denn das Konzept der Bürgerschaft und der bürgerschaftlichen Rechte steht in unseren durch Migration und kulturellen Wandel geprägten Stadtgesellschaften mehr denn je auf dem Prüfstand. Wie wir mit den nach Europa und nach Deutschland Flüchtenden umgehen, wie wir es ihnen ermöglichen, tatsächlich ‚anzukommen‘ und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, das wird sich auch in architektonischen und städtebaulichen Entscheidungen niederschlagen. Niklas Maak von der FAZ hat dies immer wieder kritisch angemahnt. Dass ‚Blechkistenarchitektur am Stadtrand‘ Aggression, Gewalt, Abgrenzung statt Integration fördert, wie er schreibt, sollten wir eigentlich wissen. Ob das Wissen wirklich Eingang in unsere Bau- und Planungsämter gefunden hat, muss bezweifelt werden.

Politische Bildung – davon bin ich überzeugt – muss auf diesen dramatischen Wandel unseres Gemeinwesens stärker und deutlicher als bisher reagieren.

Dazu gehört auch: Sich ständig hinterfragen, anpassen und sich weiterentwickeln, um den neuen Anforderungen und Themen gerecht zu werden.

Sich unsere Städte als Laboratorien vorzustellen, alte Konzepte auf den Prüfstand zu stellen und den Blick auf Lösungen und Fehlentwicklungen anderswo zu richten: das ist für mich ein Teil dieses Prozesses. Ich danke Ihnen, dass Sie heute Ihren Teil zu diesem neuen Denken beitragen.

Mein besonderer Dank gilt der IN-EAST School of Advanced Studies der Universität Duisburg-Essen, vor allem Frau Löffler und ihrem Team, die maßgeblich Inhalt und Organisation der Veranstaltung vorbereitet hat.

Gemeinsam können wir daran arbeiten, dass jede Stadt ihre ganz eigene DNA erhält und urban citizenship nicht nur als abstrakter Fachbegriff in wissenschaftlichen Diskursen verharrt.

Und dass auch Bertold Brecht, würde er heute noch leben, sich in den Städten Europas und Asiens wohlfühlen würde.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten