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Mit Vielfalt umgehen lernen – Interkulturelle Bildung als Herausforderung für Unterricht und Schulalltag | Presse | bpb.de

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Mit Vielfalt umgehen lernen – Interkulturelle Bildung als Herausforderung für Unterricht und Schulalltag Eröffnung der Fachkonferenz am 20./21.04.2009 in der Vertretung des Landes Mecklenburg-Vorpommern beim Bund, Berlin

/ 6 Minuten zu lesen

Interkulturelle Bildung enthält Antworten auf das, was zunehmende Komplexität, Verunsicherung und Mobilität den Menschen abverlangt.

Sehr geehrter Herr Minister Tesch, meine Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

auch ich darf Sie recht herzlich im Namen der bpb begrüßen. Ich freue mich über die Möglichkeit, mit der KMK erneut ein Thema gemeinsamen Interesses zu behandeln. Der Tagungsort ist – fast schon traditionell – die Vertretung des Landes beim Bund, die den Vorsitz in der KMK innehat. Im laufenden Jahr ist das Mecklenburg-Vorpommern. Und so haben wir das Vergnügen, hier in Berlin seine Gastfreundschaft zu genießen. Mein erster Dank geht also an den Vertreter des Hausherrn. Die anderen folgen am Ende meiner Ausführungen. Nun aber zu dem, was Sie heute und am morgigen Vormittag beschäftigen wird:

Wie bereits von Herrn Tesch erwähnt, fasste vor nunmehr fast 13 Jahren, am 25. Oktober 1996, die KMK einen Beschluss zur "Interkulturelle(n) Bildung und Erziehung in der Schule". Er bezog sich auf konzeptionelle Überlegungen, die bereits 1978 und erneut 1990 zu Europa im Unterricht sowie 1994 zur Vermittlung von Fremdsprachen angestellt worden waren. Die ihn begleitenden Empfehlungen waren als Antwort auf vorwiegend drei Herausforderungen gedacht:

  • Die sich immer weiter entwickelnde kulturelle Vielfalt in Deutschland;

  • Die Anforderungen einer erhöhten beruflichen Mobilität durch die fortschreitende europäische Integration; und schließlich

  • Die Perspektiven des Lebens in Einer Welt.

Zudem sollten sie die bereits vorhandenen Erfahrungen, Ansätze, Anregungen und Konzepte bündeln sowie die aus ihnen erwachsenden pädagogischen Möglichkeiten akzentuieren.

Die Ausgangslage sah die KMK dadurch geprägt, dass in Deutschland weite Bereiche der Gesellschaft auf den Zuzug von Menschen unterschiedlicher Herkunft nicht vorbereitet waren. Das galt auch für die Pädagogik. Obwohl sie mit differenzierten Maßnahmen Fortschritte gemacht hatte, blieb sie weiterhin herausgefordert, allen Schülerinnen und Schülern eine gemeinsame Interkulturelle Bildung und Erziehung zu vermitteln. Also wurde ein Bildungsauftrag formuliert, der auf den Schulgesetzen der Länder beruhte. Er ging davon aus, dass alle Menschen gleichwertig und ihre Wertvorstellungen sowie kulturellen Orientierungen zu achten seien. Dieser Bildungsauftrag enthielt unter anderen folgende vier Ziele:

  • Alle Schülerinnen und Schüler sollen Einstellungen und Verhaltensweisen entwickeln, die den Grundsätzen der Menschlichkeit, der Freiheit, Verantwortung, Solidarität, der Völkerverständigung, Demokratie und Toleranz verpflichtet sind.

  • In der Auseinandersetzung zwischen Fremdem und Vertrautem ist der Perspektivwechsel unerlässlich. Nur er führt zu einer reflektierten Fremdwahrnehmung.

  • Bei der Verwirklichung ihres Auftrags muss die Schule mit ihrem Umfeld zusammenarbeiten. Auf sich allein gestellt kann sie dem gesellschaftlichen Anspruch nicht genügen, ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Minderheiten und Mehrheit zu gewährleisten.

  • Interkulturelle Kompetenz ist als eine Schlüsselqualifikation zu betrachten.

