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Die Rolle der Intelligenzia in Südasien | APuZ 47/1953 | bpb.de

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APuZ 47/1953 Die Oberschicht in der Sowjetunion Die Rolle der Intelligenzia in Südasien Friede in Asien?

Die Rolle der Intelligenzia in Südasien

Klaus Mehnert

Die Hauptstütze des Bolschewismus in den von mir in diesem Sommer besuchten Ländern Südasiens (und in Afrika, das ich 1951 und 1952 bereiste) ist nicht das erst im Entstehen begriffene „Industrieproletariat", auch nicht die Bauernschaft, die in einer seit Jahrtausenden gewohnten Armut lebt, sondern die Intelligenzia. Gewiß bilden Proletariat und Bauernarmut ein revolutionäres Potential, aber sie sind sozusagen ein Dynamit, das hundert Meter unter der Erdoberfläche ruht. Von allein wird es nicht explodieren, jedenfalls nicht in bolschewistischem Sinne. Wohl aber ist ein großer Teil der Intelligenzia ununterbrochen damit beschäftigt, einen Gang zu diesem Sprengstoff zu bohren, um eine bolschewistische Lunte an das Dynamit zu legen.

Es ist erschütternd aber wahr, daß es dem Westen bisher nicht gelungen ist, die farbige Intelligenzia für sich zu gewinnen und gegen den Kommunismus immun zu machen. Irgend etwas entscheidend Wichtiges kann nicht stimmen, wenn ein großer Teil der mit Mühe, Kosten und vielfach wirklicher Liebe im Westen ausgebildeten jungen Asiaten und Afrikaner nach ihrer Heimkehr alsbald rosarot, wenn nicht ausgesprochen rot wird und ihren ganzen Lebenszweck in der Verleumdung des Westens und insbesondere Amerikas sieht, ja wenn diese Leute, die es doch eigentlich besser wissen müßten, ihre ganze Intelligenz darauf verwenden, ihren Landsleuten klarzumachen, daß die verschiedenen amerikanischen Hilfsmaßnahmen nichts anderes seien als teuflisch ausgedachte Werkzeuge zur Versklavung des Volkes. Es war verständlich, daß die indische Intelligenzia in der Zeit der britischen Herrschaft nach einem Studium in Oxford mit antibritischer Einstellung in die Heimat, also in die britische Kolonie, zurückkehrte. Aber ich habe den Eindruck, daß der antiwestliche Affekt seit der Befreiung nicht geringer, sondern im Gegenteil stärker geworden ist. Man könnte vielleicht sagen: Früher war die indische Intelligenzia primär antibritisch, aber nicht anti-westlich. Heute ist sie primär antiwestlich, vor allem anti-amerikanisch. Diese Intelligenzia ist es, die auch die zahllosen prosowjetischen Tarnorganisationen der „Friedenspartisanen“, der „Freunde der Sowjetunion“, der „Freunde Chinas“ usw. bevölkert.

SECHS GRÜNDE Es gibt wohl eine ganze Reihe von Gründen für diese Einstellung zum Westen. Da ist erstens die Beobachtung, daß sich viele nach dem Luxus und der Verwöhnung ihrer Auslandszeit unbefriedigt fühlen in ihrer eigenen Heimat. Sie haben gesehen, wie frei man leben kann (auch in sexueller Beziehung) und welche Freuden es gibt, und kehren zurück in Länder, die materiell gesehen unvergleichlich ärmer sind und in denen sie zudem auf Schritt und Tritt auf religiöse oder sonstige Tabus und Schranken stoßen.

Da ist zweitens die Tatsache, daß die jungen Leute, die gewöhnlich von ihrem Auslandsaufenthalt mit dem löblichen Willen zurückkehren, etwas für ihr Volk und Vaterland zu tun und die erworbenen Kenntnisse in den Dienst der Heimat zu stellen, sehr bald feststellen, daß alle möglichen anderen Gesichtspunkte maßgebend sind für Ämterbesetzung und Karriere — keineswegs in erster Linie Fleiß und Eignung. Die asiatischen Völker leben noch in festen, wenn auch erschütterten sozialen Zusammenhängen, die für Karriere und Ämterbesetzung entscheidend sind. Vielfach ist die daheimgebliebene ältere Generation gar nicht daran interessiert, die aus dem Ausland zurückkehrenden jungen Leute zu fördern und sich damit eine überlegene Konkurrenz auf den Hals zu laden. Diese werden daher häufig auf Nebengeleise abgestellt, wo sie ihren ausländischen Eifer etwas abkühlen sollen.

