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Keynote Address | 16. Bensberger Gespräche 2019 | bpb.de

16. Bensberger Gespräche 2019 Keynote Address Simulation eines Cyberangriffs auf elektronische Systeme Warum ist es so schwer, den Cyberraum zu kontrollieren? Podiumsdiskussion: Herausforderungen für die Cybersicherheit Die helle und die dunkle Seite des Darknet Workshop 1: Cyber Crime und die Möglichkeiten der Bekämpfung Workshop 2: Hybride Kriegsführung und soziale Medien Workshop 3: Rüstungskontrolle vernetzter Systeme Workshop 4: Spannungsfeld Innere Sicherheit vs. IT-Sicherheit Workshop 5: Die Cybersicherheitsstrategie Großbritanniens Workshop 6: Das Wettrüsten um Künstliche Intelligenz Meinungsmache durch digitale Medien – Gefahren für die Demokratie? Führen im digitalen Zeitalter? Podiumsdiskussion: Politik und Kontrollmöglichkeiten von Cyber-Aktivitäten Fazit und Ausblick

Keynote Address

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In seiner Einführung stellte der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung Thomas Krüger die Fragilität der Sicherheit im digitalen Zeitalter heraus.

Der bpb-Präsident Thomas Krüger bei seiner Keynote auf den 16. Bensberger Gesprächen 2019. (© bpb/BILDKRAFTWERK/Zöhre Kurc)

Dies sei jüngst wieder durch das aufsehenerregende Beispiel des 20-jährigen Schülers deutlich geworden, der massenhaft Daten über Prominente aus Politik, Medien etc. gesammelt und im Internet veröffentlicht hatte ("Doxing-Affäre" im Januar 2019). Er habe davon profitiert, dass Nutzer freizügig mit Daten umgingen und keine sicheren Passwörter nutzten. Das Echo und die Verunsicherung in den Medien und in der Bundespolitik seien enorm gewesen, so Krüger. Bundesjustizministerin Katarina Barley hatte das Vorgehen des damals noch unbekannten Täters als einen "schwerwiegenden Angriff auf das Recht auf Privatsphäre und damit auf einen Grundpfeiler unserer Demokratie" bezeichnet.

Dass ein "Möchtegern-Hacker" sich solche Mengen personenbezogener Daten habe beschaffen können, lasse die Frage aufkommen, welche Datenmassen besser ausgerüstete Angreifer ergattern – und für welche Zwecke sie sie verwenden könnten, so Krüger. Es ließe sich nur erahnen, was passieren könnte, wenn motivierte Hacker oder gar Cyberkrieger sich vernetzte kritische Infrastrukturen wie Krankenhäuser oder gar Kraftwerke vorknöpften.

Neue Art der Kriegsführung?

Krüger führte aus, dass der Begriff "Cyberwar" bereits über 20 Jahre alt sei und von dem US-Forscher John Arquilla geprägt wurde. Dieser habe 1998 ein Krisenszenario über den "großen Hackerkrieg" für das Hightech-Magazin "Wired" entwickelt, in dem eine Hackergruppe Falschmeldungen in die Medien einschleust, das Stromnetz im Westen der USA lahmlegt, Flugzeuge kollidieren und eine Bombe im Pentagon hochgehen lässt. So weit sei es bisher zum Glück nicht gekommen, doch einige Aspekte seien heute bereits Realität geworden, so Krüger. Der Begriff Cyberkrieg sei vage geblieben – manchmal sehr allgemein gehalten und auf Gesellschaften und ihre Kommunikationswege bezogen, manchmal beziehe man sich stärker auf Militär und Angriffe auf die Infrastrukturen des Gegners.

Propaganda oder Hoffnungsträger?

Mit dem Feld der "Informationsoperationen", bei denen es darum gehe, menschliche Führung und Entscheidungsprozesse eines Gegners zu beeinflussen, begebe man sich auf das Gebiet der Propaganda, so Krüger. Diese gehöre nach wie vor zum Standardrepertoire, nicht nur in totalitären Systemen, sondern auch in westlichen Demokratien. Das Internet sei zunächst als "Gegengift" für die Propaganda gesehen worden, da sich Online-Inhalte aus mannigfaltigen globalen Quellen speisen. In der frühen Phase des Internets habe man auf das Entstehen einer "elektronischen Agora" gehofft, die alle großen sozialen Ungleichheiten der Welt beseitigen könne – die Macht läge bei den Endnutzern, so habe lange das Mantra gelautet.

Inzwischen sei das Internet zwar zum "Universalmedium schlechthin" geworden, es habe Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und auch das Militär enorm transformiert, so Krüger. Viele Hoffnungen der Anfangszeit hätten sich jedoch nur bedingt erfüllt. Ob das Internet mit seinen Möglichkeiten ein Mehr an Demokratie oder eine (zu große) Gefahr für die Demokratie in ihrer aktuellen Form bedeute, sei weiterhin zu diskutieren.

Künstliche Intelligenz

Die Entwicklung schreite immer weiter voran, aktuell sei ein wichtiges Stichwort "Künstliche Intelligenz", so Krüger. Immer größere Datenmengen, schnellere Rechner und ausgeklügeltere Software lösten große Erwartungen in Rechensysteme und Algorithmen aus. Dennoch sei der Diskurs über das Internet und digitale Technologien aktuell bei uns von Ernüchterung, Enttäuschung oder gar Verzweiflung geprägt.

Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zur digitalen Öffentlichkeit filterten algorithmische Prozesse von sozialen Netzwerken und Suchmaschinen bereits für mehr als die Hälfte aller Internet-User in Deutschland vor, "wie und welche Angebote redaktioneller Medien sie in der digitalen Sphäre wahrnehmen". Problematisch sei dabei, dass "fälschlicherweise Repräsentativität angenommen oder Popularität unhinterfragt mit Relevanz gleichgesetzt" werden könne.

