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Politische Bildung im Staatlichen Auftrag | Presse | bpb.de

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Politische Bildung im Staatlichen Auftrag Im Rahmen des 50-jährigen Bestehens der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung

/ 5 Minuten zu lesen

In welchem Maße haben sich die Institutionen politischer Bildung dem gesamtgesellschaftlichen Reformdruck gestellt? Thomas Krüger, bpb-Präsident, beantwortete diese Frage anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Landeszentrale für politische Bildung in Hessen.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrter Herr Landtagspräsident, sehr verehrte Damen und Herren, lieber Herr Dr. Heidenreich,

"50 Jahre und kein bisschen leise..." – reif an Erfahrung und fit für die Zukunft – so sieht es aus in Sachen staatlicher politischer Bildung in Wiesbaden, in Bonn und in allen anderen Landeshauptstädten. Was nach dem Zweiten Weltkrieg und der nationalsozialistischen Diktatur als re-education in den drei westlichen Besatzungszonen begann, hat sich zu einem veritablen Dauerbrenner entwickelt, der aus der deutschen Erwachsenenbildungslandschaft nicht mehr wegzudenken ist.

Die Institutionen politischer Bildung haben sich in den letzten Jahren dem gesamtgesellschaftlichen Reformdruck gestellt und auf die veränderten Rahmenbedingungen reagiert:

Durch Evaluationen und Qualitätsentwicklungsprozesse wird der Service für Bürgerinnen und Bürger kontinuierlich verbessert.

Durch "Marktanalysen", durch das Aufgreifen aktueller politischer Ereignisse und brisanter Fragen gelingt es, nachfrageorientierte Angebote zu machen, ohne den Bildungsauftrag zu vernachlässigen.

Durch Controlling, Kostenbeteiligungsmodelle, Synergiebildung und Public Private Partnership werden die Haushaltsmittel effektiv und Ressourcen schonend eingesetzt.

Durch europäische Vernetzung wird Know-How-Transfer gewährleistet – politische Bildung wird zum Bestandteil und Katalysator der Europäischen Integration.

Durch innovative Maßnahmen werden neue Zielgruppen insbesondere unter jungen Erwachsenen erreicht.

Eine Grundlage dieser Arbeit ist die intensive Vernetzung und die vielfältigen Kooperationen zwischen den Landeszentralen und der Bundeszentrale für politische Bildung. Als herausragendes Beispiel hierfür sei etwa der Kongress "Geschlechterdemokratie im 21. Jahrhundert" genannt, der im Jahre 1999 für über 400 Teilnehmende von der bpb und allen Landeszentralen für politische Bildung in Berlin ausgerichtet wurde. Auch in jüngerer Zeit gab es Kooperationen, etwa mit der Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer – "Bedeutung des Holocaust in der israelischen Gesellschaft/Holocaust-Teaching" – für die speziell die hessische Landeszentrale und die bpb zusammengearbeitet haben. Unter dem Motto "politische Bildung live und vor Ort" haben wir mit Ihnen in der Veranstaltungsreihe "Bekenntnisse: Weltreligionen im Dialog" mehrfach gemeinsam Erfahrungen mit diesem neuen Format gesammelt.

Das staatliche Engagement insbesondere die Existenz der Bundes- und der Landeszentralen für politische Bildung sind Ausdruck der politischen Kultur in der Bundesrepublik Deutschland, ein Service des Staates für seine Bürgerinnen und Bürger, der darauf abzielt, sie zu befähigen, politische Prozesse zu verstehen, kritisch zu beobachten und aktiv mitzugestalten.

Hier wird, über parteipolitische oder weltanschauliche Ausrichtung hinweg, ein Raum sowohl zum Austausch kontroverser Positionen, als auch für Verständigungspozesse über gesellschaftlich relevante Fragen geboten. Das Angebot des Staates an politischer Bildung ist Ausdruck der besonderen Verantwortung Deutschlands zur Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, zur Wahrung demokratischer Grundwerte und zur Weiterentwicklung der Demokratie.

Die Legitimation politischer Bildung aus der spezifischen Verantwortung vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und die damit zusammenhängenden Schwerpunktsetzungen sind nach wie vor unumstritten. Allerdings begreift sich politische Bildung heute auch als Schnittstelle zwischen politischer, kultureller, sozialer und ökonomischer Bildung. Im Rahmen einer transdisziplinären Ausrichtung vermittelt sie umfassende Kompetenzen, auf die es in modernen Gesellschaften ankommt: spezifische Fachkompetenz, interkulturelle Kompetenz, psycho-soziale Kompetenz, Medienkompetenz, die Kompetenz zur Urteilsbildung sowie schließlich die Kompetenz, Differenzen und Konflikte auszuhalten und auf demokratischen Wege zu lösen.