Da ist drittens die asiatische Tradition, daß Handarbeit eine minderwertige Sache ist. Infolgedessen wollen die jungen Heimkehrer gleich in führende Stellungen und weigern sich, den Weg von unten nach oben zu nehmen. „Es gibt hier auf allen Gebieten zu viele Offiziere und fast überhaupt keine Unteroffiziere“ — das war eine stereotype Wendung, auf die ich immer wieder stieß, wenn ich die wirtschaftlichen Aussichten dieser Länder mit Einheimischen oder erfahrenen Ausländern besprach.

Viertens habe ich den Eindruck, daß viele Angehörige der Intelligenzia an schlechtem Gewissen leiden, weil sie jahrelang — manche ein Leben lang — mit den Engländern kollaboriert haben. Ein kluger Beobachter sagte mir: „Die Intelligenzia fühlt sich durch die Ausländer nicht so sehr exploitiert als vielmehr prostituiert; sie hängt an dem, was ihr die Briten boten (das gilt zum Beispiel in hohem Maße für die persischen Nutznießer der britischen Ölpolitik in Iran) und daher haßt sie die Ausländer erst recht.“

Fünftens ist es viel bequemer, sich antibritisch und antiamerikanisch zu gebärden und alles, was nicht in Ordnung ist, den Intrigen dieser Länder in die Schuhe zu schieben, als sich selbst mit der Beseitigung der Ursachen des Übels ernsthaft zu befassen. Durch die lange Dauer der britischen (in Nordiran russischen) Herrschaft haben viele das Gefühl für die eigene Kraft und Verantwortlichkeit verloren und tun so, als hänge alles von den Großmächten ab, deren bedauernswerte und willenlose Werkzeuge zu sein man vorgibt.

Die religiöse Entwurzelung spielt — sechstens — eine wesentliche Rolle. Jungen Indern zum Beispiel, die einige Jahre in der Luft Europas oder Amerikas gelebt haben, fällt die Rückkehr zu den alten Göttern schwer. Da aber die wenigsten von ihnen wirklich überzeugte Christen geworden sind, befinden sie sich in einem religiösen Niemandsland, sind wurzellos und also oft nihilistisch.

Aus allen diesen und manchen weiteren Gründen stoßen diese Menschen zu jener Armee der unbefriedigten Intelligenzia, die zu allem in Opposition steht, zu den ausländischen Einflüssen nicht nur, sondern auch zu den eigenen Regierungen, und die nun alles, was die einen wie die anderen machen, im Volke in ein häßliches Licht zu setzen sucht. Da sich diese Leute ständig vor sich selbst rechtfertigen müssen, kann es nicht ausbleiben, daß sie nach einem Banner Ausschau halten, um durch ihre Zugehörigkeit zu einer „großen Idee“ vor sich selbst und vor anderen bestehen zu können. Dafür ist der Kommunismus sehr geeignet. Alle ihre unterdrückten Entfaltungs-und Selbstbetätigungswünsche finden in ihm eine negative statt positive, aber immerhin eine Erfüllung. Es kann auch nicht geleugnet werden, daß jungen Menschen, die eine „große Idee“ suchen, im Westen vieles faul erscheinen muß.

Ich denke zum Beispiel an die „International Contemporary Art Exhibition" die in diesem Jahr in Neu Delhi gezeigt wurde und an der sich die Maler von rund dreißig Nationen beteiligten. Sie bot eine traurige Selbstenthüllung der abendländischen Impotenz und Zerrissenheit und übte daher nicht die geringste Anziehungskraft aus. Kein Wunder, daß demgegenüber die künstlerisch banalen, aber Vitalität und (angebliches) Lebensglück ausstrahlenden Produkte des „sozialistischen Realis-mus" der UdSSR mit ihren singenden Traktoristen und blühenden Stachanowistinnen eine starke Wirkung entfalten. Auf unzählige asiatische Intellektuelle trifft jener Satz zu, mit dem Arthur Köstler seinen Roman „The Äge of Longing" schließt: „Gottes Thron stand leer, und durch die Welt wehte ein kalter Zugwind, wie in einer leer-stehenden Wohnung vor dem Einzug der neuen Mieter.“ — Audi die Produktion von Hollywood und verwandten westlichen Filmzentren hat, da sie in diesen Ländern nicht mit ihren besten, sondern ihren billigsten Erzeugnissen vertreten ist, alles andere als eine werbende Kraft. Wer sich aber erst einmal dem Dienst der „großen Idee“ verschrieben hat, der sinkt rasch zum Verschwörer, zum Hetzer, schließlich zum Agenten einer fremden Macht, und ist, ehe er es sich versieht, so verstrickt in diesem Netz, daß es für ihn daraus kein Entkommen mehr gibt.

EIN GESPRÄCH In Pakistan hatte ich ein langes Gespräch mit einem der Haupt-redakteure der am besten gemachten und einflußreichsten Zeitung des Landes. Er stand völlig auf der Moskauer Generallinie. Er selbst ist natürlich der Ansicht, daß er einen eigenen Standpunkt vertritt und nicht die Worte Moskaus wiederholt; es gab da auch einige Punkte, in denen sich seine Argumentation von der sowjetischen unterschied. Aber alles war so unklar, daß im Falle einer späteren Auseinandersetzung zwischen ihm und seinen Freunden einerseits, den Kommunisten andererseits, die Kommunisten durch die pure Logik ihrer Argumentation (von anderen „Beweismitteln" ganz abgesehen) seine Gruppe im Handumdrehen zu Kerenskijs Pakistans machen würden.

Er pries z. B. die Schaffung Pakistans, gleichzeitig war er — wie von einem Linksintellektuellen nicht anders zu erwarten — säkular, wenn nicht atheistisch, jedenfalls alles andere als ein gläubiger Mohammedaner. Nun gibt es aber auf der weiten Welt keinen vernünftigen Grund für die Schaffung Pakistans und seine Lösung von Indien, wenn nicht den religiösen. Es ist schiere Inkonsequenz, gegen die alles überragende Bedeutung des Islam und für die Bildung und Weiterentwicklung Pakistans zu sein. Er versuchte, mir verschiedene Gründe für die Notwendigkeit der Existenz Pakistans zu nennen, aber sie waren alle völlig unüberzeugend, da er den Islam ausließ oder höchstens am Rande gelten ließ. „Schließlich kann ich noch verstehen“, sagte ich, „daß Sie für die Bildung Westpakistans sind, weil hier wenigstens — zum Teil — eine gemeinsame Sprache, das Urgu, besteht. Aber ich kann überhaupt nicht verstehen, wieso Sie dafür sind, daß Ostbengalen und Westpakistan einen gemeinsamen Staat bilden sollen, obgleich sie fast 2000 Kilometer auseinanderliegen und weder eine gemeinsame Sprache, noch ein gemeinsames Territorium, sondern eben nur — eine gemeinsame Religion haben." Er erwiderte mit dem an den Haaren herbeigezogenen Argument, er sei für den Anschluß Ostbengalens und glaube, daß dies „auf immer“ so bleiben werde, weil die Mohammedaner Ostbengalens von den Hindus Ostbengalens ausgebeutet worden seien; man hätte dieser Ausbeutung nur dadurch ein Ende setzen können, daß man die Moslems von den Hindus trennte.

Der rote Faden, der durch alle seine Worte hindurchlief, war ein haßerfüllter Antiamerikanismus. Als ich einen Blick auf die erste Seite der neuen Ausgabe seiner Zeitung warf, sah ich: Großes Bild eines von US-Superfestungen zerstörten Hauses in Korea, Meldung dazu: 1100 Häuser bei diesem Angriff vernichtet, 257 Menschen tot und verletzt. — Bericht: Der gewaltige Anstieg der tschechischen Industrieproduktion hat Währungsreform und Preissenkung in Tschechoslowakei ermöglicht. — Bild eines nordkoreanischen Eisenbahnarbeiters mit seiner von US-Bomben getöteten Tochter im Arm. — Meldung aus Marokko: Schlacht zwischen Prostituierten in Meknes um die Gunst amerikanischer GI-Klienten; eine Tote, fünf Schwerverletzte. — Und so ging es weiter.

KUNST DES LEBENS In den Ländern des Orients reicht die Schicht, die mit den Merkmalen der Intelligenzia behaftet ist, über die Intelligenzia im engeren Sinne des Wortes ein gutes Stück hinaus. Im Grunde umfaßt sie alle diejenigen, die lesen und schreiben gelernt haben. Sie alle erheben Ansprüche beruflicher Art, die dortzulande vielfach noch nicht befriedigt werden können, und sie alle sind einer intensiven sowjetischen Propaganda ausgesetzt. Die Buchhandlungen und vor allem die Lädchen der Straßenhändler, die auf dem Bürgersteig ihre Waren auf Brettern oder in Buden feilbieten, sind voll von Übersetzungen sowjetischer Autoren in ansprechenden und erstaunlich billigen Ausgaben. „Lenins Ausgewählte Werke", ein Werk von 600 Seiten, ist für den Gegenwert von DM 1, 50 zu haben. Eine Stalinbiographie für 50 Pfennig; allein in Indien ist sie in etwa einer halben Million Exemplaren verkauft worden.

Ein großer Teil dieser Bücher erscheint in einheimischen Verlagen. Beim Verlagsleiter taucht eines Tages ein Mann auf, der ihm vorschlägt, daß er ein Sowjetbuch — etwa einen Propagandaroman oder eine politische Schrift — in seinem Verlag herausbringt; der Gast bestellt bei dieser Gelegenheit praktisch die ganze Auflage für sich selbst und bezahlt prompt. Der Verleger ist hoch erfreut über dieses einträgliche und risikolose Geschäft und ist jederzeit gerne bereit, es zu wiederholen. Im übrigen ist es für die kommunistische Propaganda gar nicht nötig, sich auf importierte Sowjetromane zu beschränken. Die Belletristik — insbesondere Indiens und Pakistans — hat eine ausgesprochene Tendenz nach ganz links, sie macht damit eine ähnliche Entwicklung durch wie in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg oder wie Amerika und Japan in den zwanziger Jahren.

Daß es auch Ansätze zu einem moskaufreien Sozialismus in Süd-asien gibt, zeigen Gestalten wie der Perser Maleki und der Inder Narayan.

Die Presseabteilungen der Sowjetbotschaften arbeiten mit großen Mitteln und richten zahlreiche Lesehallen ein. Die in Teheran zum Beispiel befindet sich in einem Eckhaus der Naderi-Straße, wo die Querstraße zum Haupteingang der Sowjetbotschaft abzweigt, also ganz im Zentrum der Stadt. Von der Straße tritt man direkt in den Raum. Ein Radioapparat ist auf Baku eingestellt, es werden gerade Nachrichten auf persisch durchgegeben. Eine Gruppe von Leuten steht nahe dem Gerät und hört zu. Die zahlreichen Stühle um einen Tisch, auf dem sowjetische Zeitungen und Zeitschriften liegen, sind alle besetzt. Die Leute lesen und zeigen sich gegenseitig Bilder. An einer Wand hängt ein Riesenporträt Stalins mit schwarzen Trauerschleifen, darunter steht eine Leninbüste. An den übrigen Wänden sind die üblichen Bilder von Staudämmen und strahlenden Kolchosbäuerinnen angebracht. Auf einem kleineren Tisch liegt die hektografierte Ausgabe der täglichen TASS-Nachrichten, ein Packen auf russisch, ein zweiter auf persisch. — Ähnliche Einrichtungen finden sich in vielen Städten Asiens.

