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Symposium „Koloniales Erbe. (Post)Koloniales Unrecht und juristische Interventionen“ | Presse | bpb.de

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Symposium „Koloniales Erbe. (Post)Koloniales Unrecht und juristische Interventionen“ Dekolonialität in der politischen Bildung

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Die Entwicklung des Völkerrechts ist eng verwoben mit dem von Europa aus vorangetriebenen Kolonialismus: mit globalisierter Ausbeutung, Landraub und Völkermorden. Dabei wurden völkerrechtliche Grundprinzipien so ausgelegt, dass sie Kolonialverbrechen legitimierten. Das erste Symposium der Veranstaltungsreihe „Koloniales Erbe“ soll ein Resonanzraum für postkoloniale Kritiken am Recht sein.

Sehr geehrte Nikita Dhawan, lieber Johannes Odenthal, lieber Wolfgang Kaleck, liebe Jeanine Meerapfel, meine sehr geehrte Damen und Herren,

Ausgangspunkt unserer Kooperation zwischen Akademie der Künste und Bundeszentrale für politische Bildung ist der virulente Befund, dass unter anderem kulturelle und edukative Institutionen in unserem Land immer noch blind bezüglich der kolonisierenden Vergangenheit Deutschlands sind. Da kann man sich auch nicht mit dem Argument herausreden, dass der Holocaust die Erinnerungskultur präge und quasi alle anderen Vergangenheiten versiegele. Es ist nicht hinnehmbar, dass im Namen eines grenzenlosen Unrechts ein anderes grenzenloses Unrecht verzwergt und unsichtbar gemacht wird. Wir brauchen öffentliche Resonanzräume, die sich diesem Befund stellen und Wege zu einer Institutionenselbstkritik bahnen. Ein umfassender Dekolonisierungsprozeß der gesamten Gesellschaft ist längst überfällig und er hat mehrere Dimensionen, denen wir uns mit dieser Konferenzserie stellen wollen. Mit einer fangen wir heute an.

Wenn wir über koloniales, bzw. postkoloniales Unrecht sprechen, sprechen wir zwangsläufig auch über Strafverfolgung. Sie ist nicht nur ein wichtiger – wenn nicht sogar elementarer – Schritt hin zur materiellen Gerechtigkeit für die Opfer und deren Angehörigen. Die Strafverfolgung trägt zur Stabilisierung von Post-Konflikt-Gesellschaften bei; sie versucht die Wahrheit zu ermitteln oder sich dieser zumindest anzunähern. Wolfgang Kaleck bezeichnete Gerichte einmal zutreffend als mögliche "Foren des Protests".

Durch die Gerichtsverfahren wird nicht nur Unrecht geahndet und Recht gesprochen. Die Verfahren erzeugen vor allem Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit. Sie sind Aushandlungsorte für Fragen, die eine strafrechtliche Aufarbeitung allein nicht beantworten kann: Beispielsweise wann Schuld und vor allem schwere Schuld als aufgearbeitet gilt. Oder aber, was Gerechtigkeit ist. Sie ist nicht per se vorhanden, sie kann nicht per Dekret verordnet werden. Was in einer Gesellschaft allgemeingültig als gerecht empfunden wird, ist immer Gegenstand gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse. Wessen Verbrechen werden überhaupt vor Gericht gestellt und welche nicht, wessen Opferleid wird sichtbar?

Um diese Fragen verhandeln zu können und überhaupt ins Bewusstsein und die Öffentlichkeit zu holen, braucht es Resonanzräume.

In den Gerichtssälen geht es nämlich nicht allein um eine strafrechtliche Verfolgung – sie schaffen genau solche Resonanzräume.

Darin sind sie den Resonanzräumen der politischen Bildung verwandt, über die ich, sehen Sie es mir nach, einige Worte verlieren muss. Es gehört zur Aufgabe der Bundeszentrale für politischen Bildung/bpb, Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern, das demokratische Bewusstsein zu festigen und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stärken.

Dem kann die politische Bildung nur gerecht werden, wenn sie gesellschaftliche Aushandlungsprozesse in den Blick nimmt. Und sie muss noch einen Schritt darüber hinausgehen und zur kritischen und selbstkritischen Auseinandersetzung mit hegemonialen Meinungen anregen, denn wir sind nicht die Pressestelle der Machtrepräsentanz, sondern Platzhalter für kontroverse Aushandlungsprozesse. Wir haben dafür Sorge zu tragen, dass Resonanzräume entstehen und Diskursmöglichkeiten eröffnet werden.

Im Konzept dieser Veranstaltungsreihe „Koloniales Erbe/Colonial Repercussions“ heißt es: „Die europäische Aufklärung und damit das Fundament der westlichen Wertegemeinschaft – der Wissenskanon, die Institutionen, die Sammlungen – hatte ihre materiellen Grundlagen zu einem wesentlichen Teil in kolonialen Herrschaftsstrukturen.