Auf welchem Wege aber sollte die Entwicklung von Einstellungen und Verhaltensweisen erfolgen? Hier stellte die KMK zunächst fest, dass es weniger um eine isolierte Betrachtung in einzelnen Themen, Fächern oder Projekten gehe als vielmehr um eine schulische Querschnittsaufgabe. Letztere beinhalte die Beteiligung aller Schülerinnen und Schüler an der Schaffung einer gemeinsamen Schulkultur, beruhend auf einvernehmlichen Regeln des Zusammenlebens und gegenseitiger Achtung. Eine Zielsetzung übrigens, die später auch die Demokratiepädagogik aufgriff. Ihre Verwirklichung könne allerdings nur dann gelingen, wenn die Lehrkräfte entsprechende Befähigungen aufwiesen.

Nachdem sie die institutionellen Rahmenbedingungen abgesteckt hatte, widmete sich die KMK den inhaltlichen Schwerpunkten des Unterrichts bei der Umsetzung Interkultureller Bildung. Es kam ihr dabei weniger auf eine Ausweitung des Stoffes als auf die Vertiefung und Ergänzung ohnehin bestehender Inhalte an. Am leichtesten erschien das in den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern. Ausdrücklich genannt wurden Gemeinschaftsoder Sozialkunde, Geschichte, Erdkunde, Religion und Ethik. Aber auch in Deutsch, den Fremdsprachen, im musisch-künstlerischen Unterricht, ja sogar in Mathematik und in den Naturwissenschaften sahen die zuständigen Minister die Möglichkeit, Elemente Interkultureller Bildung zu berücksichtigen. Unter den Bedingungen der Nachhaltigkeit verwiesen sie dann noch einmal auf die Notwendigkeit, den jeweiligen Unterricht mit anderen Fächern, Gemeinschaftsarbeiten und Projekten zu vernetzen. Voraussetzung dafür sei wiederum die ausnahmslose Einbindung aller Aktivitäten in das gesamte didaktisch-methodische Konzept der Schule.

Das zur Erreichung der genannten Ziele erforderliche Rüstzeug teilte die KMK schließlich in folgende acht Elemente:

  • Lehrpläne und Rahmenrichtlinien;

  • Verfügbarkeit unterrichtspraktischer Handreichungen;

  • Zulassung bzw. Genehmigung von Schulbüchern;

  • Förderung der sprachlichen Vielfalt;

  • Vermehrte Beschäftigung nichtdeutscher Lehrkräfte;

  • Ausbau von Schulpartnerschaften und Schüleraustauschprogrammen;

  • Angebote Interkultureller Bildung an Hochschulen als integraler Bestandteil der Lehrerausbildung;

  • Verstärkung schulnaher und schulinterner Fort- und Weiterbildung.

Was ist nun aus diesen Empfehlungen geworden und wie beeinflussen sie neben dem Unterricht den Schulalltag? Diesen Fragen geht eine auf Veranlassung des Europäischen Parlaments für die Generaldirektion Interne Politikbereiche der Union 2008 angefertigte Untersuchung nach.

Neben Deutschland kommen Frankreich, Großbritannien, Ungarn und Italien zur Sprache. Obwohl der Vergleich interessante Einsichten vermittelt, beschränke ich mich auf die nationalen Ergebnisse. Verwiesen sei lediglich darauf, dass nur Deutschland und Italien das Konzept der Interkulturellen Bildung und Erziehung in ihren gesamtpolitischen Leitlinien verankert haben.

Nun aber zu den in unserem Zusammenhang besonders wichtigen Antworten. Zunächst stellt die Gutachterin durchaus Fortschritte fest. So verweist sie zum Beispiel auf eine vergleichende Betrachtung von Geschichtslehrbüchern in Nordrhein-Westfalen. Die neueren Ausgaben beachten weitgehend die Grundsätze sowohl des Multiperspektivismus als auch des Kulturrelativismus. Zudem halten sich ihre Autorinnen und Autoren an die für jeden Schultyp und jede Schulebene gemachten Vorgaben. Dennoch überwiegt bei Prof. Cristina Allemann-Ghionda die Problemorientierung. Für die Bedürfnisse der Konferenz fasse ich sie unter folgenden acht Punkten zusammen:

  • Zu wenig ausgebaut sind wirksame Formen des Dialogs zwischen Forschung, Entscheidungsfindung und pädagogischer Praxis. Unter anderem diesem Problem widmete sich übrigens die von der bpb im Februar 2008 mitveranstaltete internationale Fachkonferenz "Schule in der Einwanderungsgesellschaft".

