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Play16 (2.11.2016, Hamburg) | Presse | bpb.de

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Play16 (2.11.2016, Hamburg) Grußwort anlässlich der Eröffnung des Festivals PLAY16 in Hamburg

/ 6 Minuten zu lesen

Liebes PLAY-Team,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

(© bpb, bpb)

erinnern Sie sich noch an das Gefühl, als Sie ihr erstes dreidimensionales Spiel ausprobiert haben? Erinnern Sie sich noch, wie "realistisch" alles aussah, wie sie geradezu in das Spiel hineingezogen wurden? Es war Anfang der 90er Jahre, als die dritte Dimension Einzug fand in die Spielekultur. Die öffentliche Meinung begleitete diese Entwicklung teils mit Unwissen, teils mit Ablehnung. Die damalige Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indizierte beispielsweise prominente Pioniere wie den Ego-Shooter "Doom". Neben den inhaltlichen Vorbehalten war den Jugendschützern die grafische Darstellung des Spiels – man höre und staune – zu "realistisch". Sie erinnern sich vielleicht noch an den, aus heutiger Sicht, Pixelbrei, der damals über die Bildschirme flimmerte.

Seitdem hat sich viel getan – sowohl auf der Seite der Politik, aber auch auf Seiten der Spiele. Wir sprechen nicht mehr vom "Fotorealismus" – den haben wir bereits erreicht oder zumindest überwunden – wir sprechen vom nächsten großen Schritt Richtung einer höheren Immersion, also dem noch stärkeren Eintauchen in die Spielerfahrung. Das Medium digitale Spiele entwickelt sich weiterhin rasend schnell: noch vor einem Jahr, zur Eröffnung der PLAY15, war Virtual Reality eine Spielwiese für Exoten und Kreative (also für Creative Gaming!), heute können Sie ein Virtual Reality-Komplettpaket für 400€ beim Elektronikmarkt um die Ecke kaufen. Virtual Reality ans Laufen zu bringen ist heute wahrscheinlich einfacher, als 1993 eines der pixeligen Pseudo-3D-Spiele über die sperrige DOS-Kommandozeile zu starten. Nachdem sich die Gameskultur in den 90er Jahren von einem Nischenphänomen zur Populärkultur gewandelt hat, in den 2000er Jahren dreidimensional berechnete, authentische Darstellungen mit Titeln wie Crysis – übrigens made in Germany – so gut wie erreicht hat und nebenbei noch mobil geworden ist, scheint nun der nächste große Entwicklungsschritt direkt vor der Türe zu stehen. Derzeit sind alle VR-Headsets für die Konsole ausverkauft, aber warten wir ein wenig ab: vieles spricht dafür, dass die Virtual Reality es nach einigen Fehlschlägen diesmal bis in die Wohnzimmer schafft.

Es liegt nahe, dass diese Entwicklung ähnlich umwälzende Folgen haben wird wie die 3D-Revolution der 90er. Zwar werden auch diesmal die Flachbildschirm-Spiele nicht verschwinden, so wie auch heute noch zweidimensionale Games gespielt werden. Jedoch werden Virtual und Augmented Reality die Spielkultur nachhaltig erweitern und dabei neue gesellschaftliche Debatten aufwerfen, denen wir uns willig stellen müssen. Heute noch sprechen wir vom anstehenden nächsten Schritt Richtung Holodeck, wenn wir uns voller Begeisterung die neueste VR-Brille aufsetzen und in virtuelle Achterbahnfahrten eintauchen. Einige Entwickler experimentieren bereits mit neuen Input Devices, beispielsweise mit Plastiknachbildungen von Fantasiewaffen, die dann das Gamepad ersetzen und zusammen mit der dreidimensionalen Darstellung ein noch authentischeres Mittendrin-Gefühl erzeugen. Gegen eine harmlose Schießbude ist wenig einzuwenden. Aber denken wir das mal weiter: Was ist, wenn wir die heutigen Shooter-Reihen, die bereits technisch so ausgereift sind, dass sie in abgewandelter Form im Militär zu Trainingszwecken eingesetzt werden – was ist wenn wir uns diese Shooter mit 3D-Brille und realistischer Kriegswaffen-Nachbildung vorstellen? Vielleicht sogar als Rekrutierungswerkzeug der Armee?

Oder wenn die ersten Studios auf die Idee kommen, Splatterfilm-Ästhetiken auf das neue Medium zu übertragen? Spätestens dann werden wir die Rückkehr einer Diskussion erleben, die wir schon oft überwunden glaubten und bei der wir es offenbar bis heute nicht geschafft haben, insbesondere die nicht oder analog Spielenden von unseren Sichtweisen zu überzeugen.

Die Geschichte zeigt, dass es neben den Spieleentwicklern eine weitere Branche gibt, die neue technische Möglichkeiten äußerst schnell adaptieren kann, und die dabei ein solches Gewicht hat, dass sie die Konkurrenz mehrerer Systeme schnell für eine Seite entscheiden kann. Ich spreche von der Erotikbranche, die bereits den Kampf zwischen der JVC's VHS-Kassette und Sonys Betamax-Magnetkassetten mitentschieden hat. Auch beim Widerstreit von Blu-ray und HD-DVD hatte die Branche einen Anteil am Sieg der Blu-ray. Es sieht alles danach aus, dass auch dieses Mal die Erotikbranche – neben den Independent-Games-Studios – die erste ist, die das neue Medium erkundet. Spätestens sobald diese beiden Welten miteinander verbunden werden, sobald also Virtual Reality-Erotik-Games in Erscheinung treten, werden wir uns neuen ethischen Fragen gegenübersehen, die wir ausverhandeln müssen.

