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Die evangelisch-lutherische Theologie und das Widerstandsrecht | APuZ 17/1954 | bpb.de

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APuZ 17/1954 Die Militäropposition gegen Hitler und das Widerstandsrecht Der Eid nach der Lehre der Katholischen Moraltheologie Die evangelisch-lutherische Theologie und das Widerstandsrecht

Die evangelisch-lutherische Theologie und das Widerstandsrecht

Walter Künnneth

Wenn ich mir erlaube, einige Thesen zusammenfassend vorzutragen, wie ich von dem Standpunkt der evangelisch-lutherischen Theologie aus das Widerstandsrecht begründen zu müssen meine, so erhebe ich damit nicht den Anspruch, die gesamte offizielle Lehre der Kirche zu vertreten; ich glaube allerdings, daß die Grundthesen im völligen Consensus stehen mit den Grundauffassungen etwa der Bekenntnisvorschriften der evangelisch-lutherischen Kirche.

Zunächst eine negative Bemerkung. Wir müssen uns vorerst einmal abgrenzen gegen eine Reihe von Fehllösungen oder Fehlurteilen. Die erste Fehllöung scheint mir in folgender Behauptung zu liegen:

Wenn wir es mit einem pervertierten Staat zu tun haben, wie er zweifellos im „Dritten Reich" vorlag, so ist das kein Rechtsstaat mehr, sondern ein Unrechtsstaat. Daraus folgert man, dieser Staat repräsentiert keine Obrigkeit mehr, und somit ergibt sich grundsätzlich das Recht zum Ungehorsam und zum Widerstand.

Diese These ist nicht haltbar. Einmal ist sie prinzipiell unbiblisch; denn wir haben es ja, gerade wenn wir an die Umwelt des Urchristentums denken, dort zweifellos mit pervertierten Ordnungen zu tun — denken wir an Nero und dergleichen. Wir haben es ohne Zweifel auch mit einer dämonisierten römischen absoluten Herrschaft zu tun, trotzdem wurde Römer 1-3, 1-7 geschrieben. Also das Urchristentum, etwa Paulus, ist der Meinung, daß trotz der Verzerrung, der Perversion, auch durch diese Ordnung noch die Erhaltungsordnung Gottes hindurchscheint, transparent ist. Also auch dort noch Obrigkeit. Es gibt überall, wo wir eine Perversion finden, immer noch Reste des Ordnungswillens Gottes. Der Obrigkeitscharakter ist wohl dann verzerrt, aber er ist immer noch existent. — Das gilt ja bis zu einem gewissen Grad selbst noch für die heutige Situation im Osten. Aber das will ich nur als Beispiel kurz angedeutet haben.

Das wäre also der erste Punkt, in dem ich sagen würde: Diese Begründung des Widerstandsrechtes auf Grund der Meinung, eine pervertierte Staatsordnung sei keine Obrigkeit mehr, könnte ich vom evangelischen Standpunkt aus nicht mehr für legitim ansehen.

Probleme des Tyrannenmordes Der zweite, ich grenze mich hier negativ ab, ist — ich darf das historisch kurz zusammengefaßt, so aussprechen — das Problem des Tyrannen-mordes.

Ich weiß sehr wohl, daß auch hier die Meinungen, sowohl — wenn ich recht orientiert bin — in der katholischen Theologie wie auch in der evangelischen Theologie, auseinandergehen. Karl Barth z. B. vertritt durchaus diese Möglichkeit, aber ich kann die Begründung, die er gibt, nicht für gültig ansehen.

Was spricht dagegen, gegen die generelle Möglichkeit eines Tyrannen-mordes? Einmal dies: Hier handelt es sich um eine durchaus individuelle subjektivistische Begründung, auch wenn man, wie Barth sagt, die lauteren Motive anerkennen muß. Aber diese subjektivistische Begründung, das einer das Gefühl, den Drang hat, den Ruf spürt: Ich muß das unternehmen! —, das mag subjektiv ehrlich sein, es mag uns den höchsten Respekt abfordern, aber das ist zunächst einmal der Ausdruck einer Willkür; und wenn einer sagt: „Ich berufe mich dabei auf mein Gewissen, mein Gewissen drängt mich zu dieser Tat!" —, so können wir nur sagen: Das Gewissen ist für uns keine alleingültige Instanz. Denn auch das Gewissen kann irren, es gibt irrende Gewissen. Dieser Subjektivismus würde ein Sprungbrett für jede Anarchie darstellen können.