BEDEUTUNG DER RELIGION Es ist höchst umstritten, ob der Islam wirklich ein Schutzwall gegen das Eindringen bolschewistischer Ideen ist. Behauptet wird es ständig, in Nordafrika nicht minder als in Pakistan oder Iran, aber es klingt nicht überzeugend. Eines jedoch ist sicher: die Behandlung der Religionsgemeinschaften in der Sowjetunion, insbesondere der Mohammedaner, hat stark zu der antisowjetischen Einstellung der Länder des Islam beigetragen, auch unter solchen Mohammedanern, welche die Religion persönlich nicht allzu ernst nehmen. Den Satz „Die Sowjets haben kein Buch" (das heißt weder den Koran, noch sonst eine der vom Islam anerkannten Offenbarungsschriften) habe ich immer wieder in diesem Zusammenhang gehört. Und ein zweites ist nicht minder sicher: die Sowjetwelt ist eifrig bemüht, diesen groben propagandistischen Fehler propagandistisch wieder auszugleichen; ein wesentlicher Teil ihrer Propaganda in den mohammedanischen Ländern ist darauf gerichtet, ein munteres und ungehemmtes Blühen des Islam in der Sowjetwelt nachzu-weisen. Um ein Beispiel zu nennen: In dem Bulletin, das die Sowjetbotschaft in Teheran täglich in großer Zahl herausgibt und verteilt, las ich folgenden Bericht:

Die gläubigen Mohammedaner Zentralasiens und Kasachstans begingen feierlich die Urasa-Bairam-Feiertage. In allen Moscheen fanden am 14. und 15. Juni (Ende des Ramasan) aus diesem Grunde Gottesdienste statt. Allein in der Moschee von Taschkent Tilja-Scheich nahmen an dem Gottesdienst rund 6000 Menschen teil. In Zentralasien und Kasachstan sind gegenwärtig rund 100 Moscheen in Tätigkeit (deistwujut). Vor den Feiertagen wurden in vielen Moscheen Reparaturarbeiten durchgeführt, in einigen sogar umfangreiche Restaurationsarbeiten. So wurden zum Beispiel auf die Reparaturarbeiten der Moschee Schaini-Maslagadin in Leninabad 340 000 Rubel verwandt. In der ältesten Stadt Zentralasiens, Buchara, gibt es eine islamische Schule in den Räumen der uralten theologischen Schule (Medress) Mir Arab. In einem Gespräch mit dem Korrespondenten von TASS erklärte der Vorsitzende der geistlichen Verwaltung der Mohammedaner Zentralasiens und Kasachstans, der Mufti Ischan Babachan ibn-Abdul Madshit Chan: „Die gläubigen Mohammedaner des Sowjets-Ostens leben eine frohes und wohlhabendes Leben. Sie haben die volle Möglichkeit, ihren religiösen Kultus frei und ohne die geringste Beeinträchtigung zu erfüllen. Wir beten dafür, daß die Sowjetunion stets blühe, deren Völker in aller Welt für die heilige Sache des Friedens eintreten."

Genau dasselbe läßt sich über China sagen, das ja eine mohammedanische Bevölkerung von 20 bis 25 Millionen hat. (Rotchina setzt die Zahl niedriger an.) Die Rotchinesen haben von den Fehlern der Sowjets gelernt; sie wissen, daß es nicht angeht, religiöse Fragen nur nach innenpolitischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Wie sie tatsächlich ihre Moslems behandeln, ist zur Zeit schwer zu beurteilen, eines aber steht fest: sie bemühen sich, nach außen so zu tun, als ginge es den Mohammedanern in China besser denn je zuvor. Die Chinesen wissen natürlich, daß das für die Haltung der Mohammedaner in der Welt, also z. B. Pakistans, gegenüber Rotchina die Kardinalfrage ist; daher sind sie bestrebt, die pakistanische Presse entsprechend zu beeinflussen. Ein Chinese namens P. C. Yu veröffentlichte z. B. im Herbst 1952 eine Artikelserie im „Sind Observer" (Karatschi), in dem sich Sätze finden wie dieser:

Die älteren Mohammedaner in unserem Lande erinnern sich aus ihrer eigenen Erfahrung, daß die Moslems von China erst seit der Befreiung durch die chinesische Armee solche Fürsorge und Freiheit genießen . . ., Massaker waren die traditionelle Politik der reaktionären chinesischen Herrscher gegenüber den . Barbaren', zu denen sie alle Mohammedaner rechneten ... In ihrer Verzweiflung fanden die Mohammedaner eine feste Unterstützung in den von der Kommunistischen Partei geleiteten befreiten Gebieten." (30. 9. 52)

Von Zeit zu Zeit schicken die Chinesen Moslemführer aus China in die mohammedanische Welt. So kam z. B. im August 1952 der Groß-scheich von China, Alhadsch Nur Mohammed Da Fuscheng, begleitet von sechs anderen Pilgern auf dem Wege nach Mekka durch Pakistan.

In seinem Interview betonte er, daß die Mohammedaner unter dem gegenwärtigen Regime weit besser daran sind als in den Kuomingtang-Tagen, als sie oft verfolgt und diskriminiert wurden. Er sagte, daß für alle volle religiöse Freiheit bestehe und daß darüber hinaus der Staat den Menschen in dieser Beziehung helfe. Viele Moscheen seien auf Staatskosten repariert worden.

Die Mohammedaner würden unter dem neuen Regime auf der Basis voller Gleichberechtigung behandelt und die von ihnen bewohnten Gebiete rasch entwickelt. (Morning News, Karatschi, 22. 8. 52)

In der letzten Juliwoche 1952 war in Peking eine chinesisch-mohammedanische Organisation gegründet worden. An deren Spitze steht der Uigure Poerchan. Die Konferenz wurde von einem Iman Ta Fu Scheng präsidiert. In seiner Eröffnungsrede kritisierte dieser die Nationalitäten-politik früherer chinesischer Regime und pries die der Kommunisten. Dann berichteten die einzelnen Delegierten, wie sie früher verfolgt und gequält worden seien.

Sie alle drückten ihre wachsende Liebe aus für das chinesische Mutterland und ihr Vertrauen in eine große Zukunft, der sie Hand in Hand mit den anderen Nationalstaaten Chinas entgegengehen. (Pakistan Times 19. 8. 52)

Wenn die Sowjetwelt diese Bemühungen lange genug fortsetzt, werden sie ihren Eindrude nicht verfehlen. Zum mindesten geben sie den prosowjetischen Intellektuellen, die selbst religiös indifferent sind, die Möglichkeit, auf ihre religiös gestimmten Landsleute einzuwirken. In diesem Sommer veröffentlichte die indische Regierung auf Grund der Volkszählung von 1951 Bevölkerungsziffern nach religiösen Bekenntnissen. Es ergab sich dabei folgendes Bild: in Mill. in Prozent Hindus 303, 2 84, 99 Mohammedaner 35, 4 9, 93 Christen 8, 2 2, 30 Sikhs 6, 2 1, 74 Jains 1, 6 0, 45 Buddhisten 0, 2 0, 26 Parsen 0, 1 0, 03 Verschiedene Stammesreligionen 1, 7 0, 47 Sonstige Religionen 0, 1 0, 03 Atheisten 0, 01 — Diese Ziffern geben nur eine quantitative Vorstellung. Die wirkliche Bedeutung der Religion in Indien, insbesondere bei der überwältigenden Masse der Hindus, ist für den Kurzbesucher schwer zu beurteilen. Vielleicht geht es auch gar nicht so sehr um Religion in unserem Sinne als um das stark auf das Metaphysische gerichtete Wesen des indischen Volks, das in Heiligen wie Gandhi seine ideale Verkörperung findet. In Indien lebt ein jahrtausendealter Instinkt für das, was die wirklichen Werte sind. Einer der bedeutendsten Männer des Landes, der 74jährige Ministerpräsident von Madras, Rajagopalachari, drückte dies — in einer politischen Rede — so aus:

Wenn für die indische Zukunft Hoffnungen bestehen sollen, dann müssen die moralischen Werte wiederhergestellt werden. Die moralischen Werte können wiederhergestellt werden, wenn wir die Wahrheit erkennen, daß die Zeit Ewigkeit ist und daß Gott und Güte die Wirklichkeiten darstellen, die unsere Lebensführung bestimmen müssen.

Die Zukunft Südasiens hängt davon ab, welche geistige Haltung sich auf die Dauer durchsetzt, diese oder die der Intelligenzia.

Fussnoten

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