  • Den Leitlinien der KMK folgen bisweilen nur zaghaft die Schulgesetze und Curricula der 16 Bundesländer. Das führt zu erheblichen Unterschieden im Umgang mit Interkultureller Bildung, Integration und Beschulung von Migrantenkindern.

  • Zum Ausbau der Interkulturellen Bildung und Erziehung bedarf es in den meisten Fächern genereller Lehrplanänderungen. Sie müssen einem transversalen Ansatz folgen. Wünschenswert wäre überdies die Einführung von Standards, um zu vergleichbareren Bildungsergebnissen zu kommen.

  • Es gibt keine oder kaum verlässliche Instrumente für die Bewertung und Kontrolle der Qualität Interkultureller Bildung. Wie die Lehrkräfte das unterrichten, was die Richtlinien von ihnen erwarten, bleibt bisher also weitgehend im Dunkeln.

  • Besondere Programme zur Förderung des interkulturellen Austauschs zwischen Schulen sind rar. In sie müssten auch die Lehrkräfte und Studierenden einbezogen werden.

  • Während das Erlernen des Deutschen immer mehr zur Kernfrage wird, kommt der muttersprachliche Unterricht der Migrantenkinder erheblich zu kurz. Diese Prioritätensetzung befindet sich allerdings in der Diskussion.

  • Die im Tertiärbereich angesiedelte Lehrerausbildung befasst sich häufig mit interkulturellen Fragen oder solchen der Vielfalt und Integration. Die Angebote sind jedoch nicht verpflichtend. Daher besteht eine Kluft zwischen offiziellen Verlautbarungen und der täglich geübten Praxis an Schulen und Hochschulen.

  • Das Gleiche trifft auf die Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte zu. Insgesamt kommt Cristina Allemann-Ghionda zu dem Schluss, dass Interkulturelle Bildung in Deutschland neben dem Fachunterricht durchaus im Rahmen konkreter und beispielhafter Projekte stattfindet. Möglicherweise beteiligten sich daran sogar mehr Schulen als allgemein bekannt. Bisher sei das aber keineswegs zur gängigen Praxis im Schulalltag geworden.

Es handelt sich also um ein Spannungsverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit, das der weiteren Klärung bedarf. An diesem Diskurs zu partizipieren ist ein Anliegen der bpb. Spielt doch auch in ihrer Arbeit die Förderung interkultureller Kompetenz eine wichtige Rolle. Deshalb hat sie der Thematik im Planungsprozess der vierten gemeinsam mit der KMK durchgeführten Fachkonferenz den Vorzug eingeräumt. Hinzu kommt, dass der produktive Umgang mit Vielfalt in Schule und Unterricht sinnvoll die drei zuletzt erörterten Schwerpunkte ergänzt. Damals stand die schwierige Auseinandersetzung mit Holocaust und Nationalsozialismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus sowie mit der Beurteilung Israels vor dem Hintergrund des Nahost-Konflikts auf der Tagesordnung.

Dagegen soll es jetzt hauptsächlich um die Möglichkeiten gehen, die Interkulturelle Bildung Kindern und Jugendlichen für ihren Umgang mit den aktuellen Herausforderungen bietet. Sie enthält Antworten auf das, was zunehmende Komplexität, Verunsicherung und Mobilität den Menschen abverlangt.

Angesichts des nur sehr begrenzt zur Verfügung stehenden Zeitrahmens orientiert sich das Programm an den bereits knapp umrissenen Empfehlungen und anschließenden kritischen Bemerkungen zur Interkulturellen Bildung in der Schule. Der inhaltlichen Klärung und Bestimmung der notwendigen schulisch-institutionellen Voraussetzungen folgt die Frage nach Ansätzen für die Umsetzung im Unterricht. Gewählt wurden die zwei gesellschaftswissenschaftlichen Fächer Geschichte und Politik. Am Ende steht die inhaltliche, didaktische und methodische Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte. Anhand von Fallbeispielen vertiefen die vier abendlichen Arbeitsgruppen einzelne Aspekte der einführenden Referate und ihrer Erörterung im Plenum.

Ich gehe davon aus, dass die Fachkonferenz zur Klärung umstrittener Sachverhalte beiträgt. Ich hoffe, dass ihre Ergebnisse die Verankerung der Interkulturellen Bildung in Unterricht und Schulalltag befördern. Allen an ihrer Vorbereitung und Durchführung Beteiligten danke ich sehr und wünsche der Veranstaltung den ihr gebührenden Erfolg.

– Es gilt das gesprochene Wort –

Fussnoten