Ein zweites Argument dagegen:

Wenn der einzelne Bürger eines Tages auf Grund der vielfachen Erfahrungen, die er machte, die Meinung hat:

Ich muß diesen Herrscher (gleichviel, welchen Titel er trägt) nun beseitigen! —, so müssen wir sagen: Dem einzelnen Bürger, diesem homo privatus, fehlt normalerweise die Einsicht. Er kann in seiner Entscheidung von subjektiven Gefühlen, Stimmungen, Urteilen geleitet werden. Und hier liegt die Gefahr, daß eine Lawine von Untaten dadurch ausgelöst werden kann, eine Flut von Unrechtshandlungen, die der Betreffende nicht gewollt hat, die aber die Folge davon sein können.

Und drittens würde ich schließlich dagegen einwenden: Es ist fraglich, ob in einem modernen Staatsgebilde durch die bloße Beseitigung des führenden Tyrannen wirklich die Ordnungsfrage gelöst wird. Angesichts der Hintergründe und Zusamenhänge des 20. Juli würde ich fast sagen, daß es meines Erachtens auch da ganz evident geworden ist, daß es hier ja gar nicht um die eine Person geht, auch wenn sie brennpunktartig im Zentrum steht und das Ganze trägt und bestimmt. Es geht hier doch um ein dämonisiertes System überhaupt.

Auf die Kernfrage: Kann es grundsätzlich einmal erlaubt sein, daß in einer extremen Situation ein Tyrann von einem Bürger oder einer Gruppe von Bürgern getötet wird?, will ich jetzt gleich positiv zu sprechen kommen. Ich wollte nur, um der Sauberkeit der theologischen Erwägungen Rechnung zu tragen, feststellen, was eben hier zunächst einmal als Mißverständnis und als eine irrtümliche Lösung abgewertet werden soll.

Das wäre das Negative, was dazu zu sagen wäre. Nun die positiven Gesichtspunkte.

Es ist keineswegs so, daß die evangelische Theologie heute etwa bei dem „Nein" stehen bleibt und sagt: „Wir können nichts weiter tun, als immer nur Gehorsam üben. Wir müssen in einer gewissen Servilität (wie der kritische Ausdruck dann lautet) beharren“.

Erstens wissen wir heute, daß auch Luther selber darüber sehr viel anders gedacht hat, als wir in vergangenen Jahren oberflächlich immer meinten, vortragen zu sollen. Luther und Calvin stimmen hier in vielen Dingen sogar seltsam überein. Aber es geht mir hier nicht um historische, sondern um grundsätzliche Erwägungen.

Es gibt hier eine prinzipielle Möglichkeit des Widerstandes, auch eines aktiven Widerstandes, aber unter ganz bestimmten Vorbedingungen. Ich würde die Möglichkeit eines Widerstandes nicht mit irgendwelchen direkten biblischen Aussagen begründen. Ich halte das für falsch. Ich könnte es nicht etwa mit Beruf auf Römer 13 begründen, indem man sagt: Dir zugute — wie manche Theologen meinen. Aus diesem Punkte kann man dann so deducieren: Also, was ist zugute? Das ist das Gegenteil zum Bösen . . . Und daraus ergibt sich dann in weiter, weiter Gedankenführung einmal die Möglichkeit. Das würde ich für falsch halten, denn Paulus hat bestimmt in dieser Weise nicht an die Möglichkeit gedacht. Trotzdem ist es berechtigt, von einer Möglichkeit zu sprechen. Welches sind die Vorbedingungen?

Ich sehe zunächst drei Voraussetzungen als unerläßlich an:

Abgestufte Verantwortlichkeit Erstens müssen die Persönlichkeiten, die einen aktiven Widerstand erwägen und dann vielleicht auch praktisch durchführen, sich in einer verantwortlichen Position befinden. Sie müssen also in irgendeiner Weise Amtsträger sein. Sie nehmen nämlich als Amtsträger teil an einer Mit-verantwortung für das Ganze, für den Staat. Ihre Eidesleistung, wenn ich das hereinnehmen darf, verpflichtet sie ja auch gerade zu dieser erhöhten Verantwortlichkeit. Ich bin der Meinung, daß die Eidesleistung die Verantwortung der Persönlichkeit nicht begrenzt, sondern im Gegenteil verstärkt, erhöht. Der Amtsträger hat also eine Verantwortlichkeit für das Ganze.

Ich glaube, daß Rommel ein klassisches Beispiel dafür bietet. Er stand in einer verantwortlichen, außerordentlichen Position, er war ein Amtsträger, er hatte eine höhere Verantwortlichkeit als andere, bei ihm war also die erste Voraussetzung gegeben, unter Umständen einen aktiven Widerstand in irgendeiner Weise zu organisieren.

Damit ist also klar, daß nicht jeder einzelne Staatsbürger dazu berechtigt ist, nicht jeder einzelne Kritiker sich erlauben kann, zu sagen: „Mir paßt das nicht, ich halte diese Regierung für dämonisiert, ich halte diesen Führer für einen Tyrannen, und darum muß hier irgendwie eine Veränderung getroffen werden".

Dies scheint mir sehr wichtig zu sein: Nicht jeder Einzelne ist berufen, Widerstand zu leisten! Daher kann es auch keine legitime Berufung eines Menschen auf eine prophetische Weisung geben, die er bekommen hat, oder auf sein — sagen wir einmal — individuelles Gewissen. Das scheint mir nicht tragfähig genug zu sein.

Überhaupt ist es wohl für diese Frage sehr wichtig, sich darüber klar zu sein, daß die Verantwortung abgestuft ist. Sie ist nicht in gleicher Weise bei jedem vorhanden. Ich würde z. B. meinen — wenn ich das kritisch sagen darf gegen die sonst sehr weisen Ausführungen von Kirchenrat Loy in dem kleinen Schriftchen „Politische Predigt" —, daß seine Worte:

„Es kommt hier letztlich auf die verantwortliche persönliche Gewissensentscheidung an", in dieser Allgemeinheit nicht zutreffen. Wir können nicht alles auf das Gewissen der breiten Masse schieben. Es kommt auf die besondere, abgestuftc Verantwortlichkeit an, also gleichsam auf den Rang, in dem sich der Betreffende befindet. Das wäre die erste Voraussetzung.

Sachkundige Einsicht Und die zweite Voraussetzung hängt natürlich auf das engste damit zusammen: Es ist eine sachkundige Einsicht in die Situation notwendig, eine Einsicht, daß die Lage eine Situation der Notwehr darstellt. Es entscheidet also nicht subjektive Willkür darüber, sondern ein hohes Maß von Sachkenntnis.

Ich möchte als die Frage, ob Widerstand oder nicht, sehr stark auf das Maß der Sachkenntnis begründet sehen. Nicht das Gefühl entscheidet, sondern Umsicht, Einsicht, Erkenntnis der Lage. Nicht jeder kann diese Einsicht haben. Es müssen besondere Amtsträger sein, etwa Generale, Staatsmänner, führende Politiker, die wirklich in diesen verantwortlichen Positionen stehen. Zur Aufklärung und zur Vermittlung der Einsicht kann ja, das wissen wir heute alle, nicht die allgemeine Propaganda dienen, sie kann ebenso verdunkeln. Auch die Flüsterpropaganda etwa einer Untergrundbewegung scheint mir zu genügen. Man muß wirklich bestimmte Einsichten haben über die Faktoren, die hier berücksichtigt werden müssen. Lind darum lautet die eigentliche ethische Frage: Was muß geschehen zu einer sachgemäßen Erfüllung des Dienstes an der Erhaltung der Staatsordnung als einer Gottesordnung? Konkret würde das heißen: Wie kann Recht, Gerechtigkeit, Frieden, diese Grundbegriffe, wenn wir sie zusammenfassen würden, wie können also diese Grundbegriffe realisiert, wieder hergestellt, erhalten werden? Das ist die Frage, die sich zwar der einzelne Staatsbürger privatim auch vorlegen mag, aber er ist ja nicht in der Lage, hierzu etwas Entscheidendes beizutragen.

Das war also der zweite Punkt, nämlich die sachkundige Einsicht.

Möglichkeit der Realisierung Die dritte Voraussetzung, die wohl auch Berücksichtigung verdient, ist, daß die sachliche Möglichkeit einer Realisierung bestehen muß. Es kann jemand an einem hervorragenden Posten stehen, er kann die tiefste Einsicht haben; aber gerade diese seine Einsicht macht ihm klar, daß keine Möglichkeit besteht, eine Änderung der Lage herbeizuführen. In diesem Falle ist auch die ethische Möglichkeit eines Widerstandes nicht gegeben, weil die Voraussetzung, die sachliche Möglichkeit einer Verwirklichung, nicht gegeben ist.

Er muß also den Überblick über die gesamte Lage haben, er muß alle Möglichkeiten erwägen. Er muß die Eventualität berücksichtigen, etwa im Hinblick auf einen unter Umständen dadurch ausgelösten Bürgerkrieg. Er muß die rechten Vorkehrungen treffen und diese Maßnahmen auch rechtzeitig treffen können. Das sind alles Dinge, von denen man post festum zwar erklären kann, daß sie nicht geschehen oder zu wenig geschehen sind, die aber von den verantwortlichen Trägern irgendeines hohen Amtes wirklich ernst genommen werden müssen.

Dieser dritte Punkt wendet sich gegen jede Phantastik, gegen jeden Gefühlsrausch, gegen alle die Ressentiments und Dinge, die gerade in einem pervertierten Staat aufsteigen können. Es geht hier in der Tat um die ganz nüchterne Prüfung der vorhandenen Faktoren und der Möglichkeiten. Ein Widerstand darf nicht von vornherein als sinnlos erscheinen, sondern Träger des Widerstandes müssen die Überzeugung haben: Es ist alles erwogen worden und — freilich immer nach dem relativen Wahrscheinlichkeitsmaßstab alles Historischen — nach dem bestmöglichen Maßstab können wir sagen: Es ist möglich, es ist sinnvoll, es kann verwirklicht werden. —

Art und Weise der Durchführung Damit habe ich zunächst einmal festzustellen versucht, worin die prinzipielle Möglichkeit ihre Voraussetzung hat. Ich darf noch ein Weiteres hinzufügen. Hier geht es um die Art und Weise der Durchführung dieser Widerstandsaktion. Ich wage folgenden Satz: Die Art und Weise der Durchführung ist eine politisch-militärische Ermessensfrage, die also nicht irgendwie durch biblische Zitate begründet und nicht direkt abgelesen werden kann, die nicht von vornherein ethisch dahingehend zu postulieren ist: So muß es gemacht werden, so darf es nicht gemacht werden.

Ich darf an folgendem zeigen, wie ich das zu verstehen meine: Sie werden sich vielleicht wundern, wenn ich als Theologe das sage: Ein Verzicht auf Tötung im Zusammenhang mit einer Widerstandsaktion scheint mir unmöglich zu sein. Wenn ich richtig orientiert bin, wollte Rommel ursprünglich, daß der Führer nicht getötet, sondern nur gefangengenommen würde. Aber auch eine solche Widerstandsaktion würde nach unserem evangelischen Ermessen keine höhere ethische Qualität haben und keine Rechtfertigung dadurch erfahren, daß ich sagen könnte: „Ja, aber er ist nicht getötet worden! — Das wäre in diesem Falle ganz irrelevant. Persönlich mag es so oder so irgendwelche Momente auslösen, aber in der Sache selber könnte es keinen wesentlichen Gesichtspunkt darstellen.

Widerstand ist immer eine Form der Notwehr, und die Notwehr schließt den Gewaltakt, zumindest die Möglichkeit des Gewaltaktes, stets in sich.

Nun darf ich das vielleicht einmal an dem Beispiel Stauffenberg exemplifizieren.

Die Frage: Hatte Stauffenberg als einzelne Person überhaupt das Recht, dies Attentat zu begehen?, scheint mir falsch gestellt zu sein. Das wäre nämlich eine individual-ethische Auffassung. Hier geht es aber einfach darum: Seine Aktion, sein Attentat muß im größeren Zusammenhang einer verantwortlichen Gesamtplanung gesehen werden. Und — wenn ich recht sehe — scheint mir die eigentliche Verantwortung für dieses Attentat nicht er allein zu tragen, sondern der gesamte Kreis, der dahinter steht und der die Notwendigkeit eben gerade in dieser Aktion gesehen hat.

Dazu noch eine zweite Überlegung: Der Einsatz der Mittel, der Aktionsmittel des Widerstandes, bemißt sich immer nach den gegebenen Möglichkeiten und Notwendigkeiten. Von vornherein kann ich das nicht sagen. Ich kann nicht eine Ethik des Widerstandes schreiben und sagen: Das darfst Du tun, und das darfst Du tun! — Ich kann nicht nur sagen: Es müssen die Möglichkeiten in einer bestimmten historischen Lage erwogen und die Notwendigkeiten aufgezeigt werden, die eben da gegeben sind. Im Blickpunkt der Berücksichtigung, welche Möglichkeiten, welche Notwendigkeiten sich abzeichnen, sind folgende Gedanken zu erwägen:

Einmal muß die Maßnahme eine höchstmögliche Sicherheit und durch Gewißheit für das Gelingen gegeben sein. Wenn ich sage: Eine Aktion gelingt aller Wahrscheinlichkeit nach dadurch besser, daß ich durch eine Tötung dieser und jener Persönlichkeiten vorgehe, so ist das richtiger, als zu sagen: Ja, ich möchte aber in diesem Fall niemand töten, darum und wähle ich einen anderen Weg, der aber nur 45% der Wahrscheinlichkeit des Gelingens hat.

Schnelligkeit der Aktion Ein zweiter Gesichtspunkt — es ist vielleicht merkwürdig, wenn ich als Theologe das sage, aber es führt eben sehr stark ins Konkrete hinein —: Es scheint mir auch die Schnelligkeit der Aktion hier wichtig zu sein. Denn jeder Zwischenzustand trägt eine ungeheure Gefahr in sich, nämlich die Gefährdung durch Anarchie. Wir müssen immer daran denken: Wenn eine Ordnung durch eine andere ersetzt werden soll, kann es sich tatsächlich um Stunden handeln, und in diesen Stunen fallen ganz große Entscheidungen. Darum ist auch die Aufgabe hier, schnell zu handeln, damit für das Bewußtsein des Volkes, der großen Masse, der Zwischenzustand, eigentlich überhaupt nicht da ist oder nur auf ein Minimum, auf einen Punkt, reduziert wird. Auch das ist wichtig: denn der Zwischenzustand bedeutet immer Auflösung der Ordnung, und dagegen müssen wir uns auch ethisch mit allen Mitteln wenden.

Der dritte Faktor, der wohl berücksichtigt werden muß, besteht darin: Die Träger eines Widerstandes müssen nach bestem Wissen und Gewissen die Wiederherstellung einer besseren Ordnung gewährleisten können. Sind sie dazu nicht in der Lage, sollen sie die Hände davon lassen. Wenn wir z. B. heute meinen, im Osten eine Gegenrevolution machen zu können, und das ist nicht richtig durchdacht, so ist das Chaos und das Blutbad, das dadurch entsteht, unendlich viel schlimmer als der gegenwärtige Zustand, der schon schlimm genug ist. Halbe und verfehlte Maßnahmen pflegen gerade in solchen kritischen Situationen das Unrecht zu vermehren und das Chaos zu vergrößern. -

So kann also ethisch doch einiges darüber gesagt werden, meine ich, und wir bleiben keineswegs bei dem etwas lethargischen und skeptischen Standpunkt stehen, daß wir da nichts ändern können, alles ertragen müssen und keine Verantwortung haben. Sie sehen, die Thesen gehen wesentlich darüber hinaus.

Keine ethische Rechtfertigung, aber ethische Möglichkeit Und nun abschließend noch ein weiterer Gesichtspunkt zu dem Positiven: Die ethische Möglichkeit eines Widerstandes bedeutet grundsätzlich keine ethische Rechtfertigung. Ich möchte da einen Unterschied sehen: keine ethische Rechtfertigung, aber eine ethische Möglichkeit. — Was heißt das? Die ethische Möglichkeit ist gegeben in freier verantwortlicher Entscheidung in actu (im Vollzug der Tat).

Ich kann das, was ich sagte, nicht etwa proklamieren. Es kann nur vollzogen werden in einer ganz bestimmten geschichtlichen Stunde, in der Persönlichkeiten ungeheuere Verantwortung tragen, sich entscheiden müssen und das Gefühl haben: An uns liegt es!, das Bewußtsein haben: Wir sind verantwortlich dafür, ob der Staat, die Ordnung, gerettet wird oder ob das Volk zugrunde geht. Wir müssen handeln! — In dieser freien, verantwortlichen Entscheidung ist diese ethische Möglichkeit gegeben. Aber das bedeutet nun nicht, daß diese Männer nachher sagen können: „Ihr seht, alle unsere Erwägungen sind richtig, wir sind damit ethisch gerechtfertigt.“ — Vielleicht darf ich das letzte in folgender Weise zu begründen versuchen: Daß wir überhaupt die Frage eines Widerstandes erwägen müssen, macht uns deutlich, daß es sich hier um den Zustand einer pervertierten Ordnung handelte, und eine pervertierte Staatsordnung ist immer das Zeichen einer gottwidrigen Welt. Ich darf jetzt etwas theologisch sprechen: Sie sind ein Zeichen dafür, daß nun einmal die Völker, die Staaten und die Menschheit in Schuld verstrickt sind, und gerade die Erwägung eines Widerstandes offenbart uns, daß wir alle in eine -tief greifende Schuldverflochtenheit hineingekommen sind; ich möchte beinahe sagen, daß also die Frage, wie können wir hier handeln, um eine weiße Weste zu behalten oder saubere zu behalten, ganz falsch ist. Hände Wir stehen hier schon mitten drin in der sagen wir einmal — Drecklinie, und dürfen da nicht so tun, als könnten wir uns hier hindurchlavieren und sagen: „Seht, ich habe das ganz ausgezeichnet gemacht, und diese Lösung ist die allein ethisch mögliche!“ So nicht! Sondern wir sehen, daß wir sittlich hier in einer ganz großen Schuldverflochtenheit stehen; denn die Anwendung der Gewaltmittel, auch wenn sie notwendig ist, und sprachen wir, immer belastend, ist immer davon ist mit Unrecht verflochten. Auch eine gelungene Revolution kann sie niemals ganz vom LInrecht freihalten. Das ist einfach mit der Sache gegeben, das ist notwendigerweise in ihr enthalten. Auch Unschuldige werden damit getroffen. Denken wir an das Attentat vom 20. Juli. Soviel ich weiß, sind ja auch Persönlichkeiten verletzt worden, die innerlich sogar auf der Seite der Widerstandsbewegung gestanden haben. Also auch Unschuldige müssen davon betroffen werden, darunter leiden. Es werden immer Opfer gefordert, jeder Widerstand trägt einen Wagnischarakter.

Das heißt also: Es ist auch keine Sicherheit damit gegeben, daß das, was daraus entsteht, wirklich besser ist. Das ist ja das Fragwürdige jeder Revolution überhaupt, ob das Spätere besser wird. Man hofft es, aber die Sicherheit ist nicht hundertprozentig gegeben.

Aber ich muß auch hier sagen: Weder das Gelingen einer Widerstands-aktion noch das Mißlingen ist ein ethisches Kriterium für die Gültigkeit. Ich kann nicht sagen: Es ist mißlungen, und darum war es ethisch unrichtig. — Diese These ist grundfalsch. Ich kann aber auch umgekehrt nicht sagen: Eine Aktion ist gelungen, und darum ist sie ethisch gerechtfertigt.

Dieser Standpunkt ist für uns, vom Standpunkt der evangelischen Theologie, wichtig; aber ich möchte meinen, daß auch die katholische Theologie das wohl ähnlich sehen wird. Denn, recht verstanden, ist eigentlich die Frage nach der Möglichkeit eines Widerstandes nur ein prägnanter Spezialfall des politischen veranwortlichen Dienstes überhaupt. Hier wird nämlich deutlich: Alles politische Handeln ist letztlich ethisch zweideutig, ist fragwürdig, ist verflochten mit Schuld, muß aber vorgenommen werden in verantwortlicher Entscheidung. Und aus diesem Grunde, wenn ich das abschließend so formulieren darf, ist die Begegnung zwischen christlicher Kirche und den führenden Männern der Politik und des Staatslebens eine nicht nur notwendige, sondern sogar innerlich heilbringende; denn ich bin der Meinung, daß gerade die politischen Führer, die ganz nüchtern ihren harten politischen Dienst selbstverständlich leisten, das brauchen, was nämlich die christliche Kirche verkündet, das, was wir in der Sprache der Bibel „Vergebung der Sünden" nennen. So steht letztlich auch hier das Wort von der Vergebung der Sünde als die letzte ethisch-religiöse Antwort überall auf die Frage der Erwägung des Widerstandes.

Das ist nun das letzte, was vom Standpunkt der Kirche aus gesagt werden kann. Aber damit ist alles, was ich nun über die grundsätzliche Möglichkeit eines Widerstandes unter bestimmten Voraussetzungen dargelegt habe, nicht wieder aufgehoben, sondern nur auf eine höhere Basis gestellt worden. Politik und Zeitgeschichte AUS DEM INHALT UNSERER NÄCHSTEN BEILAGEN:

Robert Boothby: „Die Führung Westeuropas"

Bernhard Brodie: „Atomwaffen:

Strategie oder Taktik?"

Freiherr von der Heydte: „Freiheit und Sicherheit in der modernen Demokratie"

Pascual Jordan: „Kopernikus und die Entwicklung des abendländischen Denkens"

Heinz Karst: „Der Einfluß der Technik auf die mensch-

lichen Beziehungen in modernen Streitkräften“

Kurt Georg Kiesinger: „Haben wir noch den Bürger?

Die Problematik des Parteienstaates"

Adelbert Weinstein: „Die Verteidigung ist unteilbar"

Woodrow Wyatt: „England ist in Europa"

Deutsche Gespräche „Die Vollmacht des Gewissens" über den Widerstand: Die Rechtslage in Terrorstaat Der Landesverrat Das Widerstandsrecht Der Eid (Europäische Publikation Nr. 4— 7)

Eine Zusammenstellung

der aktuellen politischen Literatur: „Im Brennpunkt Zeitgeschichte"

Fussnoten

Fußnoten

  1. „Jedermann sei der obrigkeitlichen Gewalt untertan. Denn es gibt keine Gewalt, die nicht von Gott stammt; wo eine Gewalt besteht, ist sie von Gott angeordnet. Wer sich demnach gegen die Gewalt auflehnt, lehnt sich gegen die Anordnungen Gottes auf; wer sich aber gegen diese, auflehnt, zieht sich das Gericht zu. Die Machthaber sind nicht für gute, sondern für schlimme Taten zum Schrecken. Willst du ohne Furcht sein vor der Gewalt, so handle gut, und du wirst von ihr Lob erhalten. Denn sie ist Gottes Dienerin zu deinem Besten. Tust du aber Böses, so fürchte sie: Denn sie trägt nicht umsonst das Schwert. Sie ist Gottes Dienerin und vollstreckt die Strafe an dem, der Böses tut. Deshalb muß man ihr untertan sein, nicht nur um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. Darum entrichtet ihr ja auch Steuern. So gebt denn jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, wem Steuer, Zoll, wem Zoll, Ehrfurcht, wem Ehrfurcht, Achtung wem Achtung gebührt. *

Weitere Inhalte

2) Künneth, Walter, D. Dr. phil. HonU Prof, für syst. Theologie und Grenzgebiete (Apologetik), Erlangen. Geb. 1. 1. 1901 in Etzelwang'Oberpfalz.