Zugleich hat der bis heute behauptete Anspruch der Aufklärung an universaler Gültigkeit zu einer fortdauernden Hierarchisierung von Kulturen geführt. Aus diesem Grund ist eine Kritik der eigenen Gewissheiten essentiell für die Fortsetzung des Projekts Aufklärung.“

Die bpb ist eine Bildungsinstitution, die Wissen vermittelt – und damit Gewissheiten schafft. Und genau das macht sie zu einem zentralen Deutungsort. Wir sind Teil der seit Jahrzehnten wirkenden hegemonialen Wissenskulturen und -produkte, wir haben sie über Jahrzehnte aktiv mit produziert und reproduziert und wir tun das womöglich auch noch heute. Dessen müssen wir uns unbedingt gewahr sein, vielleicht sogar oft erst gewahr werden. Denn wie jede andere Strategie auch, ist Wissen weder universal noch folgenlos.

Wir müssen uns die Frage nach kognitiver Gerechtigkeit stellen: Was gilt warum und wo als Wissen? Wer definiert Wissen? Wer hat Zugang zu (welchem) Wissen? Wer profitiert von der jeweiligen Bildungspolitik? Welche Perspektiven werden wahrgenommen? Wenn wir uns genau diese Fragen aufrichtig stellen, bekommen wir auch die Ignoranz der Blindstellen in den Blick: Was wissen wir nicht? Was wollen wir nicht wissen? Welche Perspektiven werden nicht wahrgenommen? Und warum?

Bisher hat sich die politische Bildung sehr stark vom Zielgruppengedanken leiten lassen und dabei vielleicht an der einen oder anderen Stelle übersehen, dass Subjekte in der Erziehung, durch Bildung geformt werden. Die postkoloniale Theoretikerin Gayatri Spivak hat auf diesen Umstand aufmerksam gemacht, indem sie education – verstanden als Erziehung wie Bildung – als „möglichst zwangsfreie Neuordnung von Begehren“ beschrieben hat.

Ein Nachdenken, was in den Subjekten wie und mit welchen Konsequenzen neugeordnet wird, ist genauso unabdingbar, wie die Reflexion des eigenen Standpunkts. In diesem Sinne fasst Paul Mecheril, Direktor des Center für Migration, Education and Cultural Studies an der Universität Oldenburg, Bildung als ein „sich selbst durch Wissen in Frage stellen zu lassen“ auf. Er schlägt als Zielstellung von Bildung vor, „sich zu den epochaltypischen Schlüsselproblemen globaler Ungleichheit in ein Verhältnis zu setzen“.

Das heißt, dass sich die politische Bildung nicht damit begnügen darf, Wissen über globale, europäische, deutsche oder lokale Verhältnisse zu vermitteln.

Sondern sie muss auch dazu anregen, „dass sich die Individuen und sozialen Gruppen [...] mit ihrer mehr oder weniger privilegierten Stellung in der Welt auseinander setzen und sich ihrer Involviertheit in Strukturen globaler Ungleichheit und Gewalt sowie ihrer spezifischen Handlungsmöglichkeiten bewusst werden.“ Oder um es mit Spivak zu sagen „die Hinterfragung der eigenen Privilegien bleibt eine Notwendigkeit“.

Gerade deshalb braucht es eine „Solidarität unter einander Unvertrauten“, wie Paul Mecheril sie fordert. Das bedeutet zweierlei, wobei beides eng miteinander verknüpft ist. Zum einen geht es darum, von sich selbst Abstand zu nehmen, das heißt: die eigenen identitären und materiellen Interessen reflektierend zurückzustellen, wenn man so will sie zu vernachlässigen. Zum anderen heißt Solidarität, die „Anderen“ als Subjekte anzuerkennen und ihnen im inklusiven Sinn Subjektivität zu ermöglichen.

Politische Bildung wird sich deshalb aktiv an der Konstruktion und Dekonstruktion von Identitäten beteiligen, in dem sie Räume des Aushandelns hierfür schafft. Solche Prozesse stellen einen wichtigen Schritt der politischen Subjektwerdung dar – und letztlich auch der Entstehung und Definition von heterogenen Gesellschaften.

Es gilt Aspekte wie Ungewissheit, Utopie, Diversität oder Ambiguität zu fördern, die für die Zukunftsoffenheit der demokratischen Gesellschaften fundamental sind. Dabei können die juristische Aufarbeitung wie die politische Bildung als quasi Wahlverwandte ihren Beitrag leisten. Wer Vielfalt demokratisch leben und als Ziel verfolgen will, muss die aus Vergangenheit und Gegenwart resultierenden globalen Ungleichheiten nicht nur moderieren, sondern bearbeiten, bekämpfen und hinter sich lassen.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten