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Wenn alle Wege nach Washington führen | APuZ 49/1953 | bpb.de

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APuZ 49/1953 Die Große Allianz zögert Bermuda, das Paradies im Atlantik Wenn alle Wege nach Washington führen

Wenn alle Wege nach Washington führen

McGeorge Bundy

sorgten Gesetzgebern zuerst den Behörden die Verwendung von Autos gestattet, und erst 1946 erlaubte ein Gesetz dann auch den Gebrauch kleiner Privatautos, die sich nun mit vorgeschriebener Langsamkeit über die schönen, gewundenen Straßen der Garteninsel und durch die Gassen der recht amerikanisch anmutenden Hauptstadt Hamilton (3 5OC Einwohner) bewegen. Die Einfuhr gebrauchter Autos aber ist noch immer verboten. Auch eine Eisenbahnlinie gab es bis 1947 auf der Hauptinsel: sie war 35 km lang und verband das eine Ende des „Angelhakens“ mit dem andern. Das ist übrigens die größte Entfernung, die man auf den Bermudas überhaupt zurücklegen kann.

Dank ihrer geopolitisch günstigen Lage mitten im Atlantik hatten die Bermudas seit jeher strategisch besondere Bedeutung. Seit langem sind sie schon eine hoch-wichtige Kohlenstation und der Haupt-stützpunkt der britischen Atlantik-und Westindienflotte. Man hat die Inseln oft als das Gibraltar des Atlantik bezeichnet, denn die Engländer haben dort einst mit ungeheurem Kostenaufwand Docks, Arsenale und Befestigungen errichtet. 1940 erhielten auch die Vereinigten Staaten für 99 Jahre das Recht, auf der Insel Flugplätze und Flottenstützpunkte zu bauen. So ist diese Insel zu einem Symbol englisch-amerikanischer Zusammenarbeit geworden. Während des Krieges residierte in Hamilton als britischer Gouverneur der frühere englische König Eduard VIII., der Herzog von Windsor. Der gegenwärtige Gouverneur, Sir Alexander Hood, wird vor allem von den zahlreichen amerikanischen Touristen sehr bewundert, wenn er bei feierlichen Anlässen in weißer, goldbestickter Uniform und mit wehendem Helmbusch in seiner Karosse durch die Hauptstadt fährt. Schon 1943 fand auf den Bermudas eine große Internationale Konferenz über das europäische Flüchtlingsproblem statt. Heute — zehn Jahre später — sind die Bermudas wieder in das Rampenlicht der internationalen Politik gerückt.

Mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Verlagsanstalt, Stuttgart, übernehmen wir aus der Zeitsdirift „AUSSENPOLITIK“ (Heft 11/1953) folgenden Aufsatz von McGeorge Bundy, Professor an fier Harvard-Universität:

Dies ist keine leichte Zeit für eine Beurteilung der amerikanischen Außenpolitik. Viele der Elemente, die für eine solche Beurteilung am wichtigsten sind, scheinen sich in einem Übergangsstadium zu befinden. Vor allem beginnt die Eisenhower-Administration erst ihre Richtung zu erkennen; der Übergang war sowohl langsamer wie verworrener, als man im vorigen Dezember hoffen durfte. Eine zweite Quelle der Ungewißheit war natürlich der unvorhergesehene Wechsel in der Sowjetunion. Das Regime Stalins besaß eine bestimmte Haltung und eine Stabilität, die es uns erlaubten, mit der Sowjetunion als einem mehr oder weniger gut bekannten, wenn auch nicht beliebten Faktor zu rechnen. Es war für westliche Staatsmänner zu einer Gewohnheit geworden, das häßliche Tier mit einer Note oder eine Rede oder selbst einem Vierertreffen anzustacheln, aber bei diesem Ritus bestand nicht die Hoffnung, zu einer neuen Regelung zu gelangen. Es geschah eher, um sich selbt und seine Mitbürger—und seine hoffnungsfreudigeren Kritiker — davon zu überzeugen, daß der Rote Bär im wesentlichen unverändert geblieben ist. In diesem begrenzten Sinn war die Übung in den letzten Jahren stets erfolgreich. In der Deuschlandfrage zum Beispiel blieb die stalinistische Position stecken, wo sie 1947 angelangt war, und es bedeutete eine dauernde Beruhigung für die Gefolgsleute von Acheson und Adenauer, zu wissen, daß die einzig vernehmbare Alternative eine mürrische Ermahnung war, nach Potsdam zurückzukehren.

Nichts nach Stalins Tod macht es zu einer Gewißheit, daß diese merkwürdige Starrheit seiner letzten Jahre nun verschwinden wird. Aber die Wahrscheinlichkeit bedeutungsvoller taktischer Änderungen ist viel größer, und die Berechenbarkeit des Verhaltens der Sowjets ist geringer. Den Hoffnungsvollen -und den von Wunschvorstellungen Erfüllten ist eine Chance gegeben worden, nach etwas Besserem Ausschau zu halten. Im Westen glauben manche, daß die Verwirrung in der sowjetischen Nachfolgerfrage eine Gelegenheit für einen gewichtigen politischen Erfolg des Westens bieten könnte. Aber vielleicht ist es ebenso wahrscheinlich, daß Stalin durch eben seinen Tod seinem Staat einen letzten Dienst erwies, insofern nämlich als sein Hinscheiden so viele dazu geführt hat, wieder einmal hoffnungsvoll nach Moskau zu blicken. Jedenfalls hat die Periode nach seinem Tode mit der Abschwächung der propagandistischen Beleidigungen ein Gefühl der Ungewißheit außerhalb Rußlands hervorgerufen. Ein dritter Bezirk der Ungewißheit ist noch immer in Korea zu finden. Wir haben jetzt einen Waffenstillstand, der für viele Europäer vielleicht von nur bescheidener Bedeutung ist. In Europa steht die symbolische Bedeutung Koreas als einer Schlacht, wo gut und mit ziemlich befriedigendem Ausgang gekämpft worden ist, seit längerem fest, und die direkte materielle Belastung durch den Konflikt ist nie groß gewesen. Aber für die Vereinigten Staaten war der Krieg in Korea eine ständige,, in wachsendem Maße niederdrückende Anspannung. Ein ehrenvoller Waffenstillstand war das erste Ziel, auf das sich beide Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen des letzten Jahres verpflichtet hatten, und es ist wahrscheinlich, daß ein großer Teil des Sieges von Präsident Eisenhower auf das Gefühl der Öffentlichkeit zurückzuführen ist, er könne eher als Stevenson dieses Ziel erreichen. Nachdem nun aber der Waffenstillstand gekommen ist, weiß man nicht genau, wer durch ihn politischen Nutzen haben wird. Die Politiker bemühen sich herauszufinden,'was das Volk denkt — und nichts anderes tut das Volk selbst. Gleichzeitig verlangt der Waffenstillstand, daß wir uns mit einigen unangenehmen Tatsachen des politischen Lebens Asiens auseinandersetzen. Sowohl die Innenpolitik wie die außenpolitische Haltung Amerikas werden durch den Waffenstillstand bedeutsam berührt. Aber es ist einfacher zu versichern, daß nach ihm die Dinge verschieden sein werden, als zu erfassen, welches die Veränderungen sind.

Die Ungewißheit, die kennzeichnend für Washington, Moskau und Korea ist, hat ihr Gegenstück in Westeuropa. Zum Teil ist das Zögern gewiß eine Reaktion auf Ereignisse anderwärts. Aber in einer tieferen Schicht, so vermute ich, beruht die gegenwärtige Stimmung auf eigenem Antrieb, und Ereignisse in Washington oder Moskau dienten nur dazu, eine andauernde Unentschlossenheit bloßzulegen und vielleicht zu intensivieren. So gibt es gute Gründe für den Beobachter der auswärtigen Ereignisse, eine wachsam abwartende Haltung einzunehmen. Und dies um so mehr, wenn es sich um einen Amerikaner handelt, der für europäische Leser schreibt, da es in einer Zeit wie dieser gleichzeitig schwieriger und notwendiger ist, die zwei unentschuldbaren Sünden in einem internationalen Gespräch zu vermeiden: die eigene schmutzige Wäsche öffentlich zu waschen und sich in die Angelegenheiten anderer Leute einzumischen. Wir haben offensichtlich keinen Anlaß, in eine direkte Erörterung etwa über Senator McCarthy oder die Lage nach den deutschen Wahlen einzutreten.

Aber gerade die Tatsache, daß so viel Ungewißheit und Zögern an so vielen Orten besteht, läßt es nützlich erscheinen, die wirklichen Fragen der amerikanischen Außenpolitik zu erörtern, wenn man sie aufspüren kann. Gibt es eine Perspektive, in der man gegenwärtige unpassende Debatten ebenso vermeiden kann, wie törichte Vorwegnahmen dessen, was man von Eisenhower oder Malenkow oder Rhee oder Adenauer heute doch noch nicht wissen kann?

Für das nichtsowjetische Europa und für die Vereinigten Staaten bestehen drei große Realitäten in der Weltpolitik, von denen keine ohne die schwerste Gefahr außer acht gelassen werden darf: erstens, daß die Sowjetunion immer mächtiger wird und der Freiheit überall in der Welt aktiv feindselig gegenübersteht; zweitens, daß ein dritter Weltkrieg eine Katastrophe sein würde; drittens, daß keine von den Nationen der nichtsowjetischen Welt die Macht oder die Stellung hat, allein bleiben zu können; sie alle haben Freunde nötig.

Ich halte mich nicht damit auf, zu begründen, warum diese drei Behauptungen Realitäten sind. Ist es nicht klar, daß die Verneinurg einer von ihnen genügt, um alles, was im Westen während der letzten Jahre nicht nur durch die Regierungen, sondern auch durch die verantwortungsvolleren Oppositionsparteien gedacht und getan worden ist, unsinnig erscheinen zu lassen? Es hat Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des Grades und der Richtung der sowjetischen Feindschaft und hinsichtlich des Preises, der für Bündnisse gezahlt werden muß, gegeben. Es bestanden sogar Meinungsverschiedenheiten darüber, ob es weise sei, zu sagen und zu denken, daß es keinen Krieg geben dürfe. Man kann diejenigen, die gegenwärtig gefangengehalten werden, verstehen (auch ohne ihnen beizupflichten), wenn sie das Gefühl haben, die Lage sei bereits so unerträglich geworden, daß selbst die Katastrophe ein gerechter Preis für Befreiung wäre. Aber diese Meinungsverschiedenheiten betreffen doch nicht die drei grundlegenden Feststellungen. Auf ihrer zwingenden Realität beruht die Politik des Kalten Krieges.

In größerem oder geringerem Maße wird eine oder mehrere dieser Realitäten innerhalb der nichtsowjetischen Welt als unerfreulich empfunden, und daher ist die öffentliche Meinung gegen sie. Während diejenigen, die keine andere Hilfe für ihr Volk sehen als gewaltsame Befreiung, die Tendenz zeigen, an dem verhängnisvollen Charakter eines allgemeinen Krieges zu zweifeln, finden es andere unbefriedigend, die Sowjetunion als das zu nehmen, als was ihre Worte und Taten sie bisher gezeigt haben. Und natürlich gibt es in allen Ländern eine Erbschaft des Nationalstolzes, die es selbstverständlich erscheinen läßt, daß man versichert, man brauche Alliierte nur zu den eigenen Bedingungen. Ein gemeinsames Kennzeichen der Opposition in allen freien Ländern ist ihre Neigung, die Regierungspartei der Unterwürfigkeit gegenüber Mächten, mit denen man verbündet ist, zu bezichtigen.

Jede der Nationen der freien Welt reagiert verschieden auf die drei Realitäten. Die jeweilige Position wechselt ebenso wie das psychologische Verhalten. Die Italiener denken nicht wie Norweger, und die strategische Position Westdeutschlands ist nicht diejenige Portugals. Was an der gegenwärtigen Diskussion auffällt, ist das merkwürdige Zusammentreffen eines schweren realen Druckes und tiefen psychologischen Widerstrebens im Fall der Vereinigten Staaten.

So wichtig auch die Realitäten der gegenwärtigen Weltpolitik für andere sind, für die Amerikaner haben sie noch eine besondere Dringlichkeit. Die Sowjetunion ist allgemein feindselig gegenüber dem Westen, aber sie ist dies ganz ausgesprochen gegenüber den Vereinigten Staaten — in einem solchen Ausmaß, daß selbst die amerikanische Kommunistische Partei den wirklichen Feind von „Frieden und Volksdemokratie“ nur in Wall Street und dem Pentagon findet. Die Drohung eines allgemeinen Krieges hat auch für die Amerikaner eine ganz besondere Unmittelbarkeit; die gewöhnliche Annahme, daß die Europäer diese Gefahr stärker empfinden, nur weil sie näher an Rußland sind, ist überholt, nachdem man nun annehmen muß, daß sowjetische Atomwaffen in wesentlicher Zahl vorhanden sind. Es ist jetzt fast sicher, daß ein allgemeiner Krieg einen großen Atomangriff auf die Vereinigten Staaten als dem großen antisowjetischen Machtzentrum zu seinen ersten Ereignissen zählen würde. Mit der Zeit wird diese neue amerikanische Verwundbarkeit nur noch stärker werden, jedenfalls solange es nur zwei wesentliche Atommächte gibt. Die nüchterne Erkenntnis dieser neuen Position verbreitete sich langsam aber stetig in den höheren Ebenen der amerikanischen Regierung und öffentlichen Meinung auch schon vor der aufrüttelnden Wässerstoffbomben-Explosion in der Sowjetunion.

Die Notwendigkeit, Verbündete zu haben, nimmt für die Amerikaner eine spezifische Bedeutung an, denn mehr als irgendeine andere nicht-sowjetische Nation verfügen die Vereinigten Staaten über eine Reserve wirtschaftlicher und sozialer Stärke, die eine Auswahl zuläßt und damit die Führung verbürgt. Es ist offensichtlich, daß die Art und Weise des Bündnisses in erster Linie auf den Entscheidungen der Vereinigten Staaten beruht. Von den Amerikanern wird nicht nur erwartet, der Koalition beizutreten, sondern ihr Vorgehen und ihre Haltung zu bestimmen. Der Grad, in dem dies bereits der Fall ist, mag an dem Ausmaß ermessen werden, in dem eine Infektion, wie die durch Senator McCarthy symbolisierte, nicht mehr lokalisiert werden kann, wenn sie amerikanischen Ursprungs ist. Senator McCarthys Aktivitäten haben die ganze Atlantische Gemeinschaft in Fieber versetzt — psychosomatisch, versteht sich.

So laufen die einzelen Versuche, Druck auszuüben, in dem gemeinsamen Brennpunkt der Vereinigten Staaten zusammen, und es ergibt sich auf diese Weise, daß ihre gegensätzlichen und oft sogar sich ausschließenden Ansprüche für Washington eine außerordentliche Geduldsprobe darstellen. An die Adresse Washingtons richten sich die Einflußnahmen und Kritiken sowohl derjenigen, die Befreiung selbst zum Preis eines Krieges, und derjenigen, die Frieden selbst zum Preis der Freiheit suchen. In Washington muß das alles entscheidende Abwägen zwischen abschreckender defensiver Stärke und herausfordernder Aufrüstung erfolgen. Washington muß die Wahl zwischen streitenden Gruppen von Freunden treffen, zwischen Juden und Arabern, zwischen europäischer Diplomatie und Formosa, zwischen Frankreich in Afrika und der Welt des Islam. Aber der Ort der Entscheidung verändert sich nicht, selbst wenn die einzige Entscheidung ist, nichts zu entscheiden. Dies wird dadurch bewiesen, daß, wenn andere davon sprechen, eine unabhängige Politik zu verfolgen, sie in Wirklichkeit eine Politik meinen, welche mehr Einfluß auf die Vereinigten Staaten haben wird.

Also: Alle Wege führen nach Washington. Dies ist Ärger genug, aber Schlimmeres ist in Sicht. Washington wurde nicht erbaut, um ein neues Rom zu sein, sondern eher als ein Symbol des freiwilligen Zusammenschlusses und der Unabhängigkeit. Nichts ist für das amerikanische Volk weniger natürlich, als daß seine Hauptstadt nun mit Notwendigkeit zur Quelle der Entscheidung und Aktion für eine zentralistische Macht in einer abhängigen Welt wird. Und doch gibt es kein Entrinnen. Wenn man die überlieferten amerikanischen Verhaltungsweisen der dreifachen Realität, die wir betrachtet haben, gegenüberstellt, wird die Situation noch schmerzhafter. Die Sowjetunion ist feindselig, und doch sind wir an Feindseligkeit als eines dauernden Merkmals in unseren internationalen Beziehungen nicht gewöhnt. Es darf keinen allgemeinen Krieg geben, und doch ist die Vorstellung, daß es angesichts echter Feindseligkeit keinen Ersatz für Sieg gibt, tief in unserer Geschichte verwurzelt, und noch tiefer in unserem Bild dieser Geschichte. „Go it alone“ ist nicht mehr möglich, und doch haben wir immer so gehandelt außer in kurzen Notzeiten, Nichts erweist besser unser Unglücklichsein in dieser neuen Welt als die nationale Reaktion — oder das Ausbleiben einer Reaktion — auf den Waffenstillstand in Korea. Der Krieg ist zu Ende, aber der Feind ist noch immer unbesiegt. Der Krieg war begrenzt; wir gebrauchten nicht alle unsere Macht (und wir neigen dazu zu vergessen, daß auch der Feind seinen Einsatz begrenzte). Der Krieg wurde von-Alliierten geführt, und dies war ein Glück für uns, denn so kann nie vergessen werden, daß unsere Sache diejenige der Vereinten Nationen war. Aber in dieser merkwürdigen Sonderart eines Koalitionskrieges erhielten wir mehr Ratschläge als Hilfe — so jedenfalls erscheint es vielen. Und wie ich schon angedeutet habe, wirft der Waffenstillstand mindestens so viele Probleme auf, als er regelt. Wir konnten es wahrscheinlich nicht viel besser machen, aber wirklich glücklich sind wir nicht über das Ergebnis.

Seit 1945 ist der Kurs der amerikanischen Außenpolitik durch Männer bestimmt worden, die dem Zwang folgten, mit den Realitäten der Weltpolitik umzugehen. Für beide, Truman und Eisenhower — und ihre Außen-und Verteidigungsministerien — ist eine grundlegend realistische Ansicht von der Welt kennzeichnend. Sie haben verstanden, daß eine verantwortliche und energische Aktion nötig ist, um die Sowjetunion zurückzuhalten, um anderen freien Völkern zu helfen, und die Gefahr eines dritten Weltkrieges abzuwehren. Wenn auch nicht beansprucht werden kann, daß ihre Handlungen ohne Irrtum waren, so kann doch die Bilanz jeden Amerikaner, der sich an die Position, die Meinungen und die politische Ahnungslosigkeit der Vereinigten Staaten 1938, vor nur fünfzehn Jahren, erinnert, mit Stolz erfüllen. Die Entscheidung, der Wirklichkeit ins Gesicht zu sehen, die im wesentlichen ebenso von der Nation wie von den Präsidenten und ihren Ratgebern getroffen wurde, hat aber nicht die altmodischen und tief verwurzelten Haltungen des amerikanischen Volkes zerstören können. Deshalb haben wir uns stets gesagt — während wir die nötigen oder für notwendig gehaltenen Dinge in der Weltpolitik taten — daß diese besonderen Anstrengungen ihrem Charakter nach vorübergehend seien: so etwa daß, wenn wir diese oder jene Krise oder nur noch eine mehr bewältigt haben würden, die sowjetische Drohung zusammenbrechen oder zurückweichen würde; oder daß unsere Alliierten stark genug sein würden, für sich selbst aufzukommen, oder etwas derartiges. Es ist zwar wahr, daß unsere Führer und Sprecher gewöhnlich tapfere Worte über „eine Zeit der Anspannung" und eine „lange Krise der Freiheit“ gebrauchten — aber die amerikanische Hoffnung ist doch unverändert geblieben. Jetzt wie früher ist das eigentliche Ziel des Lebens in den Vereinigten Staaten die Erfüllung des persönlichen Glücks, der Person und der Familie, und nicht der Staat, selbst nicht die Gemeinschaft. Um dieses Zieles willen kamen Amerikaner, oder ihre Vorfahren, nach Amerika, nicht aber in der Absicht, eine Großmacht in einem langen kalten Krieg zu werden. Und deshalb denken so viele, daß es irgendwie unnatürlich ist, auf einem so schweren Wege weiter zu gehen, wie wir ihn beschritten haben, auf dem durch Besteuerung, Militärdienst und vor allem durch eine nicht endenwollende Angst unser privates Leben ständig beschränkt wird. So hat unvermeidlicherweise die Antwort auf die Realität Belastungen gebracht. Diese Antwort ist oft durch traditionelle Gefühle beeinträchtigt worden. Erwartungen, die auf bloße Hoffnungen und Neigungen gegründet waren, wurden oft enttäuscht. Der ganze Prozeß der Anpassung an die Welt, wie sie jetzt ist, hat sich sowohl schmerzhaft wie unvollständig vollzogen. Wenn wir das Gewicht der Belastungen in Rechnung stellen, kann uns dies nicht überraschen. Die Bilanz zeigt doch ein stolzes Endergebnis, und Europäer, die die Vereinigten Staaten kennen, werden nicht voreilig aus der einen oder andern Episode schließen, daß ganz Amerika Amok läuft. Zwei jugendliche gumshoes berauscht von flüchtiger Macht (und nun bereits diskreditiert), sind noch nicht dasselbe wie ein Polizeistaat. Vorübergehende Einschüchterung im Beamtentum bedeutet noch keine allgemeine Kapitulation. Einige Boshafte sind noch nicht die ganze Nation.

Doch real ist der Antrieb durch überlieferte Hoffnungen. Im Jahre 1952, während der Präsidentenwahl, ist ihre Bedeutung wahrscheinlich noch gestiegen. Manche Teile des Programms von General Eisenhower appellierten ganz eindeutig an Hoffnungen, die erst verwirklicht werden könnten, wenn die Welt außerhalb Amerikas sich sehr verändern würde. Obwohl diese Appelle keine Versprechungen einkleideten, waren die Wahlen doch sicherlich Ausdruck einer nationalen Hoffnung auf größeren Seelenfrieden bei geringerer Anstrengung. Da die neue Administration diese wiederbelebten Hoffnungen zum erstenmal verantwortlich mit der Weltpolitik konfrontierte, wurde sie zum Symbol der amerikanischen Haltung gegenüber der Welt. Was würde geschehen, wenn die tapfere Hoffnung auf einen ausgeglichenen Staatshaushalt mit den Tatsachen des militärischen Lebens in Widerspruch geriete? Oder wenn der Glaube an die Entfesselung von Chiang Kai -shek mit der Realität seiner geringen Stärke zusammenstieße? Oder wenn die Angriffe auf „Bürokratie" und „Subversion“ sich nicht mit der Tatsache vertrügen, daß Männer von Erfahrung und Geschick fast nirgends sonst zu finden sind als in den Reihen derjenigen, die irgendwann und irgendwie unter Demokratischen Präsidenten gedient haben — wie Eisenhower und Dulles selbst?

Die Dinge, die inzwischen eingetreten sind, wurden, wie ich glaube, infolge der wunderbaren Vielfältigkeit des politischen Lebens in ihrer genauen Struktur von niemand vorausgesehen. Daß der Präsident weder „stark“ noch „schwach" sein würde, sondern sowohl elastisch wie überzeugend; daß McCarthy seine Macht nicht verlieren, aber sich zum Teil durch ihren Übergebrauch diskreditieren werde; daß Chiang „entfesselt“ und am Start stehen bleiben würde; daß Eisenhower und Dulles die von Truman und Acheson geschickt begonnenen Waffenstillstandsverhandlungen zu Ende führen würden; daß ein scharfes Absinken des amerikanischen Prestiges in Europa eintreten werde, in eben jenem Teil der Welt, wo Eisenhowers Name am meisten bedeutet hatte; daß Senator Taft bis zu seinem vorzeitigen Tode sich als ein großer Aktivposten für die Regierung erweisen werde; und daß die Politik der „Befreiung“ durch genau das gleiche Komitee für Psychologische Kriegführung beerdigt werden sollte, das zu ihrer Durchführung ernannt worden war: diese Kombination von Ergebnissen — unentschieden in ihrer Bedeutung und in die Ungewißheit mündend—, ist die Folge des noch offenen Wettkampfes zwischen dem, was ist und dem, was wir gerne haben möchten. Es besteht kein Grund zur Annahme, daß dieser Wettkampf bald beendet sein wird.

Und doch ist in vergangenen Jahren manchmal die Spannung zwischen dem Wünschenswerten und dem Notwendigen durch eine Politik überwunden worden, die gleichzeitig die Erfüllung eines nationalen Wunsches und der besonderen Notwendigkeiten der internationalen Lage erlaubte. Eine solche Politik war der Marshallplan und im allgemeinen auch der Nordatlantikpakt, obwohl spätere Maßnahmen unter diesem Pakt in wachsendem Maße krampfhaft und schwunglos geworden sind, zum Teil, weil sich die Zielsetzungen und Techniken der NATO immer verworrener entwickelt haben, mehr als nötig und vernünftig ist. Die erste Reaktion in Korea, im Juni 1950, geschah in jener Stimmung der Rechtmäßigkeit, nicht weil der Krieg als solcher gut sein kann, sondern weil Widerstand gegen die Aggression das erste Prinzip eines geordneten Friedens ist, und für die meisten Amerikaner ihre Fähigkeit, diese Wahrheit rasch zu erkennen und daraufhin zu handeln, herzstärkend — und einigermaßen überraschend — war.

Lind schließlich sind die Vereinten Nationen trotz aller Enttäuschungen und obwohl sie eine kleine Gruppe ärgerlicher Feinde besitzen, etwas geworden, was wir schätzen und brauchen. Zuerst erwarteten wir zu viel von der UNO; der natürliche Rückschlag hat Diplomaten und Staatsbürger manchmal übertrieben düster gestimmt. Der Koreakrieg brachte die öffentliche Meinung Amerikas oft in Gegensatz zu den in der UNO herrschenden Gefühlen und dies mag sich in der Frage des chinesischen Sitzes noch verschärfen. Und doch kann man noch immer sagen, daß die Vereinigten Staaten mehr als irgendeine andere Großmacht die Zukunft der Vereinten Nationen als ein echtes Anliegen empfinden.

Die zentrale Frage der gegenwärtigen amerikanischen Politik ist es, ob Programme aufgestellt werden können, die es vermögen, innere Spannungen zu überwinden und die Nation zu einigen, und dies nicht nur in einem widerwilligen Akzeptieren des Unvermeidlichen, sondern in dem Gefühl, daß die Bewältigung wirklicher Probleme auch die Erfüllung eigener Aspirationen bedeuten kann. Theoretisch ausgedrückt besteht das Problem darin, die gegensätzlichen Forderungen des wilsonsehen Idealismus und des machtpolitischen „Realismus" im Handeln zu versöhnen. Die Debatte über diese Fragen hat seit einiger Zeit einen erstaunlich großen Raum in den gelehrten Zeitschriften Amerikas eingenommen. Theoretisch hat sich der Meinungsstreit als trivial erwiesen, aber psychologisch und politisch handelt es sich um ein echtes, wichtiges Problem, denn eine angemessene Politik sollte beiden Erfordernissen entsprechen. Die zentrale Frage stellen heißt noch nicht, sie zu beantworten; dies geht über den Rahmen dieser Erörterung hinaus. Zum Abschluß mag es aber erlaubt sein, einige wenige Bemerkungen über eine mögliche amerikanische Politik in der Frage der Zukunft Deutschlands zu machen. Hier greifen die Tatsache der sowjetischen Feindschaft, die Notwendigkeit, den allgemeinen Krieg zu verhindern, und die Verbundenheit der Interessen vieler freier Völker ineinander. Sicherlich kann es keine amerikanische Politik für Deutschland geben, die nicht eine Politik zugleich für Frankreich, für England und für Europa ist. Es ist meine persönliche Ansicht, daß sich jeder, — in den Vereinigten Staaten oder in Deutschland — täuscht, der glaubt, daß es eine besondere und unabhängige deutsch-amerikanische Verbindung geben kann und soll. Deutsch-amerikanische Beziehungen haben in den Tagen sowohl McCloys wie Conants hohen Rang, aber die Bedingung dieses Erfolges ist eine gemeinsame Loyalität gegenüber den größeren Interessen der Freiheit des Westens.

Das Hauptziel der amerikanischen Politik ist es gegenwärtig, zu klären, welche Bedeutung die weniger kriegerischen Geräusche haben, die von Moskau ausgehen. Es ist dies keine leichte Aufgabe, aber sie ist nicht undurchführbar. Sie stellt die Voraussetzung für die Erneuerung einer energischen Aktion zum Ausbau des freien Europas dar. Denn wenn die Sowjetunion sich wirklich geändert hat, oder in einer Konferenz bewogen werden kann, sich zu ändern, dann müssen wir entsprechend handeln, lind wenn dies nicht der Fall ist (wie ich persönlich glaube), können diejenigen, die Hoffnungen nähren, nur durch eine ehrliche Bemühung des Westens dazu veranlaßt werden, sie beiseite zu lassen. Diese Bemühung widerspricht in keiner Weise der grundlegenden Verpflichtung zur Stärkung Europas. Diese verlangt im Gegenteil, daß wir erst unsere Bereitschaft beweisen, den Sowjets „auf halbem Wege entgegenzukommen“. In Deutschland selbst sollten wir keine Mühe scheuen, um klarzumachen, daß die amerikanische Politik, wie Mr. Dulles so deutlich gesagt hat, sich kraftvoll zugunsten eines freien vereinten Deutschlands einsetzt. Die Gefahren und Schwierigkeiten, die zweifellos Teil einer solchen Politik sind, werden fast nebensächlich, wenn man sie mit der triumphalen Bedeutung vergleicht, die die Erlösung Ostdeutschlands aus der Gefangenschaft für die Welt haben würde. Jedoch eben diese Tatsache muß die Wahrscheinlichkeit einschränken, daß diejenigen, die dieses Land versklavt haben, es leicht aufgeben würden. Niemand im Westen kann die Zukunft ganz Deutschlands für die zeitweilige Freiheit eines Teiles verkaufen. Wird Moskau aber mit weniger zufrieden sein?