Eine besondere Bedeutung in unser aller Arbeit heute kommt dabei der Bildung für Europa mit der Internationalisierung der politischen Bildung zu: Der heutige Tag ist nicht nur ein historischer für die Hessische Landeszentrale für politische Bildung, sondern auch für die Europäische Union, denn heute vor vier Tagen hat sie sich um zehn Mitglieder vergrößert. Wir alle arbeiten nicht mehr nur für die Partizipationsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger an der deutschen Demokratie, wir leisten auch Bildungsarbeit für die europäische Demokratie.

Nicht zuletzt im Rahmen der Diskussion über die Europäische Verfassung wurde der Gedanke des Europas der Bürgerinnen und Bürger betont und die Notwendigkeit zur Förderung aktiver europäischer Staatsbürgerschaft aufgerufen. Die Initiative des Rats der Bildungsminister für das "Europaen Year of Citizenship Through Education 2005" unterstreicht die zunehmende Bedeutung, die politischer Bildung auf europäischer Ebene beigemessen wird. Die im Weißbuch "Europäisches Regieren" genannten strategischen Prioritäten der Offenheit und Partizipation verlangen auf europäischer wie auf nationaler Ebene nach Maßnahmen zur Information und zur Ausbildung von Kompetenzen, die den Bürgerinnen und Bürgern Verständnis für gesellschaftliche und politische Prozesse und für die aktive Teilnahme daran ermöglicht.

Besonderer Handlungsbedarf wird gerade bezogen auf junge Menschen identifiziert. Als mögliche neue Herausforderung, auf die es zu reagieren gilt, wird im Weißbuch "Neuer Schwung für die Jugend Europas" formuliert: "Zwischen Jugendlichen und den öffentlichen Institutionen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene tut sich eine wachsende Kluft auf, die dazu führen könnte, dass sich junge Menschen weigern könnten, ihre Rolle als Bürger wahrzunehmen". Hier wird ausdrücklich die Bedeutung von Partizipation als Lernprozess hervorgehoben. Der Wunsch nach entsprechenden Bildungsmaßnahmen, die auf ihre persönliche Lebenssituation zugeschnitten sind, wurde während der Konsultationen von den Jugendlichen selbst eingefordert.

Zur Bewältigung globaler Herausforderungen werden durch multilaterale Initiativen internationale Standards gesetzt, wie z.B. die in Rio verabschiedete Agenda 21, die die Idee der Nachhaltigkeit zum Weltmodell erklärte. Die Tatsache, dass die Jahre 2005 bis 2015 zur UN-Dekade der "Bildung für nachhaltige Entwicklung" erklärt wurde, macht den Bedarf an entsprechenden Bildungsmaßnahmen deutlich.

Politische Bildung integriert Menschenrechtsbildung, Bildung für Demokratie, Bildung für aktive Staatsbürgerschaft, interkulturelle Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung.

Deutschland verfügt durch seine elaborierten Strukturen, Ansätze und Erfahrungen hier über ein einzigartiges System, dass auch international als Antwort auf nationale und internationale Herausforderungen wachsende Beachtung findet.

Deshalb muss eines auch ganz klar gesagt werden: Trotz aller Modernisierungsmaßnahmen ist und bleibt das Engagement des Bundes und der Länder die conditio sine qua non für den Erfolg unserer Arbeit. Denn nur dieses Engagement allein kann unabhängige, kontroverse und plurale politische Bildung garantieren. Eine Voraussetzung, die bei Bürgerinnen und Bürgern – wie Untersuchungen belegen – unabdingbar für Vertrauen und Akzeptanz ist.

Dieses Vertrauen und diese Akzeptanz müssen wir uns als politische Bildnerinnen und Bildner immer wieder aufs Neue hart erarbeiten. Frieden und Sicherheit, Globalisierung, Informations- und Wissensgesellschaft, soziale Sicherheit, Gleichberechtigung oder Politikverdrossenheit – dies sind nur einige Stichworte, an denen ganze Galaxien von Möglichkeiten, Fragen, Unsicherheiten und Chancen hängen. Es ist unsere Aufgabe, diese komplexen Zusammenhänge für unsere Nutzerinnen und Nutzer durchschaubar, verständlich, einigermaßen überschaubar zu machen und sie somit in die Lage zu aktiver Beteiligung und Entscheidung zu versetzen.

Die Landeszentrale für politische Bildung hier in Hessen tut dies seit nunmehr 50 Jahren – und kein bisschen leise...

Ich wünsche der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung, Ihnen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und natürlich Ihnen, Herr Dr. Heidenreich, heute einen festlichen Tag, verbunden mit herzlichen Glückwünschen zu diesem Jubiläum. Die bpb freut sich auf weitere zahlreiche Jahre der produktiven Zusammenarbeit mit Ihnen.

Fussnoten