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Kein alter Hut: Die Bundeszentrale für politische Bildung wird 50 | Presse | bpb.de

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Kein alter Hut: Die Bundeszentrale für politische Bildung wird 50 Wider die Politikverdrossenheit: Neuer Kurs der politischen Bildung

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Eine Demokratie kann nur überleben, wenn sie von weiten Kreisen der Bevölkerung getragen und mitgestaltet wird. Mit diesem Auftrag wurde die bpb 1952 als "Bundeszentrale für Heimatdienst" gegründet. Der bpb-Präsident Thomas Krüger berichtet über die Anfänge bis zur Neuorientierung seit 1999 und über die aktuellen Schwerpunkte und neuen Herausforderungen.

"Demokratien sind nur lebensfähig, wenn sie von ihren Bürgern verstanden werden." (Giovanni Satori, 1992)

Politische Bildung ist wieder im Gespräch. Nach Mittelkürzungen und politischen Tendenzen, die sogar ihre "Verzichtbarkeit" postulierten, ist ihr Wert heute unbestritten. Sie hat einen weiten Weg zurückgelegt: Was nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als "political reeducation" der Alliierten für die deutsche Bevölkerung begann, ist heute unverzichtbarer Bestandteil in der außerschulischen (Erwachsenen-)Bildung. Gleichwohl müssen sich ihre Konzepte, pädagogischen Ansätze und Inhalte ständig neu definieren, der sich verändernden Gesellschaft angepasst werden und flexibel auf den Wissens- und Informationsbedarf der Nutzerinnen und Nutzer reagieren. Für die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) hat die Phase der Neuorientierung und -ausrichtung im Jahr 1999 begonnen.

Jean Louis steht auf seiner Bühne, einem zu einer Mini-Disco umgebauten Wohnwagen und tut, was Popstars so tun: Er lässt sich von seinen Fans feiern, verteilt Autogramme und Küsschen. Jean Louis ist aber ein Kunstprodukt, ein am Reißbrett entworfenes Idol, das in Schulen auftritt. Was das mit politischer Bildung zu tun hat, fragen Sie sich? Louis ist ein Modul der Kampagne "Hype Machine", die die bpb in Kooperation mit der saarländischen Landeszentrale für politische Bildung veranstaltet hat, um die Popindustrie und ihre Vermarktung zu illustrieren und so für junge Leute die Entertainmentstrategien der Politik durchsichtig zu machen. Hinzu kommen "Themenblätter im Unterricht" zum Thema "Pop und Politik" sowie Textbausteine für Schülerzeitungen. Denn nicht die Jugend ist politikverdrossen, sondern die Politik ebenso wie die politische Bildung ist "jugendverdrossen", wie nicht nur die 13. Shell-Studie vor zwei Jahren feststellte. Also hat sich die bpb darauf eingestellt.

Doch zunächst zurück zum Anfang: Bildung ist Ländersache. Vor nunmehr 50 Jahren jedoch hat die deutsche Regierung die herausragende Bedeutung außerschulischer politischer Bildung durch die Gründung der "Bundeszentrale für Heimatdienst" in Anlehnung an die "Reichszentrale für Heimatdienst" aus der Zeit der Weimarer Republik als nachgeordnete Behörde des Bundesministeriums des Innern unterstrichen. Beide Institutionen hatten vergleichbare Aufgaben: nach dem Ende eines zusammengebrochenen Regierungssystems die Bevölkerung der Weimarer bzw. der Bundesrepublik mit der parlamentarischen Regierungsform und den politischen Spielregeln der Demokratie vertraut zu machen.

Für die Bundeszentrale kam als weitere Aufgabe die Information über die neue europäische Zusammenarbeit hinzu. 1963 wurde die "Bundeszentrale für Heimatdienst" in "Bundeszentrale für politische Bildung" umbenannt. Die Bundesregierung hatte 1952 das Modell der "Reichszentrale" unter anderem auch deswegen übernommen, um in der jungen, demokratischen Republik ein Gegengewicht zur umstrittenen Neuformierung des Verfassungsschutzes zu bilden, der in der Zeit des Nationalsozialismus Teil eines totalitären Systems gewesen war und entsprechende Vorbehalte hervorrief. Die "Bundeszentrale für Heimatdienst" sollte eine Staatsbürgerkunde vermitteln, die die Menschen im neuen, noch unbekannten politischen System zu demokratischem Bewusstsein und politischer Partizipation befähigt, eben "den demokratischen und europäischen Gedanken im deutschen Volk [zu] festigen und [zu] verbreiten", wie es im Gründungserlass aus dem Jahre 1952 heißt.