Inzwischen gibt es noch die EVG, offiziell so dringlich, aber in Wirklichkeit so lange verzögert, daß es schwierig scheint, zu glauben, daß diese besondere Form eines, militärischen Tauschgeschäftes der Eckstein der Politik gegenüber Europa sein soll. Andererseits verrät es geringen Wirklichkeitssinn, mit nationalistischer Opposition gegen die EVG irgendetwas Wichtiges gewinnen zu wollen. Wenn die gegenwärtige Periode der Ungewißheit beendet ist, wird die Notwendigkeit der gemeinsamen Aktion weiterbestehen. Vielleicht ist es für die Amerikaner am besten, für eine Weile den Zwang der Umstände an die Stelle amerikanischer Ermahnungen treten zu lassen. Die überwältigende Kraft des ursprünglichen Marshallplanes beruhte zum großen Teil darauf, daß er eine Erwiderung auf wirkliche europäische Nöte war. Die ursprüngliche Initiative war in der Tat nichts anderes als ein öffentlicher Aufruf General Marshalls für einen koordinierten europäischen Vorschlag. Seit 1947 scheint die europäische Mitarbeit besonders in Angelegenheiten der Verteidigung in wachsendem Maße eine Erwiderung auf amerikanischen Druck zu sein. Diese Verlagerung hat eine unnatürliche Situation heraufgeführt, in der der Europäer sich fragt, ob er noch über sein Tun selbst bestimmt, während sich der Amerikaner immer mehr in der absurden Position fühlt, andere Leute zu bezahlen, damit diese sich fast gegen ihren eigenen Willen verteidigen. Ohne den Wert und die Zielsetzung der EVG zu mindern, kann man sagen, daß es in der gegenwärtigen Phase weiser sein mag, europäische Realitäten an die Stelle amerikanischer Ermahnungen zu setzen.

Es ist denkbar, daß die Gefahren, die ich vorgetragen habe, sich nicht sehr von der Konzeption der Eisenhower-Regierung unterscheiden, aber es ist auch klar, daß die amerikanische Diplomatie im Hinblick auf Europa noch nicht den Sinn für Initiative zurückgewonnen hat, den sie zwischen 1947 und 1950 besaß. Zu den Schwierigkeiten, denen sich die gegenwärtige amerikanische Deutschlandpolitik gegenübersieht, gesellen sich andere — die Probleme des Fernen Ostens, der Ausgleich der militärischen Anstrengungen und die Außenhandelspolitik stehen im Vordergrund. Diese Schwierigkeiten sind nicht überraschend, wenn man sie in dem großen Zusammenhang der amerikanischen Verantwortlichkeiten und Enttäuschungen und der vielfältigen Ungewißheit dieser Zeit sieht. Lind doch kann auch eine verständnisvolle Anerkennung von Schwierigkeiten nicht die Tatsache aus der Welt schaffen, daß die Politik Amerikas in dieser Generation sehr strengen Maßstäben unterworfen ist. In der Verteidigung der Freiheit gibt es keinen guten Ersatz für ein verantwortliches und großmütiges Führertum Amerikas. Es würde falsch sein anzunehmen, daß die Nation oder die gegenwärtige Regierung diese Anschauung bestritten hat, aber es muß zugegeben werden, daß wir noch keine klare Vorstellung von dem künftigen Kurs haben, den der Präsident und seine Ratgeber im Begriff sind, zu entwickeln.

Fussnoten

Fußnoten

  1. So nannte ein großer Teil der amerikanischen Öffentlichkeit jene beiden Abgesandten McCarthys, die die amerikanischen Bibliotheken in Europa inspizierten. (D. Ü.)

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