Nochmal zurück zum Thema Kriegsspiele: Virtual Reality wird bereits seit Längerem in der Ausbildung von Kampfpiloten eingesetzt. Was ist, wenn diese mittels VR kleine Kampfdrohnen steuern können, um in abgeschotteter Sicherheit an Kampfhandlungen teilzunehmen, so als ob sie selber im Cockpit säßen? Was ist – und jetzt spinne ich den Gedanken einige Jahre weiter – wenn bald nicht mehr Soldaten, sondern durch Soldaten gesteuerte Kampfroboter gegen Aufständische eingesetzt werden? Natürlich ist das Alles Zukunftsmusik. Aber ebenso wie Jule Verne in „Von der Erde zum Mond“ 1873 die spätere Mondlandung vorausgeahnt hat, ebenso könnte sich in einigen Jahrzehnten herausstellen, dass Dystopien, wie sie selbst von Hollywood-Action-Streifen wie „Surrogates“ mit Bruce Willis (2009) entworfen werden, irgendwann von der Realität eingeholt werden.

Es geht also nicht nur um technische Innovation, sondern um die Herausforderung, das Neue kritisch zu reflektieren und die ethischen Implikationen bereits jetzt abzuschätzen und einzuordnen. Die neue Stufe der Immersion bringt also eine neue Stufe der Verantwortung mit sich. Das Festival ist für uns genau der richtige Weg, das anzugehen, da es eine Vielzahl an Zielgruppen erreicht und eine breite institutionelle Rückendeckung hat. Realität und Virtualität werden immer weiter verschmelzen. Vielleicht werden wir zum Beispiel in zehn Jahren die PLAY26 nicht mehr in einem feierlichen Saal eröffnen, sondern stattdessen in einem virtuellen Raum konferieren?

Wo Neues entsteht, dort entstehen auch Chancen, etwas Neues mitzugestalten. Unsere gesellschaftliche Aufgabe besteht nun darin, diese Chancen auch zu nutzen! Es gilt, die gewaltigen Potentiale von Computerspielen zu erkennen und zu entwickeln. Indem wir ihre außergewöhnliche Anziehungskraft als Schlüssel verwenden zur Kreativität der Gamer. Wie können wir deren Skills ausschöpfen, wie können wir ihnen beispielsweise helfen, das womöglich innovationsstärkste Kulturgut weiter zu demokratisieren? Wie können wir beispielsweise dazu beitragen, dass nicht nur einige wenige große Player die erfolgreichen Systeme und Plattformen kontrollieren, sondern dass es viele kleine Underdogs mit unterschiedlichen Ideen und Konzepten gibt, wir alle also freie Wahl haben? Hier gilt es, den Spaß am Spielen und am spielerischen Lernen zu nutzen, um etwas Neues mitzugestalten. Das ist für mich ein Teil von Creative Gaming.

Initiativen wie Creative Gaming regen die Kreativität an durch Workshops, Festivals und offene Jugendangebote. Sie leisten dadurch einen substantiellen Beitrag, das Bewusstsein für den kulturellen Reichtum von Games zu schärfen und die digitale Spielelandschaft bunter zu machen. Und dieses Festival, das heute eröffnet wird, bietet dafür hervorragende Anknüpfungspunkte. Sowohl die Industrie als auch die Independent-Szene haben seit langem schon in Deutschland Fuß gefasst, auch und insbesondere in Hamburg. Das zeigen die vielen Spieleentwickler, die hier ansässig sind und zum Teil die PLAY seit Jahren tatkräftig unterstützen.

Kaum eine Szene ist außerdem international so stark vernetzt wie die Gaming Szene. Eine der vielen Ausstellungen hier in Hamburg kommt aus Australien, und für den Creative Gaming Award gab es Einreichungen aus Südamerika. Auch außerhalb der PLAY sind Wettbewerbe und Conventions längst internationale Events und waren dies meist von Anbeginn, weil sich die Szene zunächst von einem Insiderhobby zum heutigen Megatrend entwickelte und daher seit der Geburt des Mediums über Ländergrenzen hinweg eng kooperierte und noch heute kooperiert. Seit ihren Anfangstagen wird mit digitalen Spielen Geld verdient; seit ihrem Durchbruch als Massenmedium aber scheinen sie geplagt von einer immer durchdringenderen Kommerzialisierung. Hier müssen wir zu einer Spielekultur finden, die kommerzielle Interessen mit denen der Spieler vereint.

Gemeinsam können wir an der Verbesserung der kulturellen Potentiale und ästhetischen Qualität arbeiten und mehr Menschen zur Entfaltung ihrer Kreativität bewegen. Das bedarf der intensiven Auseinandersetzung, der Diskussionen und vielleicht auch der Kontroversen. Wir müssen Risiken und Stärken einschätzen, wir müssen aus verschiedenen Blickwinkeln darüber diskutieren. „Die PLAY macht Hamburg zu einem Spielfeld, auf dem es nicht darum geht, die Regeln einzuhalten, sondern sie zu brechen, bei dem alle nicht gegeneinander spielen, sondern miteinander.“ Diesen Satz habe ich im Online-Statement von Sabrina Maaß gehört, die die PLAY mitorganisiert.

Dem möchte ich beipflichten, und wünsche in diesem Sinne viel Spaß auf der PLAY16!

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten