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Genderkonstruktionen in digitalen Spielen

Finja Walsdorff

/ 6 Minuten zu lesen

Wie haben sich Genderkonstruktionen in der digitalen Spielewelt gewandelt und wie steht es heute um die Darstellung von geschlechtlicher Vielfalt in Games?

Prinzessin Peach galt als klassische "Damsel in Distress‘". Jetzt emanzipiert sie sich: In "Super Mario Odyssey" rettet Protagonist Mario sie zwar erneut, erhält aber keinen Belohnungskuss mehr, da Peach lieber auf Weltreise geht. (© Nintendo)

Games galten lange als "Spielzeug für Jungs". Heute sind fast 50 Prozent der Spielenden weiblich – in der Darstellung werden aber zum Teil immer noch klischeebehaftete Männlichkeitsfantasien bedient.

Als im April 2023 Der Super Mario Bros. Film in die Kinos kam, war es nicht der Protagonist Mario, der für Aufsehen sorgte. Ins Rampenlicht trat vor allem Prinzessin Peach, die bereits im Trailer des Films einen atemberaubenden Parkour bezwingt und sich als mutige Kämpferin präsentiert. Dieser emanzipierte Auftritt im Film ist insofern bemerkenswert, als Peach in der Super-Mario-Spielereihe selbst eine andere Rolle einnimmt. Seit 1985 wird sie in regelmäßigen Abständen von Marios Gegenspieler Bowser entführt, aus dessen Klauen Mario sie immer wieder befreien muss. Für Marios Heldenreise liefert die rosarote Prinzessin damit seit Jahrzehnten den Antrieb als stereotypische "Damsel in Distress" – also als "Verfolgte Unschuld" oder "Jungfrau in Nöten". Dieser Rollentypus findet sich nicht nur in Games, sondern beispielsweise auch in Literatur, Theater, Film, Comics und Videospielen. Häufig sind es normschöne, junge Frauenfiguren, die in hilflosen Situationen in ihrem Leben bedroht werden und erst durch die gewaltigen Kräfte männlicher Helden gerettet werden können. Ihr Einsatz wird meist mit körperlicher Zuneigung belohnt – auch Mario bekommt am Ende des jeweiligen Spiels einen Kuss von Peach.

Prinzessin Peach ist zwar seit jeher Teil des Super-Mario-Universums, bleibt dabei aber in aller Regel als dekoratives Beiwerk im Hintergrund. Damit ist sie nicht allein: Ein Blick in die Geschichte des digitalen Spiels macht deutlich, dass weibliche Figuren in Games lange unterrepräsentiert waren und selten als spielbare Figuren oder gar Heldinnen, sondern primär in Neben- und Opferrollen in Erscheinung getreten sind. Auf Bilder der "Frau als Objekt" und der "Frau als Belohnung" stößt man immer wieder. Weibliche Videospiel-Ikonen hingegen – wie Lara Croft aus der Tomb-Raider-Reihe, die als selbstbewusstes und emanzipiertes Subjekt auftritt – haben zwar schon früh mit diesen Darstellungskonventionen und der Objektifizierung weiblicher Figuren gebrochen. Dennoch reproduzieren auch sie genderspezifische Klischees, indem sie besonders sexualisiert und physisch überstilisiert auftreten. Bis heute entsprechen weibliche Spielfiguren oft normativen Schönheitsidealen und sind meistens jung, weiß, schlank und makellos.

Männlichkeitsbilder in digitalen Spielen

Für viele Entwicklerstudios waren weibliche Spielerinnen als Zielgruppe lange kaum relevant. Dass in erster Linie Zugeständnisse an die (vermeintlichen) Bedürfnisse heterosexueller, männlicher Spieler gemacht worden sind, hat allerdings nicht nur die Darstellung weiblicher Figuren beeinflusst. Auch männliche Spielfiguren verkörpern bis heute gegenderte Idealvorstellungen und hegemoniale Männlichkeitsphantasien. Unter dem Motto „Men are tough“ werden dabei sowohl physische als auch psychische Stärke und Dominanz betont.

God-of-War-Protagonist Kratos gilt als Archetyp hegemonialer Männlichkeit im Gaming. Im neuesten Teil der Reihe werden andere Töne angeschlagen: Kratos tritt hier als Vaterfigur mit Identifikationspotenzial auf. (© Sony Interactive Entertainment)

Die tapferen Helden, die in Spielen wie God of War oder Call of Duty den Ton angeben, sind – gerade im Gegensatz zu den oft als besonders emotional dargestellten Frauenfiguren – rational und unnachgiebig. Sie sind aktiv, kompetitiv und stehen an der Spitze der gesellschaftlichen Hierarchie. Andere Männlichkeitsbilder werden dabei abgewertet, wobei dies in Videospielen meist durch das schlichte Weglassen und Nicht-Darstellen von Männlichkeiten abseits des hypermaskulinen Idealbildes geschieht. Eine Sexualisierung der männlichen Figuren kommt jedoch nur selten vor. In den wenigen Beispielen werden die Figuren zudem weniger als Lustobjekte für das weibliche Publikum inszeniert, sondern vielmehr als Männlichkeitsideal und "Power Fantasy".

Wenn also beispielsweise Protagonist Geralt in einer bekannten Szene aus The Witcher 3: Wild Hunt unbekleidet in einem Badebottich liegt, dann behält er seine Machtposition und bleibt das handelnde Subjekt.

Queerness in Games

Für den Diskurs um Gender und Games spielen auch die Themen Geschlechtsidentität und -ausdruck sowie die Repräsentation sexueller Orientierungen eine Rolle. So reproduzieren Games in der Regel ein heteronormatives Weltbild, und queere Videospielheld*innen sind die Ausnahme. Werden queere Figuren dargestellt, dann bleibt die Prämisse häufig, dass männliche, heterosexuelle Spieler bevorzugt werden. So wird lesbische Liebe in Spielen oft fetischisiert und eher als Fantasie aus männlicher Perspektive denn als reale Darstellung präsentiert. Darüber hinaus setzen Entwickler*innen hinsichtlich der Darstellung von Romantik und Sexualität häufig auf eine "One-fits-all-Lösung", die zur Folge hat, dass Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung in manchen Titeln austauschbar wirken. In den Spielen der Assassin's-Creed-Reihe kann man beispielsweise unabhängig vom Geschlecht des gesteuerten Avatars sowohl weiblichen als auch männlichen Nebenfiguren näher kommen. Im Prinzip sind also alle dargestellten Figuren als bisexuell angelegt, wobei hier eher von der sogenannten "Playersexuality" gesprochen wird: Begehrt wird der Spieler*innen-Avatar, Inhalte zu Sexualität und Identität werden nicht weiter behandelt. Somit werden Spieler*innen einerseits keine Grenzen gesetzt, andererseits wird queere Liebe aber nicht konsequent erzählt und von denjenigen, die im Spiel eine heterosexuelle Beziehung eingehen, womöglich auch gar nicht bemerkt. Eine Ausnahme bilden Spiele wie Dragon Age: Inquisition, in dem der homosexuelle Charakter Dorian Pavus ausschließlich mit männlichen Avataren intim wird.

Im zweiten Teil von "The Last of Us" löst Ellie den Helden Joel ab und wird zur Protagonistin. Ellie gilt als vielschichtige und interessante Frauenfigur mit vielen Facetten. Dazu zählt auch ihre Identität als lesbische Frau. (© Naughty Dog )

Interaktionen mit repräsentativen LGBTQ+-Figuren können für manche Spieler*innen erste Berührungspunkte mit der Thematik und dahingehend sogar im positiven Sinne prägend sein. Dieses Potential wird jedoch in digitalen Spielen nur selten ausgeschöpft. Im Sinne des sogenannten "Queerbaiting" (englisch: "queere Köder") wird queere Liebe zum Teil nur angedeutet und so unverfänglich dargestellt, dass sich kaum beurteilen lässt, ob man auf dem Bildschirm eine besonders innige Freundschaft oder ein Liebespaar sieht. Aus Sicht der Produzent*innen kann der aufmerksame und für queere Inhalte affine Teil der Zielgruppe durch solche Andeutungen angesprochen werden.

Gleichzeitig wird der Rest des Publikums nicht "verprellt". Deshalb wird beim Queerbaiting nie ernsthaft mit heteronormativen Darstellungskonventionen gebrochen. Besonders bekannt für dieses Phänomen sind beispielsweise TV-Serien wie Supernatural oder Sherlock.

Mitunter findet auch eine Auslagerung entsprechender Inhalte statt. So sind die Figuren Tracer und Soldier: 76 aus Overwatch zwar offiziell lesbisch beziehungsweise schwul, allerdings wird dies nur in externen Comics aufgegriffen und von den Autor*innen auf Social Media bestätigt. In Overwatch selbst spielt die Sexualität der Figuren indes keine Rolle und kann dementsprechend auch nicht "stören". Wenn queere Figuren und Beziehungen tatsächlich gezeigt werden, dann bleibt es oft bei einer stereotypisierenden und eindimensionalen Darstellung. Auch genderbasierte Diskriminierung und LGBTQ+-Feindlichkeit werden in einigen Titel reproduziert. So waren transphobe Szenen bis zu einem Patch Ende 2022 Teil des Spiels Grand Theft Auto V, wobei trans Frauen klischeehaft inszeniert und von den Protagonisten transphob beleidigt wurden.

Gendersensible Spiele in der pädagogischen Praxis

Trotz der genannten Beispiele hat sich im Medium Videospiel in den vergangenen Jahren einiges in punkto Gendersensibilität getan: Heute sind viele weibliche Figuren spielbar – und sie übernehmen auch immer häufiger die Hauptrolle in Games. Gender-Klischees werden stärker hinterfragt: Es wird Raum geschaffen für tatsächliche Repräsentation und manch eine "Damsel in Distress" emanzipiert sich. Auch der ein oder andere toughe Spielheld zeigt mittlerweile Emotionen und stellt damit Männlichkeitsideale in Frage. Während die Darstellung von Weiblichkeit und Männlichkeit im Gaming insgesamt progressiver geworden ist, gibt es in Bezug auf geschlechtliche und sexuelle Vielfalt noch viel Verbesserungspotential. Auch andere Dimensionen von Diversität sollten in digitalen Spielen noch stärker reflektiert und repräsentiert werden.

Für die pädagogische Praxis bieten sich hier zahlreiche Anknüpfungspunkte. In gemeinsamen Sitzungen können digitale Spiele ausprobiert und die dargestellten Figuren und Genderrollen diskutiert werden. Gerade in der Auseinandersetzung mit populären Mainstream-Spielen können Darstellungskonventionen und Stereotype kritisch hinterfragt und zu reflektiert werden. Aktuelle Online-Spiele wie Fortnite können dabei kostenlos gespielt werden und bieten ein großes Figurenensemble mit vielen Analysemöglichkeiten. Auch gendersensible Indie-Games, die sich tiefergehend mit Genderfragen und Themen wie Gleichberechtigung und Diversität auseinandersetzen, eignen sich für ein gemeinsames Ausprobieren. Denkbar ist auch die Entwicklung eigener Spiele (ob als Prototyp oder zunächst als Pitch auf dem Papier), in denen zum Beispiel mit Gender-Stereotypen gebrochen wird.

Spieletipps von Finja Walsdorff zu Gender und Games

  • Celeste

Im Spiel wird die emotionale Reise der jungen Madeline auf den Gipfel des Berges Celeste gezeigt. Während Madeline physische Hindernisse überwindet, spiegelt das Spiel metaphorisch ihre inneren Kämpfe und Ängste wider. Das Erklimmen des Berges repräsentiert die Akzeptanz der eigenen trans Identität, welchen die Autor*in in ihrem Spiel verarbeitet hat.

  • Gone Home

Spielerinnen und Spieler erkunden ein verlassenes Haus, um mithilfe von Briefen, Karten, Notizen und Tonaufnahmen mehr über die Familie der Hauptfigur zu erfahren – insbesondere über die jüngere Schwester Sam, die in ihre Freundin Lonnie verliebt ist, von den Eltern jedoch nicht ernst genommen wird.

  • Horizon Zero Dawn

Aloy bestreitet ein Abenteuer in einer postapokalyptischen Welt, die von riesigen Maschinen beherrscht wird. Als talentierte Bogenschützin und mit viel Intelligenz und Findigkeit stellt sie sich furchtlos den Gefahren, die vor ihr liegen. Aloy wird von Spielern und Spielerinnen und der Kritik oft als Vorbild und positive weibliche Identifikationsfigur gelobt.

  • Life is Strange

Die Studentin Max verfügt über die Gabe, die Zeit zurückzudrehen. Diese Fähigkeit setzt sie ein, um dem Verschwinden ihrer Kommilitonin Rachel auf den Grund zu gehen. Im Zuge des gemeinsamen Abenteuers kann sie ihrer Freundin Chloe näherkommen. Für die Repräsentation queerer Beziehungen wird Life is Strange sehr gelobt.

  • Night in the Woods

In Night in the Woods werden die inneren Konflikte der Figur Mae gezeigt, die nach dem Abbruch ihres Studiums in ihre Heimatstadt zurückkehrt. Das Spiel behandelt einfühlsam Themen wie Depression, Angst und Identitätskrisen und beleuchtet die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens. In der Handlung kommen zahlreiche Figuren mit unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen vor.

  • Sibel's Journey

Sibel’s Journey begleitet die 13-jährige Sibel durch ein Wochenende in Berlin. Das Spiel verfolgt einen intersektionalen Ansatz und will jungen Menschen Wissen und eine positive Einstellung zu Themen wie Anatomie, Körperbild, Kommunikation, Verhütung, Geschlechtsidentität und respektvollen Beziehungen vermitteln.

  • Tell me why

Tell Me Why ist das erste Videospiel eines großen Studios, das eine spielbare trans Person als Hauptfigur beinhaltet. Im Spiel setzen Tyler und seine Zwillingsschwester Alyson sich mit den Erinnerungen an ihre Kindheit auseinander, um die Wahrheit hinter dem Tod ihrer Mutter zu verstehen. Das Thema Geschlechtsidentität nimmt dabei eine zentrale Rolle ein.

  • The last of us

In The Last of Us treffen Spielerinnen und Spieler erstmals auf Ellie, die sich gemeinsam mit Protagonist Joel durch eine Zombieapokalypse kämpft und häufig als besonders vielschichtige weibliche Figur gelobt wird. Im DLC Left Behind geht es um die Liebe zwischen Ellie und ihrer Freundin Riley. Auch in der Fortsetzung The Last of Us II werden Ellies Identität und Sexualität behandelt, hier nimmt sie außerdem die Hauptrolle ein.

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Digitale Spiele und politische Bildung

Digitale Spiele sind als Medium der Vermittlung von Wissen, Werten und Kompetenzen etabliert. Damit sind sie zentraler Gegenstand für eine politische Bildung, die in der gesamten Gesellschaft wirkt.

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Finja Walsdorff ist Medienwissenschaftlerin mit den Forschungsschwerpunkten Gender und Spielkultur, Content Creation sowie Games und Mental Health. Sie lehrt und forscht an der Universität Siegen und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.