Kernthema der bpb in den 50er Jahren war zunächst der Aufbau und die Funktion der noch jungen Bundesrepublik. In den 60er Jahren lag der Schwerpunkt auf der Aufklärung über totalitäre Systeme und der historischen Aufarbeitung der Vergangenheit, während am Ende des Jahrzehnts die Beschäftigung mit gesellschaftlichen Umbrüchen an Bedeutung gewann. In den 70er Jahren stand die Behandlung von Wirtschaftsfragen, der Ostpolitik sowie des für die Bundesrepublik damals neuen Phänomens des Terrorismus, aber auch die Entwicklung neuer didaktischer Konzeptionen (Curriculaentwicklung) für den Bereich der politischen Bildung im Vordergrund. Umweltprobleme, Friedens- und Sicherheitspolitik sowie neue soziale Bewegungen beherrschten als Themen die Arbeit in den 80er Jahren. Seit 1989 stehen natürlich die deutsche Einheit und der weitere europäische Einigungsprozess stark im Vordergrund.

Aktuelle Themenschwerpunkte der bpb sind 1. Grundfragen der Demokratie und politischer Systeme, 2. deutsche Geschichte, 3. Deutsche Einheit, 4. europäische Integration und internationale Beziehungen, 5. gesellschaftliche Prozesse und Akteure, 6. aktuelle gesellschaftliche Problemstellungen, wie Auslän-derfeindlichkeit und Gewalt, Politikverdrossenheit oder politischer Extremismus sowie 7. zukunftsorientierte Problemstellungen wie unter anderem das Zusammenwachsen Europas, ökologisches Bewusstsein, gesellschaftliche Veränderungen durch neue Technologien, Massenmedien oder die Globalisierung. Kernaufgabe der bpb ist heute, das "Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern, das demokratische Bewusstsein zu festigen und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stärken", wie der jüngste Errichtungserlass des BMI vom 24. Januar 2001 festschreibt.

Wie geht die bpb entlang dieser Aufgabenstellung nun vor, angesichts sich vollziehender, tief greifender sozialer, ökonomischer und politischer Umbrüche – Stichwort "Deutsche Einheit" – , in Zeiten raschen Wertwandels, fortschreitender Globalisierung sowie des Verlustes lieb gewonnener Traditionen? In einer Zeit, in der Veränderungen nur noch begrenzt steuerbar sind, in der bewährte Regelungsmechanismen und Kriseninterventionsverfahren – Stichwort "Arbeits- und Sozialpolitik" oder "Terrorismus" – nur noch mit Einschränkung greifen? In einer Zeit, in der Institutionen wie Kirche und Staat nicht nur bei der Jugend, sondern in der Gesamtbevölkerung erheblich an Akzeptanz verloren haben? Sie begreift diese Vorgänge als Herausforderung und Chance, neue Wege in der politischen Bildung zu gehen.

Ihren Auftrag der politischen Bildung nimmt die bpb nicht als "Feuerwehr" wahr, wenn der Schrei nach politischer Bildung etwa anlässlich rechtsextremer Übergriffe laut wird, sondern sie erfüllt ihn mit einer kontinuierlichen Themenführung einerseits, andererseits bedient sie sich der Trendforschung, um Themen flexibel und rasch aufgreifen zu können, wenn der Informationsbedarf der Bürgerinnen und Bürger besteht. Sie bietet eine Vielzahl von Materialien und Veranstaltungen, multimedial aufbereitet für ein breites Spektrum von Zielgruppen, die die zentralen Kontroversen um die politische, ökonomische, soziale und ökologische Gestaltung der Gesellschaft unterstützen.

Exemplarisch seien hier etwa eine Onlinedokumentation zur Zuwanderungsdebatte auf der Homepage (www.bpb.de), eine BSE-Chronik, ein Online-Angebot zum Themenkomplex Internet, New Economy und Mobile Work unter www.zukunft-der-wirtschaft.de, unter www.chronik-der-mauer.de ein multimediales, aktives Archiv zur jüngsten deutsch-deutschen Vergangenheit, unter www.fluter.de ein Onlinemagazin und Jugendportal sowie schließlich unter www.bpb-aktiv.de ein umfangreiches Informationsangebot zum Rechtsextremismus selbst und zu Initiativen gegen rechts oder auch eine umfangreiche "Arbeitshilfe" zur Gentechnik. Neben der massiv ausgebauten Informationsverbreitung über den Kanal der neuen Medien besteht selbstverständlich das alt bewährte Angebot von etwa den "schwarzen Heften", den "Informationen zur politischen Bildung", oder der Schriftenreihe, die den jeweils aktuellen Forschungsstand abbildet. In Kürze wird der gesamte Internetauftritt der bpb neu gestaltet und erweitert, um so auch den Service für und die schnelle Kontaktaufnahme der Bürgerinnen und Bürger mit der bpb zu gewährleisten. Ein weiterer Schwerpunkt der Vermittlungsarbeit liegt bei den Fragen zur Informationsgesellschaft, insbesondere etwa dem Themenkomplex Copyright/ Urheberrecht und Open Source. Hierzu hat die bpb jüngst eine Einzel-publikation herausgegeben, die auch unter www.freie-software.de abzurufen sein wird.

Die Landschaft der politischen Bildung in Deutschland ist nicht nur mit der Bundes- und den Landeszentralen für politische Bildung, sondern vor allem auch mit zahllosen kommunalen und freien Bildungsträgern, wie etwa den Gewerkschaften, Kirchen, (Heim-) Volkshochschulen, breit gefächert. Um eine möglichst große Breitenwirkung für die politische Bildung zu erzielen, fördert die bpb über 300 anerkannte Träger der politischen Erwachsenenbildung. Die Betreuung der Veranstaltungen dieser Träger ist ein wesentliches Element im Rahmen der inhaltlichen Neuakzentuierung der Trägerförderung. Sie ist ein Messinstrument für die qualitätsvolle Arbeit sowie ein Beleg für die starke Leistungsbereitschaft der Träger. Die bpb möchte damit die inhaltliche Arbeit der Träger aktiv begleiten und so Synergien für Erneuerung der politschen Bildung insgesamt erwirken. Dieser dialogische Prozess wurde jüngst durch die Einrichtung von Arbeitsgruppen und einem Runden Tisch eingeleitet. Innerhalb der bpb wurde zur Qualitäts-sicherung und zur internen, fortlaufenden Evaluation ein systematisches Controlling eingesetzt, zudem wurden Qualitätsstandards entwickelt. Um neben den klassischen Multiplikator(inn)en der politischen Bil-dung auch weitere Personen zu gewinnen, die sich als Vermittler(inn)en in der Bildungsarbeit eignen, wird verstärkt mit neuen Vermittlungsformen und Einstiegsthemen experimentiert. So wurde etwa der "Sprechbaukasten" entwickelt, ein interaktives PC-Trainingsmodul für Sporttrainerinenn und Sporttrainer, das diese befähigen soll, im Bereich des Vereinssports auf rassistische und diskriminierende Äußerungen reagieren zu können.

Mit diesen neuen Herangehensweisen, die an dieser Stelle nur in Ausschnitten dargestellt werden konnten, will die bpb – die als staatliche Institution für politische Bildung in Europa einzigartig ist – eine wesentich verbesserte Vermittlungs- und Übersetzungsarbeit zwischen System und Subjekt leisten. Denn kompetente Bürgerinnen und Bürger kommen nicht als solche auf die Welt. Sie werden auch nicht allein durch das Aufwachsen in einem demokratischen System kompetent. Eine Demokratie kann nur überleben, wenn sie von weiten Kreisen der Bevölkerung verstanden, getragen und vor allem mitgestaltet wird. Dies zu erreichen ist die politische Bildung unverzichtbar.

Fussnoten