Gefahren für die Demokratie?

Krüger erinnert daran, dass Mitte 2017 Wissenschaftler des Internet-Instituts der Universität Oxford Alarm schlugen, computergestützte Propaganda sei zu einer der mächtigsten Waffen gegen die Demokratie geworden. Sie hatten herausgefunden, dass sogenannte Social Bots sowie andere Formen automatisierter politischer Kommunikation in vielen Ländern eine immer wichtigere Rolle spielen, besonders in Wahlkämpfen und in Krisen. Algorithmen, Automatisierung und menschliche Selektion würden gezielt eingesetzt, um irreführende Informationen über soziale Mediennetzwerke zu verbreiten oder als Mittel der sozialen Kontrolle. Besonders weit fortgeschritten seien diese Phänomene in China und Russland.

Mit "Junk News" zum Wahlerfolg?

Die Oxford-Studie belege, dass es auch in westlichen Demokratien mit ähnlichen Werkzeugen zur Verbreitung von Falschmeldungen in Form von "Junk News" um die Nutzerbeeinflussung sowie "gezielte Experimente gegen spezielle Bereiche der Öffentlichkeit" gehe. Politische Kandidaten, Kampagnenmacher oder Lobbyisten mieteten sich demnach in der Regel größere Netzwerke von Konten mit Meinungsrobotern, wie der letzte Präsidentschaftswahlkampf in den USA und der Skandal um Cambridge Analytica gezeigt habe.

Es falle vielen Menschen immer schwerer, zwischen wahr und falsch zu unterscheiden. Für eine Demokratie sei es jedoch wichtig, dass ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger über die gleiche, seriöse Nachrichtenlage verfüge. Soziale Medien hingegen verstärkten persönliche Präferenzen. Ben Scott vom Berliner Think Tank Stiftung Neue Verantwortung rate daher dazu, Algorithmen, die entscheiden, was wir in sozialen Medien angezeigt bekämen, in Frage zu stellen und den Online-Werbemarkt im Kampf gegen Desinformation und Filterblasen scharf zu regulieren.

Politische Bildung heißt auch digitale Medienbildung

Er begreife digitale Bildung als zentrales Themenfeld der politischen, sagte Krüger und sprach von Bildung als "positivem Verfassungsschutz". Dabei stünden die Vermittlung des Wissens vom Recht an den persönlichen Informationen, deren Schutz und digitale Medienbildung an erster Stelle. Es könne nicht mehr darum gehen, nur Fakten und Informationen darzustellen; es müssten mindestens auch die emotionalen und rituellen Kommunikationselemente ausreichend verstanden werden, so Krüger.

Eine Studie des Europarats empfehle, Gerüchte und Verschwörungen mit ansprechenden und mächtigen Erzählungen zu bekämpfen, die sich derselben Techniken bedienen wie Desinformation. Sonst drohe mit den sozialen Medien eine "Informationsverschmutzung auf globaler Ebene". Diese Empfehlung stelle auch die Profession der politischen Bildung vor Herausforderungen, so Krüger.

Ausblick: Neueste Entwicklungen

Am Ende seiner Rede ging Thomas Krüger auf das Spannungsfeld zwischen Innerer Sicherheit und IT-Sicherheit ein. Er erwähnte das ständige Kräftemessen von Staaten mit ihren Gegnern, das viele Ressourcen binde. Es gebe einen andauernden Wettkampf in der Suche nach Sicherheitslücken, die von Spionage- oder Strafverfolgungsbehörden ebenso wie von Kriminellen oder gegnerischen Staaten für Cyber-Angriffe genutzt werden könnten. Immer wieder würden solche Sicherheitslücken in Hard- oder Software von staatlichen Stellen (verschiedener Länder) nicht an Hersteller weitergegeben. Dies gefährde die IT-Sicherheit für alle massiv.

In Deutschland baue die Bundeswehr mit einem eigenen Kommando Fähigkeiten im "Cyber- und Informationsraum" (CIR) auf. Ziel solle es sein, auf Gefahren reagieren zu können. Die Bundesregierung debattiere trotz aller Probleme bei der Zuordnung von IT-Angriffen über rechtliche Befugnisse für "Hackbacks", womit auf die neue Einheit auch offensive Einsätze im Netz zukommen könnten. Parallel solle eine eigene staatliche "Cyberwaffen-Agentur" die Sicherheit Deutschlands nach innen und außen stärken. Angegliedert an die "Agentur für Innovation in der Cybersicherheit" und das Kommando CIR ist das Forschungszentrum für Cybersicherheit der Universität der Bundeswehr in München. Dort sitze in unmittelbarer Nachbarschaft auch die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS), die Polizei und Geheimdiensten beim Aufspüren von IT-Angriffsflächen unter die Arme greifen soll. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sei zuständig für die IT-Sicherheit. In diesem "Ämter- und Einheitendschungel" könne man schon mal den Überblick verlieren, so Krüger.

Es gebe international erste Ansätze und Vorschläge, wie die Fortschritte der Digitalisierung zum Wohle aller wirken könnten, etwa die Idee einer "Digitalen Genfer Konvention", die Angriffe auf kritische Infrastrukturen verbieten soll. Die EU-Kommission habe einen Aktionsplan gegen Desinformation mit einem europaweiten Frühwarnsystem für Falschmeldungen vorgelegt, so Krüger. Angstgetriebene Ansätze, ein "Wahrheitsministerium" oder Zensur halte er nicht für zielführend, schloss Krüger seine Rede und wünschte allen Teilnehmenden interessante Vorträge und ehrliche Diskussionen.

Dokumentation: Katharina Reinhold

Fussnoten